Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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V.

Die Büttnerbäuerin war gestorben. In den letzten Tagen hatte sie über unerträglichen Frost geklagt; der Bauer mußte des Nachts bei ihr liegen, um die Erkaltende zu wärmen.

Eines Mittags, als der Bauer vom Felde zurückkehrte, fand er sie auf dem Gesichte liegend, mit ausgebreiteten Armen. Er faßte sie an; sie war kalt. Mehrere Stunden mochte sie wohl schon so gelegen haben. Keine Spur von Lebenswärme war mehr an dem steifen Körper zu entdecken. Die eine Gesichtsseite hatte sich bläulich verfärbt.

Der alte Mann stand wie erstarrt vor der Leiche seiner Lebensgefährtin. Er warf sich nicht über die Tote, liebkoste nicht die leblose Hülle. Und doch hatte er sie geliebt, mit echter starker Liebe. Wie im Leben, hielt sich auch dem Tode gegenüber sein Gefühl fern von Überschwang. Es hatte Tage gegeben, wo die Gatten kaum ein Wort mit einander gewechselt. Wochen und Monde waren vergangen ohne Kuß und Umarmung. Harte Worte von Seiten des Mannes, Thränen auf Seiten der Frau waren nichts Seltenes gewesen. Und doch hatte innige Treue die beiden Menschen verbunden, wie ein unsichtbares Band. Unter rauhen Formen wurde diese Liebe gewahrt, als etwas Stilles und Keusches, von dem man nicht viel Aufhebens macht, weil es so selbstverständlich war.

Der Bauer blieb sich treu in seiner schlichten Gesinnung für die Lebensgefährtin, bis zum letzten. Keine Klage, kein Haarausraufen, als er jetzt vor ihrer Leiche stand. Ein tiefer Seufzer und ein paar Thränen, die ihm über die Wangen liefen, ohne daß er es recht wußte; das war alles.

Dann machte er sich daran, für die Entschlafene zu thun, was noch für sie gethan werden konnte. Er drückte ihr die Augenlider herab, hob den schweren Körper aus dem Bette, reinigte die Leiche, und kleidete sie in ein frisches Hemd. – Alles, ohne eine Spur von Grauen vor der greifbaren Nähe des Todes zu empfinden. Dann ging er in's Dorf, meldete den Tod beim Standesbeamten an, bestellte den Sarg und besprach im Pfarrhaus den Tag der Beerdigung mit dem Geistlichen.

Der Leichenzug fiel über Erwarten stattlich aus, Jung und Alt beteiligte sich, Kränze waren gespendet worden, aus freien Stücken trug ein Gesangverein eine Arie am offenen Grabe vor.

Es zeigte sich, daß die Büttnersche Familie doch noch manchen Freund besaß in Halbenau. Es kam in dieser auffälligen Teilnahme etwas, wie Demonstration, zum Ausdruck. Das Schicksal des Büttnerschen Bauerngutes hatte Aufsehen erregt, und Manchen, der auf überschuldetem Grund und Boden saß, mit Bangen erfüllt, daß es ihm früher oder später auch so ergehen möge. Am Bieten hatte man sich zwar eifrig beteiligt, als das Bauerngut zerkleinert wurde; aber es gab doch nur wenig Leute in Halbenau, die nicht in ihrem Herzen für den bankerotten Bauern gewesen wären, gegen seine Ausbeuter. Dieses Gefühl, das sich offen nicht hervorwagte, machte sich in Ehrenerweisungen für die verstorbene Bäuerin Luft.

Man war gespannt, ob Kaschelernst zur Beerdigung erscheinen werde. Aber der schlaue Kretschamwirt mochte etwas von der Stimmung, welche im Dorfe herrschte, gewittert haben, er kam nicht. Er hatte Ottilie entsendet, die einen Kranz auf den Sarg legen mußte.

Hinter dem Sarge schritt der Witwer, neben ihm Therese und Karl. Das war alles, was von der ehemals zahlreichen und angesehenen Büttnerschen Familie jetzt noch in dieser Gegend übrig war.

Der Pfarrer ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, die Herzen zu rühren. Er war ein alter Praktikus, und wußte, daß außergewöhnliche Unglücksfälle nahezu die einzige Gelegenheit sind, wo man den harten Bauerngemütern beikommen kann.

