Gunther Plüschow
Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau
Gunther Plüschow

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Meine Kriegslist

Wie traurig sah es jetzt in meinem Häuschen aus, so einsam und verlassen!

Gleich zu Beginn der Belagerung mußte der gute Patzig sein Heim aufgeben und als Batteriekommandeur zu seiner Einundzwanzig-Zentimeter-Batterie eilen. Nur vier Wochen hat er etwas von seiner schönen Wohnung gehabt, dann saß er in seiner Kasematte und tat seine Pflicht, bis seine letzte Granate verschossen war und die Japaner mit ihren Achtundzwanzig-Zentimeter-Haubitzen seine ganze Batterie zu einem wüsten Trümmerhaufen verwandelten!

Treulos verließ mich aber, als der erste Schuß fiel, mein Chinesenkoch Moritz, und eines Abends waren auch Fritz, Max und August spurlos verschwunden.

Nach einigen Tagen kam ein neuer Chinesenkoch, Wilhelm genannt, der mir mit großen Gebärden erzählte:

»Du, Vogelmaster, ich gute Koch sein, ich nicht weglaufen wie die schlechte Kerl, die Molitz, iche nicht Angst haben, ich plenty gut chauchau mache.«

Ich glaubte es, versprach ihm fünf Dollars mehr, und es ging auch ganz gut, bis eines Tages die ersten feindlichen Granaten in der Nähe meines Hauses krepierten und Herr Wilhelm ebenso spurlos verduftete wie seine Vorgänger. 71

Nun saß ich mit meinem treuen Burschen Dorsch in dem verwaisten Hause allein.

Wir beide waren jetzt die einzigen Bewohner des ganzen Villenviertels der Iltis-Bucht.

Angenehm und sicher war der Aufenthalt gerade nicht, denn die Villen waren an die Hügel gebaut, die unsere Hauptbatterien trugen, und die feindlichen Granaten, die bei diesen vorbeigingen, trafen mitten in uns hinein. Wir beide waren aber sehr vorsichtig. Wir zogen nämlich aus dem oberen Stockwerk aus und richteten uns im Erdgeschoß häuslich ein. Zum Überfluß stellten wir beide noch unsere Betten so in eine Ecke, daß wir nicht unmittelbar am Fenster lagen, und das war dann Sicherheit genug. Gut, daß kein dicker Koffer uns zu einem Versuch herausforderte.

In der Luft blieb ich nicht lange allein.

Am Vormittag des fünften September, bei unfreundlichem Wetter, mit tiefhängenden Wolken, hörten wir plötzlich das Brummen eines Motors, und ich lief aus dem Hause, um zu sehen, was los sei. Und schon schoß dicht über unseren Köpfen ein riesiger Doppeldecker aus den Wolken. Ich war sprachlos. Und wie gebannt schaute ich dem Gespenste nach. Bald jedoch krachten die ersten Bombenexplosionen, und nun gewahrte ich auch die großen roten Bälle unter den Tragflächen des Flugzeuges.

Also ein Japaner!

Ich muß sagen, mir war eigenartig zumute, 72 als ich den riesigen feindlichen Kollegen so dicht über meinem Kopfe dahinschweben sah. Das konnte ja für die Zukunft eine heitere Geschichte werden!

Für Tsingtau war das Erscheinen des feindlichen Fliegers eine höchst unangenehme Überraschung. Daß die Japaner auch Flugzeuge mitbringen würden, das hatte keiner erwartet.

Im ganzen hatten die Japaner im Laufe der Belagerung acht Flugzeuge, darunter vier ganz hervorragend große Wasserdoppeldecker, um die ich die Japse herzlichst beneidete.

Wie oft habe ich in den nächsten Wochen, wenn die wunderschönen, neuen, großen Wasserdoppeldecker der Japaner die Stadt umkreisten, sehnsüchtig nach oben geschaut und mir solch ein Ding herabgewünscht.

Fliegen taten die Japaner sehr gut, und mit außerordentlichem Schneid, das muß man ihnen lassen.

Ein Segen, daß ihr Bombenwerfen nicht ebensogut war, sonst hätte es bös was für uns abgegeben.

Die japanischen Fliegerbomben waren stark, neuester Konstruktion und von ganz bedeutender Sprengwirkung.

