Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.

Gustav Büttner kam heute viel zu spät nach Haus zum Mittagbrot. Die Familie hatte bereits vor einer Weile abgegessen. Der alte Bauer saß in Hemdsärmeln in seiner Ecke und schlummerte. Karl hielt die Tabakspfeife, die er eigentlich nur während des Essens ausgehen ließ, schon wieder im Munde. Die Frauen waren mit Abräumen und Reinigen des Geschirrs beschäftigt.

Die Bäuerin sprach ihre Verwunderung darüber aus, daß Gustav so lange ausgeblieben. In der Schenke sitzen am Sonntag Vormittag, das sei doch sonst nicht seine Art gewesen. – Gustav ließ den Vorwurf ruhig auf sich sitzen. Er wußte wohl warum; seine Leute brauchten gar nicht zu erfahren, was sich inzwischen begeben hatte.

Schweigend nahm er auf der Holzbank, am großen viereckigen Familientische Platz. Dann heftelte er seinen Waffenrock auf, wie um sich Platz zu machen für das Essen. Die Mutter brachte ihm das Aufgewärmte aus der Röhre.

Die Büttnerbäuerin war eine wohlhäbige Fünfzigerin. Ihr Gesicht mochte einstmals recht hübsch gewesen sein, jetzt war es entstellt durch Unterkinn und Zahnlücken. Sie sah freundlich und gutmütig aus. Gustav sah ihr von den Kindern am ähnlichsten. In ihren Bewegungen war sie nicht besonders flink, eher steif und schwerfällig. Der schlimmste Feind der Landleute, das Reißen, suchte sie oftmals heim.

Eine der Töchter wollte ihr behülflich sein, aber sie ließ es sich nicht nehmen, den Sohn selbst zu bedienen. Der Unteroffizier war ihr Lieblingskind. Sie setzte die Schüssel, die noch verdeckt war, vor Gustav hin und stützte die Hände auf die Hüften. »Nu paß aber mal uf Gust!« rief sie, und sah ihm schmunzelnd zu, wie er den schützenden Teller abhob. Es war Schweinefleisch mit Speckklößen und Birnen im Grunde des Topfes zu erblicken. »Gelt, Dei Leibfrassen Gust!« sagte sie und lachte den Sohn an. Sie ließ die Blicke nicht von ihm, während er zulangte und einhieb. Jeden Bissen schien die liebevolle Mutter für ihn mitzuschmecken. Gesprochen wurde nichts. Man hörte das Klappern des Blechlöffels gegen die irdene Schüssel; denn der Unteroffizier ersparte sich den Teller. – In der Ecke schnarchte der alte Bauer, sein Ältester war auf dem besten Wege ihm nachzufolgen, trotz der Pfeife. Am Ofen, der eine ganze Ecke des Zimmers einnahm, mit seiner Hölle und der breiten Bank, hantierten die jüngeren Frauen an dem dampfenden Aufwaschfaß mit Tellern, Schüsseln und Tüchern.

Der Büttnerbauer besaß zwei Töchter. Die dritte Frauensperson war Karls, des ältesten Sohnes, Frau.

Die Büttnerschen Töchter zeigten sich sehr verschieden in der Erscheinung. Man würde sie kaum für Schwestern angesprochen haben. Toni, die Ältere war ein mittelgroßes starkes Frauenzimmer, mit breitem Rücken. Das runde Gesicht, mit roten Lippen und Wangen, erschien wohl hauptsächlich durch seine Gesundheit und Frische hübsch. Sie stellte mit ihrem drallen Busen und kräftigen Gliedmaßen das Urbild einer Bauernschönheit dar.

Ernestine, die jüngere Schwester, war erst vor kurzem konfirmiert worden. Sie stand noch kaum im Anfange weiblicher Entwickelung. Sie war schlank gewachsen und ihre Glieder zeigten eine bei der ländlichen Bevölkerung seltene Feinheit. Dabei war sie sehnig und keineswegs kraftlos. Ihren geschmeidigen, flinken Bewegungen nach zu schließen mußte sie äußerst geschickt sein. Die Arbeit flog ihr weit schneller von der Hand, als der älteren Schwester.

Der Schlummer des Vaters wurde respektiert; man vermied das allzulaute Klappern mit dem Geschirr. Am wenigsten besorgt um den Schlaf des Alten schien Therese, die Schwiegertochter, zu sein. Sie sprach mit tiefer, rauher, etwas gurgelnder Stimme, wie sie Leuten eigen ist, die Kropfansatz haben. Therese war eine große, hagere Person, mit langer spitzer Nase, ziemlich blaß, aber von knochig derbem Wuchse, mit starkem Halse.

