Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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VIII.

Auch nachdem er seinen schweren Rausch ausgeschlafen, verlangte Karl Büttner mit hartnäckigem Eigensinn von Therese, sie solle ihm sein Geld herausgeben. Die Behandlung, die ihr von seiner Seite wiederfahren, hatte die standhafte Frau so wenig entmutigt, daß sie sich nach wie vor weigerte, ihm zu sagen, wo sie das Geld versteckt halte.

Unter der Hand erkundigte sich Therese nach ein paar Ziegen. Neuerdings hatte sie beschlossen, Ziegen von dem Gelde zu kaufen. Jetzt noch Schweine aufzustellen, war zu spät im Jahre, damit wollte sie bis zum nächsten Frühjahr warten.

Karl war wie umgewandelt. Ein neuer Zug schien in sein Wesen gekommen zu sein, der ihm früher gänzlich fremd gewesen: Tücke. Man hielt ihm sein Geld bevor – gut! Seine Antwort darauf war, daß er sich auf die faule Haut legte.

Ein Freund von angestrengtem Arbeiten war er niemals gewesen, aber jetzt stellte er sich an wie ein stätischer Gaul. Bis in den Vormittag hinein wälzte er sich im Bette, dann verlangte er zu essen. Wenn das Gewünschte nicht gleich kam, oder nicht nach seinem Sinne war, fluchte und schimpfte er. Therese war nur noch seine Magd.

Früher, wo Karl die Gutmütigkeit in Person gewesen, hatte Therese ihn oft geplagt mit ihrer Streitsucht; immer hatte sie den Ruhseligen unter ihren energischen Willen zu ducken verstanden. Jetzt wendete sich das Blättchen. Jetzt wollte er ihr zeigen, daß es auch umgekehrt gehe; er hatte Wohlgefallen am Schlechtsein gefunden.

In Karl hatte all die Zeit über etwas geschlummert, etwas wie die versteckte Wildheit des Stieres, die nur ausbricht, wenn die Gelegenheit sie hervorlockt. In diesem Bauernsohne lag eine Summe von tierischer Kraft angesammelt, wie sie seine Vorfahren im harten Ringen mit der Natur wohl gebraucht; aber ihm waren alle jene edleren und feineren Gaben versagt geblieben, die den Landmann zu einem guten Wirt und Hausvater, zu einem Pfleger und damit in höherem Sinne zu einem Überwinder der Natur machen. Solange er in guter Obhut gewesen, unter der strengen Fuchtel des alten Bauern, auf dem väterlichen Gute wie ein Knecht gehalten, waren die wilden Seiten seines Wesens nicht hervorgebrochen, aber jetzt, wo er losgerissen von der Heimat, den Boden unter den Füßen verloren hatte, in Verhältnisse geworfen war, denen er mit seiner gering entwickelten Intelligenz nicht gewachsen, fiel er, mit Notwendigkeit, in jene angeborene Rohheit zurück.

Geschlagen hatte er seine Frau noch nicht wieder seit dem Zweikampfe, an jenem Morgen. Er hatte sich, als er die Folgen seiner That gewahr geworden, doch vor sich selbst entsetzt. Dann kamen wieder Augenblicke, wo sie ihn durch ihre spitzen Redensarten, denen seine plumpe Zunge nicht gewachsen war, zum Grimm reizte. Da juckte es ihm in den Fingern, loszuschlagen. Aber das Bewußtsein, daß er neulich haarscharf daran vorbeigegangen war, zum Gattenmörder zu werden, hielt ihn immer wieder zurück.

Es ging wenig erquicklich zu in dem Haushalte der beiden; zum häuslichen Unfrieden kam auch noch Krankheit. Die Kinder legten sich der Reihe nach. Das Achtmonatskind, welches Therese von Toni zu Pflege überkommen hatte, siechte von dem Augenblicke an, wo die Mutter es verlassen hatte. Therese sagte wie oft: »Wenn ack der Racker blußig starben wullte, daß Ruhe wirde!« – Aber ihre Thaten waren besser, als ihre Worte. Manchmal trug sie das elende Würmchen eine halbe Nacht lang im Zimmer umher, und suchte es in Schlaf zu wiegen.