Einen gewaltigen Vorteil hatten die feindlichen Wasserflugzeuge. Sie konnten weit draußen, gänzlich ungestört durch uns, ohne Rücksicht auf Windrichtung, in aller Ruhe starten, hatten so viel Anlaufstrecke vor sich, wie sie nur irgend wünschen 73 konnten, Windrichtung war gänzlich egal, und wenn sie dann in größter Sicherheit ihre dreitausend Meter erreicht hatten, kamen sie zu uns herüber, und dann pfiffen sie auf unsere Schrapnells und unser Maschinengewehrfeuer.

Eins der Hauptziele der feindlichen Fliegerbomben war mein Flugzeugschuppen.

Die Sache wurde für mein Flugzeug bald so ungemütlich, daß ich eines Tages auszog und beschloß, meine feindlichen Kollegen ganz gründlich anzuführen.

Mein richtiger Schuppen lag auf dem Nordende des Platzes, war von oben wundervoll zu sehen und den Japanern natürlich zur Genüge bekannt. Nun baute ich in aller Stille genau am entgegengesetzten Ende des Platzes einen neuen Schuppen, den ich direkt an einen Bergabhang anlehnte und mit Erde und Gras so bedeckte, daß von oben tatsächlich nicht das geringste zu sehen war. Dann bauten wir mit vieler List und Tücke aus Brettern, Segeltuch und Blech ein Scheinflugzeug, welches von oben gesehen meiner Taube täuschend ähnlich sah. Sowie nun in Zukunft die feindlichen Flieger kamen, wurde Theater gespielt.

An einem Tage waren die Tore meines alten Schuppens auf, und davor saß im schönen grünen Gras, breit und behäbig, mein Simulaker. An einem anderen Tage waren die Tore geschlossen und nichts zu sehen. Wiederum an einem Tage saß mein Scheinflugzeug an einer anderen Stelle 74 des grünen Rasens, wo es sich besonders gut abhob, und so ging es fort. Nun kamen die feindlichen Flieger und warfen Bomben auf Bomben und bemühten sich, diesen unschuldigen Vogel zu treffen. Wir dagegen, mit unserem richtigen Flugzeug, saßen quietschfidel und durch unser Dach wohlgeschützt am anderen Ende des Platzes und hielten uns den Bauch vor Lachen, wenn wir sahen, wie die Bomben ihr unschuldiges Opfer heimsuchten.

Eines Tages, als wieder besonders viele Bomben gefallen waren, nahm ich ein schönes Sprengstück einer japanischen Fliegerbombe, befestigte daran meine Visitenkarte und schrieb daran »Den feindlichen Kollegen besten Gruß! Warum werfen Sie mit so harten Gegenständen? Wie leicht kann das ins Auge gehen! Und das tut man doch nicht!«

Diesen Brief nahm ich bei meinem nächste Fluge mit und warf ihn vor der japanische Wasserflugstation nieder.

Das war aber nur die Ankündigung meine Besuches.

Im Artilleriedepot hatte nämlich einer der Herren inzwischen Bomben für mich angefertigt. Ganz großartige Dinger! Große Zweikilogramm-Blechbüchsen, auf denen schön zu lesen war: Sietas, Plambeck & Co., bester Java-Kaffee, wurden mit Dynamit, Hufeisennägeln und Eisenstücken gefüllt. Unten wurde eine Bleispitze angebracht und oben ein Zünder, der daraus bestand, daß 75 ein spitzer Eisenkern beim Aufschlagen auf das Zündhütchen einer Gewehrpatrone schlug und dadurch die ganze Bombe zur Explosion brachte. Etwas unheimlich waren mir ja diese Dinger, und wie ein rohes Ei faßte ich sie an, und ich war immer herzlichst froh, wenn ich sie abgeworfen hatte. Viel Schaden haben sie nicht angerichtet. Einmal habe ich ein Torpedoboot getroffen, und da ging das Ding nicht los; mehrere Male hätte ich beinahe einen Transportdampfer erwischt, und einmal habe ich gemäß japanischen Nachrichten eine Bombe mitten in eine japanische Kolonne geworfen und damit dreißig Gelbe zum Hades befördert.

Bei einer Gelegenheit hatte ich mich ganz besonders geärgert, und das war, als ich eines frühen Morgens das Lager unserer lieben Vettern erkundet hatte und ihnen zu ihrem Morgenkaffee meinen echt javanischen Kaffee beisteuern wollte. Die Bombe fiel nach englischen Berichten auf ihr Küchenzelt, und da dieses stark federte, prallte sie leider wirkungslos ab.

