Gunther Plüschow
Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau
Gunther Plüschow

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Ein blinder Passagier

Jetzt kroch ich auf dem Deck entlang zum Ankerspill und versteckte mich zuerst mal in der Ölwanne unter der Kettentrommel.

Als alles um mich ruhig blieb, kein Mensch sich zeigte, kletterte ich aus meinem Versteck, zog meine Stiefel aus und verstaute sie unter einem Bund Stammwerk in einer Ecke der Back. Auf Strümpfen schlich ich jetzt zur Rekognoszierung. Als ich von Achterkante Back vorsichtig zum Ladedeck hinunterschaute, prallte ich plötzlich zurück, und atemlos, ohne mit der Wimper zu zucken, blieb ich an einen Ventilator angelehnt stehen. Unten auf dem Ladedeck standen zwei Posten, die scharf nach der Back heraufsahen.

Nachdem ich über eine halbe Stunde in meiner halb geduckten Stellung gestanden hatte und mir die Knie den Dienst versagen wollten, kamen unten aus dem Mitteldeck zwei Stewardessen, die scheinbar vom Nachtdienst abgelöst worden waren. Meine beiden Posten ergriffen die günstige Gelegenheit, waren bald in eine Unterhaltung mit ihnen vertieft und achteten nicht weiter auf das, was um sie herum vorging.

Der Morgen fing bereits an zu dämmern, jetzt mußte ich handeln, wenn nicht noch zu guter Letzt alles verloren sein sollte.

Ich rutschte an der den beiden Liebespaaren 238 entgegengesetzten Seite der Back an der Gillung herunter und befand mich auf dem Ladedeck.

Ohne auch nur eine Sekunde zu zaudern, ging ich leise weiter, schlich unbemerkt an den beiden Posten vorbei, erreichte glücklich das Promenadendeck, und dann kletterte ich an den Außenkanten einer Deckstütze hoch und befand mich kurz darauf an der Außenkante eines Rettungsbootes.

Mich mit der einen Hand eisern festhaltend, da zwölf Meter unter mir das Themsewasser gurgelte, reihte ich mit der anderen Hand und mit den Zähnen einige Bänzel des Bootsbezuges los, und mit der letzten Kraftanstrengung kroch ich durch die kleine Lücke und befand mich wohlgeborgen im Bootsinnern.

Jetzt holte ich von Innen die gelösten Bänzel wieder an, und kein Mensch hätte auf den Gedanken kommen können, daß sich ein blinder Passagier im Rettungsboot befand.

Nun war es allerdings vorbei mit mir. Die ungeheuerlichen körperlichen Anstrengungen, die seelischen Aufregungen und nicht zum mindesten der nagende Hunger bewirkten, daß ich mich der Länge nach auf den Planken ausstreckte und im selben Moment nicht mehr wußte, was um mich geschah. 239

 


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