Karl Büttner schluchzte wie ein kleines Kind. Bei dem alten Manne schien der Thränenquell versiegt zu sein. Der Geistliche sprach von ihm, als von einem, mit dem Gott der Herr besondere Dinge vorhaben müsse, da er ihm so harte Prüfung auferlege, wie einstmals dem Hiob. Wenn er aber dem unerforschlichen Ratschlusse des Herrn stille halte, werde er auch wieder zu Ehren gebracht werden, wie dieser Knecht Gottes. –

Die letzten Tage der Bäuerin waren nicht ohne jeden Sonnenblick gewesen; von den Kindern aus der Fremde war Geld gekommen und Briefe. Fast zur nämlichen Zeit hatte auch Toni, die bisher wie verschollen gewesen, wieder einmal geschrieben und gleichfalls Geld geschickt.

Was Toni schrieb, war zum Teil nicht recht verständlich; die Schreibkunst war nie dieses Mädchens starke Seite gewesen. Sie wäre nicht mehr Amme, teilte sie mit. Welcher Art ihre Lebensstellung sei, war nicht gesagt. Aber sie mußte doch wohl ihr Auskommen haben, sonst würde sie nicht haben soviel abgeben können. Für ihr Kind, das bei Theresen untergebracht war, schickte sie auch etwas mit.

Nachdem das Begräbnis vorüber war, kehrte alles schnell in die alten Geleise zurück. Äußerlich merkte man kaum, daß eine Lücke entstanden war.

Der Bauer ging Tag für Tag seiner gewohnten Arbeit nach. Er mußte alles in allem sein; zur Feldbestellung kam jetzt auch noch die häusliche Arbeit. Der Ersparnisse halber, machte er nur noch einmal am Tage Feuer. Er nährte sich schlechter, als das Vieh, lebte von altem Brot, das er trocken verzehrte, und kalten Kartoffeln. Fast nie kam ein herzhafter Bissen auf seinen Tisch.

Dabei arbeitete der alte Mann angestrengter denn je. Es war, als ob er irgend etwas in sich betäuben wolle, durch die Anstrengung.

Mitten in der Nacht stand er manchmal auf, wenn man kaum die Hand vor den Augen sehen konnte, zog sich an, nahm Hacke, Sense, oder ein anderes Werkzeug auf die Schulter und ging damit auf's Feld hinaus.

Es litt ihn nicht daheim; ohne Menschen war das Haus wie eine Totenkammer. Er war gewiß nicht furchtsam von Natur, hatte sich niemals vor Gespenstern gefürchtet; aber jetzt überkam es ihn manchmal wie Grauen. Die Erinnerung an vergangene bessere Zeiten sprach aus jedem Winkel. Die Gedanken an das, was gewesen, was nie wiederkehren konnte, waren die Gespenster, die hier umgingen. Vor dem, was sein eigenes Hirn ausbrütete: den Vorwürfen, den betrogenen Hoffnungen, den Selbstanklagen, floh der alte Mann. Er rannte hinaus auf den Acker, wie ein Besessener, hackte, wühlte dort, als wolle er etwas einscharren, etwas, das er verbergen mußte, vor den eigenen Augen.

Bei solchem Hundeleben verfiel der Körper des Greises mehr und mehr; er war nur noch ein Skelett. Das Haar stand ihm in langen grauen Strähnen um den Kopf. Sich den Bart abzunehmen, lohnte nicht mehr. Die nächste Folge davon war, daß er Sonntags nicht mehr in die Kirche kam. Denn unrasiert sich in der Kirchfahrt blicken lassen, war für einen Halbenauer undenkbar.

Bald führte er ein vollständiges Einsiedlerleben. Die einzigen lebenden Wesen, mit denen er noch etwas zu thun hatte, waren die beiden Kühe, die Harrassowitz auf dem Hofe gelassen hatte. Menschliche Gesichter wollte er so wenig wie möglich sehen. Er hatte wohl das dumpfe Gefühl, hervorgewachsen aus der eigensten Erfahrung, daß die größte Unbill, das schwerste Unrecht, dem Menschen nur vom Menschen zugefügt wird. – Er haßte seinesgleichen, und hielt sich von jeder Berührung mit dem feindlichen Geschlechte fern. Bot ihm jemand einen Gruß, dann stellte er sich taub. Und wer ihn etwa anredete, konnte erleben, daß er, statt Antwort zu erhalten, den Rücken des Alten zu sehen bekam.

