Gunther Plüschow
Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau
Gunther Plüschow

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Im Schlamm des chinesischen Reisfeldes

Hinter dem Perlgebirge lag die feindlich Flotte vor Anker. Da konnte ich's mir nicht versagen. Ich umkreiste die Schiffe noch einmal.

Dann ging es weiter und immer weiter mit fast geradem Kurs dem südlichen China zu, einem unbekannten Lande und einem ungewissen Schicksal entgegen. Ich kam über zerklüftete, wilde Gebirge, über Flüsse und weite Ebenen, dann zeitweise über das offene Meer und über Städte und Dörfer.

Nach einer handgroßen Karte und meinem Kompaß orientierte ich mich. Und schon um acht Uhr früh hatte ich die zweihundertfünfzig Kilometer hinter mir und mich glücklich nach meinem Bestimmungsort Hai-Dschou in der Kiangsu-Provinz zurechtgefunden.

Suchend spähte ich in die Tiefe nach einem geeigneten Landungsplatz. Doch damit sah es bös aus.

Durch die furchtbaren Regengüsse der letzten Zeit war das Land weit und breit überschwemmt. Die einzigen trockenen Fleckchen waren mit Häusern oder chinesischen Grabhügeln bedeckt. Endlich hatte ich ein kleines, etwa zweihundert Meter langes und zwanzig Meter breites Feld entdeckt, das aber auf beiden Seiten von tiefen Gräben und hohen Mauern, vorn und hinten vom Fluß eingeschlossen war. 99

Die Landung war verdammt schwer.

Aber was half es, ewig oben bleiben konnte ich doch nicht. Außerdem befand ich mich ja mitten in China und nicht in Deutschland und war froh, überhaupt noch diesen Platz gefunden zu haben.

Jetzt ging ich herunter in großen Spiralen, und nach einem steilen Gleitfluge, bei dem die Maschine infolge der erhitzten Luft schwer durchsackte, stand ich um acht Uhr fünfundvierzig Minuten früh mitten auf dem morastigen Reisfeld.

Der Lehm war aber so weich und zäh, daß mein Fahrgestell glatt versank und die Räder festgehalten wurden; und mit einem mächtigen Stoß sauste meine Maschine auf die Nase, sich im letzten Moment beinahe noch überschlagend.

Der Propeller flog in Stücke, aber meine Glieder waren trotz des Stoßes Gott sei Dank heil geblieben.

Die Ruhe jetzt um mich herum berührte mich ganz eigenartig. Seit Wochen endlich wieder kein Dröhnen der Geschütze, kein Krachen krepierender Granaten, kein Fauchen und Bellen zerplatzender Schrapnells.

Mit dem Schwänzchen hoch in der Luft und dem Schnabel tief im Dreck stand friedlich und ruhig mein Täubchen im Sonnenschein.

In weiter Entfernung drängten sich Haufen von Chinesen: Männer, Weiber und viele, viele Kinder, in angsterfülltem Staunen.

Sie alle, wie auch alle anderen Chinesen, deren Land ich überflogen hatte, konnten das Wunder 100 kaum fassen, denn ich war ja der erste Flieger hier, und alle dachten, der böse Geist käme in eigenster Person, um nun Unheil zu stiften.

Als ich gar aus meiner Maschine kletterte und versuchte, einige Menschen heranzuwinken, war kein Halten mehr. Schreiend und heulend lief alles davon, die Männer voran, ihre hingefallenen Kinder nach ihrer Meinung dem Teufel als Opfer zurücklassend. Wirklich, mein Erscheinen könnte im dunkelsten Afrika keinen größeren Schrecken hervorgerufen haben.

Kurz entschlossen lief ich hinter der Horde her und griff mir drei, vier Chinesen bei ihren Zöpfen und schleppte die Heulenden an mein Flugzeug heran, um ihnen zu zeigen, daß der große Vogel keinem was täte.

Nach einiger Zeit half das, und als ich ihnen sogar einige Geldstücke gab, da meinten sie, es wäre doch wohl ausnahmsweise mal ein guter Geist angeschwirrt gekommen, und willig halfen sie mir, das Flugzeug wieder in horizontale Lage zu bringen. Als die anderen das merkten, da kamen sie gleich in solchen Massen, daß ich mich wunderte, daß die Maschine nicht zerdrückt wurde.