Sie ging jetzt daran, die abgewaschenen Teller in das Tellerbrett zu stellen. Als sie an ihrem Gatten vorbeikam, dem der Kopf bereits tief auf die Brust herabgesunken war, während ihm die Tabakspfeife zwischen den Schenkeln lag, stieß sie ihn unsanft an. »Ihr Mannsen braucht o ne en halben Tog zu verschlofa; weil mir Weibsen uns abrackern missen. Das wär' ane verkehrte Welt. Wach uf, Karle! –«

Karl fuhr auf, sah sich verdutzt um, nahm seine Pfeife auf, die er langsam wieder in Brand setzte, und blinzelte bald wieder von neuem mit den Augenlidern. Seine Ehehälfte ging inzwischen brummend und murrend auf und ab.

Theresens Wut wurde gar nicht durch die Schlafsucht des Gatten erregt worden an die sie schon gewöhnt war. Vielmehr ärgerte sie sich darüber, daß Gustav von der Bäuerin mit den besten Bissen bewirtet wurde. Sie war ihrem Schwager überhaupt nicht grün. Der jüngere Sohn werde dem älteren gegenüber von den Alten bevorzugt, fand sie. Sie fühlte wohl auch, daß Gustav ihrem Gatten in vielen Stücken überlegen sei, und das mochte ihre Eifersucht erregen. Ganz erbost flüsterte sie den Schwägerinnen zu – soweit bei ihr von einem Flüstern die Rede sein konnte – »de Mutter stackt's Gustaven wieder zu, vurna und hinta!«

Endlich war Gustav fertig mit Essen. Zur Freude seiner Mutter hatte er reine Wirtschaft gemacht. Sich streckend und gähnend, meinte er, daß es in der Kaserne so was freilich nicht gäbe.

Inzwischen war der alte Bauer erwacht. »War Gustav doe?« fragte er, sich mit leeren Augen umsehend. Als er gehört hatte, daß Gustav bereits abgegessen habe, stand er auf und erklärte, mit ihm hinausgehen zu wollen, auf die Felder.

Der junge Mann war gern bereit dazu. Er wußte sowieso nicht, wie er den langen Sonntagnachmittag verbringen solle.

Karl ging mit Vater und Bruder aus dem Zimmer, scheinbar, um mit auf's Feld zu gehen. Aber, er verschwand bald. Er hatte nur die Gelegenheit benutzt, herauszukommen, um auf dem Heuboden, ungestört von seiner Frau, weiter schlafen zu können.

Der Bauernhof bestand aus drei Gebäuden, die ein nach der Südseite zu offenes Viereck bildeten. Das Wohnhaus, ein geräumiger Lehmfachwerkbau, mit eingebauter Holzstube, ehemals mit Stroh gedeckt, war von dem jetzigen Besitzer mit Ziegeldach versehen worden. Mit dem schwarz gestrichenen Gebälk und den weiß abgeputzten Lehmvierecken zwischen den Balken, den unter erhabenen Bogen, wie menschliche Augen, versteckten Dachfenstern, blickte es sauber, freundlich, altmodisch und gediegen drein. Die Winterverpackung aus Moos, Laub und Waldstreu war noch nicht entfernt worden. Das Haus war wohl versorgt, die Leute, die hier wohnten, das sah man, liebten und schützten ihren Herd.

Unter einem langen und hohen Dache waren Schuppen, Banse und zwei Tennen untergebracht. Ein drittes Gebäude enthielt Pferde-, Kuh- und Schweineställe. Scheune wie Stall wiesen noch die althergebrachte Strohbedachung auf.

Die Gebäude waren alt, aber gut erhalten. Man sah, daß hier Generationen von tüchtigen und fleißigen Wirten gehaust hatten. Jeder Ritz war zugemacht, jedes Loch bei Zeiten verstopft worden.

In der Mitte des Hofes lag die Düngerstätte, mit der Jauchenpumpe daneben. Am Scheunengiebel war ein Taubenhaus eingebaut, welches eine Art von Schlößchen darstellte; die Thüren und Fenster des Gebäudes bildeten die Ein- und Ausfluglöcher für die Tauben. Ein Kranz von scharfen, eisernen Stacheln wehrte dem Raubgetier den Zugang. In dem offenen Schuppen sah man Brettwagen, Leiterwagen und andere Fuhrwerke stehen, die Deichseln nach dem Hofe gerichtet. Unter dem vorspringenden Scheundach waren die Leitern untergebracht. Im Holzstall lag gespaltenes Holz für die Küche, Reisig zum Anfeuern, und Scheitholz. Das Kalkloch, der Sandhaufen und der Stein zum Dengeln der Sensen, fehlten nicht.

