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Zweites Kapitel

Am Abend desselben Tages nach dem Diner machte König Arthur seinen gewohnten Besuch bei der Gräfin Zerpa. Die Gräfin war eine reiche Witwe von eben vierzig Jahren. Früher, zu Lebzeiten ihres Gatten, eines viel älteren Lebemannes, der zu des Königs intimem Kreis gehört hatte, war sie zu Hof gegangen. Als dieser fast gleichzeitig mit der Königin gestorben war, hielt sie sich ganz zurückgezogen. Ein gemeinsamer Kuraufenthalt in Marienbad brachte sie dem König, der sie immer gut hatte leiden mögen, näher. Sie war heute noch eine schöne Frau, deren weißblonde Fülle aber trotz wiederholter Wallfahrt nach Marienbad immer zunahm. Es war in den Hofkreisen verpönt, sie die Maitresse des Königs zu nennen, und es wurde nur eine Freundschaft zwischen den beiden als bekannte Tatsache angenommen. Aber man kannte auch die Habsucht der Gräfin und wußte, daß sie kostbare Geschenke von ihrem königlichen Freunde annahm, darunter das reizende kleine Palais, das sie vor drei Jahren in einer Villenvorstadt sich hatte erbauen und kostbar einrichten lassen. Sie war eine Frau von klugem Verstand und gesundem Humor, die trotz ihrer Jugend mit ihrem angejahrten Gatten vortrefflich ausgekommen war. So wußte sie auch dem König ein behagliches Nest zu bereiten, in dem er sich menschlich gehen lassen und seinem Herzen Luft machen konnte. Was ein stattliches Weib ihm mit Geschick darzubieten wußte, das nahm er gerade so gern wie ein Lieblingsgericht hin. Die Gräfin hatte in ihrer Ehe gelernt, solchen alten Näschern der Erotik angenehme Stündchen zu bereiten.

Der König legte gleich nach den ersten Begrüßungsworten den Arm um ihren Hals und ließ sich nach seinem gewohnten bequemen Platz in einer lauschigen Ecke des kleinen Salons, auf seinen Krückstock gestützt, führen. Im Gehen sagte er:

»Hast es wohl schon gehört, was sie mir wieder auszufressen gegeben haben?«

»Natürlich, wie sollte ich nicht,« lautete die Antwort. »Aber du mußt auch darüber wegkommen. Das wollen wir schon machen. Du weißt, daß du dich nicht aufregen darfst. Wenn dir was zustieße, das wäre ja das Schlimmste von allem!«

»Das ist noch sehr die Frage,« sagte der König bitter. »Ich bekomme demokratische Ansichten und sage, das Volk soll sich selber helfen, wie es ihm am besten dünkt.«

»Und machte dann die schönsten Dummheiten,« entgegnete Gräfin Zerpa. »So weit sind wir auch Gottlob noch lange nicht, wenn das von heute morgen auch eine höchst fatale Geschichte ist.«

»Bist du des Näheren informiert?«

»Vielleicht sogar besser als du.«

»Na, und was sagst du dazu?«

»Zunächst daß die Herren Kavaliere nicht bloß höchst geschmacklos waren, – das sind sie heutigentags ja meistens – sondern auch rechte Esel.«

»Eine sehr gelinde Auffassung. Aber wie kommst du gerade dazu?«

»Sie kannten ja die Person noch gar nicht näher, die ihnen zugeführt worden war.«

»So sagte Golo allerdings auch.«

»Unschuld hatte sie keine mehr zu verlieren, erzählte man mir, und sie wußte recht gut, daß es nicht bloß um Essen und Trinken ging. Aber so ein gewisses Maß von Feingefühl hatte sie sich doch noch bewahrt. Als sie merkte, daß die Sache nicht nach ihrem Geschmack verlief, wollte sie fort, man hielt sie mit Gewalt fest und trieb's mit ihr erst recht viel ärger, als man es vielleicht ursprünglich vorhatte. Es muß so ziemlich viehisch gewesen sein, wie man mit ihr verfuhr. So wurde aus einem Mädel, das sich sonst nicht lange bitten ließ, die frevelhaft geschändete Bürgertugend. Das eben nenn ich eine Eselei.«

»Golo will nur unbeteiligter Zeuge gewesen sein.«

»Über die Nuance möchte ich nicht weiter reden. Mir ist eben bei dem ganzen Handel auch nur um dich zu tun. Du tust mir so leid.«

Die Gräfin schmiegte sich an den sitzenden König, streichelte ihm den Scheitel und küßte ihn auf die Stirn.

