Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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IV.

Der Büttnerbauer fuhr in der Kreisstadt ein. Er spannte, wie immer, im Gasthofe »Zum mutigen Ritter« aus. Nachdem er seinen Rappen in den Stall geführt und selbst versorgt hatte, begab er sich auf den Markt.

Es war heute der Hauptwochenmarkt. Die Stadt wimmelte daher von Fuhrwerken und Leuten, die vom Lande hereingekommen waren. Der Büttnerbauer war nicht unbekannt; vielfach wurde er von den Kleinhändlern und Handwerkern, die bei offenen Ladenthüren in ihren Geschäften standen, angerufen und gebeten, einzutreten. Aber, er wollte sich heute nicht beschwatzen lassen zu irgendwelchen Einkäufen. Erst wollte er mit Profit verkaufen, dann würde man weitersehen, ob ein Groschen zu dergleichen übrig sei.

Auf dem Marktplatze gab es eine jedem Eingeweihten wohlbekannte Ecke, wo die Käufe und Verkäufe in Getreide abgeschlossen zu werden pflegten. Als sich der Bauer diesem Flecke näherte, kam ihm einer der Händler sofort mit ausgestreckter Hand entgegen, und erkundigte sich nach seinen Wünschen. Dann wurde er in den Kreis der dort versammelten Männer gezogen, man klopfte ihm auf die Schulter, und meinte, er habe sich recht lange nicht mehr blicken lassen.

Aber, dieses auffällige Entgegenkommen von Leuten, die er kaum kannte, machte den alten Mann stutzig. Wollte man ihn hier etwa dumm machen? Als man ihn fragte, ob er was zu verkaufen habe, antwortete er vorsichtig und zurückhaltend. Dann ging er von dieser Gruppe weg zu einer anderen. Er wollte sich die Sache scheinbar nur mit ansehen. Die Hände auf dem Rücken hörte er überall ein wenig zu. Die Kauflust war groß, besonders Hafer wurde stark gefragt. Es ward auch manches Geschäft abgeschlossen, nach den Handschlägen zu schließen, die zur Besiegelung jedesmal gegeben wurden.

Nachdem sich der Büttnerbauer eine Weile hier aufgehalten, verließ er den Marktplatz wieder. Es waren ihm allerhand Bedenken gekommen. Bei dieser Art zu handeln, wie sie hier in so lauter und nachlässiger Weise von den Händlern betrieben wurde, schien es ihm auf ein Betrügen des Landmannes herauszukommen.

Heute lag ihm daran, einen möglichst hohen Preis zu erzielen aus seinem Hafer; denn er hatte vor, mit dem Erlös eine Kuh anzukaufen zum Ersatz für eine, die er im Laufe des Winters hatte stechen lassen müssen.

Nun entsann er sich, daß er vorm Jahre in einem Getreidegeschäfte der inneren Stadt für Roggen einen guten Preis bezahlt erhalten hatte. Das Geschäft schickte ihm seitdem vierteljährlich seinen Katalog zu. Erst vor ein Paar Tagen noch war ihm ein solcher Prospekt in die Hände gefallen. Die Zahlung der »höchstmöglichen Preise« und die »koulantesten Bedingungen« wurden darin versprochen.

Der Bauer meinte, er könne es mit Samuel Harrassowitz wieder einmal versuchen. War dort nichts zu machen, dann konnte man den Hafer ja immer noch auf dem Markte losschlagen.

Das Geschäft von Harrassowitz lag in einer ziemlich engen Gasse, zu ebener Erde. Man trat zunächst in eine tonnenartige Einfahrt, die in einen gepflasterten Hof ausmündete. Eine Seitenthür führte von der Einfahrt aus in das Comptoir.

Der Büttnerbauer trat, seinen Hut schon vor der Thür abnehmend, nachdem er angeklopft hatte, ein. Es war ein langer, schmaler Raum, in der Mitte durch einen Ladentisch geteilt, hinter dem mehrere Schreiber auf Drehschemeln an hohen Pulten saßen. Ein junger Mann mit einer Brille sprang von seinem Schemel herab, kam auf den Bauer zu und fragte, was er wünsche. Der Alte meinte, er habe etwas Hafer zu verkaufen. Wieviel es sei, fragte der junge Mensch, die Feder an seinem Ärmel auswischend.

»Sacke a Sticker zahne kennten's schun sein,« gab der Büttnerbauer zurück.

Der Jüngling lächelte darauf überlegen und meinte, daß sein Haus sich mit »Detail-Einkäufen« nicht abgebe.