Der Sinn für das Nützliche und Notwendige herrschte hier, wie in jedem rechten Bauernhöfe, vor. Aber auch der Gemütlichkeit und dem Behagen war Rechnung getragen. Ein schmales Gärtchen von einem Holzstacket eingehegt, lief um die Süd- und Morgenseite des Wohnhauses. Hier zog die Bäuerin neben Gemüsen und nützlichen Kräutern, verschiedene Blumensorten, vor allem solche, die sich durch starken Geruch und auffällige Farben auszeichnen. Und um die Pracht voll zu machen, hatte man auf bunten Stäben leuchtende Glaskugeln angebracht. In der Ecke des Gärtchens stand eine aus Brettern zusammengestellte Holzlaube, die sich im Sommer mit bunt blühenden Bohnenranken bezog. Im Grasgarten standen Obstbäume, von denen einzelne ihrem Umfange nach zu schließen, an hundert Jahr alt sein mochten.

Die Thür des Wohnhauses war besonders schön hergestellt. Drei glatt behauene steinerne Stufen führten hinauf. Die Pfosten und der Träger waren ebenfalls von Granit. Auf einer Platte, die über der Thür angebracht war, stand folgender Spruch eingegraben:

»Wir bauen alle feste,
»und sind doch fremde Gäste,
»und wo wir sollen ewig sein,
»da bauen wir gar wenig ein!«

Gustav und der Bauer schritten vom Hause, ohne daß einer dem anderen ein Wort gesagt, oder einen Wink gegeben hätte, geraden Weges nach dem Pferdestalle; denn hier war der Gegenstand des allgemeinen Interesses untergebracht: eine zweijährige braune Stute, die der Bauer vor kurzem gekauft hatte. Zum dritten oder vierten Male schon besuchte der Unteroffizier, der erst am Abend vorher in der Heimat eingetroffen war, das neue Pferd. Er hatte sich die Stute auch schon ins Freie hinausführen lassen, um ihre Gange zu beobachten; aber ein Urteil über das Pferd hatte er noch immer nicht abgegeben, obgleich er ganz genau wußte, daß der Alte darauf wartete. Gustav sagte auch jetzt noch nichts, obgleich er prüfend mit der Hand über die Sehnen und Flechsen aller vier Beine gefahren war.

Die Büttners waren darin eigentümliche Käuze. Nichts wurde ihnen schwerer, als sich gegen ihresgleichen offen auszusprechen. Oft wurden so die wichtigsten Dinge wochenlang schweigend herumgetragen. Jeder empfand das als eine Last, aber der Mund blieb versiegelt; bis endlich die eherne Notwendigkeit, oder irgend ein Zufall, die Zungen löste. – Es war fast, als schämten sich die Familienmitglieder unter einander Dinge zu besprechen, die sie jedem Fremden gegenüber offener und leichteren Herzens geäußert haben würden. Vielleicht, weil jedes die innersten Regungen und Stimmungen des Blutsverwandten zu genau kannte, und seine eigenen Gefühle wiederum von ihm gekannt wußte.

Vater und Sohn traten, nachdem man das Pferd genügend geklopft und gestreichelt und ihm die Streu frisch aufgeschüttelt hatte, wieder auf den Hof hinaus. Hier verweilte sich Gustav nicht erst lange. Es hatte sich in der Wirtschaft sonst nichts weiter verändert, seit er das letzte Mal auf Urlaub gewesen war. Die neu aufgestellten Ferkel und die angebundenen Kälber hatte er schon vor der Kirche mit der Bäuerin besehen. Man schritt nunmehr unverweilt zum Hofe hinaus.

Das Gut bestand aus einem langen schmalen Streifen, der vom Dorfe nach dem Walde hinauslief. Am unteren Ende lag das Gehöft. Im Walde, der zu dem Bauerngute gehörte, entsprang ein Wässerchen, das mit ziemlich starkem Gefälle zum Dorfbach hinabeilte. An diesem Bächlein lagen die Wiesen des Büttnerschen Grundstückes. Zwischen den Feldern zog sich der breite Wirtschaftsweg des Bauerngutes, mit alten, tief eingefahrenen Gleisen, holperig und an vielen Stellen von Rasen überwachsen, vom Gehöft nach dem Walde hinauf.

