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Fünfzehntes Kapitel

Zwar hatte König Golo eifrig darauf bestanden, sein Vater sollte die alten gewohnten Räume im Schlosse beibehalten, während er im Kronprinzenflügel bleiben wollte, aber der alte Herr ließ sich darauf nicht ein und wies insbesondere darauf hin, daß der Zusammenhang der königlichen Privatgemächer mit Staatsräumen zu Unzuträglichkeiten führen müsse. So kam es denn zum großen Umzug. König Arthur nahm gewisse Möbel, an denen seine Gewohnheit hing, vor allem aber seine reiche Sammlung an künstlerischen Bibelots mit sich in die neue Wohnung, und er hatte Spaß an dieser Neuordnung, bei der die Gräfin Zerpa die Oberleitung hatte übernehmen müssen. Zunächst hatte er starke Langeweile darüber empfunden, daß niemand mehr zu Vorträgen zu ihm kam, daß er nicht einmal mehr eine Unterschrift zu vollziehen erhielt. Am Nachmittag kam er schon früh zur Gräfin und blieb bei ihr bis zehn Uhr des Abends. Aber für den Vormittag hatte er keinen passenden Zeitvertreib. In der Umgebung, die er beibehalten hatte, war niemand, der es so recht verstanden hätte, ihm über die veränderte Situation hinwegzuhelfen. Er genierte sich jedoch, seinen alten Vertrauten Coriolani wieder näher an sich zu locken. So packte ihn oft eine arge Melancholie, die er eben mit Alkohol von sich zu scheuchen suchte. Mit der Zeit kam die Gräfin auf die Spur dieses vormittäglichen Mißvergnügens, und sie bestimmte den Grafen Coriolani, der sofort bereit war, sich an einem oder dem andern Vormittag beim alten König melden zu lassen. Es mußte das in eine geschickte Form gebracht werden, denn der hohe Herr wehrte es immer eifrig ab, daß sich der Graf seinetwegen irgendwie derangiere, er sei nicht mehr berechtigt, so etwas zu verlangen. Im weiteren Verlaufe brachte der Graf auch einen kleinen Kreis älterer, dem König sympathischer Herren zusammen, die sich im Hause der Gräfin um ihn zu intimen Soupers sammelten. Die Gräfin mußte dabei sein. Er hätte es aber für unziemlich gehalten, sie zu sich ins Schloß zu bitten. Er fühlte sich bei ihr so heimisch, daß er den bürgerlichen Hausherrn spielte und nach Tisch die Zigarren herumreichte. Es war nie von der Gegenwart und erst recht nicht von Politik die Rede, desto mehr von vergangenen Zeiten. Aber auch da wurden gewichtige Gesprächsgegenstände vermieden, man erzählte allerlei private Erfahrungen, sprach von verstorbenen Personen und Erlebnissen, die man mit ihnen gehabt. Der König selber gab sich sehr mitteilsam. Wenn er dagegen mit der Gräfin oder mit Coriolani allein war, dann kam er gern dazu, von wichtigeren Dingen der Vergangenheit zu sprechen. Dabei kam er manchmal ganz in Eifer, als hätte er einen Gegner zu widerlegen, obwohl er natürlich nie Widerspruch erfuhr. Nur die beabsichtigte Heirat des Prinzen Adolar, über die König Golo endlich mit ihm gesprochen hatte, war ein Thema aus der Gegenwart, das er seinen beiden Vertrauten gegenüber kurz berührte. Er gab Golo recht, daß er den ehelichen Verbindungen solcher nachgeborener Prinzen kein besonderes Gewicht beilegte, aber er meinte, wenn es eine junge Aristokratin gewesen wäre, sehe sich die Sache wesentlich anders an. Die Schauspielerin verstimmte ihn.