»Wenn ich dich nicht hätte!« sagte der König und klopfte ihre fleischige juwelenfunkelnde Hand.

»Und Coriolani?« sagte die Gräfin mit einer gewissen Härte des Spottes.

»Die alte Eifersucht. Der Mann tut dir doch gar nichts, spricht niemals von dir.«

»Und haßt mich, weil ich dich liebe.«

»Glaubt nun einmal unsereiner, er hat da ein paar Leute um sich, die es gut mit ihm meinen, dann sind sie sich untereinander spinnefeind.«

»Er sieht in mir die Maitresse – und rümpft die Nase über mich. Aber ich bin keine Maitresse, ich verbitte mir das. Ich bin deine Freundin, wie er dein Freund.«

Die Gräfin hatte mit steigender Erregung gesprochen.

»Aber liebes Herz,« sagte der König leise mißgestimmt, »was machst du denn? Dazu komme ich doch gerade heute nicht her, um auch mit dir unangenehme Auseinandersetzungen zu haben.«

Die Gräfin errötete, schmiegte sich wieder schmeichlerisch an den hohen Freund und sagte:

»Verzeih, es war recht unartig von mir, gerade jetzt dich mit solchen Kleinigkeiten zu belästigen. Das ist so Frauenmanier, zur unpassendsten Zeit mit den eigenen Empfindlichkeiten heraus zu kommen.«

Der König fing mit ihr zu kosen an, und sie verstand es, ihn in scherzhafte Laune zu bringen. Mitten in der Lustigkeit, zu der man gekommen war, fiel ihm auf einmal ein:

»Golo bringt's noch dazu, daß ein ganz ernsthaftes Attentat auf ihn gemacht wird. Ich will ihn eine längere Jagdreise nach Afrika machen lassen. Was meinst du dazu?«

»Ich habe gar keine Meinung dazu,« antwortete sie. »Eine doch, die nur nicht gerade unmittelbar deine Frage beantwortet,« setzte sie nach einer kleinen Pause hinzu.

»Na und?«

»Alles wäre anders, wenn er eine andere Gemahlin hätte.«

»Durch Geistesgaben ragt Eudoxia gerade nicht hervor,« bemerkte der König ruhig. »Aber ob derlei Golo besonders gereizt haben würde? Man hat ihm eine sehr schöne Frau gegeben.«

»Und er war in seine weniger schöne, aber temperamentvolle Cousine Constanze verliebt,« warf die Gräfin ein.

»Das ging nun einmal nicht,« entgegnete der König lebhafter. »Wir durften nicht auf solche Weise die Fühlung mit den großen Dynastien aufgeben. Das hätte uns ja nach dem großen Unglück noch mehr geschwächt.«

Die Gräfin sagte jetzt:

»Wenn man an den Höfen doch wenigstens lernen wollte, Prinzessinnen für ihre Zukunft zu erziehen. Wir werden ja alle schlecht genug für die Ehe erzogen, aber Prinzessinnen lernen nur eine Schleppe tragen und ein Kompliment machen.«

»Hast recht, und trotzdem hat es immer auch ganz vorzügliche, ja hervorragende Fürstinnen gegeben,« antwortete der König. »Uns aber wird's besonders schwer gemacht. Sollen alle was Außerordentliches sein, und was uns über die anderen hebt, ist unser Verderben. Ich sage dir, ich habe keine Stunde meines Lebens Freude an dieser ganzen Herrlichkeit gehabt.«