Vater und Sohn gingen langsam, jeder auf einer Seite des Weges, für sich. Heute konnte man sich Zeit nehmen, heute gab es keine Arbeit. Gesprochen wurde nichts, weil einer vom andern erwartete, daß er zuerst etwas sagen solle. Bei den einzelnen Schlägen blieb der alte Bauer stehen und blickte den Sohn von der Seite an, das Urteil des jungen Mannes herausfordend.

Gustav war nicht etwa gleichgültig gegen das, was er sah. Er war auf dem Lande geboren und aufgewachsen. Er liebte den väterlichen Besitz, von dem er jeden Fußbreit kannte. Der Bauer hatte die Hilfe des jüngeren Sohnes in der Wirtschaft all die Zeit über, wo Gustav bei der Truppe war, aufs empfindlichste vermißt.

Karl, der eigentliche Anerbe des Gutes und Hofes, war nicht halb soviel wert, als Arbeiter und Landwirt, wie der jüngere Sohn.

Sie hatten bereits mehrere Stücke betrachtet, da blieb der Bauer vor einem Kleeschlage stehen. Er wies auf das Stück, das mit dichtem, dunkelgrünem Rotklee bestanden war.

»Sicken Klee hat's weit und breit kenen. – Haa! – In Halbenau hoat noch kee Bauer su an Klee gebrocht. Und der hoat in Haber gestanda. – Haa! – Do kann sich in April schun der Hoase drine verstacken, in dan Klee!« –

Er stand da, breitbeinig, die Hände auf dem Rücken, und sein altes, ehrliches, rotes Bauerngesicht strahlte vor Stolz. Der Sohn that ihm den Gefallen, zu erklären, daß er besseren Klee zu Ostern auch noch nicht gesehen habe.

Nachdem man sich genügsam an dieser Pracht geweidet, gings langsam auf dem Wirtschaftswege weiter. Nun war das Schweigen einmal gebrochen, und Gustav fing an zu erzählen. Im Manöver und bei Felddienstübungen war er viel herumgekommen im Lande. Er hatte die Augen offen gehalten und sich gut gemerkt, was er anderwärts gesehen, und kennen gelernt von neuen Dingen. Der alte Bauer bekam von allerhand zweckmäßigen Maschinen und Einrichtungen zu hören, die ihm der Sohn zu beschreiben versuchte. »Bei Leiba, bei Leiba!« rief er, ein über das andere Mal, erstaunt aus. Die Berichte des Sohnes klangen ihm geradezu unglaublich. Besonders, daß es jetzt eine Maschinen geben solle, welche die Garben bände, das wollte ihm nicht in den Sinn. Sämaschinen, Dreschmaschinen, das konnte er ja glauben, die hatte er auch schon selbst wohl gesehen, aber eine Maschine, welche die Garben raffte und band! »Da mechte am Ende ener och a Ding erfinden, das de Apern stackt, oder de Kihe nun selber melken thut. Ne, das glob'ch ne! – dernoa, wenn's suweit käma, da kennten mir Pauern glei gonz eipacken. Si's su schun schlimm genuche mit a Pauern bestellt. Dar Edelmann schind uns, und dar Händler zwickt uns; wenn och noch de Maschinen, und se wullen alles besurgen, dernoa sein mir Pauern glei ganz hin!« –

Gustav lächelte dazu. Er hatte in den letzten Jahren doch manches bäurische Vorurteil abgestreift. Er versuchte es, den Vater zu überzeugen, daß das mit den neuen Erfindungen doch nicht ganz so schlimm sei; im Gegenteil, man müsse dergleichen anwenden und nutzbar zu machen suchen. Der Alte blieb bei seiner Rede. Zwar hörte er dem Jungen ganz gern zu; Gustavs lebhafte und gewandte Art, sich auszudrücken, die er sich in der Stadt angeeignet, machte ihm, der selbst nie die Worte setzen gelernt hatte, im Stillen Freude und schmeichelte seinem väterlichen Stolze, aber von seiner ursprünglichen Ansicht ging er nicht ab. Das war alles nichts für den Bauern. Solche Neuerungen waren höchstens dazu erfunden, den Landmann zu verderben. –

Sie waren unter solchen Gesprächen an den Wald gelangt. Hier lief die Flur in eine sumpfige Wiese aus, die in unordentlichen Niederwald überging. Dahinter erhoben sich einzelne Kiefern, untermengt mit Wachholdersträuchern, Ginster und Brombeergestrüpp. Der Boden, durch die jährliche Streunutzung völlig entwertet, war nicht mehr imstande, einen gesunden Baumwuchs hervorzubringen. Der Büttnerbauer war, wie die meisten seines Standes, ein schlechter Waldheger.

