Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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X.

Eines Tages im Februar erschien Harrassowitz auf dem ehemahligen Büttnerschen Bauernhofe. Er war in Gesellschaft eines städtisch gekleideten jungen Mannes.

Der Händler fand die vordere Hausthür verschlossen. Er ging daher um das Haus herum, durch den Schnee, nach dem hinteren Eingang, aber auch dort war die Thür verriegelt. Harrassowitz pochte und rüttelte an Thür und Fensterladen; als das nichts nützte, legte er sich auf's Pfeifen und Rufen. Jemand mußte doch im Gehöft sein; es führte ja keine Spur in dem frisch gefallenen Schnee zum Hofthor hinaus. –

Endlich erschien der graue Bart des alten Büttner, oben in der Dachluke. Er hatte sich, seiner Gewohnheit gemäß, eingeschlossen. Jetzt freilich, wo er den Eigentümer des Hauses und Gutes selbst vor der Thür sah, mußte er wohl oder übel aufmachen.

Sam war wütend über das lange Warten. Bei ihm sei es wohl nicht ganz richtig im Kopfe, schrie er den alten Mann an, als der barhäuptig in der Thür erschien. Er solle mal gefälligst sofort alles öffnen; hier sei jemand, der sich das Haus ansehen wolle.

Nun ging es an eine eingehende Besichtigung des Ganzen. Vom Keller bis hinauf auf den Boden wurde jeder einzelne Raum beschritten und besehen.

Der Fremde nahm es sehr genau. Er klopfte an die Wände, untersuchte das Holzwerk, blickte in die Essen und Öfen. Vielerlei fand er auszusetzen.

Im Keller stand Wasser. Sam, der selbst niemals drin gewesen war, erklärte unverfroren: den Keller habe er immer trocken gefunden, bisher; das müsse zufällig eingedrungenes Schneewasser sein. Er wandte sich an den alten Büttner mit der Aufforderung, ihm das zu bestätigen. Traugott Büttner erklärte in mürrischem Tone: so lange er lebe, habe in diesem Keller im Frühjahre stets Wasser gestanden. – Der Händler biß sich auf die Lippen und warf dem Alten gerade keinen freundlichen Blick zu.

Auch sonst wurde mancherlei mangelhaft befunden. Die Öfen taugten nach Ansicht des fremden Herrn nichts, während Harrassowitz beschwor, sie heizten ausgezeichnet. Die Dielen sollten an vielen Stellen schadhaft sein. Das Dach sei reparaturbedürftig, die Treppe wackelig. Von der Holzstube wollte der Herr gar nichts wissen, die müsse er herausreißen lassen und durch Ziegelwände ersetzen.

Kurz das Haus war, wenn man den Worten des Mannes trauen durfte: »ein Loch«, in das man eine junge Frau unmöglich führen konnte.

Harrassowitz meinte, mit einigen hundert Mark mache er sich anheischig, aus diesem Hause ein wahres Eldorado zu schaffen, »komfortabel und hochherrschaftlich«.

»Eine Hundehütte ist das Ding!« rief der Fremde, der die starken Ausdrücke zu bevorzugen schien. »Fünftausend Mark muß ich hier gleich reinschmeißen; bloß was das ausmisten kostet. Natürlich geht das vom Kaufpreise ab!«

Der Händler schwor dagegen, beide Hände zur Beteuerung erhebend, dann könne kein Handel zu Stande kommen; er dürfe nicht eine Mark vom Preise ablassen.

So wurde hin und her gefeilscht zwischen den beiden. Auf den alten Büttner, der gesenkten Hauptes dabeistand, Rücksicht zu nehmen, schien man für überflüssig zu halten.

Nachdem man Haus und Hof gründlich besichtigt, wobei der Fremde alles so schlecht wie möglich machte, während Harrassowitz seinen Besitz nach Möglichkeit herausstrich, ging es hinaus, zur neu angelegten Ziegelei. Büttner wurde nicht aufgefordert, mit dorthin zu kommen.

Nach Verlauf von einer Stunde etwa kamen die Herren in das Gehöft zurück. Sie begaben sich in die ehemalige Wohnstube der Büttnerschen Familie. Sam verlangte Tinte und Papier, und schimpfte, als das nicht zu haben war.

»Sie können derweilen raus gehen!« sagte er zu dem alten Manne. »Aber, halten Sie sich in der Nähe auf, bis ich Sie rufen werde.«

Traugott Büttner ging in den Stall. Die Gesellschaft der Tiere war ihm lieber, als die der Menschen. Die Tiere waren unverständig, stumpf und gutmütig. Die kaltblütig-grausame Art, seinesgleichen zu martern, hatte der Mensch vor der Kreatur voraus. –

Der alte Mann saß bei den Kühen auf einem Melkschemel. Er hatte den Tieren neues Futter vorgeworfen. Gemächlich kauend standen sie da, blickten ihn während des Fressens hin und wieder an, furchtlos; sie kannten ihn ja.

