Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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XI.

Gustav Büttner hatte zum letztenmale Dienst gethan. Ein schwermütiges Gefühl überfiel den jungen Mann, als er seine »Kastanie«, die braune Stute, die er als Remonte zugeritten hatte, in ihren Stand zurückführte. Er wies den Stalldienst zurück, der dem Herrn Unteroffizier das Pferd abnehmen wollte, sattelte und zäumte die Stute selbst ab und legte ihr die Stalldecke mit besonderer Sorgfalt auf. Während er das Pferd versorgte, suchte das Thier an seinen Rocktaschen schnuppernd nach dem Zucker, den er ihr jeden Morgen aus der Kantine mitzubringen pflegte. Sie stieß ihn ordentlich an mit dem Maule, als wolle sie ihn mahnen, daß er ihr die fälligen drei Stückchen Zucker endlich herausgeben solle. Heute war es eine ganze Düte voll. Er verfütterte den Zucker langsam, Stück für Stück. Die Braune schniefte vor Wonne in langgezogenen tiefen Tönen, blähte die Nüstern und trat vor Vergnügen und gieriger Wonne von einem Beine auf das andere, während er daneben stand und ihr den Hals klopfte, mannhaft gegen die Thränen ankämpfend.

Der Abschied von dem Pferde war das Schwerste. Auch von einzelnen Kameraden trennte sich Gustav ungern. Aber, im großen und ganzen – das merkte der junge Mann zu seinem eigenen Befremden beim Abschiednehmen – waren die Bande doch sehr lockere und leichte gewesen, die ihn an die Truppe und das Soldatenleben geknüpft hatten.

Der Herr Rittmeister war auf Urlaub. Das that dem Unteroffizier von Herzen leid. Vor diesem Manne, der für ihn das Ideal eines Vorgesetzten gewesen war, für den er willig sein Leben gelassen hätte, würde Gustav gern noch einmal stramm gestanden haben. Der würde auch sicher zu Herzen gehendere Worte beim Abschied gefunden haben, als der Premierleutnant, welcher erst vor kurzem zur Eskadron gekommen und ohne jene vertrautere Beziehung war, wie sie bei längerem gemeinsamen Dienen sich wohl auch zwischen Vorgesetzten und Untergebenen entwickeln.

Seine Extrauniform hatte Gustav an einen neugebackenen Unteroffizier verkauft; er behielt sich nichts zurück, als die Mütze, ein paar Knöpfe und einen Faustriemen zur Erinnerung an die Dienstzeit.

»Mit dem Reservistenstocke,« wie es im Liede heißt, trat er »die Heimatreise an«. Die Nacht durch lag er auf den verschiedenen kleinen Bahnstrecken, die er benutzen mußte, um von der Provinzialhauptstadt in diesen entlegenen Winkel zu gelangen. Dann wanderte er ein Stück zu Fuß und traf am Morgen in Halbenau ein.

Das Dorf trat ihm allmählich aus den Herbstnebeln entgegen, welche die Flur umfangen hielten: Dach um Dach, Zaun um Zaun, Baum um Baum. Er kannte sie alle. Ein wunderliches, ihm selbst unbekanntes, wehmütiges Behagen überkam den jungen Menschen. Fünf Jahre hatte er in der Kaserne gelebt, hatte ein Heim nicht mehr gekannt. Freilich, mit der Stadt ließ sich das hier ja nicht vergleichen! aber diese Strohdächer, diese Lehmwände, die bretterverschlagenen Giebel hatten doch etwas in sich, das keine Pracht städtischer Häuserfronten zu ersetzen vermochte: es war die Heimat!

Nun bog er in den Weg ein, der nach dem väterlichen Gute führte. Schon von weitem blickten ihn die Dachfenster des Wohnhauses, wie große schwermütige Augen an. Aus der Küchenesse wirbelte gelblicher Rauch in den grauen Herbsthimmel hinaus. Die Mutter kochte also bereits das Mittagbrot, womöglich sein Lieblingsgericht ihm zu Ehren. Hier kannte er nun jedes Steinchen, jedes Ästchen, jeden Riß und Fleck im Mauerwerk. Eine geringfügige Reparatur, die der Vater am Dachfirsten hatte vornehmen lassen, fiel ihm sofort als eine Veränderung auf. Je näher er kam, desto mehr beschleunigte er seine Schritte, bis er schließlich fast im Trabe in das Gehöft einlief.

