Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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VIII.

Während in der Stadt sein Gut versteigert wurde, pflügte der Büttnerbauer seinen Acker. Schon bei frühestem Morgengrauen hatte er die Ochsen aus dem Stalle gezogen, hatte sie vor den Pflug gespannt und war hinausgefahren bis dorthin, wo Wald und Felder grenzten.

Die Bäuerin war seit einer Woche bettlägerig. Toni hatte mit dem Säugling zu thun. Auf Theresens Schultern lastete, seitdem die Sachsengänger das Dorf verlassen hatten, ganz allein die Sorge um das Hauswesen.

Der Bauer wollte heute das Büschelgewende beackern. Dem verwilderten Schlage – gleichsam das Stiefkind des Gutes – galt doch im Grunde seine eifrigste Sorge. Der Gedanke, daß ein Teil seines Besitzes vernachlässigt und unbenutzt daliege, ließ ihm keine Ruhe, quälte ihn wie einem Kranken die offene Wunde. Den Schlag mußte er wieder urbar machen, noch in diesem Sommer. Hafer wollte er darauf säen, als die wenigst anspruchsvolle Frucht. Vor der Aussaat aber sollte der Boden noch einigemale mit Pflug und Egge um und um gewendet werden.

Es wollte ein wundervoller Frühjahrstag werden. Der Boden dampfte von dem warmen Regen, der in der Nacht niedergegangen war. Laue Fruchtbarkeit schwebte greifbar über der Scholle. Überall drängte und sproßte junges Leben zum Tage empor. Die Wiesen waren bereits mit dem ersten verschämten Grün beschlagen. Die Wintersaaten standen dicht und üppig, in vielverheißendem, saftigem Dunkelgrün.

Mit dem Pflügen ging es langsam genug vorwärts in dem zähen Lehm, der seit Jahren keine Pflugschar gefühlt hatte. Brombeerranken und andere Schmarotzer des verwilderten Landes bedeckten die magere Ackerkrume, und wichen nur ungern dem Pfluge. Kiesel und Feldsteine stemmten sich gegen die Schar. Und dazu ein Paar träge Ochsen vorgespannt! Die Zeiten, wo er Pferde im Stalle gehabt, waren für den Büttnerbauer vorbei.

Der alte Mann fluchte nicht, trotz der Langsamkeit der Tiere. Sein Trotz war stumm. Mit zusammengebissenen Zähnen blickte er starr geradeaus über die Rücken der Ochsen. Die Hand am Sterz, in der Linken Leine und Peitsche, so schritt er hinter dem Pfluge. Wenn er die Lippen öffnete, dann war es höchstens zu einem »Hüü« oder »Hoo.« An der Anewand angelangt, hielt er die Ochsen durch einen Ruck der Leine an, hob den Pflug aus, wendete ihn und fuhr eine neue Furche an, genaue Richtung haltend. Er pflügte noch, wie ein Jüngling, mit starker Hand und scharfem Augenmaße.

Die Sonne rückte höher. Der Dampf über den Auen hatte sich verflüchtigt. Klar lag jetzt Halbenau unter ihm, das er von seinem erhöhten Stande überblicken konnte, Haus für Haus, bis hinab zur Kirche. Schon begannen sich die Fruchtbäume hie und da zu schmücken mit weißen Perrücken. In langen, schmalen Streifen zogen sich die Güter der Bauern, Halbhufner und Gärtner vom Dorfe nach dem Walde zu, vielfach durch Raine und Gräben in viereckige Stücken und Streifen zerlegt, in vielen Farben leuchtend, bald braun, bald grün, bald gelblich oder gräulich, je nach der Frucht und der Bodenart. Ein scheckiges Bild, wie ein Stück Zeug mit vielen Flicken darauf. Und am Feldrande ein Kranz von Niederwald, der lichtgrün und lila schimmerte, mit seinen hellen Stämmchen von Birke und Erle. Dahinter der Kiefernwald, im männlichen Ernste seines dunklen Nadelkleides. Und darüber hin der Frühjahrshimmel, mit einzelnen schwimmenden Wolken von milchweißer Farbe.

Der Büttnerbauer sah nichts von der Schönheit, die sich rings um ihn breitete. Sechzigmal war er Zeuge geworden des Frühjahrswunders. Sechzigmal hatte sich für ihn die Flur geschmückt mit gleicher Pracht. Er war kein empfindsamer Naturschwärmer; dafür gab es in seiner trocknen Bauernnatur keinen Raum.