Karl fing jetzt an, des Abends regelmäßig auszugehen. Es hatte sich herumgeredet, daß Büttnerkarl im Besitze einer größeren Summe Geldes sei. Wie immer hatte das Gerücht vergrößert. Karl fand daher in den Schenken Kredit.

Therese war außer sich. Sie lief bei den Leuten umher und verbreitete, Karl besitze von dem Gelde keinen Pfennig mehr. Aber der Eifer, mit dem sie das erzählte, machte ihre Behauptung unglaubwürdig. Ihr Mann bekam nach wie vor Schnaps geschenkt, soviel er nur wollte.

Auch den Kretscham von Halbenau besuchte Karl öfters. Kaschelernst kicherte vergnügt, sobald er des Neffen ansichtig wurde. Mit der Miene des teilnehmenden Verwandten erzählte er ihm auch gelegentlich, was »der Alte« mache. Seinen Vater hatte Karl noch nicht wieder gesehen, seit er im Frühjahr nach Wörmsbach gezogen war.

Natürlich war Kaschelernst äußerst neugierig, zu erfahren, wie es mit des Neffen Gelde stehe. Bald hatte er auch herausbekommen, daß Karl da nicht 'ran dürfe. Die Geschichte ergötzte den alten Gauner auf's Höchste; dergleichen Angelegenheiten waren ganz nach seinem Sinne.

Eines Tages kam er mit geheimnisvoller Miene an Karl heran, tuschelte ihm in's Ohr: wenn er noch etwas von seinem Gelde sehen wolle, möge er sich dazuhalten; Therese sei drauf und dran, ein paar Ziegen davon zu kaufen.

Karl lief spornstreichs nach Haus. Diese Nachricht hatte den Trägen in Aufruhr gebracht. Therese Ziegen kaufen, von seinem Gelde! – Jetzt wollte er's heraushaben von ihr!

Aber auf dem Wege von Halbenau nach Wörmsbach hatte er Zeit, sich die Sache zu überlegen. – Wenn er was sagte, würde sie's merken, und er hatte wieder das Nachsehen. Diesmal wollte er's schlauer anfangen. Sie hielt ihn zwar für dumm; zehnmal am Tage bekam er einen »Uchsen« an den Kopf geworfen, aber nun wollte er sie grade mal überlisten. Er beschloß, zunächst den Mund zu halten und zu warten.

Am nächsten Morgen zog Therese die Sonntagskleider an, band eine frische Schürze darüber und legte ein buntes Kopftuch an. Sie wolle mal zum »Duchter« gehn, wegen der Kinder, erklärte sie. Er möchte die Töpfe auf dem Herde beobachten und gelegentlich rücken, damit's nicht überkoche. Der freundliche Ton, in dem sie das sagte, war verdächtig.

Er paßte genau auf jede ihrer Bewegungen auf. Ob sie das Geld schon bei sich hatte? – Sie ging in die Kammer nebenan. Er lauschte. Fast klang es, als steige sie auf einen Stuhl. Sie rückte etwas. Dann konnte er ein schwaches Klimpern vernehmen. Das war das Geld!

Nach einiger Zeit kam sie wieder in's Zimmer. Nun wolle sie aber gehen, sagte sie, sie habe sich nur noch ihr Sacktuch geholt.

Er ließ sie durch die Thüre schreiten; aber dann war er auch sofort hinter ihr drein. Noch ehe sie in's Freie gelangt, hielt er sie am Arme. Auf der anderen Seite des Hausflurs war ein leerer Stall; eben der Ort, den sich Therese für ihre Ziegen ausersehen hatte. Dahinein riß er sie, schob den hölzernen Riegel vor, sobald er sie drin hatte.