Er fand die Frauen im Hause. Vater und Bruder wurden aus dem Schuppen herbeigeholt. Übertriebene Zärtlichkeit herrschte nicht beim Wiedersehen. Nur die Mutter ließ sich etwas von der Freude anmerken, welche sie empfand, ihren Liebling wieder ganz im Hause zu haben.

Gustav frühstückte, zog seine guten Kleider aus und machte sich dann, trotz der überstandenen Reise, gemeinsam mit Vater und Bruder an die Arbeit.

Gesprochen wurde dabei nichts zwischen den Männern. Gustav hatte zwar manche Frage auf dem Herzen über den Stand der Guts- und Geldangelegenheiten, über die er seit seinem letzten Urlaub zu Ostern nichts wieder vernommen hatte – denn Briefeschreiben war nicht gebräuchlich unter den Büttners – aber er bezähmte seine Neugier einstweilen. Er kannte den Vater zu genau, der das Gefragtwerden nicht liebte. Wenn sich etwas Wichtiges inzwischen ereignet hatte, würde er es schon noch erfahren.

Beim Mittagessen fiel dem eben Zurückgekehrten die gedrückte Stimmung der Seinen auf. Kaum, daß gesprochen wurde über Tisch. Halblaut flüsternd, mit scheuen Blicken nach dem Vater hinüber, der finster und wortkarg in seiner Ecke saß, langten die Kinder von den Speisen zu. Die Mutter sah bekümmert drein. Karl machte sein dümmstes Gesicht, ließ es sich aber wie gewöhnlich ausgezeichnet schmecken. Therese sah noch gelber und verärgerter aus, als früher. Bei ihr konnte Gustav es darauf schieben, daß er zurückgekommen war. Er kannte die Gesinnung der Schwägerin nur zu gut. – Toni gefiel dem Bruder gar nicht. Es fiel ihm auf, daß sie ihm nicht gerade in die Augen blicken konnte. Ernestine allein schien nicht angesteckt von der allgemeinen Niedergeschlagenheit. Das Mädel blickte dreist und keck drein mit ihrem spitzen Näschen und den pfiffigen Augen.

Irgend etwas war hier nicht in Ordnung, das mußte sich Gustav sagen. Nach dem Essen erklärte er dem Vater, er wolle sich Stall und Scheune besehen. Er meinte im Stillen, dem Alten würde es Freude machen, ihm die Tiere und Vorräte persönlich zu zeigen, wie er es bisher nur zu gern gethan hatte, wenn der Sohn aus der Fremde zurückkam. Aber der alte Mann brummte etwas Unverständliches zur Antwort und blieb in seiner Ecke sitzen. Gustav ging also allein.

Späterhin kam ihm Karl nach. Gustav fragte den Bruder, was eigentlich los sei mit dem Alten. Karl machte den Mund zwar ziemlich weit auf, brachte aber nicht viel Gescheites heraus. Gustav verstand nur soviel aus den unzusammenhängenden Reden des Bruders, daß in der letzten Zeit Herren aus der Stadt beim Vater gewesen seien, von denen er viel Geld bekommen habe, und über Kaschelernsten habe der Bauer gesagt, er solle sich in acht nehmen, wenn er ihn mal unter die Fäuste bekäme. –

Gustav nahm die erste Gelegenheit wahr, wo er sich mit seiner Mutter unter vier Augen sah, um sie zu befragen. Da erfuhr er denn das Unglück in seiner ganzen Größe.

Ihm war im ersten Augenblicke zu Mute wie einem, der einen Schlag vor den Kopf bekommen hat. Daß die Vermögenslage des Vaters eine mißliche sei, hatte Gustav ja gewußt, aber daß er geradezu vor dem Zusammenbruche stehe, das war eine Nachricht, die ihn wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel traf.

Auch daß ein Unglück selten allein kommt, mußte der junge Mann an sich erfahren. Die Mutter verhehlte ihm nicht, in welchem Zustande sich Toni befinde. Gustav geriet außer sich vor Zorn. Was ihn am meisten ergrimmte, war, daß die Seinen es verabsäumt hatten, den Menschen, von dem sie das Kind unter dem Herzen trug, zur Rechenschaft zu ziehen. Nun war der Lump nicht mehr im Dorfe. Man wußte nicht einmal genau, wohin er gezogen sei. Die Aussicht, ihn zu belangen, war gering.

Und in solche Verhältnisse hinein sollte er eine junge Frau bringen! Er hatte ja in der letzten Zeit von nichts anderem geträumt, als von dem Plane, seine Jugendliebe, Pauline Katschner, heimzuführen. Er hatte sich gedacht, für's erste könnten sie auf dem väterlichen Hofe wohnen, bis sich für ihn ein selbstständiger Lebenserwerb gefunden haben würde. Und nun drohte hier alles, was eben noch so sicher geschienen, zusammenzubrechen.