Der alte Mann wollte nunmehr umkehren. Aber Gustav verlangte noch das »Büschelgewände« zu sehen, da sie einmal soweit draußen seien. Diese Parzelle hatte der Vater des jetzigen Besitzers angekauft und dem Gute einverleibt.

Der Bauer zeigte wenig Lust, den Sohn dieses Stück sehen zu lassen, und mit gutem Grunde. Das Stück lag brach, allerhand Unkraut machte sich darauf breit. Der Bauer schämte sich dessen.

»Was habt Ihr denn dort stehen heuer?« fragte Gustav völlig arglos.

»Ne viel Gescheits! Dar Busch dämmt's Feld zu sihre, und a Zeter-Rehe san och allendchen druffe; da kann buch nischt ne gruß warn.«

Er verschwieg dabei, daß dieses Gewände seit anderthalb Jahren nicht Pflug und nicht Egge gesehen hatte.

»Will denn der Graf immer noch unsern Wald kofen?« fragte Gustav.

Der Büttnerbauer bekam einen roten Kopf bei dieser Frage.

»Ich sullte an Buusch verkofen!« rief er. »Ne, bei meinen Labzeiten wird suwas ne! 's Gutt bleibt zusommde!« Die Zornader war ihm geschwollen, er sprach heiser.

»Ich meente ock, Vater!« sagte Gustav beschwichtigend. »Uns nutzt der Busch doch nich viel.«

Der Büttnerbauer machte Halt und wandte sich nach dem Walde zu. »Ich verkofe och nich an Fußbreit von Gutte, ich ne! Macht Ihr hernachen, wos der wullt, wenn'ch war tud sein. Vun mir kriegt dar Graf dan Buusch ne! Und wenn er mir nuch su vill läßt bietan. Meenen Buusch kriegt ar ne!« Der Alte ballte die Fäuste, spuckte aus und wandte dem Walde den Rücken zu.

Gustav schwieg wohlweislich. Er hatte den Vater da an einer wunden Stelle berührt. Der Besitzer der benachbarten Herrschaft hatte dem alten Bauer bereits mehr als einmal nahe legen lassen, ihm seinen Wald zu verkaufen. Solche Anläufe waren in Halbenau und Umgegend nichts Seltenes. Die Herrschaft Saland, die größte weit und breit, ursprünglich nur ein Rittergut, war durch die Regulierung und die Gemeinheitsteilung und später durch Ankauf von Bauerland zu ihrer jetzigen Größe angewachsen. Das Büttnersche Bauerngut lag bereits von drei Seiten umklammert von herrschaftlichem Besitz. Der Büttnerbauer sah mit wachsender Besorgnis dem immer weiteren Vordringen des mächtigen Nachbars zu. Seine Ohnmacht hatte allmählich eine grimmige Wut in ihm erzeugt gegen alles, was mit der Herrschaft Saland in Zusammenhang stand. Verschärft war seine Gehässigkeit noch worden, seit er bei einem Konflikte, den er mit der Herrschaft wegen Übertritts des Dammwildes auf seine Felder gehabt, in der Wildschadenersatzklage abschlägig beschieden worden war.

Man schritt den Wiesenpfad hinab, am Bache entlang. Von rechts und links, von den höher gelegenen Feldstücken, drückte das Wasser nach der Bachmulde zu. Das dunkle, allzu üppige Grün verriet die Feuchtigkeit einzelner Flecken. Es gab Stellen, wo der Boden unter dem Tritt des Fußes erzitterte und nachzugeben schien. Der ganze Wiesengrund war versumpft.

Gustav meinte, daß hier Drainage angezeigt sei.

»Wu sullt ak daderzut 's Geld rauskumma, un de Zeit!« rief der Büttnerbauer. »Mir warn a su och schunsten ne fertg! Unserens kann'ch mit su was duch ne abgahn. Drainirchen, das is ganz scheen und ganz gutt for an Rittergutsbesitzer, oder anen Ökonomen; aber a Pauer . . .«

Er vollendete seine Rede nicht, verfiel in Nachdenken. Die ganze Zeit über hatte er etwas auf dem Herzen, dem Sohne gegenüber, aber er scheute das unumwundene Geständnis.