»Giebst De's Geld raus!« knurrte er. »De hast's ei der Tasche stacken. Ich weeß 's!«

Sie leugnete ihm in's Gesicht.

»Mach kee Gefitze nich! Ich ha's gehiert, wie De's eigesteckt hast.«

Sie wollte an ihm vorbei, dem Ausgange zu. Aber er umfaßte sie rechtzeitig, schleppte sie nach dem Hintergrund des Stalles.

»Giebst De's har!«

»Ne, Dir ne!«

Er suchte ihr mit einer Hand die Arme festzuhalten und mit der anderen in ihre Kleidtasche zu gelangen. Sie setzte sich zur Wehr, biß und kratzte. In der Dunkelheit des Stalles funkelten ihre Augen, wie die einer Katze. Karl brüllte auf, ihre Nägel in seinem Halse brannten wie Feuer. Er schüttelte sie ab. Dann warf er sich mit der ganzen Wucht seines schweren Körpers auf sie, daß sie stöhnend zusammenbrach.

»Giebst De's raus?«

»Ne, im Leben ne!«

Nun kniete er auf ihr, ihren Leib mit dem Knie niederstemmend. Ihre Hände drückte er mit seiner Riesenfaust zusammen, daß sie gänzlich wehrlos dalag. Mit der freien Hand suchte er in ihren Kleidern. Aber Therese lag auf dem Geldtäschchen; noch in dieser verzweifelten Lage wußte sie den Schatz mit ihrem Leibe zu decken. Er konnte nicht dazu gelangen, so sehr er sich auch mühte.

Darüber wurde er toll vor Wut. Blindlings griff er in die Kleider, zerfetzte alles, was ihm zwischen die Finger kam. Therese wand und bäumte sich, aber was vermochte sie gegen die entfesselte Raserei dieses Wilden!

»Giebst De's nu?«

Sie konnte nicht mehr sprechen, spuckte ihm statt der Antwort ihren Geifer in's Gesicht.

Da griff er mit einer Tatze zu, vor der alles wich. Ein Ratz – das Sonntagskleid in Fetzen!

Jetzt fühlte er's; hier im Futter saß es. Die Nähte sprangen. Das Ledertäschchen mit dem Stahlbügel kam zum Vorschein. Nun hielt er's in Händen. Er stand auf.

Aus der Ecke kam eine Jammergestalt hervor: halb nackt, blutend, mit hängendem zerfetzten Haar. Seine Frau! –

Er schob das Geldtäschchen schnell in die Tasche, sprang nach der Thür und lief aus dem Hause.

Eine Stunde darauf saß er im Kretscham von Halbenau

* * *

Inzwischen waren die Frauen von der Wanderarbeit im Rübenlande nach der Heimat zurückgekehrt. Pauline war mit ihrem Jungen zur Mutter gezogen, wartete hier auf Gustavs Rückkehr. Ernestine wohnte wieder auf dem Bauernhofe beim alten Vater.

Ernestine war sehr verändert zurückgekehrt aus der Fremde. Sie hatte sich im Laufe des Sommers ein gewisses hochnäsiges Herabblicken auf ihre Umgebung angewöhnt. Den heimischen Verhältnissen brachte sie ganz unverhohlene Verachtung entgegen. Sie sagte es auch jedermann, der es hören wollte, daß sie es in Halbenau nicht lange aushalten werde.

Sie war im Besitz größerer Geldmittel als irgend ein anderes Mitglied ihrer Familie. Und sie hielt gut Haus damit. Die anderen Rübenmädchen brachten ihr Erspartes schnell unter die Leute; Kleider, Schmuck und allerhand unnützer Tand wurde gekauft. Manch eine ließ sich auch ihre mühsam erworbenen Groschen von einem Burschen abschwatzen, oder man verjubelte die Ersparnisse gemeinsam. Die Tanzereien und Gelage gingen in diesem Winter besonders flott im Kretscham von Halbenau; die ›Runkelweiber‹ hatten Geld in's Dorf gebracht.

