Gunther Plüschow
Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau
Gunther Plüschow

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Herrliche Tage in Tsingtau

Tagelang ging's in der Eisenbahn durch Rußlands Steppen und Wüsten hindurch der Bestimmung, dem fernen Osten, entgegen.

Endlich Mukden! Peking war bald vorüber . . . Tsinanfou! Die ersten deutschen Laute klangen mir entgegen, dann kamen die letzten zehn Stunden der Eisenbahnfahrt durch wunderbares blühendes Ackerland voller Gärten, Felder und Blumen; und endlich lief der Zug langsam auf dem Hauptbahnhof von Tsingtau ein.

Tsingtau sah ich nun nach sechs Jahren wieder!

Nun war ich wieder auf deutschem Grund und Boden, in einer deutschen Stadt im fernen Osten.

Meine Kameraden holten mich ab. Unter schnellem Trippel-Trappel zogen mich die kleinen mongolischen Steppenpferdchen der neuen Heimat zu.

Zuerst ging es auf den Iltis-Platz, welcher unsere Rennbahn war und gleichzeitig mein Flugplatz werden sollte. Festlich prangte der Ort, und ganz Tsingtau war hier versammelt. In der Mitte der weiten Rasenfläche hatte sich ein ungeheurer Kreis von Zuschauern gebildet, welche den Fußballplatz umgaben. Heute war Festtag, und ein großes Fußballwettspiel wurde zwischen den deutschen Matrosen und ihren englischen Kameraden vom englischen Flaggschiff »Good Hope« ausgetragen. 29

»Good Hope« weilte zu Besuch in Tsingtau. Es wurde ein glänzendes Spiel und endete 1:1.

Wer hätte das damals geahnt! Knapp sechs Monate später traten sich dieselben Gegner gegenüber, aber dann war es ernstes, furchtbares Spiel, bei dem es nur Siegen oder Sterben gab. Es war bei der Seeschlacht von Coronel, in der die deutschen Blaujacken in siebenundzwanzig Minuten das englische Flaggschiff »Good Hope« in die furchtbare Tiefe des Stillen Ozeans hinabsandten.

Heute wußte noch keiner etwas von den kommenden Ereignissen, und froh bewegt und in bester Kameradschaft vereint nahmen die deutschen Matrosen ihre englischen Gäste mit nach Hause. Zwei Tage später lief das englische Geschwader aus, kurz hinterher unser Kreuzergeschwader unter der Führung des Admirals Grafen von Spee.

Und lustig flatterten die Flaggen im Winde, die das Signal der beiden Geschwaderchefs überbrachten, welches lautete: »Leben Sie wohl, auf Wiedersehen!«

Wer ahnte es: Bei Coronel sollte es geschehen.

Gleich nach meiner Ankunft und nachdem die dienstlichen Meldungen erledigt waren, sah ich mich nach meinem Flugzeug um und hoffte schon in den nächsten Tagen den erstaunten Tsingtauern meinen Riesenvogel vorführen zu können. Aber Mahlzeit! Ruhig konnte ich wieder einige Wochen warten, denn mein Flugzeug schwamm noch quietschfidel um Indien herum, und der Dampfer wurde erst im Juli erwartet. 30

Na, denn nicht, liebe Tante, sagte ich und hatte nunmehr vollauf Zeit, mich in Tsingtau umzusehen und mir eine Wohnung zu suchen. Eine entzückende kleine Villa war bei meinem Flugplatze gerade frei, und schleunigst wurde diese gemietet, und ich bezog dieses entzückende Heim mit meinem neuen Kameraden Patzig.

Alles, um mich wirklich glücklich zu fühlen, war vorhanden. Mein schönes Kommando, das Landkommando der Marine; ich war in Tsingtau, dem Paradiese auf Erden, meine dienstliche Tätigkeit war die schönste, die ich mir wünschen konnte, und dabei diese entzückende Villa, hoch auf einer Anhöhe gelegen mit wunderbarer Aussicht auf den Iltis-Platz und das weite tiefblaue Meer. Außerdem gehörte ich zur berittenen Truppe, drei wunderbare Jahre lagen vor mir. Wer sollte glücklicher und zufriedener sein als ich? Jetzt ging's an die Inneneinrichtung der Wohnung. Ich hatte eine ganze Anzahl Bilder über Wohnungseinrichtungen aus der »Kunst«, und mit diesen zog ich zu unserem tüchtigen Chinesentischler und bestellte danach eine Einrichtung. Es ist geradezu erstaunlich, mit welcher fabelhaften Geschicklichkeit die Chinesen alles nachmachen können, und dabei in unglaublich kurzer Zeit und ganz besonders billig. Als vier Wochen später alles angelangt war, die Möbel an dem richtigen Platz standen und das Haus von oben bis unten glänzte und leuchtete, da zogen wir frischgebackenen »Villenbewohner« stolz und 31 freudig in unser neues Heim. Nichts fehlte. Und besonders war auch das erforderliche Dienstpersonal vorhanden. Damit der Europäer im fernen Osten Ansehen vor den Chinesen gewinnt, muß er sich mit viel chinesischem Dienstpersonal umgeben, und es ist fast eine moralische Pflicht jedes Europäers, dies zu tun.