»Wär's noch ein eigentliches Bürgermädel,« sagte er zur Gräfin, »so steckte noch so was von Romantik, eine gewisse Originalität darin, aber eine Schauspielerin heiraten ist schrecklich banal. Es ennuyiert mich.«

Und zu Coriolani äußerte er:

»Wenn er nun gleich den Prinzen fahren ließ und stürzte sich ins bürgerliche Leben, dann wäre Logik darin. Aber da möchte so ein Dämchen nicht mehr mittun. Die Kunst muß dabei herhalten, nach Idealismus soll es aussehen und kommt alles doch nur davon her, daß sie ihr Stückchen Haut öffentlich ausgestellt hat.«

Dieser Heiratshandel des jüngsten Sohnes mochte noch dazu beigetragen haben, daß er merklich zusammenfiel und in zunehmendem Maß ein greisenhaftes Gebaren annahm. Er beschmutzte sich mit der Zigarrenasche und bei seinen Hustenanfällen, ohne weiter darauf zu achten, aß unsauber, und von seinem Kammerdiener erfuhr man, wie er immer schwieriger zu behandeln sei. In der Stadt nahm man derlei Nachrichten mit sehr lauer Teilnahme auf. König Arthur war nun einmal abgetan. Weit mehr interessierte man sich für den jungvermählten Prinzen Adolar, der sich, von der Hochzeitsreise zurückgekehrt, mit seiner jungen Frau, der Baronin Montenero viel öffentlich sehen ließ. Die Herrschaften traten sehr schick auf. In Geschäftskreisen war man allerdings darüber ärgerlich, daß die ganze Aussteuer der Baronin aus Paris bezogen war. Bald war auch der Major a. D. Labana mit seiner Familie in die Hauptstadt übergesiedelt und wurde in den eleganten Kaffeehäusern dadurch eine bekannte Figur, daß er sich an alle möglichen Leute heranmachte, anscheinend nur zu dem Zwecke, ihnen mitzuteilen, er sei der Schwiegervater des Prinzen Adolar. Die Kratzfüße der Kellner nahm er denn auch mit einer leutseligen Herablassung entgegen. Die Majorin fand Anschluß bei den Theaterdamen, die jetzt auch im prinzlichen Hause viel verkehrten. Dort ließ sie sich als Prinzenschwiegermutter huldigen und amüsierte das boshafte Völkchen durch die Art, wie sie sich bemühte in ihrem Gebaren einen vermeintlichen Hofton zu markieren.

Den regierenden König konnte man alle Tage zwischen einem Flügeladjutanten und Baron Avia am Frühmorgen reiten sehen. Ernstere Leute besprachen manchmal mit einigem Interesse den Umstand, daß der König den Gehilfen des Kabinettssekretärs, den ›krummen‹ Coriolani immer mehr an sich heranziehe. Der junge Mann erteilte ihm förmlichen Unterricht in verschiedenen Gebieten der Staatsverwaltung und mochte bald als eine Persönlichkeit von bedeutenden Einfluß werden. Aber auch vom andern Coriolani, dem ›schönen Casar‹, drang jetzt mehr Kunde als früher in die dem Hofe ferner stehenden Kreise. Die kurze blutige Erschütterung war, wenn auch nicht vergessen, doch schon ganz aus der Sphäre der naheliegenden Unterhaltungsstoffe gewichen. Die behagliche Zeit des Klatsches war wieder da. Eines Morgens kam aber wieder ein schärferer Luftzug in diese laue geistige Witterung. König Arthur war in der Nacht einem Schlaganfall erlegen. Dieser ersten kurzen Nachricht folgte bald eine weitere, die erst die eigentliche Sensation in ein im Grunde nicht allzu überraschendes Ereignis brachte. Wohl ruhte jetzt der alte König im Schloß und in seinem Bette. Gestorben aber war er bei der Gräfin Zerpa und schleunigst dann in einer Kutsche der Gräfin dahin befördert worden, wo sein Tod ein anständiges Gesicht bekam. Da er nun einmal zur Nachtzeit bei seiner langjährigen Geliebten gestorben war, so war die Phantasie aller braven Residenzbewohner sofort bereit, nähere Umstände auszumalen, die seinem Tod die Würde nahmen. Die Nekrologe der Zeitungen sprachen von einem philosophischen König, der sein Unglück am Beginne seiner Regierung mit Weisheit ertragen habe, ein gütiger, liebenswürdiger Landesvater gewesen sei, und zuletzt noch in seiner Thronentsagung den höheren Mut der Weisen gezeigt habe, nachdem er vorher schweren Herzens gegen einen Teil des eigenen Volkes habe vorgehen müssen. Man sprach von einer tragischen Erscheinung auf dem Throne. Ein Blatt glaubte es recht gut zu machen, indem es noch hervorhob, daß ihn mit der Gräfin Zerpa eine langjährige Freundschaft edelster Art verbunden habe, und den Umstand, daß gerade sie ihm die Augen habe schließen können, noch poetisch verklärte. Aber die allgemeine Meinung war doch nicht die eines ungemischten Trauergefühles. Man hielt vielmehr strenges Gericht über den Toten. Für seine Güte wußte man ihm wenig Dank. Sie erschien jetzt nur als Schlappheit, die mehr und mehr zu trägem Schlemmertum geworden, das Vaterland in die höchste Gefahr gebracht hatte. Ein solcher Tod im Arme der Maitresse war der logische Abschluß dieses Lebens, freilich zugleich beschämend für das ganze Land. Wären die Republikaner nicht so vollkommen niedergeschmettert gewesen, jetzt hätten sie Wasser auf ihrer Mühle gehabt.