Frühjahr, das bedeutete für ihn: Erwachen aus der kalten, finsteren, öden Winterszeit, zum sonnigen, klaren milden Sommer; wo man nicht länger gezwungen war, mit müßigen Händen im Zimmer zu hocken, wo man hinaus durfte auf den geliebten Acker, die Zeit, da man die Glieder in emsiger Arbeit rührte, wo man aber auch die Früchte seiner Arbeit sehen durfte, wie sie heranwuchsen und gediehen, der Ernte entgegen.

Auch in diesem Frühjahr schien die Sonne warm und belebend. Sie wärmte auch die Glieder des Alten und brachte sein Blut in schnellere Strömung. Das Neuwerden in der Natur rief selbst in seinem verbrauchten Körper eine Steigerung aller Kräfte, eine unbewußte Spannung der Lebensenergie hervor. Aber, es war diesmal anders als sonst. Etwas war erstorben in dem alten Manne, lag wie mit Eis und Schnee des Winters zugedeckt, war nicht grün geworden mit dem Erwachen des Frühlings ringsum: die Hoffnung.

Es hatte seinen guten Grund, warum er die Zähne so fest zusammengepreßt hatte, und die Augen so starr geradeaus gerichtet hielt, zwischen die Köpfe seiner Tiere. Hätte er die Blicke hinabschweifen lassen über Felder und Wiesen, hinab nach seinem Hause und Hofe, sie wären wohl übergegangen von salzigen Thränen. Und der Trotz, der Grimm, die Menschenverachtung, die allein ihm die Kraft gaben, diesen Tag zu ertragen, möchte dahingeschmolzen sein vor der Übergewalt des Schmerzes, den ihm der Anblick seines Eigentums heute bereiten mußte.

Sein Eigentum!

In diesen Stunden entschied es sich, wer künftighin Herr dieser Wiesen und Felder, dieses Hauses und Hofes, sein würde. Drüben in der Stadt, vor Gericht, unter Leuten, die seinen Acker nicht kannten, von Fremden, kalten, gleichgültigen Juristen, wurde der Würfel über sein Eigentum geworfen. Heute noch war er hier Herr, und morgen konnte einer kommen, der ihn hinaustrieb aus seinem Hofe, ihn auf die Straße setzte, mitsamt den Seinen, und das alles kraft eines Stückes Papier.

Das war also der Erfolg seines Lebens! Jetzt, wo er sich dem Greisenalter näherte, wo man sich nach Ausruhen auf vollendetem Lebenswerk sehnte, wo man Recht und Besitz und Gewalt gern hätte übergehen sehen in die Hände der Nachkommen, wo man als Lohn und Dank für sorgliche Verwaltung des Familiengutes nichts weiter verlangte, als Pflege und Achtung und ein ruhiges Eckchen im Heim, von dem aus man das Welterblühen und Wachsen noch ein Weilchen mit ansehen konnte – jetzt mußte der Büttnerbauer, statt dieses wohlverdiente Altenteil zu erwerben, erleben, daß alles, was er von den Vätern übernommen, was er verwaltet, woran er an seinem Teile geschaffen hatte, ihm aus den Händen gerissen, unwiederbringlich an Fremde dahingegeben wurde.

Wenn der Vater das geahnt hätte! Er, der recht eigentlich den Besitz zu dem gemacht hatte, was er war, zu einem selbständigen, freien Bauerngute. Wenn Leberecht Büttner hätte ahnen können, was jetzt, dreißig Jahre nach seinem Tode, aus seinem Werke werden sollte! Dieser Mann, der den Familienbesitz in schwerer Zeit angetreten, der die Nachwehen der Kriegszeiten und der jüngst überwundenen Hörigkeit durchzukosten hatte, der Zeit seines Lebens mit einem mächtigen und beutelustigen Nachbar zu ringen gehabt, und der, all diesen Gefahren und Nöten zum Trotze, sich selbst zu einem wohlhabenden, unabhängigen Wirte emporgearbeitet und sein Gut zum bestgepflegtesten der ganzen Gegend gemacht hatte; wenn der Mann hätte voraussehen können, was aus der Erbschaft, die er den Seinen hinterließ, sich für Unsegen entwickeln würde! –

Traf den Büttnerbauern die Schuld, daß alles so gekommen, wie es gekommen war?

Traugott Büttner hatte sicher viele Versehen begangen, mancherlei verdorben durch Eigensinn und beschränkten Trotz. Viel Schaden hätte abgewendet werden können, wenn ihm Beweglichkeit des Geistes, höhere Bildung und besseres Verstehen der Zeit und ihrer Bedürfnisse eigen gewesen wäre. Aber, größere Fehler, als die seinem Stande eigentümlichen, durften ihm mit Recht nicht vorgeworfen werden.