Was eigentlich in der Seele dieses Mannes vorgehe, wußte niemand. Der Pastor machte ihm einige Zeit nach dem Begräbnis der Bäuerin seinen Besuch, an einem Sonntag Nachmittage. Er fand den Bauern im Werkeltagskleide im Hofe, mit einer Arbeit beschäftigt. Das wäre in früheren Zeiten auch nicht passiert! – Der Pfarrer drückte ein Auge zu, über die Sonntagsarbeit, und betrat mit dem Alten die Wohnstube.

Der Hirt verstand es, das Gespräch gar bald auf geistliches Gebiet hinüberzuleiten. Das Elend, in dem sich der ehemalige Gutsbesitzer jetzt befand, gab dem Seelsorger Anlaß, auf die Nichtigkeit alles Irdischen hinzuweisen, und den Sinn auf die ewigen Güter zu richten. Der Geistliche erinnerte den Bauern auch an sein Alter, und daß er vielleicht bald vor einem Höheren werde Rechnung ablegen müssen. Er fand bewegliche Worte, der Herr Pastor. –

Der alte Mann sagte nicht ja und nicht nein dazu. Mit verdrossener Miene saß er in seiner Ecke. Er schien das seelsorgerische Bemühen des Pfarrers als eine Belästigung zu empfinden, in die man sich wohl oder übel schicken mußte.

Seine Religiosität war niemals über eine äußerliche Kirchlichkeit hinausgekommen. Nun er nicht mehr zur Kirche ging, kam das Heidentum zum Vorschein, das tief in der Natur des deutschen Bauern steckt. Was kümmerten ihn die überirdischen Dinge; von denen wußte man nichts! Der Boden, auf dem er stand, die Pflanzen, die er hervorbrachte, die Tiere, die er nährte, der Himmel über ihm mit seinen Gestirnen, Wolken und Winden, das waren seine Götter. Jene anderen, morgenländischen, hatten doch etwas mehr oder weniger Fremdartiges für ihn.

Als der Geistliche schließlich von dem Bauern wegging, wußte er nicht, ob er Eindruck auf das Gemüt des Mannes gemacht habe, oder nicht.

Einer anderen Persönlichkeit, die sich dem Alten nähern wollte, um ihn in seiner Verlassenheit zu trösten, ging es nicht viel besser. Frau Katschner erschien eines Tages auf dem Büttnerschen Hofe, ging in's Haus und guckte in alle Zimmer. Da sie niemanden antraf, that sie sich ein Gütchen im Durchschnüffeln der verwaisten Räumlichkeiten. Dann begab sie sich hinaus aufs Feld, wo sie den Bauern alsbald beim Kleehauen traf.

Er schien völlig vertieft in seine Arbeit. Ehe sie an ihn herantrat, betrachtete sie ihn sich eine Weile voll Mitgefühl, das nicht frei war von selbstischem Behagen. – Der Ärmste! man sah ihm den Witwer recht an. In seinen Beinkleidern war ein Loch, das man auf zwanzig Schritt leuchten sah. Er war gewiß recht unglücklich! Keine sorgende Pflege! Nun erfuhr er, was es hieß: ledig sein. –

Die Witwe räusperte sich und suchte in ihr: »Guntagoch, Büttnerbauer!« soviel Freundlichkeit und Teilnahmegefühl zu legen, wie nur möglich. Kein Gegengruß kam, er sah nicht einmal auf von seiner Arbeit. Aber die Witwe Katschner war nicht so leicht abzuschrecken – sie war sich ja ihres guten Zweckes bewußt – daher that sie, als bemerke sie seine abweisende Haltung gar nicht.

Sie begann damit, zu berichten, daß sie kürzlich einen Brief von Paulinen bekommen habe. Der Alte handhabte die Sense in gleichmäßig abgerundetem Schwunge, als gäbe es auf der Welt nichts, als den Klee und ihn. Die Witwe, die sich zu diesem Gange eine gute Schürze vorgebunden und ein neues Kopftuch angelegt hatte, sah ihm zu. Das mußte man sagen, er war immer noch ein kräftiger Mann, trotz seiner Sechzig, aber fürchterlich anzusehen, mit seinem langen Haar und den zolllangen Stoppeln um den Mund. Ganz abgemagert war er und hohläugig. Er härmte sich gewiß, sehnte sich nach einer mitleidigen Seele. Wahrscheinlich hatte er nichts Ordentliches zu essen, und keine Abwartung. Wahrlich, hier war es die höchste Zeit, daß eine Frau eingriff! –

Sie entfaltete den Brief und fragte, ob er nichts von seinen Kindern in der Fremde wissen wolle. Darauf hielt der Bauer im Hauen inne. Frau Katschner entnahm daraus die Erlaubnis, vorzulesen.