»Es muß aber Fürsten geben.«

»So, meinst du? Andere meinen anders. Und wegen Golo – willst du mir gar nichts sagen?«

»Du weißt, ich will dir die Sorgen verscheuchen, aber sie sollen nicht sagen, ich sei eine Intrigantin.«

»Aber das ist eine Sorge. Verscheuche sie also. Ist's zu milde was ich mit Golo vorhabe? Wird man darüber murren?«

»Du kannst ihn nicht einsperren, du kannst ihn nicht enterben.«

»Nein, nein, das nicht,« sagte der König darauf etwas erregt. »Obwohl,« fügte er zögernd bei, »Roger besser wäre für das Land.«

»Königin Clara Eugenie würde dann regieren,« warf die Gräfin ein.

»So scheint's mir freilich auch,« sagte der König. »Aber Roger ist klug und gut, und es wäre die direkte Nachfolge von Vater auf Sohn da, was immer sein Gutes hat. Golo freilich würde sich wehren. Möchte wissen, ob er das Zeug zu einem Kriegshelden hätte. Aber was sind das für Gedanken!« Er lachte kurz auf und fuhr fort: »So was von Romantik läuft eben immer noch mit. Heute wollen sie ja in ihrem König nur den höchsten Staatsbeamten sehen, dem sie noch so etliche Zierstücke gelassen haben. Laß jetzt den Tee kommen!«

Ein Diener in reicher Livree mit weißen Strümpfen servierte alsbald den Tee. Mit ihm war ein weißer russischer Windhund gekommen, der den König mit Schweifwedeln begrüßte und von diesem mit Zucker gefüttert wurde. Aus einer Kristallflasche goß die Gräfin dem königlichen Freund einen ansehnlichen Schuß Rum in die Teetasse. Der Diener schob noch ein Rolltischchen heran, auf dem Teller mit Süßigkeiten und Delikateßbrötchen standen. Der König griff tüchtig zu und saß bequem zurückgelehnt, kauend und aus der Tasse schlürfend da, ohne ein Wort zu sprechen. Auch die Gräfin trank ihren Tee schweigend. Als sich der König mit einer kleinen Serviette den Bart gewischt hatte und das Geschirr leise von sich schob, ging sie an ein in Elfenbein ausgelegtes Schränkchen und nahm daraus eine niedere schmale Zigarrenkiste. Dann bot sie dem König auch selbst das Feuer, wofür er ihr die Hand küßte. Der herbeigeklingelte Diener räumte ab.

»Hast du heute länger Zeit für mich?« fragte die Gräfin neben dem König stehend, der sich zuweilen gleich nach dem Tee entfernte, zuweilen aber den ganzen Abend bei ihr verbrachte.

»Ich habe Zeit bis zum Souper,« antwortete er.

»Das ist schön,« sagte sie. »Willst du hier sitzen bleiben, oder gehen wir nebenan?« Sie meinte ihr Boudoir.

Der König lächelte und sagte: »Ich könnte ja eigentlich schon hier anhören, um was es sich handelt, aber es wäre doch ungalant zu sagen, ich säße hier ganz gut.«

Und er erhob sich langsam. Im Boudoir angelangt, verschwand sie rasch durch eine zweite Tür. Der König blätterte in einer daliegenden illustrierten Zeitschrift, las etwas vom Text, aber er war noch nicht zu Ende mit dieser Beschäftigung, als die Gräfin schon wieder eintrat, in einer an Empire anklingenden heliotropfarbenen Toilette von leichter Seide mit Silberbrokat, die die prächtigen Arme und die schneeweiße üppige Büste entblößt zur Schau gab. In dem auf hellgrün und weiß mit ein wenig Gold gestimmten Raum bot sie ein lockendes Bild weiblicher Reife. Dabei trug sie außer den Fingerringen keinerlei Schmuck.