Durch die offene Stallthür konnte man, über den Hof her, vernehmen, wie jene drüben in der Stube sprachen. Sie schienen noch nicht einig. Es ging lebhaft zu beim Handeln.

Der Bauer versank tiefer und tiefer in Brüten. Eine »Hundehütte« hatte der Herr sein Haus genannt! Daß der Mensch nicht stumm geworden war, für solche Lästerung!

Er, der Büttnerbauer, mußte doch wohl sein Haus kennen und wissen, was es wert war; es gab kein besseres im ganzen Dorfe.

Die Grundmauern mußten uralt sein. Der Vater hatte einmal gehört von einem, der es verstand: die Mauern stammten aus Zeiten, die noch lange lange vor dem großen Kriege lagen. Die Holzstube, welche der Fremde herausreißen wollte, war von Traugotts Großvater aus starken trockenen Tannenbrettern und lärchenen Pfosten eingebaut worden, und mochte noch manches liebe Jahr über dauern. Den Dachstuhl hatte Leberecht Büttner neu zimmern lassen; da war kein Balken der sich gesenkt oder gebogen hätte.

Er selbst, Traugott Büttner, hatte viel Arbeit, Sorge und Kosten auf das Wohnhaus verwendet. Es war stets sein Stolz gewesen, daß es so stattlich sei; er hatte seinen Ehrgeiz darein gesetzt, das von den Vätern überkommene Heim in Ordnung und Stand zu halten.

Er hatte dieses Haus lieb, wie man ein lebendes Wesen liebt. Wenn er vom Felde hereinkam, blickte es ihn schon von weitem an, freundlich und vertraut, wie eine Mutter. – Es war ja auch die Mutter von vielen Generationen, die in ihm geboren und groß geworden, denen es Obdach und Behausung gewährt hatte.

Er kannte dieses Haus, wie er seine Ehefrau gekannt hatte. Er liebte es nicht nur in seinen Vorzügen und guten Seiten, er liebte es in allen seinen Eigenheiten und Heimlichkeiten, die nur ihm offenbar waren. Er liebte es nicht zum mindesten der schweren und bangen Stunden wegen, die er unter seinem Dache durchlebt hatte.

Und nun kam da einer her, ein Fremder, und nannte es eine: »Hundehütte«!

Es war nicht Zorn, was der Alte empfand, auch nicht Ärger. All' die jäh aufwallenden, heißen Gefühle waren ausgelöscht in ihm. Mehr ein Staunen war es, ein Verwundern über das, was ihm wiederfuhr. Der Geist der streitbaren Auflehnung, der ihn früher oft zu seinem Schaden beseelt, hatte einer dumpfen Verdrossenheit Platz gemacht.

Er war still und nachdenklich geworden. Den Leuten im Dorfe wurde er dadurch unheimlich. Wenn er in seinem Kummer gerast, oder zur Schnapsflasche gegriffen hätte, würden sie sich weniger gewundert haben, als über dieses stille »Simelieren« des Bauern.

Er konnte neuerdings über einem Worte, einem Erlebnisse, stundenlang grübeln. Es war, als ginge er im Kreise, wie ein Tier, das den Göpel drehen muß. Sein Geist klebte fest und zäh an den Dingen, konnte sich nicht aufschwingen zu Gedanken, sein Wille sich nicht mehr aufraffen zu Thaten. Der ehemals so thätige Mann war im stande, halbe Tage in völligem Nichtsthun zu verbringen.

Dann hielt er Selbstgespräche. Zu starkem Fluchen und Schimpfen, wie ehemals, brachte er es nicht mehr. Aber er bekam es fertig, ein und denselben Satz zehnmal und mehr vor sich hin zu sagen, immer schneller, immer lauter; bis er über sein eigenes Sprechen erschrack, sich scheu umsah, ob jemand da sei, und nach einiger Zeit in seine gewöhnliche Stumpfheit zurückversank.

Auch jetzt wieder hatte er sich in einen Gedanken verbissen: jener fremde Herr, dessen Namen er nicht einmal kannte, hatte sein Haus eine Hundehütte genannt. Und nun sagte er das Wort vor sich hin, mit rauher Stimme: »Hundehütte, Hundehütte, Hundehütte . . .,« daß die Kühe im Fressen innehielten und sich umsahen nach dem närrischen Alten.

Vom Hause her ertönte jetzt lautes erregtes Sprechen, als ob sie sich dort stritten. In der Hausthür erschien der Fremde. Er war im Begriffe seinen Pelz anzuziehen, hinter ihm kam Sam, suchte den Mann festzuhalten.

