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Ausklang

Wundervoll eingebettet in das deutsche Waldgebirge, vor dessen Buchen und Eichen sich weithin verstreute, oft schloßartige Landhäuser buntfarbig erhoben, lagen die großen Gebäulichkeiten des Sanatoriums, in dem Prinzessin Constanze seit zwei Jahren lebte. Ganz nahe bei der Hauptstadt lag es in dem Herzogtum, in dem die ehemalige Prinzessin Beate als Landesmutter verehrt wurde. Sie hatte die unglückliche Cousine in ihre besondere Obhut genommen. Erst hatte man diese für wahnsinnig gehalten, als sie bei der Nachricht von Golos Ermordung ihr heulendes Weinen und ihre gellenden Schreie vermengte mit Redensarten, die auf die intimsten Beziehungen zu dem Toten hindeuteten. Aber die Ärzte sagten, es seien keine Symptome des Wahnsinns vorhanden, nur um eine schwere Erschütterung des Gemütes handele es sich, bei der der Geist fortgerissen von übermächtigen Gewalten des Schmerzes die Selbstbeherrschung völlig verliere, zu verbergen, was eben des Leides Inhalt bilde. Ihre Eltern waren aus der Heimat gerufen worden, und diesen wollte das Herz brechen, als sie die Tochter so erkannten. Es ward beschlossen, daß die deutschen Wälder für immer das Geheimnis von König Golo und seiner heimlichen Königin bewahren sollten. Man gab Constanze eine deutsche Gesellschafterin und ein deutsches Kammermädchen, denn Landesgenossinnen hätten ihr Vertrauen gewinnen und etwas in die Heimat berichten können. Nervenleidend war sie ja, und so nahm Professor Ettmar keinen Anstand, sie in sein Sanatorium aufzunehmen. Jetzt, nach zwei Jahren, erschien eines Tages Baron Avia und ließ sich bei der Prinzessin melden. Das ging erst an den Professor, der wohl wußte, daß die Herzogin Beate einen solchen landsmännischen Besuch der von ihr behüteten Cousine nicht gern sehen dürfte. Aber er hatte der Herzogin schon öfter erklärt, daß es in seinem Sanatorium Kranke, Pflegebedürftige, aber keine Gefangenen gebe. So führte er den Baron zur Prinzessin, die diesen lebhaft bewegt, aber doch in sicherer Haltung empfing. Die Gesellschafterin blieb während des Gespräches der beiden zugegen. Sie verstand aber kein Wort, denn dieses wurde in deren Landessprache geführt.

Erst hielt sich Avia sehr vorsichtig zurück, als sich ihm aber der Eindruck immer mehr verdeutlichte, daß bei der Prinzessin keinerlei Anzeichen krankhafter Art, wenigstens für die Laienbeobachtung, vorhanden waren, gehorchte er ihrer sanft klingenden Bitte:

»Erzählen Sie mir doch mehr von der Heimat. Ich erfahre ja gar nichts davon. Man meint, es sei nicht gesund für mich. Geschehen denn dort noch immer so schlimme Dinge?«

Jetzt erfuhr sie erst, daß die Königin zwar einen Knaben geboren habe, aber bald darauf mit ihren Kindern in aller Stille über die Grenze befördert worden sei und jetzt in Paris lebe. König war Roger. Lächelnd sagte sie, nachdem sie Avias längerer Erzählung gespannt gelauscht hatte:

»So hätte also das Gute wieder einmal gesiegt. Roger ist natürlich musterhafter Landesvater, milde und aufgeklärt, Clara Eugenie hilft ihm weise regieren. Einen kleinen Seitengriff hat es doch gebraucht? Darauf kommt es ja nicht an. Eudoxia amüsiert sich in Paris, der Kleine wird ein elegantes Prätendentchen werden und Geld unter die Leute bringen.«

Dann senkte sie den Kopf und fuhr tonlos fort:

»Bessere Zeiten sind gekommen. – Und Sie?« fragte sie dann lebhafter. »Was ist mit Ihnen? Wie kommen Sie eigentlich hierher?«

»Als ich aus der Festung entlassen war, ordnete ich meine Angelegenheiten und suchte da und dort nach einem Ruheplatz. Es wird Zeit dazu, aber ich kam nirgends zu einem Entschluß. Als ich nun nach Deutschland kam, erst nach Heidelberg und nach Wiesbaden, regte sich in mir der Wunsch, Eurer königlichen Hoheit aufzuwarten. Ich wußte nur, daß königliche Hoheit in Deutschland sind, kombinierte einen Zusammenhang mit Herzogin Beate und – so bin ich hier.«

»Lieb von Ihnen!« sagte die Prinzessin und reichte ihm die Hand, die er küßte.