Das Staunen der Chinesen! Das Antasten und Befühlen! Das Schnattern und Lachen!

Nur wer die Chinesen kennt und weiß, wie kindlich sie sein können, kann sich vorstellen, in welch köstlicher Situation ich mich befand.

Umtost von einer Horde Naturkinder saß ich quietschfidel in meinem Führersitz auf meinem 101 Blechkasten mit den Geheimdokumenten, neben mir zur Sicherheit die Mauser-Pistole, und wartete der Dinge, die da kommen sollten.

Jeder Versuch, mich mit den Chinesen zu verständigen, war aussichtslos. Die Kerls grinsten fröhlich oder lachten mich einfach aus.

Aus dieser heiteren Lage befreite mich nach einiger Zeit ein kräftiges: »Good morning, Sir!« und neben mir stand ein Herr, der sich als Dr. Morgan von der Amerikanischen Mission vorstellte. Nach herzlicher Begrüßung und festem Händedruck klärte ich Dr. Morgan schnell über meine Lage auf und bat ihn, besonders da er fließend Chinesisch sprach, um seine Hilfe.

Ich merkte bald, daß ich mich in gutem und sicherem Schutz befand.

Mein riesiger chinesischer Paß, den ich aus Tsingtau mitbekommen hatte, wurde sofort zum Mandarin geschickt; nach einer Stunde kam ein Trupp von vierzig Soldaten aus der nur zehn Minuten entfernt gelegenen Kaserne und wurde zur Bewachung um mein Flugzeug aufgestellt.

Mein chinesischer Paß

Jetzt nahm ich die Einladung Dr. Morgans zum Frühstück gern an, und mit allen Sachen, die nicht niet- und nagelfest waren, zog ich mit ihm zur Mission.

Ich wurde hier aufs reizendste aufgenommen und lernte Frau Morgan, ferner Frau Rice, die Gattin des amerikanischen Missionars, und einen Herrn G. kennen, die sich alle auf das liebenswürdigste um mich bemühten. 102

Ich saß gerade beim Frühstück, als mir ein chinesischer Offizier gemeldet wurde, der mir sagte, daß eine Ehrenwache von einer Kompagnie für mich vor dem Hause aufgezogen wäre, und daß er Befehl hätte von seinem Mandarin, sich nach meinen Wünschen und meinem Wohlbefinden zu erkundigen, und endlich, daß der Mandarin selbst in einer halben Stunde seinen Besuch persönlich bei mir abstatten würde.

Ich war erfreut über so viel Aufmerksamkeit.

Bereits nach zehn Minuten kam wiederum Besuch, und diesmal waren es die Stadtoberhäupter von Hai-Dschou, die mir ihre Grüße überbringen wollten.

Die Situation war einzig. Ich saß inmitten dieser alten, ehrwürdigen Chinesen, nachdem vorher unendlich viele tiefe Verbeugungen unter Gemurmel und Gezisch ausgetauscht waren. Die Unterhaltung wurde bald recht lebhaft. Als Dolmetscher arbeitete dabei Herr Morgan.

Und nun ging das Gefrage los: Woher ich käme, wie es in Tsingtau aussähe, ob es wirklich wahr sei, daß ich durch die Luft gekommen, wie lange ich gebraucht hätte, und was für ein Zauber es erwirkt hätte, daß ich fliegen könne. All die vielen Fragen ließen sich kaum beantworten, und trotzdem der Dolmetscher sich die größte Mühe gab, viel verstanden haben die guten Söhne des Landes der Mitte nicht.

Ein kleiner Zwischenfall ereignete sich auch.