Ernestine Büttner war viel zu vernünftig und zu berechnend, um sich an solchem Treiben zu beteiligen. Sie machte sich daran, mit ihrem und Häschkekarls Gelde, eine Ausstattung zu besorgen. Das Mädchen kaufte Stoffe ein und Leinwand. Mit Pauline saß sie oft bis spät in die Nächte hinein in Frau Katschners Behausung über die Nadel gebückt. Schwerlich ahnte ihr Bräutigam Häschke, wie energisch, praktisch und sparsam das Regiment sein würde, unter das er kommen sollte.

Auch dem Vater gegenüber wollte Ernestine ihre Selbstständigkeit zur Geltung bringen. Der alte Bauer hatte sich noch nicht darein gefunden, in ihr etwas anderes zu sehen, als das jüngste Kind. Sie sollte sich seinem Willen in allen Stücken fügen, wie er es von jeher von seinen Kindern, ganz besonders aber von den Töchtern, verlangt hatte.

Er nahm als selbstverständlich an, daß Ernestine die häuslichen Arbeiten übernehmen würde, welche seit dem Tode der Mutter arg vernachlässigt waren.

Aber Ernestine, die von ihrem Bräutigam gelernt hatte, daß Kinder den Eltern nicht mehr zu gehorchen brauchten, that nur, was ihr paßte. Den Befehlen des Vaters antwortete sie mit Achselzucken, spitzen Worten, oder auch Vorwürfen. Der alte Mann bekam von der Tochter zu hören: er sei ja selbst daran schuld, daß sie nichts mehr hätten, nicht einmal so viel, um sich eine Magd zu halten. Er habe ja das Vermögen durchgebracht mit liederlicher Wirtschaft. Nun sei Haus und Hof in fremde Hände geraten durch seine Schuld, und sie, die Kinder, könnten betteln gehen.

Der Büttnerbauer mußte das mit anhören, und seinen Kummer in sich hineinschlucken. Jetzt warf ihm sein eigenes Kind das schwere Unglück, das ihn getroffen hatte, auch noch als Vorwurf in's Gesicht.

Ernestine wußte nicht, was sie that! – Jene naive Grausamkeit der Jugend war ihr eigen, die in dem alten Menschen etwas Unangenehmes, Unnützes, Lästiges sieht. Was wußte sie denn von dem, was in der Seele des Vaters vorging, der am Abende des Lebens sein ganzes Lebenswerk: Arbeit, Sorge, Hoffnung, in nichts zerrinnen sah! –

Sie setzte den väterlichen Befehlen ihr schnippisches Besserwissen entgegen. Wiederholt betonte sie, es sei nur ihr guter Wille, nicht ihre Pflicht, wenn sie für den Vater etwas befolge; seine Magd sei sie nicht! Sie habe es in der Fremde besser kennen gelernt. Und wenn er sie etwa zwingen wolle, dann werde sie auf der Stelle gehen; sie habe keine Pflicht, ihm zu gehorchen, da er ihr das Erbteil verthan habe.

Der Büttnerbauer hatte in den letzten Monaten gelernt, vieles zu ertragen. Es schien fast, als wolle er auch den Rutenstreichen, die ihm seine Jüngstgeborene erteilte, geduldig den Rücken hinhalten.

Eines Tages aber besann er sich auf seine Mannes- und Vaterwürde. Ernestine hatte sich geweigert, die Grube hinter dem Hause auszuschöpfen; diese Art Beschäftigung sei unter ihrer Würde erklärte sie. Das brachte bei dem Alten das Maß zum Überlaufen. Seit Menschengedenken hatten im Büttnerschen Hause die Frauen diese Arbeit versehen. Nun wollte das junge Ding hier sich auf einmal gegen die althergebrachte gute Sitte auflehnen! – Diesmal machte der Bauer von seinem hausväterlichen Rechte Gebrauch. Er holte den Haselstock aus der Ecke hervor, den Ernestine aus der Jugendzeit gar wohl kannte; der hatte auf ihrem und der Geschwister Rücken gar manchen Tanz aufgeführt. Das Mädchen war klug genug, es nicht zum Äußersten kommen zu lassen. Sie kannte den Vater in der Wut. Schleunigst machte sie sich an die ekelhafte Arbeit; der Alte stand mit dem Stocke daneben, als Wache, bis sie die ganze Grube ausgetragen hatte.