Das Vergnügen des Bombenwerfens habe ich mir bald verkniffen. Ich hatte sowieso schon, wo ich immer allein war, genug zu tun. Die Wirkung rechtfertigte auch nicht die mit Bombenwerfen verschwendete Zeit.

Mit meinen feindlichen Fliegerkollegen habe ich mich dann öfters in der Luft getroffen. Suchen tat ich diese Begegnung nicht, denn ich allein mit meiner langsam steigenden, 76 schwerfälligen Taube konnte gegen die großen Doppeldecker, die drei Mann Besatzung an Bord hatten, nichts ausrichten. Und vor allen Dingen hatte ich die verdammte Pflicht, aufzuklären und dann das Flugzeug Tsingtaus heil nach Hause zu bringen.

Einmal war ich in meine Beobachtungen ganz vertieft, als mein Flugzeug sehr stark anfing zu schlingern und zu stampfen. Ich dachte, es wären wieder einmal Luftstörungen, die durch die vielen steilen und schroffen Gebirge hervorgerufen wurden und ja das ganze Fliegen in dieser Gegend so außerordentlich erschwerten. Ohne also aufzusehen, beobachtete ich weiter und erfaßte nur mit der einen Hand das Höhensteuer, um das Flugzeug zur Ruhe zu zwingen.

Nach meiner Rückkehr wurde mir zu meinen Erstaunen erzählt, daß eins der feindlichen Flugzeuge dicht über mir weggeflogen wäre, und alles dachte schon, ich würde von diesem heruntergeschossen werden.

Das nächstemal paßte ich besser auf. Und als ich einen meiner feindlichen Landkollegen dicht unter mir erblickte, verfolgte ich ihn und schoß ihn mit meiner Parabellum-Pistole mit dreißig Schuß herunter.

Kurze Zeit hinterher wäre es mir fast selbst so gegangen. Ich war nur eintausendsiebenhundert Meter hoch, und trotz der größten Anstrengung kam und kam ich nicht höher. Ich war gerade über dem feindlichen Wasser-Fliegerlager, und einer der großen Doppeldecker startete soeben. 77 Ich führte nun meine Erkundungen weiter aus und dachte: Na, der kann ja lange krebsen, bis er so hoch ist wie du!

Aber schon nach vierzig Minuten, als ich nach links über die Tragflächen hinwegschaute, da schwebte der Feind nur wenige tausend Meter entfernt in derselben Höhe wie ich. Donnerwetter, nun hieß es aufpassen und höher steigen. Aber wie verhext streikte mein Vogel. Nicht einen Meter gewann ich mehr, und schon nach fünfzehn Minuten war der andere ein ganzes Stück höher als ich, kam schräg auf mich zu, und ich merkte seine Absicht, mir den Weg nach Tsingtau abzuschneiden.

Jetzt ging's um die Wette, wer zuerst ankam und sich zuerst über Tsingtau befand.

Ich gewann das Rennen.

Und als ich über meinem Platz war, da ging's im steilsten Sturzfluge nieder, und als ich eben auf dem Platze aufsetzte, da krepierten auch schon die ersten feindlichen Bomben dicht hinter mir.

Wie wunderbar manchmal so eine Bombe trifft!

In Tsingtau war strenger Befehl, daß bei Annäherung der feindlichen Flieger jedermann sofort in Deckung zu gehen hätte, wodurch es ermöglicht wurde, daß keine Verluste eintraten. Nur einmal ist ein Unteroffizier verletzt worden und einmal ein Chinese. Und das war wunderbar genug! Auf meinem Platze arbeiteten ungefähr hundert Chinesen, und bei Annäherung der Flieger brachten sie sich schleunigst in Sicherheit. 78

Nur so 'n brauner Geselle blieb an einem Tage mitten auf dem Platze mutterseelenallein sitzen und sah sich erstaunt den großen Vogel an. Bums! ging eine Bombe nieder, und wo krepierte sie? Ausgerechnet einige Schritte neben diesem armen Teufel, und verletzte ihn schwer.

Ja, ich sage, man muß nur Pech haben und gerade da stehen, wo Granaten und ähnlich schwerverdauliche Gegenstände herniederfallen. 79

 


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