Für den Bauer war die Ausdrucksweise des jungen Herrn unverständlich. Es gab Frage und Antwort und abermaliges Fragen. Die Schreiber drehten sich auf ihren Sesseln um und betrachteten sich den alten Mann im altväterischen Rocke mit spöttischen Mienen.

Darüber war ein mittelgroßer, zur Korpulenz neigender Mann mit kahlem Kopfe, gebogener Nase und brandrotem Backenbart von einem Nebenraume aus ins Comptoir getreten. Sofort fuhren alle Drehschemel wieder herum und die jungen Leute steckten, mit gebeugtem Rücken, die Nasen eifrig in ihre Schreiberei.

Samuel Harrassowitz – denn er war es selbst – maß die Gestalt des Bauern mit spähendem Blicke. Dann trat er auf ihn zu, streckte die Hand aus, lächelte verbindlich, und sagte: »Grüß Sie Gott, mein lieber Herr Büttner! Was steht zu Ihren Diensten?«

Der Bauer war völlig überrascht. Woher kannte ihn dieser Herr? Er konnte sich nicht entsinnen, dieses Gesicht jemals gesehen zu haben.

»Ich werde Sie doch wahrhaftig kennen, Herr Büttner!« meinte der Händler. »Sie sind eine bekannte Persönlichkeit bei uns. Besitzen Sie nicht ein schönes Gut in Halbenau – nicht wahr?«

Der Bauer stand da mit offenem Munde, starrte jenen an, der ihm die Allwissenheit in Person schien, und konnte sich von seinem Staunen gar nicht wieder erholen.

»Kenne Sie! Kenne Sie ganz gut, Herr Büttner! Also, womit können wir dienen?«

Der junge Mann raunte inzwischen seinem Chef mit halblauter Stimme etwas zu. »Nun und ich hoffe stark, daß Sie Herrn Büttner den Hafer abgenommen haben, Herr Bellwitz!« rief der Händler. »Ich dachte . . .« meinte der so Angeredete. – »Ach was, dachte! Sie denken immer! Verscherzen mir darüber womöglich eine solche Kundschaft. – Natürlich nehmen wir den Hafer, Herr Büttner! Unbesehen nehmen wir alles, was Sie uns bringen. Haben Sie den Hafer mit in der Stadt?«

Der Büttnerbauer brachte mit Rucken und Zerren ein Säckchen von grauer Leinwand aus seiner hinteren Rocktasche hervor.

»Ach so, eine Probe! Ist eigentlich gar nicht nötig, Herr Büttner. Kennen Ihre Ware schon. Prima, natürlich!«

Er öffnete das Säckchen aber dennoch und ließ die Körner prüfend durch die Finger gleiten. »Kaufen wir! Geben den höchsten Marktpreis. Herr Bellwitz, gleich einen Mann nach dem ›Mutigen Ritter‹ schicken! Der Hafer soll her. – Inzwischen kommen Sie mal auf ein Augenblickchen hier herein, mein guter Herr Büttner. Sie müssen mir was über den Saatenstand bei Ihnen da draußen erzählen.«

Der Bauer befand sich, ehe er sich dessen recht versehen, im Nebenzimmer, einem kleinen Gemache, dessen einziges Fenster nach dem Hofe hinausführte. Dort wurde er aufs Sofa genötigt; der rotbärtige Händler nahm ihm gegenüber am Tische Platz.

»Nun, mein Lieber, wie stehts denn, wie gehts denn in Halbenau? Ich kenne dort verschiedene Ökonomen. Mittlerer Boden – was! Liegt auch schon ein bißchen hoch – was? Sie leiden an späten Frösten. Nachher will das Korn nicht recht schütten, wenns vorher noch so schön gestanden hat. Kenne das, kenne die ganze Geschichte. – Also nun erzählen Sie mir mal. Wie weit ist's mit der Sommerung?«

»Mei Suhn und de Madel stacken heite de latzten Apern. Hernachen is nur noch 's Kraut. In a Wochen a zwee noch hin, denk'ch, sein mer fertig.«

»Gratuliere, gratuliere! – Sie haben wohl eine starke Familie, Herr Büttner?«

»'s langt zu, Herr Harrassowitz, 's langt Se gerade zu,« meinte der Bauer und lachte in sich hinein. »Mit de Enkel sein's 'r immer a Mäuler achte, die gefittert sein wullen – ju, ju!«