Ernestinens Antwort auf diese Demütigung war, daß sie, ohne ein Wort zu sagen, aus dem väterlichen Hause wegzog; ihre sieben Sachen nahm sie mit sich. Sie wohnte fortan im Dorfe zur Miete. Der Vater dürfe sie nicht zwingen, bei ihm zu leben, erklärte sie, da er ihr nichts zum Leben gebe. –

So fand Gustav die Verhältnisse, als er nach Halbenau zurückkehrte.

Er wohnte einstweilen mit bei Frau Katschner. Sein erster Gang, nachdem er Frau und Kind begrüßt hatte, galt dem Bauerngute.

Was hatte sich da alles verändert seit dem Frühjahre, wo er in die Fremde gegangen war: Das Gut in fremde Hände übergegangen, zerstückelt, ausgeraubt! Scheune, Keller, Stall leer! Im Hause alles verwahrlost und verwildert! Die Mutter gestorben! Dazu die Kinder alle fortgezogen! – Karl mit seiner Familie in ein anderes Dorf, Toni in die Stadt. Und nun zum letzten noch Ernestinens Auflehnung!

Gustav, der den Vater seit einem halben Jahr nicht gesehen, fand ihn furchtbar verändert. Der Alte war teilnahmslos und stumpf geworden. Selbst die Rückkehr seines Lieblingssohnes riß ihn nicht aus seinem dumpfen Hinbrüten.

Sein Leben war schlechter, als das eines Hundes. Seit Ernestine das Haus verlassen, war nicht mehr gekocht worden. Kohlenvorräte und Holz fehlten. An Eßwaren gab es nur halberfrorene Kartoffeln und faulendes Kraut im Keller. Der alte Mann lebte von Milch, in die er sich etwas Brod schnitt. Sein Bart war ihm langgewachsen, umgab, als gelbgraue struppige Krause, das ausgemergelte Gesicht. Die Augen lagen in tiefen dunklen Höhlen. Seine Kleider starrten von Schmutz. Er ging nicht mehr aus dem Hofe. In der Kirche hatte man ihn seit Monaten nicht gesehen. Wenn er Menschen auf den Hof zukommen sah, rannte er hinauf in die Dachkammer, schloß sich dort ein und gab auf noch so lautes Klopfen und Rufen keine Antwort.

Dem Sohne fiel das Herz vor die Füße, als er diese Dinge wahrnahm. Viel zu helfen war hier nicht! Das Gut konnte er dem Vater ja doch nicht zurückerobern. –

Gustav sorgte dafür, daß wenigstens Vorräte in's Haus kamen. Dann machte er einen Versuch, Ernestine zum Vater zurückzuführen; aber der scheiterte an dem Eigensinn des Mädchens.

Gustav veranlaßte infolgedessen Paulinen, täglich einige Stunden auf das Bauerngut zu gehen, dem Vater das Essen zu bereiten und auch sonst für seine Notdurft zu sorgen.

* * *

Weihnachten war herangekommen. Eine Woche vor dem Christfeste kam ein Brief an mit dem Poststempel: Berlin. Toni schrieb an Ernestine, sie werde zum Heiligenchrist nach Halbenau kommen. Ihr Chef habe ihr Urlaub gegeben, damit sie sich zu Hause auskurieren solle. Sie habe nämlich vom vielen Stehen geschwollene Beine bekommen, daß sie kaum noch Schuhe über die Füße ziehen könne.

Ernestine ließ Tonis Brief unter den Freunden und Verwandten herum gehen. Es war auf feinstem rosa Papier geschrieben und duftete süß; der Inhalt war Kauderwelsch. Schreiben schien Toni auch in Berlin nicht gelernt zu haben.