Noch während wir bei der Unterhaltung saßen, 105 wurde der Hausfrau ein Besuch angekündigt, und vorbei huschten und trippelten zehn bis zwölf allerliebste kleine Chinesinnen, in prachtvollste, buntseidene Höschen und Gewänder gehüllt. Zwei, drei dieser Geschöpfchen blieben vor Neugierde und Schrecken an der offenen Tür des Zimmers, in dem wir Männer saßen, stehen und guckten mich mit offenen Mäulchen und großen, erstaunten Augen an. Ein kurzer Zuruf von Frau Morgan ließ sie erschrocken auseinanderfahren und fortlaufen. Den Grund dieses eigenartigen Verhaltens erfuhr ich später. Für eine vornehme Chinesin ist es ein großer gesellschaftlicher Fehltritt, wenn sie durch ihre Neugier und durch ihren Anblick einen männlichen Gast beleidigt!

Die drei Sünderinnen erhielten auch eine ernste Strafpredigt. Ich muß sagen, daß ich über diese Sitte nicht erfreut war, denn gern hätte ich mir diese allerliebst aufgeputzten Dämchen recht genau angesehen.

Meine Wirtin erzählte mir auch, wie sie von den Chinesinnen mit Fragen bestürmt worden wäre. Vor allem wollten diese wissen, was das heute morgen für ein böser Geist gewesen wäre, der so schreiend und brummend ihre Stadt bedroht hätte. Als ihnen gesagt wurde, daß darin ein Mensch gesessen hätte, der aus Tsingtau käme, da lachten sie einfach und meinten: nein, wenn sie auch dumm wären und die Weißen sie immer anführten, so dumm wären sie doch nicht, solch einen Unsinn zu glauben! 106

Jedenfalls, versicherte mir Frau Morgan, würden sämtliche Fehlgeburten, Mißernten und Fehlschläge der nächsten zwei Jahre von den abergläubischen Chinesen dem Erscheinen meines Flugzeuges zugeschrieben werden, und besonders die Medizinmänner würden die Sache für sich ausnutzen.

Gegen elf Uhr vormittags erschien unter großem Tamtam, Getrommle und Getute der Herr Mandarin in eigenster Person. Außerordentlich wohlgenährt, den Kopf tadellos rasiert, in prachtvollem seidenen Gewande schritt er mit großer Würde einher. Die Begrüßung war äußerst feierlich. Die tiefen, fast bis zur Erde reichenden Verbeugungen wollten kein Ende nehmen.

Nachdem der Mandarin sich nach meinem Befinden und nach meinen Wünschen erkundigt hatte, sicherte er mir in liebenswürdigster Weise seine vollste Unterstützung zu und verabschiedete sich.

Sein Heimweg geschah in gleich feierlicher Weise.

Sobald ich meinen amtlichen Gegenbesuch gemacht hatte und vom Mandarin zum Abendessen eingeladen worden war, ging ich an das Abmontieren meines Flugzeuges.

Doch das war leichter gesagt als getan. Ich selber hatte nur einen Schraubenschlüssel mit und suchte nun nach Werkzeugen. Ach, ich befand mich ja in China, in einer Gegend des Landes, wo es 107 noch genau so aussah wie vor tausend Jahren und Schraubenschlüssel und Schraubenzieher etwas Unbekanntes waren.

Endlich entdeckte ich in der Amerikanischen Mission eine Axt und ein kümmerliches sägenähnliches Ding.

Damit ging es an die Arbeit, und da ich wenigstens meinen treuen hundertpferdigen Mercedesmotor vor der Vernichtung retten wollte, hieb und sägte ich ihn vom Rumpfe ab. Jetzt zeigte sich, was gute deutsche Arbeit war. Ganze vier Stunden brauchte ich, ehe der Motor abgeschlagen dalag, so fest war alles gebaut.

Um den Gesetzen der Neutralität nachzukommen, gab ich den Motor dem Mandarin zur Aufbewahrung ab.

Dann kam das Traurigste.

Da das übrige Flugzeug selbst mit abgenommenen Tragflächen in kein Stadttor und in keine Straße der Stadt hineinpaßte, mußte ich es dem Flammentod übergeben. Ich übergoß es mit Benzin, zündete es an, und sofort ging es in hellen Flammen auf und verbrannte restlos.

Mir war zumute, als ich meine wackere Taube brennen sah, wie wenn ich einen lieben, treuen Kameraden verlöre. 108

 


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