»Nun, um so mehr Hände sind dann auch da zur Bestellung und in der Erntezeit – nicht wahr, Herr Büttner? Eine zahlreiche Familie ist ein Segen Gottes, besonders für den Landmann. Ich kenne die ländlichen Verhältnisse, ich kenne sie! Sie mögen mir das glauben, lieber Büttner. – Und wie steht's denn mit der Winterung?«

Der Bauer berichtete, daß der Roggen gut durch den Winter gekommen und nur wenig ausgewintert sei. »Ene wohre Pracht! Wie ene Bürschte, weeß der Hohle, wie ene Bürschte steht Sie das Korn!«

»Nun, das ist ja hocherfreulich zu hören! Da hätten wir also die schönsten Aussichten für eine gute Ernte. Da wird wiedermal schönes Geld unter die Leute kommen! Und hat der Bauer Geld, dann hat's die ganze Welt.«

»Das mechte och sein – das mechte freilich sein, Herr Harrassowitz!« meinte der Büttnerbauer und kratzte sich hinter den Ohren, »'s Geld is sihre rar gewest. Ne ach Gott, zu rare ist dos gewest in der letzten Zeit, Herr Harrassowitz!«

»Nun, Sie werden doch nicht etwa klagen wollen, Herr Büttner! Sie, mit Ihrer schönen Besitzung! – Wie groß ist denn das Gut, wenn ich fragen darf?«

»Zweemalhundert und a paaren dreißig Morgen, alles in allen, mit an Buusche.«

»Das wäre ja bald ein kleines Rittergut! Und da wollen Sie lamentieren! Ich bitte Sie, guter Herr Büttner, was sollen denn dann die kleinen Leute machen!«

»Ju, wenn ock de vielen Abgaben ne wären, und de Gemeenelasten und de Schulden.«

»Ich weiß, ich weiß, es lastet vielerlei auf dem Ökonomen heutzutage. Sind denn die Abgaben und Lasten so bedeutend in Halbenau?«

Der Büttnerbauer schüttete darüber sein Herz gründlich aus. Harrassowitz ließ ihn reden; nur manchmal warf er eine Bemerkung ein, die den einmal warm Gewordenen veranlaßte, mehr und mehr von seinen Verhältnissen aufzudecken.

Jetzt war der Büttnerbauer bei seinem Hauptbeschwernis angelangt: seinem mächtigen Nachbarn, der Herrschaft Saland.

»Ja, ja, das glaube ich Ihnen gerne, Herr Büttner!« rief der Händler, »solch einen Großgrundbesitzer zum Nachbarn zu haben, ist kein Spaß! Die Leute sind landgierig, die möchten die Bauern am liebsten alle legen. Das ist ein wahrer Krebsschaden für unser Volk, die Latifundienwirtschaft. Ein freier, selbständiger Bauernstand wird immer eine Grundbedingung für das Gedeihen des ganzen Staates bilden. Wer soll uns denn die Soldaten liefern – was, he? Die strammen Soldaten für unser Heer, wenn nicht der Bauernstand! – Grenzen Sie an einer oder an mehreren Seiten mit der Herrschaft Saland?«

Der Bauer erzählte, daß er so gut wie eingeschlossen sei durch das Dominium. Dann ereiferte er sich über den Wildschaden.

»Schrecklich! aber dafür hat natürlich so ein Graf gar keinen Sinn!« rief der Händler mit dem Ausdrucke höchster Entrüstung, »wenn sichs nur um Bauernflur handelt. Traurige Zustände sind das! Hat Ihnen der Graf denn schon mal ein Angebot machen lassen wegen Ihres Gutes?«

Der Büttnerbauer berichtete, daß der Graf schon seit Jahren um seinen Wald handle, aber, daß er ihm nicht einen Fußbreit abzulassen gesonnen sei. Harassowitz horchte scharf hin auf diese Angaben. Dann nahm er auf einmal wieder eine nachdenkliche Miene an.