Das Dienstpersonal des Verfassers in Tsingtau.

Moritz, der Koch, in seinem schönen blau-seidenen Ischang; Fritz, der Mafu (Pferdeknecht), stets grinsend, dafür aber um das Wohl der Pferde sehr bedacht; Max, der Gärtner, faul wie die Sünde, und endlich August, der freche kleine Laufjunge, bildeten das Heer unserer dienstbaren Geister.

»August«, der freche Laufjunge.

Dazu kamen »Herr« Dorsch und »Herr« Simon.

Diese beiden »Herren« waren unsere Burschen, die von der Sitte des fernen Ostens, daß der Europäer im Beisein der Chinesen nicht körperlich arbeiten darf, redlich Gebrauch machten.

Ein großer Garten umgab unser Haus, in dem sich auch noch der Pferdestall mit Wagenremise, Autogarage und Chinesenwohnungen befanden. Das Wichtigste aber war: mein Hühnerstall. Schon zwei Tage nach meiner Ankunft hatte ich mir eine Bruthenne gekauft, ihr ein Dutzend Eier untergelegt, und als wir die Wohnung bezogen, hatte ich bereits sieben lebendigen Küken das Leben geschenkt.

Geflügel ist billig in China. Das Huhn kostet zehn Pfennig, eine Ente oder Gans eine Mark, 32 und so hatte ich auch bald einen Geflügelhof von fünfzig Tieren zusammen.

Ja, richtig, ich war ja »Reiter« geworden! Also ein Pferd beschaffen. Einer der Kameraden hatte einen entzückenden kleinen Fuchs. Wir wurden handelseinig, und bald darauf stand »Fips« in meinem Stall. »Fips« war ein entzückendes Tier, gutes Dienstpferd, dabei tadellos für Jagdreiten und Polospielen. Aber Wamse bekommt er doch, wenn ich ihn mal wiedersehen sollte; denn während der Belagerung ließ der Lümmel mich am Tage vor der Einschließung einfach im Stich, als ich ins Vorgelände geritten war. Da einige Schrapnells in seiner Nähe krepierten, riß er sich los und lief zum Feinde über.

Das ganze Leben in Ostasien ist für den Europäer recht eintönig. Wenig Geselligkeit, keinerlei Theater, keine Musik, nichts von alledem, das man so ungern vermißt. Die einzige Erholung und der einzige Trost sind eben, daß man etwas besser lebt wie unter den gleichen Verhältnissen zu Hause, und der Pferdesport. In Tsingtau blühte letzterer ganz besonders.

Mit Begeisterung widmete ich mich dem Poloreiten, und nachdem ich mich einigermaßen an die ungewohnten Schlinger- und Stampfbewegungen meines Pferdes gewöhnt hatte, ging die Kiste herrlich.

Mitte Juli wurde endlich meine Sehnsucht gestillt. »Der« Dampfer war da und hatte die 33 Flugzeuge mitgebracht. Kaum standen die riesigen Kisten auf dem Kai, als ich auch schon mit meinen Leuten dabei war und die armen Vögel, die zum Fluge durch Luft und Sonne geboren waren, aus ihren dunkeln Gefängnissen befreite, in denen sie monatelang gesessen hatten. Da die Kisten zu schwer waren, mußten die Flugzeuge an Ort und Stelle ausgepackt werden. Hei! Das Hallo unter den chinesischen Gaffern. Als alles schön ausgepackt war, wurde der Triumphzug geordnet. Erst kamen die beiden Flugzeuge, dann kamen drei Wagen mit den Tragflächen und dann zwei Wagen mit den Zubehörteilen. Die Pferde zogen an, und stolz durchfuhren wir Tsingtau und zogen im Triumphe in die Flughalle auf dem Iltis-Platz ein.

Nun gab es keine Ruhe mehr. Tag und Nacht arbeiteten wir am Zusammensetzen und Verspannen, und zwei Tage später ganz in der Frühe, als noch kein Mensch es ahnte, stand mein Flugzeug klar am Startplatz, und als die Sonne aufging, gab ich Vollgas und schoß in die wunderbare reine Seeluft hinaus.