»Zwanzigtausend Mark für so eine Hitsche ist Unverschämtheit!« schrie der Fremde. »Ich weiß ganz genau, was Sie in der Subhastation gegeben haben dafür.«

»Aber was ich inzwischen hineingesteckt habe, Herr Berger! wollen Sie das, bitte, nicht vergessen.«

Der Fremde stand immer noch in der Thür, er hatte inzwischen den Ärmel gefunden, schien auf dem Sprunge, fortzugehen.

»Schön: reingesteckt! Rausgenommen haben Sie, dreimal so viel als Sie gegeben haben! Und nun soll ich Ihnen für den Hof und das bißchen Ziegelei zwanzigtausend Mark geben! – Verrückt müßte ich sein! Viertausend Thaler gebe ich! Nicht einen Pfennig mehr!«

»Kommen Sie nur ins Haus, Herr Berger!« mahnte der Händler und suchte den erregten Mann hereinzuziehen. »Wir werden schon handelseinig werden!« dabei klopfte er ihm auf die Schulter.

»Sie sind ein Halsabschneider!« schrie Berger, folgte aber dem Händler doch ins Haus.

Es dauerte wiederum eine geraume Weile, dann erschien Harrassowitz in der Hausthür und rief den Bauern herein.

Er stellte ihn dem Fremden vor. »Das ist hier der alte Büttner, der frühere Besitzer. Ein braver Mann! Ich kann ihn nur empfehlen. Wir sind stets gut mit einander ausgekommen, nicht wahr, Büttner?« Dabei stieß er den alten Mann vertraulich an.

Büttner sagte nichts. Er stand da gesenkten Hauptes und blickte auf die Diele.

»Ich habe nämlich an diesen Herrn hier soeben verkauft,« fuhr Harrassowitz fort; er schien in bester Laune, rieb sich vergnügt schmunzelnd die Hände. »Das ist also hier Ihr neuer Herr, Büttner! Herr Berger wird die Ziegelei in Betrieb nehmen, und gedenkt, hier zu wohnen. – Es wird gut sein für Sie, Büttner, wenn Sie sich mit ihm stellen.«

»Das Haus entspricht durchaus nicht meinen Ansprüchen,« meinte der neue Herr, sich mißmutig umblickend. »Meine Frau kommt von der Stadt und ist's ganz anders gewöhnt.«

»Es wird der jungen Frau mit der Zeit ganz gut hier gefallen in Halbenau; passen Sie mal auf, Herr Berger! Hier ist's ganz nett, man versteht hier auch zu leben. Und gesund ist's! Die Leute werden alt hier zu Lande! Wie zum Beispiel Herr Büttner hier!«

Der Fremde zuckte die Achseln, dann meinte er, sich an den Alten wendend: »Ich würde Sie unter gewissen Bedingungen im Hause behalten. Eine Kammer können Sie meintswegen haben, obgleich eigentlich viel zu wenig Platz ist.«

»Büttner nimmt mit allem vorlieb,« sagte Harrassowitz, sich einmischend. »Sie müssen nur wissen, der Mann hat Zeit seines Lebens hier gewirtschaftet, da wäre es immerhin hart, wenn er Knall und Fall fort müßte. Ich habe auch Erbarmen gehabt mit ihm, obgleich ich's nicht eigentlich nötig hatte. Das ist eben schließlich eine Art von Anstandspflicht – gewissermaßen.«

Der neue Besitzer machte eine ungeduldige Bewegung. »Zwingen dazu kann Sie ja niemand!« rief der Händler. »Wenn Sie den Alten drin lassen, so ist das eben ein Akt der Barmherzigkeit, und Herr Büttner muß Ihnen zeitlebens dankbar dafür sein – nicht wahr, Büttner?«

»Meinetswegen!« sagte Berger und erhob sich. »Ich will gestatten, daß der Mensch hier wohnen bleibt, in einer Dachkammer. – In die Hausordnung haben Sie sich natürlich zu fügen, Büttner! und ich darf erwarten, daß Sie keinerlei Störung verursachen. Die Wohnung sollen Sie frei haben; ich verlange als Entgelt, daß er den Garten versorgt, und die häuslichen Arbeiten übernimmt: Holzspalten, Austragen der Grube, Kohlenklopfen und so weiter. Eventuell werde ich ihn auch in der Ziegelei beschäftigen, wenn er dazu nicht schon zu alt ist. Natürlich ist dieses Verhältnis meinerseits jeder Zeit kündbar.«

»Das scheint mir nur billig und gerecht!« rief Harrassowitz. »Sie können lachen, Büttner! Machen Sie nur nicht ein so finsteres Gesicht, Mann! So trifft's nicht jeder!«

»Das scheint ein alter verstockter Bursche zu sein!« sagte Berger zu dem Händler, als sie das Haus verließen.

»Was wollen Sie,« meinte Sam. »Er ist halt 'n Bauer!«



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