»Es mechten eben a poar Fausten mehr sein, für's Gutt!« sagte er schließlich. »Mir sein zu wing Mannsen, Karle und ich, mir zwee alleene. Die Weibsen thäten schun zulanga; aber dos federt ne su: Weiberarbeit. Mir zwee, Karle und ich, mir wern de Arbeit ne Herre. A dritter mechte hier sein!« –

Gustav wußte nun schon, worauf der Alte hinaus wollte. Es war die alte Geschichte. Daß er dem Vater fehle bei der Arbeit, wollte er schon glauben. Denn Karl war ja doch nicht zu vergleichen mit ihm, in keiner Weise, das wußte der selbstbewußte junge Mann recht gut. – Der Vater klagte ja nicht zum erstenmale, daß die Wirtschaft zurückgehe, seit Gustav bei der Truppe sei. Aber, das konnte nichts helfen, Gustav war nicht gesonnen, die Tressen aufzugeben für die Stellung eines Knechtes auf dem väterlichen Hofe. Ja, wenn's noch für eigene Rechnung gewesen wäre! Aber für die Familie sich abschinden, für Eltern, Bruder und Schwestern. Für ihn selbst sprang ja dabei gar nichts heraus. Das Gut erbte ja einstmals nicht er, sondern Karl. –

Er erwiederte daher auf die Klage des Vaters in kühlem Tone: »Nehmt Euch doch einen Knecht an, Vater!«

Der Alte blieb stehen und rief mit heftigen Armbewegungen: »An Knacht! Ich sull mer an Knacht onnahma? Ich mecht ock wissen, wu dar rauswachsen sillte. Achzig Tholer kriegt a su a Knacht jetzt im Juhre, und's Frassen obendrein. Und do mechte och noch a Weihnachten sen, und a Erntescheffel. Mir hon a su schun zu vills Mäuler zu stopfa, hon mir! Wusu kann ich denne, und ich kennte mer an Knacht halen! – Ne, hier mechte ener har, dar zur Familie geherte, dan wer keenen Lohn ne brauchten zahla. So ener mechte hier sen!«

Der Unteroffizier zuckte die Achseln, und der Vater sagte nichts weiter. Der Rückweg wurde schweigend zurückgelegt. In dem Gesichte des Alten zuckte und witterte es, als führe er das Gespräch innerlich weiter. Ehe sie das Haus betraten, hielt er den Sohn am Arme fest und sagte ihm ins Ohr: »Ich will der amal a Briefel weisen, Gustav, das'ch gekriegt ha'. Komm mit mer ei de Stube!« –

Der Büttnerbauer ging voraus in die Wohnstube. Außer der alten Bäuerin war hier nur die Schwiegertochter anwesend. Therese schaukelte ihr Jüngstes, das an einem durch zwei Stricke am Mittelbalken der Holzdecke befestigten Korbe lag, hin und her. Der Bauer begann in einem Schubfache zu kramen. »Woas suchst De denne, Büttner?« fragte die Bäuerin.

»'s Briefel von Karl Leberechten.«

»Dos ha'ch verstackt!« rief die alte Frau, und kam aus ihrer Ecke hervorgehumpelt. »Wart ach wart!« Sie suchte auf der Komode, dort lag in einem Schächtelchen ein Schlüssel, mit diesem Schlüssel ging sie zum Spind, schloß es auf und entnahm dem obersten Brett ein altes Buch mit vielen Einlagen und Buchzeichen. In dem Buche blätterte sie eine Weile, bis sie endlich auf das gesuchte Schreiben kam. »Doe is er!«

Der Büttnerbauer berührte den Brief wie alles Geschriebene mit besonderer Vorsicht, ja mit einer Art von Scheu. Dann schob er ihn dem Sohne hin: »Lase a mal dos, Gustav!«

Der Briefbogen hatte großes Quartformat und trug rechts oben eine Firma: »C. G. Büttner, Materialwarenhandlung en gros & en detail.« Folgte die Ortsbezeichnung.

Gustav sah nach der Unterschrift. Sein eigener Name stand darunter: Gustav Büttner. Der Briefschreiber war demnach sein ihm gleichaltriger Vetter, Kompagnon im Geschäfte des alten Karl Leberecht Büttner. Gustav hatte Onkel und Vetter ein einziges Mal gesehen in seinem Leben, als sie vor Jahren dem Heimatdorfe einen flüchtigen Besuch von der Stadt aus abgestattet.