Er war Zeit seines Lebens ein nüchterner, ordentlicher Mensch gewesen, ein thätiger Wirt und sorgsamer Haushalter. Sein Benehmen war bäuerlich derb, oft bis zur Rauhheit derb, aber seine Sitten waren rein geblieben. Was hatte er sich vorzuwerfen! War er etwa ein Trinker gewesen? – Hatte er Haus und Hof verspielt, wie so mancher Bauer es that? Hatte er durch liederliche Wirtschaft, oder durch Zank und Streit mit den Nachbarn, durch Prozesse, das Seine vergeudet? – Dem Staate, der Gemeinde, der Kirche hatte er geleistet, was er ihnen schuldig war. Seine Knochen hatte er in zwei Kriegen für das Vaterland zu Markte getragen. Sonntäglich war er zur Predigt gegangen und viermal im Jahre hatte er den Tisch des Herrn aufgesucht. Die schlechten Jahre waren von ihm hingenommen worden, und für die guten hatte er Gott gedankt. Mit seiner Ehefrau hatte er sich vertragen; nie war es zu mehr als zu Scheltworten gekommen zwischen ihnen, was bei Bauersleuten etwas heißen will. Die Kinder hatten sie schlicht und recht aufgezogen, nach dem Worte: »Wer sein Kind lieb hat, der züchtigt es.«

Überhaupt, das war die Summe dieses Lebens: der Bauer hatte das Seine gethan, so gut oder so schlecht er es vermochte, in den Grenzen seines Standes, gemäß der Weltanschauung, mit der er geboren und in der er aufgewachsen war.

Und nun war es wie ein Strafgericht, wie eine Vergeltung furchtbaren Unrechts über ihn und die Seinen gekommen, ohne daß er doch gewußt hätte, von wannen und wodurch. Wofür büßte er, welche Sünde hatte er zu sühnen, mit soviel Elend? Wo lag der Anfang des Unglücks? Wann und wo hatte er den Schritt gethan, der unvermeidlich das Verderben nach sich ziehen mußte? War es nicht vielmehr eine Kette von tausend winzigen Gliedern, ein ganzes Netz von unsichtbaren Maschen, an dem er Zeit seines Lebens unbewußt gearbeitet, und das ihn jetzt verstrickte zu unrettbarem Untergange?

Oder, lag die Schuld nicht tiefer und ferner? Reichte sie nicht zurück, über die sechzig Jahre dieses Lebens, in die Zeiten der Väter und Vorväter?

Hatte Traugott Büttner nicht das Gut aus dem väterlichen Erbe erstanden unter Bedingungen, die für ihn den Erfolg von vornherein unterbanden! War das nicht der anfangs kaum beachtete Riß, welcher am Ende zum Zusammenbruch des Gebäudes führte; der scheinbar unbedeutende Rechenfehler, der, von Jahr zu Jahr weiter geführt, schließlich das Ergebnis der ganzen Rechnung falsch ausfallen ließ! Oder hatte Leberecht Büttner, dieser vorsichtige Wirt und Mehrer des Vermögens, etwa selbst den Grund zum Untergange des Familiengutes gelegt, als er dessen Grenzen erweiterte, neues Land zum ererbten hinzuerwarb? Hatte er damit vielleicht dem Ganzen eine ungesunde Entwickelung, einen allzu großartigen Zuschnitt, gegeben; hätte er nicht, statt auf Erweiterung des Besitzes zu sinnen, lieber das einmal Besessene so ertragreich wie möglich gestalten sollen? Hatte er nicht durch diese Verrückung der Verhältnisse seinem Nachfolger eine gefahrvolle Erbschaft hinterlassen, doppelt gefahrvoll, wenn dieser Nachfolger ihm nicht gleichkam an Einsicht und Rührigkeit?!