»Ja, das sind traurige Verhältnisse! Das zehrt am Vermögen, das will ich schon glauben. Da haben Sie doch allerhand Sorgen, mein guter Herr Büttner. – Haben Sie denn etwa auch Hypothekenschulden auf Ihrem Gute?«

»O Jerum!« rief der Bauer bei dieser Frage, die mit der unbefangensten Miene der Welt gestellt wurde. »O Jerum!« Er fuhr empor von seinem Sitze. »Hypothekenschulden! die thun freilich zulangen, thun die! Wenn's wos winger warn, kinnt's och basser sein.«

»Nun, was haben Sie denn so ungefähr drauf stehen? Ich frage aus wirklichem Interesse.«

Der Bauer rechnete eine Weile. Dann sagte er, die Stimme dämpfend, mit bedrückter Miene. »A Märker a zweeundzwanzigtausend kennen's schu sein, die druffe stiehn, Herr Harrassowitz.«

Der Händler ließ ein leises Pfeifen ertönen, zog die Brauen in die Höhe und wiegte den Kopf hin und her. »Das ist ein bißchen stark!«

»Newuhr, 's is vill?« meinte der Alte, ganz in sich zusammensinkend, und trostlos zur Erde blickend.

»Wie in aller Welt wollen Sie denn da die Zinsen herauswirtschaften, Herr Büttner?« – Harrassowitz nahm ein Stück Papier zur Hand und begann zu rechnen. »Ja, mein Lieber das ist ja ein Mißverhältnis! Und da wollen Sie auch noch davon leben, Sie und Ihre Familie! Das ist ja rein unmöglich. Da lügen Sie sich einfach in den Beutel, mein Bester!«

»Ja 's is schwer, 's is aben schwer!« meinte der Büttnerbauer seufzend. »Man mechte manchmal salber zum Thaler wern, um da Zinsen ock immer richtig zu bezahla. Ees muß sich abrackern und abschinden muß mer sich, vun Frih bis Abend. Ne a mal satt essen mechtn man, weil's hinten und vurne ne zulangen thut. Ne, 's is a Luderlaben, wenn ees suvills Schulden hat, wie der Hund Flöhe.«

»Und das ertragen Sie so ruhig? Das verdenke ich Ihnen offen herausgesagt, sehr, daß sie sich für Ihre Gläubiger so abquälen.«

»Ju, wos soll unserees denne angohn? Ich ha's Gutt duch glei su verschuldt übernumma. Billiger wullten de Geschwister mir's duch ne iberlassen.«

»Da giebts eben nur ein Mittel, mein Lieber: schmeißen Sie den Gläubigern die ganze Geschichte hin. Sagen Sie einfach: ich thue nicht weiter mit. Mag's doch ein anderer versuchen, die Zinsen herauszuwirtschaften, ich kanns nicht, ich hab's satt! – Passen Sie mal auf, was für Gesichter die dann machen werden. Von denen übernimmt's keiner, verlassen Sie sich darauf! Die werden dann schon kommen und Sie bitten, daß Sie doch nur um Gotteswillen weiter auf dem Gute bleiben möchten, damit ihre Hypotheken nicht ausfallen. Sowas ist schon öfters mit Erfolg gemacht worden. Tragen Sie selbst auf Subhastation an wegen Überschuldung, dann wollen wir mal sehen, was für Seiten die Gläubiger aufziehen werden. Vielleicht erstehen Sie's dann selbst, oder einer Ihrer Kinder, aus der Zwangsversteigerung zurück, dann sind Sie einen ganzen Posten Schulden los. Nur nicht ängstlich sein in solchen Dingen! Das ist ja nur ein Mittel, sich wieder zu rangieren, wenn man nicht reüssiert hat. Gott sei Dank, möchte ich sagen, daß so etwas möglich ist!«

Der Büttnerbauer schüttelte den Kopf. Den eigentlichen Sinn des Vorschlages hatte er wohl gar nicht erfaßt. Sein Redlichkeitsgefühl sagte ihm jedoch, daß hier etwas nicht in Ordnung sei.

Er wolle auf seinem Gute bleiben, erklärte er. Er hoffe auch durchzukommen und seine Zinsen richtig bezahlen zu können, wenn nur bessere Zeiten kämen, und wenn ihm inzwischen jemand helfend unter die Arme greifen wolle.

Inzwischen waren die Hafersäcke vom »Mutigen Ritter« herangeschafft worden, und wurden im Hofe abgeladen. Der junge Mann aus dem Comptoir trat ein und machte Meldung davon. »Da wollen Sie also Ihr Geld gefälligst in Empfang nehmen, Herr Büttner,« sagte der Händler. »Vorn an der Kasse. Ich komme mit Ihnen.«

Der Bauer empfing am Kassenpult das Geld und mußte über den Empfang quittieren. Das nahm einige Zeit in Anspruch, da seiner Hand das Schreiben nicht mehr recht geläufig war. Endlich war er mit der schwierigen Prozedur zu stande gekommen. Trotzdem er sein Geld längst durchgezählt und eingesackt hatte, blieb er noch stehen, zaudernd, seinen Hut in den Händen drehend, als habe er noch etwas auf dem Herzen.