* * *

Pauline erwartete Gustav. Er hatte ihr geschrieben, daß er in den ersten Tagen des Oktober in Halbenau eintreffen werde.

Das Mädchen ließ sich nicht anmerken, daß sie vor Sehnsucht nach ihm vergehen wollte. Sie verrichtete ihre Geschäfte und Arbeiten mit der gewohnten Sauberkeit, aber während sie die Nadel führte, am Scheuerfasse stand, oder am Webstuhle saß, schwärmten ihre Gedanken hinaus in die Zukunft. In der Phantasie hatte sie sich bereits ein trauliches Heim zurecht gemacht, für sich und Gustav, den Jungen, und – wer weiß, was mit der Zeit noch dazu kommen mochte.

Sie war nicht mehr das unbedacht liebende Mädchen, das sich kopflos mit starken Trieben dem Geliebten in die Arme geworfen hatte; die Mutter hatte in ihr die Oberhand gewonnen. Sie liebte Gustav, den Vater ihres Sohnes, den zukünftigen Gatten und Beschützer ihres Kindes, mit tiefgewurzelter, warmer, gleichmäßiger Innigkeit.

Sie war so glücklich, daß sie ihn nun ganz wieder haben sollte. Die letzten Jahre waren schrecklich gewesen, mit ihren einsamen Nächten, den Zweifeln an seiner Treue und der quälenden Sorge, daß sie ihn ganz verlieren möchte.

Nun kam er! da mußte ja alles gut werden. Allerdings waren sie beide arm, und Gustav hatte noch keinen Beruf. Man würde einen schweren Kampf zu kämpfen haben; aber, für Pauline bedeutete das nichts. Ihr lag die Zukunft im rosigen Lichte. Wenn sie nur ihn hatte, den Vater ihres Jungen. Darin war für sie das Wohl und Wehe des Daseins beschlossen.

Daß sie ihn halten würde für immer, als den Ihren, ihr allein Gehörigen, bezweifelte sie keinen Augenblick. Sie war sich des Schatzes von anziehenden Reizen und erwärmender Liebenswürdigkeit, womit die Natur sie ausgestattet hatte, in naiver Weise bewußt. Ganz umstricken wollte sie den Geliebten mit ihrer großen Weibesliebe, daß er gar nie auf den Gedanken kommen könnte, sich ein besseres Los zu wünschen, oder je wieder nach einer anderen Frau zu blicken.

Der Mutter hatte sie erst ganz zuletzt und nur mit einer kurzen Bemerkung angedeutet, daß sie Gustav erwarte. Das Mädchen ließ der Mutter überhaupt nicht viel von ihren Gefühlen blicken. Frau Katschner hatte der Tochter in jener Zeit, wo Gustav nichts von sich hören ließ, und das Verhältnis so gut wie aufgehoben schien, zugeredet, von dieser Liebschaft zu lassen; ja, sie hatte es Paulinen nahegelegt, sich nach einem anderen Manne umzusehen. Das hatte Pauline der Mutter nie vergessen. Diese Zumutung hatte sie an der Stelle verletzt, wo sie am tiefsten und zartesten empfand. Jedem anderen Menschen hätte sie das vielleicht vergeben, nur nicht der Mutter; denn die hätte es verstehen müssen, daß es für sie nur eine Liebe gab, in der sie lebte, mit der sie sterben würde.

Seitdem war eine Entfremdung eingetreten zwischen Mutter und Tochter. Die beiden Frauen lebten zwar äußerlich in Frieden; es gab keine Zankerei und keinen Hader. Mit Pauline sich zu streiten, war überhaupt schwer, da sie alles innerlich abmachte und nur mit Blicken Widerspruch zu erheben pflegte. Aber die Tochter verschloß sich in ihren wichtigsten Regungen und Gefühlen der Mutter gegenüber, mit der sie doch scheinbar im vertrautesten Umgang lebte. –

Gegen Vormittag kam Frau Katschner aus dem Dorfe zurück. Sie hatte eine Leinewand zum Faktor geschafft und brachte Garn zu neuer Verarbeitung zurück. Sie verkündete die Nachricht, Büttners Gustav sei heute früh in Halbenau eingetroffen. Pauline erzitterten die Kniee; der Mutter gegenüber stellte sie sich jedoch an, als ob die Nachricht ihr ziemlich gleichgiltig sei. »So!« meinte sie, »da wird er wohl och hierruf kommen in den nächsten Tagen.«