Der Brief enthielt Nachrichten über das Ergehen der Sachsengänger. Am Schlusse schrieb Pauline, daß sie im Herbst alle nach Halbenau zurückkehren wollten.

Die Witwe faltete den Brief sorgfältig zusammen und steckte ihn ein. Dann seufzte sie und wischte sich die Augen mit einem Zipfel ihrer blau und weiß gedruckten Schürze. »Ju ju!« sagte sie, 's is och gutt su! Wenn se ack bale zuricke kimma wellten! 's is ne schiene uf der Welt so alleene – nee 's is och ne schiene!« Hier ließ sie eine Pause eintreten; wohl für jenen, zum Überlegen des Gehörten. Dann mit besonderem Blicke auf den Mann: »Ich ha' schon manch a lieb's Mal bei mer gedacht, der Büttnerpauer muß es duch firchterlich eensam han, ha'ch gedacht. Den muß duch ordentlich bange sen, ha'ch gedacht! – So alleene, wie der is uf der Welt. – Is ne a su, Pauer?«

Statt der Antwort nahm der Alte die Sense wieder auf und fuhr fort, Klee zu hauen, als sei niemand da.

Frau Katschner mußte endlich abziehen.

Sie war ziemlich kleinlaut, und im Innersten gekränkt, daß ihre gute Absicht, den Einsamen zu trösten, auf so undankbaren Boden gefallen war.

* * *

Inzwischen neigte sich der Sommer seinem Ende zu. Die Ernte war eine ungewöhnlich reiche gewesen. Der Roggen hatte volle Ähren mit vielen und schweren Körnern getragen, das Stroh war lang und reichlich, auch Hafer und Kartoffeln versprachen guten Ertrag.

Bittere Gefühle waren es, mit denen der alte Mann in diesem Jahre den Erntesegen betrachtete. Wo er bestellt und gesäet hatte, ernteten andere. Täglich fuhren jetzt die Wagen der kleinen Leute, die sich ein paar Morgen vom Büttnerschen Gute erstanden hatten, durch den Bauernhof. Für die vielen Parzellen, die bei der Vereinzelung entstanden, war dies der einzige Abfuhrweg.

Auch auf den Feldern, die sich Harassowitz für sich selbst zurückbehalten hatte, standen schöne Früchte. Es war von vornherein klar, daß der ehemalige Büttnerbauer die Ernte allein nicht werde bewältigen können. Eines Tages erschienen denn auch Helfer,

Sam hatte Leute aus dem Dorfe angenommen, als Erntearbeiter. Darauf kamen Leiterwagen, in denen die Garben abgefahren wurden, nach Wörmsbach, hieß es, wo der Händler ja noch mehr Land besaß. Dort stand eine Dreschmaschine, die ihm das Korn ausdrosch. Das gedroschene Getreide wurde nach der Stadt gefahren in die Speicher des Händlers, das Stroh auf dem Felde in Feimen gesetzt.

Das Haferhauen gab Sam in Akkord. Aber den Hafer ließ er nicht wegschaffen, der wurde in die Scheune gebanst. Der alte Büttner sollte ihn mit dem Göpel ausdreschen; da war gleich für eine Winterarbeit gesorgt.

Mit den Hackfrüchten verfuhr der Händler noch einfacher. Das Hacken, Lesen und Einmieten machte ihm viel zu viel Umstände. Er verkaufte die einzelnen Furchen meistbietend an die Dorfleute. Nur soviel Kraut, Rüben und Kartoffeln behielt er, wie für das Vieh während des Winters unentbehrlich war.

Diesem Manne schien jedes Unternehmen zu glücken. Soetwas hätte nur ein Bauer versuchen sollen, der wäre sicher zu Schaden und darüber noch zu Spott gekommen.

Wenn Samuel Harrassowitz im Gasthof bekannt machen ließ, daß Auktion sei, dann kamen alle gelaufen. Die bloße Thatsache, daß Sam im Orte war, schien das Geld in den Taschen locker zu machen.

