Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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X.

Ein paar Tage darauf erschien derselbe Herr Schmeiß, welcher den alten Bauern im Comptoir von Harrassowitz abgefertigt hatte, in Halbenau. Er kam mit Lohngeschirr. Neben ihm auf den Rücksitz saß eine junge Dame. Während er sich in das Büttnersche Gehöft begab, schwänzelte die auffällig gekleidete Person im Dorfe umher, zum Gaudium der Dorfjugend und der Frauenwelt von Halbenau, die so hohe Absätze, eine solche Taille und derartig weite Puffärmel noch nicht gesehen hatten.

Edmund Schmeiß, ein mittelgroßer junger Mann mit flottem Schnurrbärtchen und Lockenfrisur, rümpfte die Nase über den Misthaufen, den er im Büttnerschen Hofe vorfand. »Echte Bauernwirtschaft!« sagte er zu sich selbst, mit verächtlichster Miene. Sein tadellos gearbeiteter Anzug von hechtgrauer Farbe, sein ganzes Auftreten, waren »prima«, um seinen eigenen Lieblingsausdruck zu gebrauchen. Kenner hätten vielleicht finden können, daß nicht einmal die äußere Etikette der Ware besonders fein sei. Seine Manieren waren irgendwoher, wahrscheinlich vom Offiziers- oder jüngeren Beamtenstande erborgt und nicht immer glücklich kopiert.

Die Lebensstellung des jungen Schmeiß genauer zu umschreiben, war nicht leicht. Harrassowitz bezeichnete ihn, wenn er von ihm sprach, als einen: ›mir ergebenen jungen Mann‹. Aber auch für Isidor Schönberger ›arbeitete‹ er, ohne daß man genau feststellen konnte, worin seine Arbeit eigentlich bestand. Man pflegte ihn bei Häuser- und Güterankäufen als Strohmann zu verwenden, bei Zwangsversteigerungen trat er als Bieter auf. Wenn ein Kleinkaufmann, oder Handwerker in ›momentaner Verlegenheit‹ war, erschien er als Helfer in der Not. Er war jederzeit bereit, Wechsel zu diskontieren, und Geldsuchenden Darlehen von Dritten zu verschaffen, vorausgesetzt, daß der Darlehnssuchende etwas ›opferte‹, womit er seine Provision meinte, die niemals gering bemessen war. Er reiste für allerhand Häuser, deren Firma nicht eingetragen war, und trat als Generalbevollmächtigter von Konsortien auf, die nicht genannt werden durften, weil sie sich noch im ›Entwickelungsstadium‹ befanden. Er hatte jederzeit mindestens ein halbes Dutzend ›feiner Geschäfte‹ an der Hand; kurz, er war alles in allem ein äußerst brauchbarer, praktischer, ›smarter‹, junger Mann, in vielen Sätteln gerecht, mit den Gesetzen und der Gerichtspraxis vertraut. Mit Vorliebe legte er sich den Titel »Kommissionär« bei.

Edmund Schmeiß also trat um die Mittagsstunde in die Büttnersche Wohnstube. Er fand die Familie bei Tisch. Er meinte im Eintreten, man möge um seinetwillen keine Umstände machen. Er selbst machte allerdings auch keine, das mußte man sagen! Ohne Umschweife auf sein Ziel losgehend, fragte er den alten Bauern, in Gegenwart der Seinen, ob er gewillt sei, das heute fällig gewordene Accept zu decken.

Sie waren alle aufgestanden. Erstaunt und bestürzt blickten sie auf den fremden Eindringling, der sich so unbefangen geberdete. Der alte Mann brauchte einige Zeit, ehe er die Antwort fand: er habe in dieser Sache doch nur mit Herrn Harrassowitz zu thun.

»Ach was, Harrassowitz!« rief Edmund Schmeiß. »Ich bin jetzt derjenige welcher! an mich haben Sie zu zahlen. Bitte sich überzeugen zu wollen! Hier das Indossement!«

Der junge Mann hielt dem Bauern das Papier hin, und hieß ihn, die Rückseite beachten.

Der Bauer sah, daß dort was geschrieben stand, ein Name, wie es schien. Aber was sollte ihm das! Wie kam dieser junge Mensch, der ihm niemals einen Pfennig gegeben hatte, auf einmal dazu, sein Gläubiger zu sein?

Er schüttelte den Kopf und erklärte, nur an Harrassowitz zu schulden.

Edmund Schmeiß wurde ungeduldig. »Herr Gott! kapieren Sie denn nicht!« rief er. »Sie haben acceptiert. Hier ist Ihre Unterschrift, nicht wahr?«

Der Bauer bejahte, nicht ohne sich seine Unterschrift noch einmal sorgfältig betrachtet zu haben.