Mit dieser äußeren Kühle stimmte der Eifer nicht ganz überein, mit welchem sie Vorbereitungen traf für den Empfang des Gastes. Da wurde gekocht und geschmort. Frau Katschner, welche von der herrschaftlichen Küche her allerhand besondere Künste mitgebracht hatte, mußte auf Bitten der Tochter einen feinen Kuchen backen, zu welchem Pauline selbst die Zuthaten beim Krämer holte. Dann kam das Kind an die Reihe. Es wurde mit dem wollenen Kleidchen angeputzt, das Komtesse Ida der jungen Mutter kürzlich zugeschickt hatte. Schließlich machte auch Pauline sich selbst zurecht, ordnete ihr Haar und steckte die Granatbroche an, die Gustav ihr früher einmal vom Jahrmarkt mitgebracht hatte.

Der Nachmittag zog sich hin in Erwartung des Bräutigams. Zum Kaffee wird er wohl kommen, dachte Pauline bei sich; daß er zu Hause bei seiner Mutter essen würde, war anzunehmen. Die Vesperzeit verging, er war noch nicht gekommen. Frau Katschner hatte den Kaffee selbst getrunken, damit er nicht umkomme, und den Kuchen weggeschlossen. Es wurde dunkel in der kleinen Stube.

Pauline, die sich den ganzen Tag über lebhafter gezeigt hatte als gewöhnlich, war still geworden. Sie entkleidete den kleinen Gustav seiner Festsachen und brachte ihn zur Ruhe in die Kammer. Frau Katschner hatte die Lampe bereits angezündet, als Pauline wieder ins Wohnzimmer trat. »Nu war ar duch ne gekummen, Pauline!« sagte die Mutter, halb mitleidig, halb neugierig, was die Tochter nun anstellen werde; jedenfalls war sie nicht ganz frei von Schadenfreude. Pauline erwiderte nichts; in ihrer gespannten, trostlosen Miene lag alles ausgesprochen. Jetzt hielt sie es nicht mehr der Mühe für wert, der Mutter gegenüber den Schein der Gleichgiltigkeit aufrecht zu halten.

Nichtsdestoweniger besorgte sie alles, schaffte und ordnete, wie sie es jeden Abend zu thun gewohnt war. Aber als sie allein war in der Kammer bei dem schlafenden Kinde, brach der zurückgehaltene Jammer aus.

Sie saß auf der Kante ihres Bettes. Die Thränen liefen ihr über die Wangen, unaufhörlich. Daß er ihr das anthun konnte! Er war im Dorfe! Seit dem frühen Morgen schon war er da, und zu ihr hatte er den Weg noch nicht gefunden. So wenig hielt er auf sie, so wenig bedeutete sie für ihn. Das hatte sie nicht verdient um ihn! –

So saß sie stundenlang. Das Kind störte sie nicht. Ruhig lag der Junge in seinem Korbe, mit den gleichmäßig leichten Atemzügen des gesunden Kinderschlummers. Die Kälte, welche von allen Seiten eindrang in die Kammer, seit im Nebenraum das Feuer ausgegangen war, fühlte sie kaum. Ihr Blick war durch die kleinen Scheiben des Schiebefensterchens hinaus gerichtet in den Garten, der in hellem Mondschein lag, wie ein Tuch. Die alten Obstbäume zeichneten mit ihren krüppeligen Ästen verzwickte Schattenbilder darauf. Wie oft in früheren Zeiten hatte sie hier so gesessen, klopfenden Herzens in die Nacht hinein wartend, ob er wohl kommen werde. Sie dachte an jenes erste Mal, wo er vor ihrem Fenster gestanden. In einer warmen Juninacht war es gewesen; nur seinen Kuß hatte sie bis dahin gekannt. Wie er sie da um Einlaß gebeten! welche Worte er da gehabt hatte! welche Gebete und Schwüre! –

Und jetzt, nachdem sie ihm alles gestattet, alles gegeben, was sie hatte, nachdem sie ihm ein Kind geboren und ihm durch schwere Zeiten hindurch die Treue gehalten, jetzt brachte er es über sich, nach langer Trennung, einen ganzen Tag im Dorfe zu sein und nicht zu ihr zu kommen.

Die Uhr schlug zehn Uhr vom Kirchturme. Sie starrte noch immer in den Garten. Ihre Thränen waren versiegt. Eine Art von Kälte war auch über ihre Seele gekommen. Mochte es sein, wie es war; es war gerade recht so! Sie wollte den bitteren, feindlichen Gefühlen nicht wehren. Es lag ein Genuß darin, das Unrecht, das einem wiederfuhr, auszukosten und den in Gedanken schlecht zu machen, der es einem zugefügt.