Den ersten Flug in Tsingtau werde ich nie vergessen. Der Flugplatz war außerordentlich klein, nur sechshundert Meter lang und zweihundert Meter breit, voll von Hindernissen und rings umgeben von Hügeln und Felsen. Wie klein der Platz aber wirklich war und wie ungeheuer schwer zum Starten und Landen, das sollte ich bald noch zur Genüge erfahren. Mein Freund 34 Clobuczar, ein früherer österreichischer Fliegeroffizier, der jetzt auf der »Kaiserin Elisabeth« war, sagte mir mal: »Ein Flugplatz soll das hier sein? Höchstens ein Kinderspielplatz! In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht gesehen, daß ein Mensch in einem solchen Platze fliegen soll.« Mir ging's ähnlich so. Und ich würde mir in Deutschland ein solches Plätzchen höchstens mal als Notlandungsplatz aussuchen.

Aber zu machen war nichts. Es war dies der einzige Platz im ganzen Schutzgebiete, alles andere war wild zerklüftetes Gebirge, durchzogen von tiefen Ravinen. Doch an diesem wunderbar sonnigen Morgen kümmerte ich mich nicht darum, und froh bewegt zog ich über Tsingtau meine Kreise und scheuchte durch das Gebrumm meines Propellers die gänzlich überraschten Tsingtauer aus ihrem Schlafe. Als ich zum Landen schritt, wurde mir doch ein bißchen komisch zumute! Donnerwetter, war der Platz klein! Und unwillkürlich drehte ich immer länger meine Kreise und verschob immer wieder den kommenden kritischen Moment der Landung.

Doch ewig oben bleiben konnte ich ja nicht. Und endlich gab ich mir einen Ruck, nahm Gas weg und stand einen Augenblick später nach einer tadellosen Ziellandung auf meinem Platz. Nun war ich meiner Sache sicher. Und den ganzen Morgen bin ich kaum noch aus meinem Flugzeug herausgekommen.

Jetzt ging's aber wieder an die Arbeit. Das 35 zweite Flugzeug, auch eine Rumpler-Taube, welches von meinem Kameraden vom Seebataillon, Leutnant Müllerskowski, geflogen werden sollte, mußte zusammengebaut und verspannt werden. Nach zwei Tagen, am einunddreißigsten Juli neunzehnhundertvierzehn, nachmittags war alles in Ordnung.

Müllerskowski stieg in sein Flugzeug, und nachdem ich ihm einige Erfahrungen, die ich mit diesem Flugplatz nun schon gemacht, mitgegeben hatte, zog er Vollgas und schwirrte los.

Das Glück blieb meinem Kameraden nicht hold.

Sein Flugzeug war eben einige Sekunden in der Luft und befand sich zirka fünfzig Meter hoch gerade an der kritischen Stelle, wo Flugplatz und gleichzeitig das Land endet und mit steilen Felsen ins Meer abfällt, als es sich plötzlich zur Seite neigte und wir mit Schrecken sehen konnten, wie es in sausender Fahrt mit dem Kopf vorneweg in die Felsen hineinstürzte.

Der erste Absturz in Tsingtau.

So schnell wir es vermochten, liefen wir zur Unfallstelle. Da sah es bös aus. Das Flugzeug war vollständig zertrümmert, und zwischen diesen Trümmern lag Müllerskowski. Schwer verletzt brachten wir ihn ins Lazarett, wo er bis kurz vor Ende der Belagerung liegen bleiben mußte. Das Flugzeug war vernichtet.

Inzwischen hatte sich auch in Tsingtau manches zugetragen. Der Juli mit all seiner Schönheit und Pracht, mit wunderbarstem Sonnenschein 36 und tiefblauem Himmel war ins Land gezogen. Es ist der schönste Monat für Tsingtau.

Das Badeleben stand in vollster Blüte; es waren besonders viele und nette Fremde, in erster Linie Damen, aus den europäischen und amerikanischen Niederlassungen Chinas und Japans herbeigeströmt, um sich an Tsingtaus Schönheit zu erfreuen und in dem »Ostende des fernen Ostens« das Badeleben zu genießen.

Es war eine ganz herrliche Stimmung. Auto- und Reitpartien, Polospiel und Tennis füllten die dienstfreien Stunden aus, und besonders schön waren abends die Reunions, bei denen Terpsichore voll zu Ehren kam.

Wie auch in den früheren Jahren waren die Engländerinnen unter den Gästen am stärksten vertreten, und bald entwickelte sich ein reizender Verkehr.

Anfang August sollte ein Polowettspiel stattfinden, zu dem wir als Gegenspieler den englischen Poloklub in Schanghai eingeladen hatten.

Da, am dreißigsten Juli, traf wie ein Blitz aus heiterem Himmel der Befehl der »Sicherung« in Tsingtau ein! 37

 


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