Dem scharfen Auge des Händlers war das auffällige Benehmen des Alten nicht entgangen. Er kam hinter dem Ladentische vor, wo er mit einem der Comptoiristen verhandelt hatte. »Nun, Herr Büttner, kann ich Ihnen vielleicht noch mit etwas dienen? Wir haben auch künstlichen Dünger, ein reichhaltiges Lager. Haben Sie da keinen Bedarf?«

»Ne, ne!« meinte der Bauer. »Da mag 'ch nischt darvon. Aber was andres wollt'ch Se noch derzahlen; wenn Se da vielleicht an Rat wißten. – Mir is ane Hipetheke gekindgt wurden. Uf Gohanni muß'ch zahlen.«

»Sehen Sie einmal an!« rief der Händler und stellte sich erstaunt. »Da werde ich Ihnen wohl nicht helfen können. Hypotheken, das gehört nicht in meine Branche.« – Aber, er nahm den Bauern doch wieder mit in das Hinterzimmer.

»Also eine Hypothek ist Ihnen gekündigt auf den Johannistermin. An welcher Stelle steht sie? wie ist der Zinsfuß? wie läuft sie aus?«

Harrassowitz stellte die verschiedensten Kreuz- und Querfragen. Dann rechnete er für sich. Der alte Bauer beobachtete während dessen das Mienenspiel des Händlers sorgenvoll. Er sah mit Schrecken, daß Harrassowitz in einem fort bedenklich den Kopf schüttelte und die Brauen in die Höhe zog.

Endlich erhob sich der Mann und trat dicht vor den Bauern hin, ihm in die Augen blickend, mit ernster Miene. Er könne das Geld nicht beschaffen, erklärte er. Er sei Kaufmann und nichts als Kaufmann, und es gehöre nicht zu seinen Gepflogenheiten, Güter zu beleihen. Aber da er gemerkt habe, daß der Büttnerbauer ein redlicher und solider Mann sei, wolle er ihm helfen. Er habe einen Geschäftsfreund, einen durchaus feinen Mann, zu dem wolle er den Bauern führen, der werde ihm die Hypothek möglicherweise decken. Aber nur dem Bauern zu Gefallen wolle er es thun, rein zum Gefallen. Denn er bemenge sich sonst nicht mit dergleichen. –

Darauf ging Samuel Harrassowitz an's Telephon und klingelte an. »Guten Morgen! Ist Herr Schönberger im Comptoir? – Möchte ihn auf einen Augenblick sprechen . . . Danke!«

Der Bauer sah mit Staunen dem Beginnen des anderen zu. In seinem Leben hatte er noch nichts von einem Fernsprecher gehört, geschweige denn, eine solche Vorrichtung gesehen.

Harrassowitz stand neben dem Apparate und lachte über den komischen Schrecken des Alten. »Nehmen Sie mal das andere Ding an's Ohr, Herr Büttner!« rief er und hielt ihm den Hörer hin. »Machen Sie nur! Es beißt nicht.« Der Bauer war nicht zu bewegen, den Hörer anzufassen.

Inzwischen kam Antwort.

»Hier Harrassowitz! . . . Ja! . . .'n Morgen, Schönberger! Herr Gutsbesitzer Büttner aus Halbenau ist hier bei mir, wünscht gekündigte Hypothek belegt zu haben. Kann ich mit ihm zu Ihnen kommen?«

Eine längere Pause entstand, während der Harrassowitz gespannt horchte. Dann lachte er auf einmal laut auf, und den Bauern höhnisch von der Seite anblickend, immer den Hörer am Ohr, rief er in den Fernsprecher:

»Der Kaffer braucht ehn, dringend. Feines Mastematten. . . . Ach was! Bist meschuke! – Wie? . . . Is besoll. Wir machens in Kippe, natürlich. . . . Versteh nicht! Der Kaffer ist halb mechulleh. Geb Dir Rebaffim . . . Schön! Bringe ihn. Auf Wiedersehen. Schluß!«

»Das nennt man Telephon oder Fernsprecher, mein Lieber!« sagte Harrassowitz und klopfte dem Alten mit spöttischem Grinsen auf den Rücken. »Sehen Sie, da haben Sie wieder was Neues kennen gelernt, und können Ihren Leuten da draußen was erzählen.«

Man wolle nun zu Herrn Schönberger gehn, meinte er, und nötigte den Bauern zur Thür.