Er machte es den Leuten aber auch leicht; er war wirklich ein ›kulanter‹ Geschäftsmann. Jede Art von Bezahlung nahm er an. War es nicht in Geld, dann in Naturalien, oder auch durch Abarbeiten. Unter Umständen fand er sich auch bereit, ein Stück Vieh an Zahlungsstatt anzunehmen. Das gab er dann womöglich wieder einem anderen, mit dem er in Geschäftsverbindung stand, in den Stall. Und Kredit gewährte er auch jederzeit. Diese Eigenschaft wurde von den Landleuten besonders an ihm geschätzt. Nur im äußersten Notfalle klagte er einen Schuldner aus, und dann sicher nur einen, bei dem noch etwas zu holen war. Die Leute, die nichts mehr besaßen, ließ er mit Zwangsvollstreckungen in Frieden.

Die mußten ihre Schuld abarbeiten, und er sorgte dafür, daß der Posten niemals gänzlich getilgt wurde.

Auch den alten Büttner behandelte der Händler jetzt ganz wie seinen Arbeiter. Er schalt ihn gelegentlich, nannte ihn faul und dumm, ein andermal wieder lobte er ihn, je nachdem seine Herrenlaune gerade war.

Der alte Mann nahm das mit jener mürrischen Gelassenheit hin, die ihm neuerdings zur zweiten Natur geworden zu sein schien. In seinem Wesen war etwas geknickt, ausgelöscht für immer; es war, als habe er kein Ehrgefühl mehr im Leibe.

Dergleichen Behandlung hätte ihm früher einmal jemand bieten sollen! Heiler Haut wäre der nicht vom Hofe gekommen. Und jetzt ließ er sich schmähen von dem Fremdling! –

In sein Dasein, in sein ganzes Treiben und Thun war etwas Zweckloses, Widersinniges gekommen: er arbeitete für seinen Peiniger, ernährte mit seiner Hände Werk nur das starke Raubtier, das ihm das Blut aussaugte.

Es gab kein Entrinnen! Harrassowitz hielt ihn an vielen Ketten. Er war der Schuldner des Händlers geblieben, auch nachdem er sein Gut an ihn verloren. Es war ein Akt der Gnade, wenn der neue Herr den Alten im Hause ließ. Fiel es dem Besitzer ein, ihn hinauszuwerfen, dann brauchte er nicht einmal zu kündigen. Gelegentlich damit zu drohen, verfehlte Sam nicht. Er war, in seiner Art, ein Kenner des deutschen Bauern. Er wußte, wie zähe diese Sorte an der Scholle klebt, wie ihr zur Erde gewandter Blick sie dumpf und blöde macht, unfähig, Vorteil von Nachteil zu unterscheiden.

Sam wußte nur zu gut, daß der alte Büttner sich lieber das Herz aus dem Leibe würde reißen lassen, als daß er die Stelle verlassen hätte, die seine Vorfahren besessen, die er selbst durch ein Leben innegehabt. Die Angst, vom Hofe getrieben zu werden, band den Alten, wie ein ungeschriebener, aber darum nicht minder wirksamer Kontrakt, an den neuen Besitzer des Bauerngutes.

Es war eine Art von Leibeigenschaft. Und gegen dieses Joch waren die alten Fronden, der Zwangsgesindedienst, die Hofegängerei und alle Spann- und Handdienste der Hörigkeit, unter denen die Vorfahren des Büttnerbauern geseufzt hatten, federleicht gewesen. Damals sorgte der gnädige Herr immerhin für seine Unterthanen, mit jener Liebe, die ein kluger Haushalter für jedes Geschöpf hat, das ihm Nutzen schafft, und es gab manches Band gemeinsamen Interesses, das den Hörigen mit der Herrschaft verband. Bei dieser modernen Form der Hörigkeit aber fehlte der ausgleichende und versöhnende Kitt der Tradition. Hier herrschte die parvenuhafte Macht von gestern protzig und frivol, die herzlose Unterjochung unter die kalte Hand des Kapitals. –

Man mußte dem Händler eines lassen, er arbeitete geschickt, mit ›Diskretion‹, ja, mit einer gewissen Eleganz. Sam besaß das Talent seiner Rasse in hohem Maße, anderer Arbeit zu verwerten, sich in Nestern, welche fleißige Vögel mit emsiger Sorgfalt zusammengetragen, wohnlich einzurichten. Und die Natur hatte ihm eine Gemütsverfassung verliehen, die es ihm leicht machte, sich um das Geschick der fremden Eier nicht sonderlich zu grämen.

Man rechnete Sam nach, daß er bereits jetzt, durch den Verkauf einzelner Parzellen, für den Preis gedeckt sei, den er bei der Subhastation geboten hatte.