»Bekennen Sie, Valuta richtig empfangen zu haben? – Ich meine, ob Sie zugeben, das Geld, vierhundert Mark, seiner Zeit von Harrassowitz per Kassa bekommen zu haben?«

»Ju, ju! 's Geld ha'ch richt'g erhalen vun Herrn Harrassowitz, dohie an diesem salbgen Tische. – Du weeßt's duch noch, Frau?« Die Bäuerin nickte. »Ju, ju, lieber Herr!«

»Nun sehen Sie also! Harrassowitz hat Ihr Accept diskontiert. – Man nennt das ein Dreimonatsaccept. – Dann hat Harrassowitz remittiert an mich. Folglich bin ich jetzt der Inhaber des Wechsels. Die Sache ist so klar wie etwas! Sie müßten denn behaupten wollen, daß ich auf ungesetzliche Weise in Besitz des Accepts gekommen wäre. Wollen Sie das behaupten?«

Der Bauer stand da mit äußerst verdutzter Miene. Er verstand kein Wort von der ganzen Sache. Da aber der Andere so sicher auftrat und so beleidigt dreinblickte, ließ er schließlich ein zauderndes »Nein!« hören.

»Darum möchte ich allerdings gebeten haben!« sagte Edmund Schmeiß, machte große Augen und runzelte die Stirn. »Hiermit präsentiere ich Ihnen also den Wechsel. Heute ist Verfalltag. Ich frage Sie, ob Sie annehmen?«

Der Bauer blickte noch unverständiger drein, als zuvor. Auf den Gesichtern der Seinen malten sich sehr verschiedenartige Gefühle; aber Schreck und Furcht herrschten vor, diesem Fremden gegenüber, der durch jenes Stück Papier Gewalt über den Vater und über sie alle erhalten zu haben schien.

»Ob Sie mich auszahlen wollen, Herr Büttner? Ich dächte, die Sache wäre doch nicht so schwer zu verstehen!«

Der alte Mann bat sich den Wechsel noch einmal aus. Er drehte ihn um und um in den zitternden Händen, und blickte ratlos drein, die Buchstaben verschwammen ihm vor den Augen. Er mußte sich setzen.

Die Bäuerin trieb jetzt die Kinder aus der Stube, sie sollten den Vater nicht in seiner Schwäche sehen. Nun trat sie zu ihrem Gatten. »Bis ack ruh'g, Alter! bis ack ruh'g!« redete sie ihrem Eheherrn zu.

»Jo, Du mei Heiland!« rief der Bauer in heller Verzweiflung, mit hoher, weinerlich klingender Stimme. »Wos sull ich denne? Wos wullen Se denne von mir, dohie!«

»Zahlung! Weiter gar nichts! Zahlen Sie mich aus, Herr Büttner, dann ist alles in Ordnung,« erklang die trockene Antwort.

»Und's Gald! Wu sull ich denn's Gald harnahmen? Ich ho's do ne!«

Edmund Schmeiß zuckte die Achseln. Den neuesten Berliner Gassenhauer vor sich hin pfeifend und mit dem Fuß den Takt dazu tretend, sah er sich im Zimmer um.

Die beiden Alten berieten sich inzwischen halblaut. Einen Rest Geld hatte der Bauer noch im Kasten liegen. Es stammte von dem Korn, das er nun doch vor ein paar Tagen verkauft. Da er aber die Michaelis-Zinsen und Abgaben davon bezahlt hatte, war nicht viel übrig geblieben. Es langte in keinem Falle zur Deckung des Wechsels.

Kalter Schweiß stand dem alten Manne auf der Stirn. Starren Blickes, mit bebendem Unterkiefer, auf dem Stuhle zusammengebrochen hockend, bot er einen kläglichen Anblick.

Die Bäuerin redete ihm zu. »No, Alter, no! ha ack Karrasche! Dar Herr werd schun, und ar werd a Brinkel Geduld han.«

Dann wandte sie sich an den jungen Mann. Mit schmeichlerisch unterthänigen Blicken und Mienen, streichelte sie ihm ehrfurchtsvoll die Hand: »Newohr, lieber Herr, Se wern meenen Mann a Brinkel Zeit lan. Mir versprachen och und mir wern uns Mihe gahn, mir wern alles abzahlen – mit dar Zeet.«

Edmund Schmeiß erwiderte in kühlem Tone: Das kenne er schon. Darauf könne er sich nicht einlassen. Er habe den Wechsel als einen ›feinen‹ gekauft. Harrassowitz habe ihm gesagt, Herr Büttner sei ein solider Mann. Er habe sicher darauf gerechnet, heute sein Geld zu erhalten; habe sich mit anderen Geschäften schon darauf eingerichtet. Er müsse daher Deckung verlangen. Falls er sie nicht erlange, sehe er sich genötigt, den Rechtsweg zu beschreiten.