Das Kredit- und Vermittelungsbüreau von Isidor Schönberger lag am anderen Ende der Stadt, ebenfalls in einem engen Winkelgäßchen. Harrassowitz trat aber nicht in das Comptoir, führte den Bauern vielmehr durch den Hausgang in eine Hinterstube.

Hier saß in einem abgeschabten Lederfauteuil vor seinem Schreibtische ein fetter Mann, kahlköpfig, mit dunklen großen Augen, die ihm, aus tiefen Höhlen über die gebogene Nase hinwegspähend, etwas von einer großen Eule gaben.

»Morgen Schönberger!«

»Morgen Sam!« Der fette Mann rührte sich nicht auf seinem Stuhle, mit dem er verwachsen zu sein schien. Harassowitz, unter dem Namen »Sam« weit und breit in der Handelswelt bekannt, schien die Gewohnheiten seines Freundes zu kennen. Er rückte selbst Stühle heran, forderte den Bauern auf, Platz zu nehmen und setzte sich.

»Hier bringe ich Ihnen also meinen Geschäftsfreund, den Herrn Gutsbesitzer Büttner. Ich kenne den Mann. Er ist gut. Sie können ihm unbedenklich Kredit eröffnen.«

Schönberger zuckte die Achseln mit verdrießlicher Miene. Dann begann er mit belegter Stimme, etwas anstoßend sprechend: In gegenwärtiger Zeit auf Grund und Boden Geld zu borgen, sei bedenklich. Jetzt, wo Subhastationen an der Tagesordnung seien, und die Bauern noch öfter pleite machten, als die Industriellen.

»Für den hier garantiere ich!« rief Harrassowitz. »Das ist einer vom alten Schrot und Korn. Der ist durch und durch solid!« Dabei tätschelte er den Bauern. »Was? der macht uns nicht bankerott, nicht wahr?«

Aber Isidor Schönberger blieb bei seiner Ablehnung. Er habe zu viele schlechte Erfahrungen gemacht in der letzten Zeit. Habe seine Zinsen nicht erhalten, sei bei Zwangsversteigerungen ausgefallen und um sein Geld betrogen worden.

»Wenn ich Ihnen sage, daß der Mann Ihnen sicher ist! wenn ich mich mit meinem Ehrenwort für Herrn Büttner verbürge! Sehen Sie sich den Herrn doch blos mal an, Schönberger! sieht der aus, als ob er uns Schaden machen wollte? Wenn ich sage, er ist gut, dann ist er gut!«

»Wo steht die Hypothek?« fragte Schönberger, der, im Gegensatz zum lebhaften Wesen seines Geschäftsfreundes, eine gleichgiltige apathische Ruhe zur Schau trug.

»Darauf kommts hier gar nicht an!« rief Harrassowitz. »Bei einem Gute von über zweihundert Morgen besten Bodens! Die Hypothek ist todsicher.«

»Weshalb ist sie gekündigt?« fragte Schönberger.

»Der Bruder hatte sie,« erklärte Harrassowitz. »Der hat gekündigt, weil er das Geld im Geschäft braucht. Muß auch verrückt sein, der Herr, daß er so 'ne Hypothek weggiebt! – Seien Sie vernünftig, Schönberger, geben Sie das Geld!«

Der fette Mann nahm ein Notizbuch zur Hand, befeuchtete die Beistiftspitze, dann forderte er den Bauern auf, ihm die einzelnen Posten der Reihe nach zu nennen.

Es bedurfte einiger Zeit, ehe der alte Mann die Zahlen in seinem Gedächtnis gefunden hatte. Aber schließlich brachte er doch alles richtig zusammen.

Da war zuerst die Landschaft mit viertausend Mark, dann kamen die Geschwister: Karl Leberecht und Gottlieb, die verstorbene Schwester Karoline, an deren Stelle jetzt ihre Erben: Ernst Kaschel und seine Kinder, ferner die Schwester Ernestine. Sämtliche zu gleichen Teilen und mit gleichem Vorrecht. Dahinter kamen immer noch neue Schuldposten, unter diesen Ernst Kaschel mit siebzehnhundert Mark.

Der Mann im Lehnstuhle saß da mit der ihm eigenen verdrossenen Miene und notierte jede Ziffer, die sich von den zagenden Lippen des Alten losrang, mit kühler Ruhe. Weder Staunen noch Erregung schien sich in den Fleischmassen dieses gedunsenen Gesichtes ausdrücken zu können. »Ist das alles?« fragte er, als der Bauer endlich schwieg. Der Büttnerbauer bejahte.