Dieser Karl Leberecht war ein um wenige Jahre jüngerer Bruder des Büttnerbauern. Er hatte Halbenau frühzeitig verlassen, als ein großer Thunichtgut. Jahrelang war nichts von ihm verlautet. Dann tauchte er plötzlich als verheirateter Mann und Inhaber eines Grünwarengeschäftes in einer mittelgroßen Stadt der Provinz auf. Inzwischen hatte sich sein Geschäft zur »Materialwarenhandlung en gros & en detail« ausgewachsen.

Die beiden Familien, die eine in der Stadt, die andere auf dem Dorfe, hatten so gut wie gar keine Berührungspunkte mehr. Nur bei der Erbschaftsregulierung, vor nunmehr dreißig Jahren, war man einander auf kurze Frist wieder einmal näher getreten. In den letzten Jahrzehnten hatte man nur ganz gelegentlich etwas von einander gesehen oder gehört.

G. Büttner jun. also, schrieb im Namen seines Vaters, daß man die Hypothek, welche von der Erbteilung her noch auf dem Büttnerschen Bauerngute in Halbenau stand, hiermit kündige, und daß man den Eigentümer besagten Bauerngutes ersuche, Zahlung zum Johannitermine zu leisten. Als Grund der Kündigung war Erweiterung des Geschäftes angegeben.

Der Brief war durchaus in geschäftlichem Stile gehalten, und enthielt nichts, was darauf hindeutete, daß Schreiber und Empfänger in naher Blutsverwandtschaft standen.

Vater und Mutter hielten sich hinter dem Sohne, während er las, und blickten ihm über die Schulter.

»Habt Ihr schon was derzu gethan, Vater?« meinte Gustav, als er fertig war mit lesen.

»Wie meenst De?« fragte der Alte und sah ihn verständnislos an.

»Ob Ihr schon derzu gethan habt, wegen an Gelde? Am ersten Juli müßt Ihr zahlen.«

»Siehst De Moann!« rief die Bäuerin. »Ich ho Dersch immer geseut, De mechtest federn und nach an Galde sahn.«

»Ich bin o schun, und ich ha mich befrogt im a Gald. Bei Kaschelernsten bi'ch gewast; der spricht, ar wullt mersch ack gahn, wenn'ch 'n sechsdehalb Prozent versprechen thäte.«

»Das sieht dem Kujon ähnlich!« rief Gustav. Sein Onkel Kaschel war der Inhaber des Kretschams von Halbenau. Er war Witwer, ehemals mit einer Schwester des Büttnerbauern verheiratet. Er galt in Halbenau, wo Bargeld ziemlich rar war, für den ersten Kapitalisten.

»Da mechte aber bald Rat werden,« sagte Gustav nachdenklich. »Sonst werdet Ihr verklagt, Vater!«

»Mei Heiland! Siehste's Moann!« rief die Bäuerin. »Ich ho's schun immer geseut iber den Pauer: mir wern noch gepfändt ho'ch ibern geseut, De werscht's derlaben Traugott!«

»Nu dos gleb 'ch do ne von Karl Leberechten!« meinte der Alte; aber sein unsicherer Blick zeigte, daß ihm nicht ganz geheuer zu Mute sei.

»Die werden wohl nich lange fackeln!« meinte Gustav.

»Siehste Traugott, siehste! Gustav meent och su!« rief die Bäuerin. »Su is er aber nu der Vater. Er bedenkt sich, und er bedenkt sich, und er thut nischt derzu. Er werd's nuch suweit bringa, daß se 'n 's Gut wagnahmen kumma.«

Der Bütnerbauer warf seiner Ehehälfte einen finsteren Blick zu. Das Wort hatte ihn getroffen. »Halt de Fresse, Frau!« rief er ihr zu. »Was verstiehst denn Du vun a Geschäften!«

Die Bäuerin schien mehr betrübt, als beleidigt, über diese Worte des Gatten. Sie zog sich schweigend in ihre Ecke zurück. Gustav überlegte eine Weile, welchen Rat er seinem Vater geben solle. Einen Augenblick dachte er daran, dem Vater abermals vorzuschlagen, daß er seinen Wald an die Herrschaft verkaufen möchte. Aber, dann fiel ihm ein, wie dieser Vorschlag den Alten vorhin erbost hatte. Er kannte seinen Vater, den hatte noch niemals jemand von seiner Ansicht abgebracht.

»Ich weiß keenen andern Rat, Vater,« sagte er schließlich. »Ihr müßt in de Stadt. Hier weit und breit is doch keen Mensch mit Gelde, außer Kaschelernsten. In der Stadt, dächt'ch müßte doch Geld zu bekommen sein.«

»Das ho'ch och schun gedacht!« meinte der Büttnerbauer mit nachdenklicher Miene.