»Prächtig, prächtig,« sagte der König. »Frucht und Blüte zugleich, ein köstliches Bild voll Farbenduft und Formzauber, und erfreulicherweise nicht bloß Bild.« Und er streckte ihr beide Hände entgegen. Sie kam dicht an ihn heran. Er faßte ihre Arme und sagte:

»Also, Spitzbübin, komm gleich heraus mit deinen Wünschen, so lange mein Wille noch nicht ganz von diesem weißen Gewoge erstickt ist.«

»Als ob ich mich noch niemals wunschlos für meinen königlichen Freund geschmückt hätte!« schmollte die Gräfin scherzhaft.

»Heute aber hast du einen Wunsch, dessen Erfüllung dir nicht sicher scheint, und darum schmückst du dich, wie du es anmutig ausdrückst,« entgegnete der König, sie mit den Blicken verschlingend.

»Wenn Kronprinz Golo nach Afrika geht,« sagte die Gräfin jetzt mit zögernder Stimme, »dann braucht er doch jemanden, der ein fachkundiger Leiter der Expedition sein kann.«

»Da haben wir's ja!« sagte der König. »Um den bewußten Vetter geht es wieder, den du mir schon einmal für meinen Marstall präsentiert hast!«

»Ja!«

»Aber dieser Herr Vetter ist ein Taugenichts, das hast du mir seinerzeit selber zugeben müssen. So was kann ich doch in der Begleitung Golos am wenigsten brauchen.«

»Er hat in seiner Jugend leichtsinnige Streiche gemacht, aber dafür kann er doch nicht zeitlebens gestraft werden. Er muß endlich einmal wieder festen Boden unter den Füßen bekommen. Und was soll er in Afrika Übles anrichten können?«

»Was hast du denn eigentlich an diesem Vetter? Wenn's ein Bruder, meinetwegen ein Neffe wäre. Ist er vielleicht eine Jugendliebe von dir?«

»Nicht so ganz,« antwortete die Gräfin. »Aber wohl war ich seine Jugendliebe. Mit jenem sorglosen Übermut, den verwöhnte Mädchen nur zu gern an den Tag legen, wies ich ihn zurück. Er war damals dreiundzwanzig und noch ein ganz ordentlicher Mensch. Dann erst geriet er in schlechte Gesellschaft, schloß eine Ehe, die seiner unwürdig war, und die Verhältnisse trieben ihn aus der sicheren Bahn. Ich habe viel gut zu machen an ihm. Da weißt du es nun.«

»Das hat ja einen nicht unsympathischen Klang. Aber man wird mir ausgesuchte Männer vorschlagen, in deren Kreis er wahrscheinlich nicht paßt.«

Die Gräfin schlang den nackten Arm um des Königs Hals und brachte, sich niederbeugend, ihre weiße Haut, den kühlen Duft ihres Fleisches ganz nahe.

»Ich habe Brüder und Schwäger,« sagte sie, »und für keinen habe ich noch etwas erbettelt.«

»Das stimmt,« erwiderte der König. »Nur zu deinen Börsenspekulationen mußte ich immer herhalten. Wie steht es denn eigentlich damit?«

»Ausgezeichnet!« lautete die Antwort. »Aber bitte schön, mir jetzt nicht ausweichen.«

»Wüßte nicht, wie ich das machen sollte,« scherzte der König. »Du hältst mich ja in engster Gefangenschaft, wogegen ich übrigens gar nichts habe.« Er streichelte ihren Nacken.