»Se wern uns doch ne verklag'n wulln?« rief die Bäuerin entsetzt aus.

Das sei sein gutes Recht, erwiderte der junge Mann.

»Herr Gutt, in Deinen Himmel droben!« rief die Frau. Sie griff sich an den Mund mit zitternden Fingern, jammerte, leise vor sich hin weinend: »Moan, Moan, was sull denne anu aus uns warn!« Der Bauer stöhnte.

Eine namenlose Angst hatte sich der beiden alten Leute bemächtigt. Ihre Begriffe vom Rechte waren äußerst verwirrte. Hinter jeder Klage drohte ihnen gleich das Gefängnis. Dem Richter wie dem Advokaten stand man gleichmäßig schutzlos gegenüber. Sie sahen bereits im Geiste den Gerichtsvollzieher ihre letzte Kuh aus dem Stalle führen. Wenn jener es zur Klage trieb, dann war alles verloren.

Der wackere Büttnerbauer, der in zwei Feldzügen manche Probe von Beherztheit abgelegt hatte, zitterte wie Espenlaub. Aller Witz schien den sonst besonnenen Mann verlassen zu haben. Mit angstvergrößerten Augen, haltlos, jeder Würde vergessend, hing er, der Sechziger, an den Mienen und Blicken dieses jungen Menschen, in dessen Wohlgefallen er sein Geschick beschlossen glaubte.

Edmund Schmeiß zog eine umfangreiche goldene Cylinderuhr, deren Deckel er aufspringen ließ. »Ich muß fort!« rief er, »draußen wartet eine Dame auf mich. Adjeu, Herrschaften!«

Er wollte zur Thür. Die Bäuerin lief ihm nach, hielt ihn, beschwor ihn, flehte, er möge bleiben.

»Aber, bitte, dann etwas plötzlich! Wenn Sie noch was wollen. Zeit ist Geld.«

Das Ehepaar beriet von neuem. Der alte Mann erschien wie schwachsinnig. Er sagte zu allem, was ihm die Frau vorschlug, ein klägliches »Ich weeß nischt, ich weeß nischt!«

»Ich will Ihnen mal was vorschlagen!« meinte der junge Schmeiß, »damit wir mit dieser Sache endlich zu einem Resultate kommen; denn es fängt nachgerade an, mich zu ennuyieren! – Geben Sie mir, was Sie an barem Gelde im Hause haben. Für den Rest schreiben Sie mir ein neues Accept, verstehen Sie. Der Wechsel mag laufen bis Ultimo Dezember. Dafür nehme ich natürlich Zinsen. Zehn Prozent ist mein Satz bei Dreimonatsaccepten und drei Prozent Provision. Das ist noch sehr koulant, in Anbetracht dessen, daß Ihre Bonität zweifelhaft ist. – Also, einverstanden?«

Der Bauer hatte nichts begriffen; nur soviel glaubte er zu verstehen, daß er von der Gefahr einer Klage befreit werden sollte. Er eilte nach seinem geheimen Kasten, schloß auf und zählte mit zitternden Händen auf den Tisch, was er an Geld dort vorgefunden hatte. Es kam um eine Kleinigkeit mehr als hundertundzwanzig Mark zusammen. Edmund Schmeiß zählte die Reihen blanker Thaler noch einmal durch. Den Rest von kleinerer Münze schob er dem Bauern hin. »Nickel nehme ich nicht!« Dann nahm er einen goldenen Bleistift zur Hand, der an seiner Uhrkette befestigt war, und begann Zahlen niederzuschreiben. »Also hundertundzwanzig Mark per Kassa erhalten. Bleiben zweihundertundachtzig Mark in Schuld. Nicht wahr, Herr Büttner?« Der Bauer bejahte nach einigem Überlegen. »Mit Zinsen und Kosten, Sie verstehen: Provision und Depotzinsen für Harrassowitz und mich, alles in allem dreihundertundsechzig Mark. Soviel sind Sie mir also nach Zahlung der hundertundzwanzig noch schuldig. Dreihundertundsechzig. Bitte, sich die Zahl zu merken! Nunmehr geben Sie mir ein neues Accept über die eben genannte Summe – verstanden! Den alten Wechsel vernichte ich dann vor ihren Augen. So, das ist ein klares Geschäft.«