Oder, lag das Versehen nicht außerhalb der Familiengeschichte überhaupt! Waren es nicht vielmehr die Verhältnisse, die Entwickelung, der Gang der Weltereignisse, die auch auf dieses winzige Zweiglein am großen Baum des Volkes gewirkt hatten? Stand nicht auch dieser kleine Ausschnitt aus dem Menschheitsganzen unter den Gesetzen des Prozesses von Werden und Vergehen, dem das Völkerleben wie die Geschichte der Familien und des einzelnen unterworfen sind! –

War vielleicht jenes große Ereignis der Bauernbefreiung im Anfange des Jahrhunderts, dessen Zeuge noch Leberecht Büttner als junger Mensch gewesen, zu spät eingetreten? War dieser mächtige Ruck nach vorwärts nicht mehr im Stande gewesen, das Bauernvolk aus der Jahrhunderte alten Gewöhnung an Unselbständigkeit und Knechtsseeligkeit herauszureißen? Oder war die Aufhebung der Frone zu schnell, zu unmittelbar gekommen? Hatte sie den Bauern nur äußerlich selbständig gemacht, ohne ihm die zum Genusse der Freiheit nötige Erleuchtung und Vernunft gleichzeitig geben zu können? Waren die, durch viele Geschlechter großgezogenen Laster: des Mißtrauens, der Stumpfheit, der Beschränktheit und der tierischen Rohheit, doch so tief in Fleisch und Blut der Kaste übergegangen, daß sie unausrottbar immer von neuem durchbrechen mußten, und so den Untergang des ganzen Standes herbeiführen würden? –

Oder spannen sich die Fäden jenes Gewebes von Unrecht, Irrtum und Unglück, die den einzelnen mit dem Ganzen ebensogut verweben, wie Rüstigkeit, Aufschwung und Gedeihen eines Volkes segensreich das Einzelgeschick befruchten und fördern – reichten diese unsichtbaren Wurzeln, die uns mit dem tiefsten Grunde der Vergangenheit unseres Geschlechts verbinden, nicht noch viel viel tiefer hinab in die Vorzeit? War der große Krieg daran schuld, der das deutsche Volk zum Bettelmann gemacht, und seinen Boden zu einer Einöde? Aber, war nicht schon vor dem großen Kriege schweres Unrecht am deutschen Bauern begangen worden? Drangsal und Vergewaltigung, die ihm zu Luthers Zeiten den Kolben und den Dreschflegel in die Hand nehmen ließen, zum Aufruhr gegen die Großen der Welt, in denen er die Macht verkörpert sah, die ihn am meisten bedrückte: der Feudalismus.

Und lag der letzte und tiefste Grund der Unbilden, die dem Bauern durch alle Stände widerfahren, mochten sie sich Fürsten, Ritterschaft, Geistlichkeit, Kaufmanns- Richter- und Gelehrtenstand nennen, nicht noch viel weiter zurück in der Entwickelung? War da nicht in unser Volksleben ein Feind eingedrungen, der für Kolben und Flegel unerreichbar war, der mit noch so derben Fäusten nicht aus dem Vaterlande getrieben werden konnte, weil er körperlos war, ein Prinzip, eine Lehre, ein System, aus der Fremde eingeschleppt, einer Seuche gleich: der Romanismus!

War denn nicht der deutsche Bauer frei gewesen ehemals? Frei, wie der Baum, der Halm, ein Gewächs des freien Grund und Bodens, verantwortlich nur vor seinesgleichen, gebunden nur durch die Gesetze der Markgenossenschaft. Nur die Gemeinde und ihre Rechte hatte er über sich, deren Lehnsmann er war, die ihm ein Stück der freien Wildnis zuwies, damit er es urbar mache, und sich darauf ernähre.

In jenen natürlichen, urwüchsigen Zeiten, die noch nichts von den knifflichen Definitionen der Gelehrten, vom pedantischen Schreibwerk der Juristen, ahnten, war Besitz und Eigentum noch eins; Thatsache und Recht fielen da zusammen. Wer den Boden dem Urwalde abrang, der erwarb ihn, machte ihn zu seinem Eigen. Die Ernte gehörte dem, der den Acker bestellt und die Aussaat gemacht. Arbeit war der einzige Rechtstitel, welcher galt. Jeder Nachfolger mußte sich die Hufe und die Frucht von neuem erwerben durch seiner Hände Werk.

Und nun drang ein fremder Geist von jenseits der Alpen ein und verwirrte und verkehrte diese einfachen erbgewachsenen Verhältnisse. Abgezogene Begriffe, aus einer toten Kultur gesogen, wurden an Stelle des selbstgeschaffenen gut erprobter deutschen Rechtes gesetzt.

Dieser fremde römische Geist war der Verderber. Überall drang er ein, wie eine Krankheit. Bald beherrschte er Staat, Kirche, Schule und Gerichte. Formalismus und Scholastik waren seine übelgeratenen Kinder.

Am schwersten aber sollte unter dem fremden Produkt der leiden, welcher von allen am wenigsten davon wußte und verstand: der Bauer.