»Sie sollen das Geld haben!« war alles, was die belegte Stimme darauf sagte.

Harrassowitz sprang von seinem Sitze auf. »Was habe ich Ihnen gesagt, Büttner! Mein Freund Schönberger ist ein edler Mann! Sehen Sie, er giebt das Geld!«

»Wieviel hat Ihr Bruder Prozent gegeben?« fragte Schönberger.

»Vier Prozent«, erwiederte der Bauer.

»Mein Satz ist fünf, bei vierteljähriger Kündigung« meinte Schönberger.

Dem Büttnerbauer fiel ein Stein vom Herzen bei diesen Worten. Er hatte gefürchtet, man werde ganz andere Prozente von ihm fordern.

»Sehen Sie, was ich gesagt habe!« rief Harrassowitz, »was für ein Mann Schönberger ist! Fünf Prozent nimmt er blos. Sie haben ein glänzendes Geschäft gemacht, Büttner!«

Der Bauer fing an, das selbst zu glauben. In seinem schlichten Gemüte regte sich Dankbarkeit für den Mann, der ihm in so großer Not geholfen hatte. Er schritt unbeholfen auf Herrn Isidor Schönberger zu, und pflanzte sich vor ihn hin. Dann ergriff er die weiße, welke, mit vielen Ringen geschmückte Hand des Mannes und drückte sie mit seiner derben roten Bauernfaust. »Ich bedank' mich och, Herr Schönberger, ich sog' meinen schiensten Dank! Und bezahl' Sie's der liebe Gott! Sie hon mir ane gruße Surge abgenumma.«

Isidor Schönberger betrachtete ihn mit demselben mißmutig verächtlichen Ausdruck, den er für alles auf der Welt hatte, was sich nicht in Zahlen ausdrücken ließ, und entließ ihn dann mit kaum merklichen Nicken seines schweren Kopfes.

»Wir gehen jetzt zum Notar, und dann zum Grundbuchführer, Herr Büttner!« fügte Harrassowitz, als sie in der Hausflur standen. »Gehen Sie nur immer hinaus auf die Straße. Mir fällt eben ein, daß ich in einer anderen Sache noch ein Paar Worte mit Schönberger zu sprechen habe. Ich komme in einer Minute zu ihnen.«

Aus der Minute wurden ihrer mindestens zehn. Dann erschien der Händler und nahm den Bauern unter den Arm. »Nun kommen Sie mein Lieber! Jetzt machen wir die Geschichte schriftlich, damit Sie Ihre Sicherheit haben und einen Beleg in Händen halten. Ich führe sie zu meinem Notar, der macht's Ihnen billig.«

* * *

Nachdem man beim Advokaten und auf dem Gerichte gewesen war – wo Harrassowitz, der in diesen Dingen äußerst bewandert zu sein schien, alles veranlaßt hatte, so daß der Büttnerbauer nur zu unterschreiben brauchte – ging man zum »Mutigen Ritter«. Denn die Mittagszeit war inzwischen herangekommen, und der Bauer wollte heimfahren.

Harrassowitz versicherte dem Alten, daß er ihn nächstens einmal in Halbenau besuchen werde. Es interessiere ihn, das Gut und die Wirtschaft mal in Augenschein zu nehmen.

»Kimma Se ack, Herr Harrassowitz! Kimma Se ack!« rief der alte Bauer, »'s sull mir ane Freide sein!«

Damit drückte er dem Händler treuherzig beide Hände zum Abschiede.

Der Büttnerbauer verließ die Stadt in bester Laune. Er hatte die Tasche voll Geld, das er für seinen Hafer eingenommen. Und was noch weit mehr bedeuten wollte, seine Hypothek hatte er untergebracht. Nun hing ihm auf einmal der Himmel voller Geigen. Es schien keine Sorgen und Nöte mehr zu geben auf der Welt, die Zukunft lag vor ihm im heitersten Lichte. Nun würde er sich die neue Kuh anschaffen können! so recht eine nach seinem Herzen, mit langem Rücken und starkem Euter, womöglich schwarz und weiß gefleckt. Das waren seiner Erfahrung nach die besten Milchkühe. Und dann liebäugelte er über diesen Plan hinaus mit einem anderen, noch kühnerern: die Scheune umdecken! das Strohdach kostete zu viel Reparaturen. Noch vor ein paar Tagen hatte er zu seinem Sohne Gustav gesagt, daß das eine Ausgabe sei, die er in seinem Leben nicht mehr werde auf sich nehmen können. Heute stellte er im Geiste schnell einen Kostenanschlag auf, der erstaunlich günstig ausfiel. Es würde schon gehen! es mußte ja alles gut werden. –