Niemand freute sich sonderlich auf Tonis Kommen. Die Geschwister hatten sie schon so gut wie vergessen. Man wunderte sich höchstens, wo sie das Geld zu der weiten Reise hernehme.

Eines Tages, in der letzten Woche vor dem Feste, kam Therese von Wörmsbach nach Halbenau herüber. Sie suchte Gustav und Pauline auf, und erzählte, Tonis Kind sei am Tage zuvor gestorben. Sie war hauptsächlich nach Halbenau gekommen, um bei den Familienmitgliedern eine Beisteuer für das Begräbnis zu erbitten.

Man empfand es allgemein als Segen, daß das Würmchen gestorben.

Ernestine und Pauline gingen mit zum Begräbnis. Sie waren beide noch nicht bei den Geschwistern in Wörmsbach gewesen. Als sie zurückkamen, konnten sie nicht genug davon erzählen, wie traurig es dort sei. Das Haus: eine Hütte die jeden Augenblick einzustürzen drohte, die Kinder, elend und zerlumpt, Karl dem Trunke ergeben und schlecht gegen seine Frau, Therese völlig herunter von dem Jammerleben!

Die Schwägerin war nie beliebt gewesen bei den Büttners, ihres streitbar zufahrenden Wesens wegen. Aber jetzt beklagte man sie allgemein. Was war aus der rüstigen, thatkräftigen Frau geworden! –

Toni kam kurz vor dem Feste mit dem Postwagen an. Sie begab sich ohne weiteres nach dem Elternhause.

Aber der alte Bauer, der eine Frauensperson in städtischer Kleidung, gefolgt von einem Burschen, welcher den Koffer trug, auf den Hof zuschreiten sah, schloß die Hausthür ab, und zog sich in die Dachkammer zurück, aus der er so bald nicht wieder zum Vorschein kam. Er hatte in dem ›Fräulein‹ die Tochter nicht wieder erkannt.

Toni war darauf zu Frau Katschner gegangen, wo sie Pauline und Ernestine traf.

Das Erstaunen der beiden über Tonis Aufzug war nicht gering. Wenn jemand bäuerisch ausgesehen hatte, so war es Toni gewesen; jetzt kam sie als Stadtdame wieder.

Dick schien sie immer noch zu sein, aber die rotbraune Farbe war von ihren Wangen gewichen. Das Haar war gepflegt und zu einer hohen Frisur aufgesteckt, über die Stirne fiel es in vereinzelten Fransen, fast bis auf die Augenbrauen herab. Ihr Mieder mußte ziemlich eng sein, nach der Art zu schließen, wie sie sich steif bewegte. Sie hatte den mit Seide gefütterten Mantel, den Hut mit Straußenfeder, Muff, Handschuhe und Schirm abgelegt, und ließ diese Pracht nun von den Frauen bewundern. Von jedem Stücke nannte sie bereitwilligst den Preis.

Frau Katschner war auch hinzugekommen. Es wurde Kaffee gekocht. Toni bildete den Mittelpunkt des Interesses.

Man erzählte ihr, daß ihr Kindchen gestorben sei. Zeichen allzu großer Bestürzung gab sie nicht zu erkennen. Einige Thränen hatte sie wohl dafür übrig. Dann meinte sie: die Kinderkleidchen, die sie aus Berlin mitgebracht, für das Kleine, wolle sie nun Paulinen schenken.

Die Witwe Katschner wollte dafür, daß sie den Kaffee schenkte, auch etwas zu hören bekommen. Toni wurde aufgefordert, von ihren Erlebnissen zu erzählen. Sie that es in der Weise beschränkter Menschen, die sich einbilden, daß gerade ihnen Dinge passiert seien, die keinem anderen Menschen wiederfahren könnten. Halb und halb sprach sie noch den heimischen Dialekt; in der altgewohnten Umgebung legte sie schnell ab, was sie sich etwa an großstädtischen Redewendungen angewöhnt hatte. Sie schwatzte alles durcheinander.