So also hielt er seine Schwüre! Das war wahrscheinlich die Art, wie er sie von jetzt ab behandeln wollte. Jetzt, wo sie das Kind von ihm hatte, wo sie ihm sicher war, hielt er's wohl nicht mehr für nötig, lieb mit ihr zu sein.

Oder, ob er seine Pläne inzwischen geändert hatte? – Vielleicht dachte er daran, eine ganz andere heimzuführen. Er plante wohl gar eine reiche Heirat! – Da war Ottilie Kaschel, die Tochter aus dem Kretscham, seine Cousine. Die hätte ihn nur gar zu gern gehabt. Diese alte widerliche Person! – Aber hieran glaubte Pauline selber nicht recht. So schlecht konnte Gustav nicht sein! Und außerdem war sie sich ihrer eigenen Vorzüge doch zu sehr bewußt, die im Wettstreite mit der häßlichen Kretschamtochter den Sieg davontragen mußten.

Ob sie ihm etwa zu Haus abgeredet hatten. Mit den alten Büttners stand sie sich ja neuerdings besser; aber da war diese böse Sieben: Therese. Vielleicht hatte die irgend eine Verläumdung ersonnen, der Gustav Glauben geschenkt.

Er war ja überhaupt so mißtrauisch! Alles glaubte er, was ihm von bösen Menschen Schlechtes von ihr gesagt wurde. ›Übelnehmsch‹ war er auch. Tagelang konnte er wegen einer Kleinigkeit ›mukschen‹. Und seine Eifersucht! Wenn ein anderer sie nur mit einem Blicke ansah, war er sofort außer dem Häuschen. Pauline mußte lächeln, als sie an einen Vorgang dachte, beim Kirchweihfest, vor einigen Jahren. Da hatte er sie einem Tänzer aus den Armen gerissen, und sie vom Tanzsaale weggeführt, weil er gefunden, daß ihr Partner den Arm zu fest um sie gelegt hatte.

Wie thöricht er sich bei so etwas anstellen konnte! Aber, ein lieber Kerl war er doch! Sie hatte gut, ihn mit ihren Gedanken anklagen und sich einreden, daß sie ihn hasse, und daß sie nichts mehr von ihm wissen wolle; das glaubte sie ja alles selber nicht. Er war und blieb ihr Gustav, ihr Einziger, ihr Herzallerliebster. Morgen würde sie sich aufmachen, ihn aufzusuchen und ihn zur Rede stellen, sei es wo es sei. So scheu und zurückhaltend das Mädchen sonst war, davor hatte sie keine Angst. Es war nicht das erste Mal, daß sie ihn zu sich zurückgeführt hatte.

Nachdem dieser Entschluß in ihr gereift war, fühlte sie sich sehr ruhig, glücklich geradezu. Sie erhob sich, nahm das Kind aus dem Korbe, hielt es ab, und machte sich dann an's Auskleiden. Schnell in die Federn! Die Glieder waren ihr steif geworden vom langen Aufsitzen in der Kälte.

Sie hatte sich das Deckbett bis an den Hals gezogen und die Augen geschlossen zum Schlummer, als ein leichtes Geräusch an ihr Ohr schlug, draußen von der Hauswand kam es her. Sie fuhr im Bette in die Höhe; den Ton kannte sie. Alles Blut war ihr in einer starken Welle zum Herzen gedrungen. Noch einmal dasselbe Klopfen an der Lehmwand! Sie war schon am Fenster und schob den Schieber beiseite. Richtig! da draußen stand eine dunkle Gestalt. »Gustav?« – »Ja!« – »Ich kumme!« Schnell ein Tuch über die bloßen Arme geworfen! etwas an die Füße zu ziehen, nahm sie sich nicht erst die Zeit. Dann die Kammerthür nach dem Hausgang geöffnet! so leise wie möglich die hintere Hausthür aufgeriegelt und aufgeklinkt!

Im Rahmen des Thürstocks erschien jetzt seine Gestalt. Sie griff nach Gustavs Hand, leitete ihn, damit er in der Dunkelheit nicht zu Falle komme. Erst als sie ihn drinnen hatte bei sich, in der Kammer, den Geliebten, warf sie sich ihm um den Hals, wie sie war, nichtachtend der Kälte und Nässe, die er aus der Nacht mit hereinbrachte.



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