Der Bauer schmunzelte in einem fort und pfiff auch gelegentlich still vergnügt vor sich hin. Etwas wie ein langverhaltener Jugendübermut kam über den alten Mann. Hätte er einen Bummler überholt, er würde ihn aufgefordert haben, zu ihm in den leeren Kälberwagen zu springen, nur um jemanden bei sich zu haben, dem er seine gute Laune mitteilen könne. Als er an einem Gasthofe vorüberfuhr, kam ihm der Gedanke, zu halten, und einen Branntwein zu fordern; das war ein Genuß, den sich der Büttnerbauer nur alle Jubeljahre einmal leistete.

Er wollte schon das Pferd zum Stehen bringen, da fiel ihm ein, daß er den Schnaps ja auch im Kretscham von Halbenau trinken könne. Nicht etwa, daß er seinem Schwager, dem Kretschamwirt, den Verdienst hätte zuwenden wollen! Nein! Er hatte bei sich beschlossen, den Hallunken zu ärgern. Wie würde sich Kaschelernst erbosen, wenn er vernahm, daß der Schwager das Geld doch noch bekommen hatte, und daß ihm, Kaschelernst, die fünf Prozent auf diese Weise entgingen. –

Der Bauer trieb den Rappen an. Schadenfroh lachte er in sich hinein. Endlich konnte er den Menschen, der ihm schon so manchen Tort angethan hatte, doch auch einmal ärgern! –

Er hielt vor dem Kretscham an, und machte sich durch Peitschenknallen bemerkbar. Sein Neffe Richard Kaschel kam heraus. Der junge Mensch sah seinem Vater bedenklich ähnlich. Nur etwas länger war er geraten, und zeigte noch nicht die rote Nase und die schwimmenden Augen des Alten. Aber dasselbe Rattengesicht war's, und auch dasselbe Lächeln und Kichern, das bei dem jungen Menschen noch flegelhafter und zudringlicher herauskam.

Der Büttnerbauer fragte den Neffen, ob der Wirt zu Haus sei. Der sei gerade aufs Feld hinausgegangen, erwiderte der Bursche und grinste dazu.

Der Bauer bestellte einen Kornschnaps.

»En guten?« fragte der Neffe mit unverschämten Lächeln den Onkel anzwinkernd.

»Verstieht sich, an guten! Was Schlechtes mog ich ne! Wennt'r und er hat schlechten, den kennt'r salber saufen. Verstiehst De!« rief der Alte dem Neffen zu.

Der junge Mann, gleich seinem Vater, in Strümpfen und Holzpantoffeln, verschwand im Gasthofe, um gleich darauf mit einer Flasche und einem Gläschen wieder zu erscheinen.

Der Bauer goß den Schnaps hinter, machte »brrr!« und schüttelte sich. »Wos kost' dos?« rief er und zog den Geldsack.

Der Neffe meinte mit gönnerhafter Miene, das sei umsonst.

»Was macht's?« schrie ihn da der Alte an, mit zorniger Miene. »Ich wer' Dich glei umsonsten! Ich will keenen Menschen nischt ne schuldg bleiba, zu allerletzten Eich! Dei Vater mechte mich am Ende glei verklogen! Dei Vater, wegen dan paar Pfengen. – Wos macht der Schnaps?«

Der Neffe nannte den Preis. Mit wichtiger Miene öffnete der Bauer den Geldsack, suchte eine ganze Weile unter den Münzen herum, immer beobachtend, welche Wirkung soviel Geld auf den Neffen hervorbringen würde, und ließ ein Goldstück wechseln.

Nachdem er kleine Münzen zurückerhalten und den Beutel wieder an seinen Ort gebracht hatte, sagte er scheinbar beiläufig: »De kannst Deinem Alten och derzahlen, ich hätte menen Hafer gut verkoft, und de Hipetheke hätt'ch och ungergebracht. Vun ihn braucht'ch nu nischt mih, und an Puckel kennt' ar mir rungerrutscha, kennt ar mir! –«

Damit trieb er den Rappen an und fuhr nach Hause, sehr mit sich zufrieden. Seinem Schwager würde das brühwarm berichtet werden; dafür war gesorgt. Dem Kaschelernst hatte er's mal gründlich heimgegeben.



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