»Schau,« sagte die Gräfin, »er braucht ja gar nicht beim engsten Gefolge des Kronprinzen zu sein. Er führt die Karawane, sorgt für Bagage und Proviant und kann voraus oder hinterdrein marschieren.«

»So denkst du dir die Sache,« warf der König hin, und die Gräfin merkte wohl, daß ihre leuchtende Blöße zu wirken begann. Jetzt noch ein Spiel der Augen, die Lippen in kußheischende Form gebracht, dann war er in ihre Gewalt gegeben, ein keuchender, lallender Koloß. –

Prinzessin Constanze war ganz verstört. Sie durfte es ja gar nicht merken lassen, wie ihr eigentlich zu Mut war. Immerhin war sie die erste, von der ihre Eltern erfuhren, daß dem Kronprinzen etwas widerfahren sei. Auf telephonische Anfrage kam dann vom kronprinzlichen Palais der Bescheid, es handele sich nicht um ein eigentliches Attentat, sondern nur um eine von den Republikanern angezettelte Demonstration. In ihrer Gegenwart bemerkte Prinz Achilles, ihr Vater:

»So aus der Luft kommt doch keine Demonstration. Das hat er irgendwie provoziert. Einmal mußte ja etwas Derartiges kommen.«

Constanze wußte es recht wohl, daß Vetter Golo ein wilder Geselle war. Trotzdem und vielleicht gerade deshalb konnte sie nicht aufhören, ihn lieb zu haben, wie in ihren ersten Mädchenjahren. Und gerade unmittelbar vor dem Ereignis waren sie in der Königsau nebeneinander hergeritten, lachend und scherzend. Ihr war so wohl dabei gewesen. Mochte es auch eine große Sünde sein, solches Gefühl für einen verheirateten Mann zu hegen, sie zeigte es nicht, behütete es nur ängstlich als ihr Lebensgeheimnis. Was mochte er nur getan haben? Sie war zwar Prinzessin, aber doch schon sechsundzwanzig Jahre alt, und es hatte der Wind so allerlei an sie herangeweht von dem, was vom wilden Golo gesagt wurde. Das hatte ihr manche heimliche Träne gekostet. Jetzt witterte sie wieder so etwas. Sie drang endlich, obwohl das ganz unpassend war, in die Kammerjungfer, was sie über das Geschehene wisse, warum denn die Leute so etwas gegen den Kronprinzen gewagt hätten. Die Jungfer war eine reife, des Hofdienstes kundige Person, die sehr genau wußte, was man Prinzessinnen nicht sagen darf. Sie wußte daher gar nichts, denn sie war heute noch nicht in der Stadt gewesen. Prinzessin Constanze war das älteste der fünf Kinder des Prinzen Achilles, des am weitesten vom Throne abstehenden Mitgliedes des Königshauses. Der Urgroßvater war ihm mit König Arthur gemeinsam. Er war ein leidenschaftlicher Sportsman und hatte seine Älteste, die immer sein Liebling gewesen, selber zur vollendeten Sportdame erzogen. Sie war groß, sehnig, schlank, mit einem stark geröteten, jünglinghaft anmutenden Gesicht und dem für die Familie typischen Blondhaar. Eine sonore Altstimme, die sie sehr laut gebrauchte, verstärkte noch den männlichen Eindruck. Aber in der Grazie ihrer Haltung, in der Anmut ihres Lächelns und des treuherzigen Blickes ihrer blauen Augen, war sie ganz ein liebenswürdiges Mädchen. Sonst war das Familienglück dieses Zweiges des Königshauses sehr zweifelhafter Art. Eine der Töchter war auffallend häßlich, eine andere nahezu taub. Von den beiden Söhnen war der ältere, obwohl er in der Armee stand, ein schwächlicher, kränkelnder Mensch, der andere, wenn auch nicht voller Idiot, doch ausgesprochen geistesschwach. Der Fluch alter Edelrasse schien gerade die Achilleskinder getroffen zu haben. Aus diesen Verhältnissen ergab es sich, daß Constanze ein von ihren Geschwistern etwas abgerücktes Eigenleben führte, das sie namentlich in den letzten Jahren sehr selbständig gemacht hatte. Innige Neigung brachte sie ihrer ungefähr gleichaltrigen Cousine, der Prinzessin Beate, entgegen. Diese galt, in engen Verwandtenkreisen sowohl wie beim Hofadel, als die Vertreterin der höheren Geisteskultur. Sie malte, dichtete, komponierte, hatte sogar Latein gelernt, besuchte alle möglichen Vorträge und unterhielt sich bei gewissen Gelegenheiten lange mit Professoren, vor denen sonst die Damen des Hofes eine deutliche Scheu hatten. Sie war leidlich hübsch, und was Constanze, die ihre Kenntnisse und Geschicklichkeiten mit naiver Bewunderung ansah, so lebhaft zu ihr hinzog, war ein sanfter Ernst, eine vertrauenerweckende Güte, die zwar unwillkürlich, trotz der Bescheidenheit ihres ganzen Wesens, eine geistige Überlegenheit erkennbar machten, deren aber Constanze gerade bedurfte, sich daran zu schmiegen, um ihrem unbefriedigten Zärtlichkeitsgefühl Genüge zu tun. Am Nachmittag trieb es sie zur Cousine hin. Sie mußte in der Nähe eines lieben Menschen sein, mußte irgend ein Wort, einen Eindruck aufnehmen, um davon daheim zehren zu können. So gab sie sich denn schon bei der Begrüßung einer überschwenglichen Zärtlichkeit hin und entwickelte dann auch weiter ein aufgeregtes Wesen. Prinzessin Beate, die auch nur halbe Andeutungen von dem Vorfalle gehört hatte, wußte doch, was war, denn sie hatte Constanzens Geheimnis schon längst durchschaut, aber nie daran gerührt. Dagegen war sie bemüht, die Base auf Umwegen von der unseligen Neigung abzulenken. Constanzens Unruhe war die Veranlassung, daß jeder Gesprächsfaden immer wieder bald abriß und ein neuer aufgenommen wurde. Beate kam endlich darauf, von einem Lustspiel zu sprechen, das beide vor einigen Tagen im Hoftheater gesehen hatten. Sie sagte:

»Mir sind diese sogenannten Backfische auf dem Theater unausstehlich. Solche Geschöpfe existieren ja gar nicht. Da sind zwei ganz verschiedene Altersstufen vermengt, und das gibt eine abscheuliche Unnatürlichkeit. Ein dreizehnjähriges Mädchen hat vielleicht eine vorlaute Drolerie, bei einer Sechzehnjährigen wirkt es höchst undelikat, sieht nach sehr schlechter Erziehung aus. Ich kann nicht darüber lachen. Und diese täppischen Verliebtheiten sind geradezu ekelhaft. Ich kann mir nicht denken, daß es so etwas gibt.«

»Es ist eben Theater,« meinte Constanze. »Und vielleicht sind die jungen Mädchen in diesen Kreisen auch so. Wir kennen das nur nicht.«

Sie besann sich, daß sie jetzt sehr vorsichtig sein müsse, zugleich drängte aber etwas in ihr nach Entäußerung. So kam es, daß ihre Gesichtsfarbe eine lebhaftere Röte annahm, als Beatens Blick sich, wie sie meinte, mit erhöhtem Ausdruck auf sie richtete.

»Nein, nein, so kann es auch dort nicht zugehen,« sagte jetzt Beate lebhaft. »Das wäre eine völlige Entwürdigung alles dessen, was man sich unter Liebe zu denken hat.«

Dann errötete auch sie leicht, und beide Mädchen sahen sich still an.

»Du bist ja eine Dichterin,« setzte Constanze das Gespräch fort. »Hast du auch schon Liebesgedichte gemacht?«

»Wie käme ich dazu?« entgegnete Beate mit einem Lächeln, das fast schmerzlich aussah. »Das klingt ja an unsereinen nur ganz von ferne heran, wird nicht Erlebnis. Und das ist auch ganz gut so.«

»Warum das?« fragte Constanze schroff.

»Weil es uns kein Glück bringt, wie anderen Mädchen,« antwortete Beate sehr ernst.

»Wir sind doch auch Menschen,« bemerkte Constanze darauf, mit einem bitteren Klang.