Zuerst war sie Amme gewesen, in jener von Samuel Harrassowitz ihr verschafften Stelle. Das wäre wunderschön gewesen, erzählte Toni. Sie machte eine Beschreibung von ihrem Spreewälder Kostüm. Täglich sei sie mit dem Kinde im Tiergarten gewesen, bei gutem Wetter zu Fuß, bei schlechtem im Wagen.

Ernestine fragte, warum sie denn nicht in der Stellung geblieben sei, wenn sie es da so gut gehabt.

Toni meinte, sie hätte da nicht essen und trinken dürfen, was sie gewollt, vom Arzte hätte sie sich auch in einem fort untersuchen lassen müssen, und als das Kind eines Tages Brechdurchfall bekommen habe, sei die Herrschaft sehr böse geworden und habe sie entlassen.

Dann sei sie eine Zeit lang ohne Stellung gewesen, habe »als privat« gelebt, wie sie sich ausdrückte, bis ihr Freund ihr endlich die jetzige Stellung verschafft habe.

Was denn das für eine Art Verdienst sei, forschte die wißbegierige Frau Katschner.

Toni wußte Wunderdinge darüber zu berichten. Sie sei in einem sehr »feinen Lokale«. In der Mitte des Lokales befinde sich ein Ding, ganz aus Glas, wie ein Häuschen – sie gab sich vergebliche Mühe einen Kiosk zu beschreiben – da drinnen stehe sie und verkaufe Würstchen an die Gäste; das Paar koste zwanzig Pfennige. An einem Abende verkaufe sie manchmal tausend und mehr. Dazu habe sie ein Kostüm an; sie beschrieb es: Sammetmieder, roten Rock, bloße Arme und eine dreifache Kette von silbernen Münzen um den Hals. Sie sei auch schon so photographiert worden; die Photographie habe sie im Koffer mit.

Ernestine, die schon lange mit verhaltenem Spotte den Erzählungen der älteren Schwester zugehört hatte, meinte jetzt in wegwerfendem Tone: Würstchen verkaufen, das sei was Rechtes, dazu brauche man nicht nach Berlin gehen!

Aber Toni erklärte voll Eifer, ihre Stellung sei eine sehr feine, sie bekomme viel Trinkgelder, die Herren unterhielten sich oft mit ihr und machten viel Spaß. Zweimal in der Woche habe sie Ausgehtag. Dann erzählte sie von Cirkus, Theater, Bierkonzerten, Bällen.

Die Wunder der Großstadt hatten außergewöhnliche Bilder in die Phantasie dieses Landkindes geworfen. Der neuen Eindrücke waren zuviel gewesen; alles hatte sich in dem Kopfe der Thörin verzerrt und verschoben. Nun, wo sie versuchte eine Beschreibung von ihren Eindrücken und Erlebnissen zu geben, wußte sie nicht, wo anfangen, fand keine Ausdrücke für Dinge, die sie niemals begriffen, nur, wie der Wilde die Wunder der Civilisation, erstaunt angestarrt hatte.

Dann fing sie an von ihren Kleidern zu erzählen. Drei hatte sie zum Ausgehen, dazu zwei Hüte, und Strümpfe und Hemden, dutzendweise.

Ernestine rückte unruhig auf ihrem Platze hin und her; daß Toni, der sie sich stets überlegen gefühlt hatte, jetzt als große Dame auftrat, verdroß sie. Wovon Toni denn all' den Aufwand bestreite, verlangte sie zu wissen.

Ihr Freund bezahlte ihr alles, erklärte Toni, mit Selbstgefühl.

»Mag 'n schener Freind sen das!« höhnte Ernestine.

Voll Eifer setzte Toni auseinander: »Er is sehre gutt mit mer. 's Reisegeld hat er mer och geschenkt. Weil 'ch, und de Fisse thaten mer duch su schwellen; da is 'r selber zum Chef, und hat 'n um Urlaub gebaten für mich. Su gutt is dar mit mer.«

Sie blieb bis über das Neujahr in Halbenau. Wohnung hatte sie schließlich doch beim Vater genommen.

