Gunther Plüschow
Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau
Gunther Plüschow

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Der Weg in die Freiheit

Aus einem totenähnlichen, traumlosen Schlaf wurde ich durch schrilles Sirenengeheul aufgeweckt.

Vorsichtig öffnete ich ein Bänzel meines Bezuges, und am liebsten hätte ich laut Hurra geschrien, denn eben lief der Dampfer in den Hafen von Vlissingen ein.

Nun war mir alles gleich. Ich zog mein Messer, und mit einem Schnitt durchtrennte ich die Bänzel des Bezuges, diesmal aber auf der Seite, wo das Bootsdeck lag.

Aufatmend stand ich mitten auf dem Bootsdeck und erwartete nun, jeden Moment gefangengenommen zu werden.

Kein Mensch, der sich um mich kümmerte. Die Schiffsbesatzung war beim Anlegemanöver, die Fremden waren mit ihrem Reisegepäck beschäftigt.

Nun stieg ich zum Promenadendeck hinunter. Entrüstet wurde ich ob meines Drecks und meiner zerrissenen blauen Strümpfe, die alles andere als appetitlich aussahen, von einigen Passagieren angesehen.

Aber ich muß so glückliche, strahlende Augen gemacht haben, und die helle Freude leuchtete 240 wohl aus meinem schmutzigen, eingefallenen Gesicht, daß manch erstaunter Frauenblick mich traf.

In diesem Aufzug konnte ich nicht weiter rumlaufen. Ich ging auf die Back, holte mir meine Stiefel herunter (meine besten Hockenstiefel, englische Liebesgaben), und, trotzdem ich von einem holländischen Matrosen barsch angeschnauzt wurde, zog ich mir in Seelenruhe meine Lieblinge an und wanderte zum Fallreep.

Der Dampfer hatte direkt am Kai festgemacht.

Die Passagiere verließen das Schiff, von dem Kapitän und den Schiffsoffizieren Abschied nehmend. Erst hatte ich ernstlich vor, mich dem Kapitän zu erkennen zu geben, um die holländische Dampferkompanie nicht zu schädigen. Dann aber gewann die Vorsicht die Oberhand, und mit den Händen in den Hosentaschen, mich recht lumpig benehmend, schlingerte ich im Seemannsschritt das Fallreep hinab.

Kein Mensch nahm von mir Notiz. Ich tat so, als wenn ich zur Schiffsbesatzung gehörte, und half beim Festmachen der Stahlleinen.

Dann mischte ich mich unter das Volk, und während die Passagiere einer scharfen Kontrolle unterzogen wurden, sah ich mich um und entdeckte im Gitter eine Tür, an der groß »Ausgang verboten« stand.

Die führte sicher in die Freiheit! 241

Im Nu war dieses für mich kinderleichte Hindernis überwunden, und draußen stand ich.

Frei!

Mit meiner ganzen Energie mußte ich mich zusammennehmen, um nicht vor Freude wie ein Tollhäusler herumzuspringen. Zwei wackere Landsmänner nahmen mich auf. Glauben wollten sie es allerdings nicht, daß ich Offizier sei, und vor allen Dingen nicht, daß mir die Flucht aus England gelungen wäre.

Hui, sah das Badewasser aus!

Für drei Personen habe ich an diesem Abend gegessen.

Nachdem ich mir am nächsten Tage einige Kleinigkeiten eingekauft hatte, stieg ich mit meinem Arbeitsgewande in den Zug nach Deutschland.

Als sich der Zug eben in Bewegung setzen wollte, tippte mir ein Mann von hinten auf die Schulter (wie ich diese Begrüßungsart verabscheute!) und fragte mich:

»Wo sind Ihre Papiere?«

»Wer sind Sie überhaupt?« sagte ich.

»Ich bin Geheimdetektiv.«

»Das kann jeder sagen.«

»Jawohl, mein Herr, hier ist meine Marke.«

Nun wurde mir doch blümerant zumute!

Ich erklärte dem Herrn äußerst liebenswürdig, 242 daß ich keine Papiere besäße, übrigens direkt nach Deutschland führe und der holländischen Regierung keinerlei Unannehmlichkeiten bereiten würde.

»So,« sagte er, »aus England kommen Sie und haben keine Papiere, na das war wohl recht schwer?«

»Ach ja, ziemlich,« meinte ich.

»Na dann wünsche ich Ihnen weiter glückliche Reise!«

Wir schüttelten uns die Hand, und schon setzte sich der Zug in Bewegung. 243

 


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