Er entnahm seinem Taschenbuche ein Formular. »Übrigens,« sagte er, sich scheinbar unterbrechend, »dreihundertundsechzig Mark, das ist gar keine Summe. Mir fällt da gerade etwas ein. Künstlichen Dünger können Sie ja in der Landwirtschaft immer gebrauchen. Auch Kraftfutter könnte ich Ihnen preiswert besorgen; bei der schlechten Heuernte in diesem Jahre werden Sie das ja sowieso nötig haben. Ich kann Ihnen gerade noch etwas Erdnußkuchen abgeben. – Schreiben wir sechshundert Mark, also! Für die restierenden Mark zweihundertundzwanzig – nicht wahr – liefre ich Ihnen künstlichen Dünger und Kraftfutter. Dann ist die Affaire glatt – nicht wahr?«

Der Bauer sah den jungen Menschen mit leeren Augen an.

»Verstehen sie nicht, Herr Büttner? Die Sache ist nämlich furchtbar einfach.« Er rechnete dem Alten das Ganze noch einmal vor. »Einverstanden?«

Der Bauer bedachte sich eine Weile, dann meinte er kleinlaut, von künstlichem Dünger habe er in seinem Leben nie etwas wissen mögen und Kraftfutter könne er auch nicht brauchen, da er sich mit Hülfe des Grummets durch den Winter zu schlagen hoffe. Er bäte, ihn mit solchen fremden Sachen zu verschonen.

»Schön!« sagte Edmund Schmeiß. »Wie Sie wollen, Herr Büttner!« Er erhob sich und knöpfte seinen Rock zu. »Ich glaubte, Ihnen sehr weit entgegengekommen zu sein. Aber, wenn Sie freilich nicht wollen . . .«

Von neuem schritt er zum Ausgang, wieder holte ihn die Bäuerin ein, und erreichte mit ihren Bitten, daß er blieb. »Moan, Pauer, bis ack verninft'g!« redete sie dem Gatten zu. »Wenn der Herr und ar kimmt Der su entgegen. Nimm ack Verstand an und greif zu, was er Der gahn wert».«

Der Büttnerbauer saß mit gesenktem Haupte da, keine Widerrede kam mehr von seinen Lippen. Die Bäuerin eilte geschäftig, das Tintenfaß herbeizuholen. »Werd Sie och die Feder racht sein,« fragte sie in einschmeichelndem Tone den jungen Mann, um seine Gunst und Huld mit dem Lächeln ihres alten zahnlosen Mundes buhlend. »Se missen entschuld'gen, bei uns werd ne ofte wos geschrieb'n.«

Edmund Schmeiß füllte eines der Formulare aus. Sowie der Büttnerbauer seinen Namen darauf geschrieben hatte, zerriß er das alte Accept und reichte dem Bauern die Stücken; das sei nunmehr erledigt.

Dann ging er. In der Thür noch rief er. »Die Waren erhalten Sie in der nächsten Zeit in Natura geliefert, Herr Büttner. Natürlich prima! – Empfehle mich.«

Draußen auf der Dorfstraße erwartete ihn seine Freundin mit Sehnsucht. Sie hatte inzwischen die Sehenswürdigkeiten von Halbenau in Augenschein genommen: Kirche, Pfarre, Schule, das Armenhaus, das Spritzenhaus. Weiter gab es nichts zu sehen hier draußen. Die Gemeindepfütze war schmutzig von den Gänsen, die dort Tag ein Tag aus ihr Wesen trieben, die Häuser meist klein und ärmlich, die meisten nur mit Stroh gedeckt. Und die Kinder, welche dort im Straßenstaube spielten, ungekämmt und ungewaschen, mit laufenden Nasen, waren nach Ansicht der Dame höchstens ekelhaft zu nennen.

Ein paar Frauen kamen vom Felde herein. Breithacken auf den Schultern, Henkelkörbe darüber. Junge Burschen folgten. Schon von weitem faßte man die fremdartige Erscheinung auf der Dorfgasse ins Auge. Die Mädchen steckten tuschelnd die Köpfe zusammen, die Burschen lachten und stießen jene an.

Die Städterin war entrüstet über die dörfische Zudringlichkeit, und ließ den Schleier herab.

Nun kam der Trupp heran. Die jungen Männer blickten der Fremden ins Gesicht, die Mädchen gingen mit unterdrücktem Kichern vorbei. »Saht ack! Die hat a Mickennetze!« rief jemand. Darauf allgemeines Gelächter.

Als Edmund Schmeiß die Freundin einholte, fand er sie außer sich vor Empörung über die Rohheit des Dorfpacks.



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