Es trat ein langes Schweigen ein. Man hörte nur das leichte Knarren der Stricke in den Haken und das Knistern des Korbes, in welchem Therese den Säugling hin und her schaukelte. –

Jetzt traten die beiden Mädchen ins Zimmer. Toni war im vollen Staate. Ihre üppigen Formen waren in ein Kleid von greller, blauer Farbe gezwängt, das vorn etwas zu kurz geraten war, und so die plumpen, schwarzen Schuhe sehen ließ. An ihrem Halse blitzte eine Broche von buntem Glase. Ihr blondes Haar hatte sie stark pomadisiert, so daß es streifenweise ganz braun aussah. Offenbar war sie sehr stolz über den Erfolg ihrer Toilettenkünste. Steif und gezwungen, als sei sie von Holz, bewegte sie sich. Denn die Zugschuhe, der Halskragen und das Korsett waren ihr ungewohnte Dinge. Sie ging einher wie eine Puppe.

Gustav, der in der Stadt seinen Geschmack gebildet hatte, belächelte die Schwester. Heute Abend sei Tanz im Kretscham berichtete Toni dem Bruder. Sie hoffte, daß er sie dahin begleiten würde, darum hatte sie sich auch so besonders herausgeputzt, um vor seinem verwöhnten Auge zu bestehen. – Der alte Bauer, der allen Putz und unnützen Tand nicht leiden mochte, brummte etwas von »Pfingstuchse«! Aber, die Bäuerin nahm die Tochter in Schutz. Am Sonntage wolle solch ein Mädel auch einmal einen Spaß haben, wenn sie sich Wochentags abgerackert habe im Stalle, Hause und auf dem Felde.

Das Abendbrot wurde zeitiger anberaumt, damit die Kinder nichts von dem Vergnügen versäumen sollten.

Gustav begleitete die Schwester zum Kretscham. Unterwegs erzählte ihm Toni, daß Ottilie, die Tochter Kaschelernsts, des Kretschamwirtes, in den letzten Tagen wiederholt und zuletzt heute früh in der Kirche, gefragt habe, ob Gustav nicht zum Tanze in den Kretscham kommen werde. Der Unteroffizier konnte sich eines Lachens nicht enthalten, sobald er nur die Kousine erwähnen hörte. Ottilie Kaschel war um einige Jahre älter als er, aber, als die Tochter Kaschelernsts, wohl die beste Partie von Halbenau. Gustav hatte sich in früheren Zeiten gelegentlich sein Späßchen mit ihr erlaubt; er wußte ganz gut, daß sie ihn gern mochte, aber der Gedanke an ihre Erscheinung machte ihn lachen. Sie hatten ein Pferd bei der Schwadron, einen alten Schimmel: die »Harmonika«, dürr, überbaut, mit Senkrücken; an den erinnerte ihn seine Kousine Ottilie.

Gustav ließ die Schwester allein in den Kretscham treten. Er sagte, er werde nachkommen. Oben im Saale glänzten schon die Fenster, das Schmettern der Blechmusik, untermischt mit dem dumpfen Stampfen und Schleifen der Tänzer, drang auf die Straße hinaus.

Gustav lockte das nicht; ihn erwarteten heute Abend ganz andere Freuden.

Auf Seitenpfaden, zwischen Gärten und Häusern hin, schlich er sich durch die Nacht. Um nicht angesprochen zu werden, stieg er, als ihm ein Trupp junger Leute entgegenkam, über einen Zaun.

Bei Katschners Pauline brannte ein Lämpchen. Sie wartete auf ihn. Sie hatten nichts verabredet heute früh, und doch wußten beide, was der Abend bringen würde.

Er klopfte vorsichtig an ihr Fenster. Da wurde auch schon der Vorhang zurückgeschoben. Eine weiße Gestalt erschien für einen Augenblick hinter den Scheiben. Ein kleines Schiebefensterchen öffnete sich. »De Thiere is uff, Gustav! Mach keenen Lärm, de Mutter is derheme.«

Der Unteroffizier zog sich die Stiefeln aus und reichte sie wortlos dem Mädchen zum Fenster hinein. Dann schlich er sich, mit den Bewegungen einer Katze, durch die niedere Thür in das Häuschen. Gleich darauf verlöschte das Licht in Paulinens Zimmer.



 << zurück weiter >>