Alle anderen Stände verstanden es, sich das fremde System zu Nutze zu machen. Ritter und Kaufmann wußten seine Maximen zu verwerten, sich nur zu gut dem praktischen Egoismus anzupassen, der das Grundprinzip des römischen Rechtes ist. Und seit den Zeiten der Scholastik ward Haarspalterei und wirklichkeitsfremdes Definieren und Konstruieren die Lieblingsbeschäftigung der deutschen Gelehrtenzunft.

Dem freien deutschen Bauernstande aber grub das fremde Recht die Lebenswurzeln ab.

Denn der Begriff des römischen Eigentums lief dem schnurstracks zuwider, was für den deutschen Ansiedler gegolten hatte. Nun wurden in trocken formalistischer Weise Recht und Thatsache getrennt. Fortan konnte einem ein Stück Land gehören, der nie seinen Fuß darauf gesetzt, geschweige denn, eine Hand gerührt, um es durch Arbeit zu seinem Eigen zu machen. Jetzt gab es gar viele Rechtstitel mit fremdklingenden Namen, kraft deren einer Eigentum erwerben und veräußern konnte. Den Ausschlag gab nicht mehr die lebendige Kraft des Armes, sondern erklügelte, in Büchern niedergeschriebene, tote Satzung. Am Grund und Boden konnte fortan Eigentum entstehen durch Eintragung in Bücher. Es konnte ernten, wer nie geackert und gesäet hatte. Es gab Rechte an fremden Sachen, Einschränkungen des Eigentumsrechtes durch Dritte, die sich so drehen, deuten, nutzen und ausdehnen ließen, daß der Eigentümer bald wie ein Mann war, der sein Feld auf der öffentlichen Landstraße liegen hat. Das Verpfänden und Belasten des Grund und Bodens ward in ein System gebracht, das den Urgrund aller menschlichen Verhältnisse, die Scholle, einem Handelsartikel gleichstellte. Es wurde möglich, daß einer durch Beleihung stiller Mitbesitzer eines Stück Landes ward. Dann mußte ihm der Eigentümer einen Teil der Erträge abgeben, die er durch seine Arbeit dem Boden abgerungen hatte, und jener genoß in der Ferne ohne Mühe die Früchte fremden Bodens und fremden Schaffens.

So hatte sich das undeutsche Recht, mit seinem egoistisch-kalten, verstandesmäßigen Formalismus wie ein Lavastrom über die heimischen Einrichtungen ergossen, alles mit starrer Kruste überdeckend, und auch die grünende Freiheit des bäuerlichen Ansiedlers auf Nimmerwiederkehr vernichtend.

Der Büttnerbauer wußte von der Geschichte und Entwickelung seines Standes nichts. Kenntnis und Interesse für das Vergangene sind gering beim Bauern; auch hat er wenig Standesbewußtsein, keinen Zusammenhalt mit Seinesgleichen. Ihn kümmern nur die Nöte und Bedürfnisse, die ihm gerade im Augenblicke auf den Nägeln brennen. Er weiß von der Welt und ihrem Gange meist nur das notdürftige, was er in der Schule erlernt, was er selbst erlebt und erfahren hat, und zur Not das Wenige von der Vergangenheit, was ihm die Eltern mitgeteilt haben.

Traugott Büttner hatte nur ein dumpfes Gefühl, eine dunkle Ahnung, daß ihm großes Unrecht widerfahre. Aber, wer wußte denn zu sagen: wie und von wem! Wen sollte er anklagen? Das war ja gerade das Unheimliche, daß es eine Erklärung nicht gab. Das Verderben war gekommen über Nacht, er wußte nicht von wannen. Menschen hatten Rechte über ihn und sein Eigentum gewonnen, Fremde, die ihm vor zwei Jahren noch nicht einmal dem Namen nach bekannt waren. Er hatte diesen Leuten nichts Böses angethan, nur ihre Hülfe, die sie ihm aufgenötigt hatten, in Anspruch genommen. Und daraus waren, durch Vorgänge und Wendungen, die er nicht verstand, Rechte erwachsen, durch die er diesen Menschen hülflos in die Hände gegeben war. Er mochte sich den Kopf zermartern, er konnte das Ganze nicht begreifen.

Eines blieb als Untergrund aller seiner Gedanken und Gefühle: ein dumpfer schwelender Ingrimm. Ihm war unsagbares Unrecht geschehen. Sein Mund verstummte; hätte er ihn aufgethan, es wäre eine Klage erschollen, die kein Richter dieser Welt angenommen hätte.

 

Ende des zweiten Buches.

 


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