Sie sprach dann weiter:

»Ich habe mich einigermaßen akklimatisiert und fange langsam an mit mir fertig zu werden. Es ist eine harte Schule, durch die ich gegangen bin und noch gehe. Aber man kann hier viel lernen. Ich bin ganz gern in der Gesellschaft verschiedener Leute, die hierher auf kürzere oder längere Zeit kommen. Kranke sagt man. Die meisten kranken eben am Leben. Allerhand hört man da und macht die Nutzanwendung auf sich selbst.«

»Es freut mich zu hören, daß königliche Hoheit sich über das Erlebte zu erheben vermögen,« bemerkte Avia.

»Das nicht, das käme mir auch gar nicht zu,« entgegnete die Prinzessin. »Ich habe allen Grund demütig zu sein, und bin es auch. Ich bin es der Macht, die unsere Schicksale bestimmt, gegenüber, ich kann es aber nicht sein vor den Frommen und Gerechten, denen es gut geht und die deshalb mit einem so grausam kränkenden Mitleid auf uns herabsehen. Es muß noch eine ganz andere Gerechtigkeit geben, als die, die hier bei uns im Umlaufe ist. Das Gesetz stimmt nicht zum Leben, und es darf niemand zu Gericht sitzen über den andern, wenn er nicht selber so schuldig ist, wie dieser. Verstehen Sie mich recht, ich verteidige mich nicht, ich verlange nur andere Richter.«

Sie war lebhaft geworden, und die Begleiterin sah Avia besorgt mahnend an.

Er sagte ablenkend:

»Nicht um Richter und nicht um Gerichtete handelt es sich, sondern vielmehr um das Menschenrecht, seine Wunden zu schützen vor den ganz klugen Pfuschern, die eine Salbe für alles haben. Die gute Dame da wird bedrohlich. Königliche Hoheit haben sich etwas erregt. Es ist besser, ich gehe. Ich hege die Absicht mich hier anzukaufen, die Gegend hat starken Eindruck auf mich gemacht.«

Die Prinzessin sah ihn sinnend an. Dann sagte sie:

»Ich würde Sie dann gern des Öfteren bei mir sehen. Das heißt, wenn ich darf. Der Professor bestreitet es zwar lebhaft, aber ein bißchen Gefängnis ist es hier doch. Sie haben es eben wohl bemerkt. Man meint noch immer, ich könnte Streiche machen.«

Wehmütig mit bitterem Klang fügte sie hinzu:

»So schließt man aus dem Trauerspiel meines jungen Lebens.«

Avia küßte ihr die Hand, verbeugte sich zweimal tief vor ihr und verließ das Sanatorium.

Sie sah ihn niemals wieder.

Einige Tage später kam die Herzogin Beate, machte dem Professor heftige Vorwürfe und sagte zu Constanze:

»Man hat leider den Baron Avia, diesen Menschen, zu dir gelassen. Es ist dafür gesorgt, daß das keine weiteren Folgen hat. Er ist als lästiger Ausländer des Landes verwiesen worden.«

»Der arme Baron!« sagte Constanze gelassen. »Die Unhöflichkeit war nicht notwendig. Er wollte mich nicht entführen, sondern nur in meiner Nähe bleiben, denn ich glaube, er hatte mich lieb.«

»Um Gottes willen!« rief die Herzogin.

Constanze meinte dagegen:

»Wir hätten uns nur immer die alte Geschichte erzählt: ›Es war einmal ein König ...‹«

»Auch das wäre nicht gut gewesen,« versetzte die Herzogin.

Da erwiderte Constanze mit herber Schärfe:

»Wie bestimmt ihr Gerechten doch immer wißt, was gut und nicht gut sei. Bleibe glücklich Beate und danke deinem Schicksal, daß du nicht Menschenkennerin werden mußtest.«

Herzogin Beate machte ein verdrießliches Gesicht und schwieg.



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