»Ja, aber ganz besondere. Nicht von Natur freilich, sondern durch Erziehung; Zucht nennen es die Gärtner bei den Blumen.«

»Wir sollten also wirklich nicht fühlen dürfen wie andere weibliche Wesen, meinst du?«

»Es bekommt uns wenigstens nicht gut.«

»Woher willst du das wissen?«

»Ich weiß es, Constanze,« antwortete jetzt Beate mit Nachdruck und sah die Cousine, die den Blick senkte, scharf an. Dann fuhr sie sanft fort:

»Ich habe auch meine Träume, stelle mir auch vor, wie manches sein möchte, und fühle die Armut, die mich umgibt. Alles das, was man treibt, das Malen, Dichten und so weiter, das ist ja gar nichts anderes, als der Versuch, sich über die Armut wegzutäuschen. Aber man muß sich eben in sein Schicksal fügen. Wir sind einmal, ob wir nun zu Hause bleiben oder an irgend einen auswärtigen Prinzen verheiratet werden, Anhängsel, das den König, seinen Thronfolger und deren Frauen umgibt. Weiter bedeuten wir gar nichts. Aber wir gehören zum königlichen Haus, und ein Schimmer der Königskrone fällt auch auf uns, darum dürfen wir uns auch nicht frei bewegen, sondern führen ein abgesperrtes Dasein, fast wie türkische Haremsdamen.«

»Ich wäre heute früh beinahe Zeugin des Angriffs auf Golo gewesen,« bemerkte jetzt Constanze. »Ich sah gerade noch, wie Leute gefangen abgeführt wurden.«

»Das ist eine recht häßliche Sache, von der wir am besten gar nicht sprechen,« meinte Beate.

Constanze wurde etwas verwirrt. Beate nahm ihre Hand und sagte, diese leise streichelnd:

»Sei froh, daß du nicht Golos Frau geworden bist, wie's einmal im Wege war.«

»Wie kommst du jetzt darauf?« entgegnete Constanze abweisend. Beate faßte ihre Hand fester, sah sie liebevoll an und erwiderte:

»Weil gerade die Gelegenheit gegeben ist, dich zu bitten, recht innig zu bitten, du mögest dein Herz in Ordnung halten. Es ist nicht gut, liebe Constanze, so mit sündhaften Gedanken zu spielen. Und Golo, mag er immerhin einmal unser König werden, ist es nicht wert, daß du um ihn deine Seele gefährdest.« Constanze straffte ihren Oberkörper, aber gleich sank sie wieder zusammen und sagte mit tiefgeneigtem Kopfe:

»Ich kann nicht anders! Du sagtest eben selbst, du kennst die Liebe nicht.«

»Das ist nicht Liebe, das ist Ehebruch,« sagte Beate jetzt streng.

»Du bist sehr hart, Beate. Wem schadet denn, was ich so tief verborgen mit mir herumtrage? Ich begreife aber gar nicht, wie du es erraten konntest.«

»Wer sich um dich näher kümmert, wie ich es tue, der muß es bald bemerken. Ich hatte schon lange die Ahnung, aber ich sträubte mich dagegen, denn ich fand es eigentlich entsetzlich. Denke nur, wenn Golo selbst – – –«

»Nein, nein!« rief Constanze erregt dazwischen.

Constanzens Hofdame erschien und mahnte, daß königliche Hoheit noch verschiedene Besorgungen geplant hätten. Constanze war diese Unterbrechung der Zwiesprache mit der Cousine willkommen.

Als sie im Wagen saß, war sie sehr schweigsam. Sie versäumte zwar niemals, für die Verneigungen der auf der Straße stehenbleibenden Leute, mit einem sehr tiefen Gruß zu danken, aber sie dachte dabei immer daran, daß ihr Geheimnis nun doch entdeckt war, und jetzt hatte sie auch ein schlechtes Gewissen – – Und wenn es Golo wüßte? – – Gewiß wußte er es. Darum sah er sie oft so frech an, daß ihr ganz heiß wurde. Oh, es stand schlimm mit ihr! Die Aussprache mit Beate hatte etwas ganz anderes gebracht als Erlösung.



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