Mit jedem Tage, den sie in der Heimat zubrachte, fiel von dem großstädischen Wesen, das sie anfangs aufrecht zu erhalten versuchte, etwas mehr ab. Der Putz war nur oberflächlich aufgeworfen, wollte nicht recht haften bei diesem echten Bauernkinde. Ein paar Tage lang lief sie völlig scheckig umher: halb Bauernmagd, halb Stadtfräulein. Ihr modisches Kleid hochaufgebunden, daß man die schwarzen Strümpfe sah, war sie im Stalle anzutreffen, saß sie auf dem Melkschemel, die Milchgelte zwischen den Knieen.

Dann fand sie in einer Lade auf dem Boden einige ihrer alten Kleider, die dort geblieben waren aus früherer Zeit; die legte sie an. Nun war sie wieder ganz die alte Toni. Höchstens, daß ihre Wangen und Arme noch nicht die ehemalige braunrote Färbung angenommen hatten.

Jetzt fühlte sich Toni wieder ganz in ihrem Elemente. Längst war es ihr ein Dorn im Auge gewesen, zu sehen, wie die Kühe bis an die Euter im Miste standen; da mußte mal ordentlich ausgeräumt werden! – Eines schönen Vormittags machte sie sich daran, mistete den Stall, karrte den Mist auf die Düngerstätte, und streute dem Vieh neu ein.

Des Sonntags ging sie in den Kretscham zum Tanze. Dort war sie mit ihrem Seidenkleide und durch den Ruf des außergewöhnlichen Glückes, das sie gemacht, die gefeiertste und begehrteste Tänzerin. Und Toni war harmlos genug geblieben, sich über diesen Erfolg von Herzen zu freuen.

Ernestine rümpfte die Nase über die Aufführung ihrer Schwester. Auch für Gustav war das Wiedersehen mit Toni peinlich. Er hatte genug vom Leben kennen gelernt, um zu wissen, daß sich ein Mädchen auf anständige Weise nicht soviel Geld verdient, wie Toni verthat.

Toni selbst begriff nicht, warum die Geschwister ihr so kühl begegneten. Sie hatte erwartet, daß die Ihrigen sie mit Jubel aufnehmen und sich an ihrem Glücke freuen würden, und war nun erstaunt, als sie auf Zurückhaltung stieß. Aber sie war nicht dazu veranlagt, sich Skrupel zu machen.

Aus Berlin kam ein Geldbrief an Toni an. Sie lief damit bei den Verwandten umher, zeigte ihnen, in naiver Freude, wie ihr Freund sie bedacht habe. Sie beschenkte Theresen für ihre Mühe um das verstorbene Kind, und sprach davon, dem Vater etwas zuwenden zu wollen. Kurz, sie gefiel sich der Familie gegenüber in der Rolle einer Gönnerin.

Am Morgen vor Tonis Abreise rief der alte Bauer seinen Sohn Gustav beiseite; er hatte offenbar etwas auf dem Herzen. Nach einigem Drucksen, wie es seine Art war, fing er an, den Sohn auszuforschen: woher Toni die schönen Kleider habe und wie sie zu soviel Geld käme.

Gustav merkte bald, worauf der Vater hinauswollte. Er hielt mit seiner Ansicht über Tonis Erwerbsquellen nicht hinter dem Berge.

Der alte Mann griff in die Tasche, holte etwas in Papier Gewickeltes hervor, packte es sorgfältig aus; es waren: zwei blanke Goldstücke.

»Dos hoat se mer gegahn, de Toni. Iche mog's ne behalen, ich ne! Gieb's Du's er zuricke! Ich mog sickes Gald ne!«

Damit ging er von dannen.

Toni weinte, als Gustav ihr das Geld zurückgab; sie hatte es doch so gut gemeint! –



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