Eines Tages im Frühsommer waren eine Anzahl fremder Arbeiter und ein Geometer nach Halbenau gekommen. Sie hatten sich auf die große Wiese, die zwischen dem Büttnerschen Hofe und dem Walde, ungefähr in der Mitte des Grundstückes lag, begeben. Hier, an der dachartig abfallenden Lehne, fingen sie an, abzustecken. Dann wurde der Rasen abgeschält, der Humus, der zunächst unter der Grasnarbe lag, auf besondere Haufen geworfen, und schließlich in der tiefer gelegenen zähen Thonerde ein umfangreiches Viereck von Metertiefe ausgegraben.

Hier sollte die Dampfziegelei hin, die Harrassowitz zu gründen gedachte.

Es sei ein allgemeines Bedürfnis für die Gegend, hatte Sam erklärt; weit und breit bekäme man keine vernünftigen Ziegeln zu kaufen. Er halte es für seine Pflicht, etwas für die Hebung des Ortes zu thun, durch Einführung der Industrie. Nun sollten die Halbenauer einmal sehen, was jetzt für Geld unter die Leute kommen werde! –

Die Grundmauern zum Ringofen schossen schnell aus dem Boden empor, das Gebälk zum Trockenschuppen wurde gerüstet, die Schlämmbassins angelegt, und schließlich die einzelnen Teile der weitläufigen Anlage mittelst schmaler Schienenstränge verbunden. Über dem Ganzen reckte sich bald die Ziegeleiesse höher und höher empor; ein ungewohnter Anblick, der die Halbenauer staunen machte. Nun bekamen sie doch auch eine Dampfesse in den Ort.

Täglich gab es jetzt Veränderungen auf dem Grundstücke. Eines Tages, im Herbst, erschien ein gräflicher Revierförster mit seinen Leuten auf der zum Büttnerschen Gute gehörigen Waldparzelle. In wenigen Tagen ward mit den verkrüppelten Kiefern, Wachholderbüschen und Stockausschlägen aufgeräumt und Kahlschlag hergestellt.

Die Herrschaft Saland hatte nun doch den Wald des Bauerngutes angekauft für ein Geld, das dem Bauern, hätte er es zur rechten Zeit gehabt, über alle Nöte hinweggeholfen haben würde. Gleichzeitig war auch das ›Büschelgewende‹, dessen Urbarmachung dem alten Manne so viel sauren Schweiß gekostet hatte, an den mächtigen Nachbarn gekommen. Nun war das Loch zugemacht, das bisher die beiden gräflichen Reviere: Halbenau und Saland, getrennt hatte. Im Frühjahr sollte die ganze Fläche zugepflanzt werden.

Traugott Büttner sah alle diese Dinge. Keine Klage kam über seine Lippen. Es war, als habe er sich selbst Schweigen auferlegt. Was in seinem Inneren vor sich ging, erfuhr kein Mensch.

Er glich einer Pflanze, die man schlecht versetzt hat, und die nun in verwahrlostem Zustande dahinsiecht; sie vegetiert noch, aber in ihren Säften geht sie zurück. Er glich auch einer Maschine, die ohne treibende Kraft doch weiter arbeitet, weil der Schwung von früher her noch ein Weilchen vorhält, ehe sie aussetzt.

Für Schmerz war er scheinbar unempfindlich geworden, abgestumpft durch das Zuviel, gleich dem Boden, der allzustark getränkt, keine Nässe mehr in sich aufnimmt.

Die da meinten, er sei gefühllos, irrten sich. Er fühlte gar wohl das Unrecht, das ihm widerfuhr. Die Demut und Schmerzensseligkeit eines Hiob war seiner halsstarrigen Bauernnatur nicht eigen. Weit davon entfernt war er, mit dem Knechte Gottes aus dem alten Testamente zu sagen:

»Ich bin nackend von meiner Mutter Leibe gekommen, nackend werde ich wieder dahinfahren. Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobet!«

Wenn er auch scheinbar zum stumpfen Lasttier herabgesunken war, das die Schläge gleichgültig hinnimmt, so blieb sein innerer Trotz doch ungebrochen. Menschenhaß und Verachtung waren seine Tröster, Groll seine Nahrung; die einzige die ihn noch in Kraft erhielt. Aber die Qualen, die er ertrug, waren um so brennender, weil er nicht den Schrei der Wut fand, sich von ihnen zu entlasten.



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