Die Gräfin Zerpa hatte alsbald in einem flehentlichen Brief den alten Coriolani zu sich gebeten, der, obwohl im Schmerze um seinen Herrn kaum bewegungsfähig, ihrer Bitte doch ritterlich Folge leistete. Sie beteuerte ihm auf das Feierlichste, daß sie seine früheren Mahnungen sich wohl zu Herzen genommen und ihre Beziehungen zum verstorbenen König seit langem in den harmlosesten Verkehr gewandelt habe, bei dem sie schließlich etwas geworden sei, was mit einer Wärterin viel mehr Ähnlichkeit als mit einer Geliebten gehabt habe. Der König sei, wie in der letzten Zeit häufig, mitten in der Unterhaltung eingenickt und dann von einem Hustenanfall überfallen worden, den er wohl in seiner Schläfrigkeit nicht mehr so bezwingen konnte, wie sonst. Ihrer Meinung nach sei er zunächst erstickt, der Herzschlag möge die Begleiterscheinung gewesen sein.

»Und wenn ich Ihnen auch gerne glaube,« sagte der Graf darauf, »wir schaffen die allgemeine Meinung nicht aus der Welt, die zu dem tödlichen Hustenanfall im Hause der Geliebten nur spöttisch lächeln würde. In unserer tugendhaften Welt ist es einmal so, daß schon die ferne Möglichkeit gewisser Zusammenhänge zur unumstößlichen Tatsache wird. Solche Witterung läßt man sich nicht gerne entgehen. Gerade der Frommen Lieblingsgeschäft ist es, die Nase in den Sündengeruch anderer zu stecken. So muß es mein guter König auch noch leiden, in seinem Tode mißdeutet zu werden. Das, Gräfin, ist arg, und das Herz könnte mir darüber brechen.«

»Aber es muß doch möglich sein, der Wahrheit zum Rechte zu helfen!« rief die Gräfin. »Bedenken Sie doch, Graf, in welcher fürchterlichen Lage ich bin!«

»Ich hab's Ihnen ja gesagt!« entgegnete Graf Coriolani unwillig. »Ein ganzes Ende hätten Sie machen müssen, verreisen mußten Sie.«

»Ich konnte ihn nicht verlassen. Das durfte ich nicht, als er auch Sie nicht mehr hatte. Er wäre ja ganz einsam gewesen.«

»Ich bitte dringend, nicht mich hereinzuziehen,« wehrte der Graf ab.

»Ach, lieber Graf, zanken Sie doch jetzt nicht mit mir,« flehte die Gräfin. »Raten Sie mir, was ich tun soll.«

»Jetzt wird Ihnen wohl nichts bleiben als doch abzureisen,« versetzte Coriolani.

»Das kann ich nicht sogleich. Ich muß doch erst meine Geschäfte ordnen,« klagte die Gräfin.

»Ach so, Ihre Geschäfte! Freilich darf darin nichts versäumt werden,« bemerkte der Graf bitter und entfernte sich mit einer kurzen Verneigung.

Die Gräfin rief jetzt die Hilfe ihres Vetters Avia an und zwar vor allem zu dem Zwecke, daß er dem König ein von ihr verfaßtes ausführliches Schreiben überreiche und es mündlich unterstütze. Es war die erste Gelegenheit, die sich Avia bot, ihr seine Dankbarkeit zu beweisen, und so erfüllte er ihren Wunsch, wenn auch mit größtem Unbehagen. Der König merkte dies sehr wohl und sagte, nachdem er das Schriftstück gelesen:

»Ich will der Gräfin ja glauben und will sogar zugeben, daß sie sich gerade um die letzte Lebenszeit meines Vaters verdient gemacht hat, aber die Sache behält ihr böses Gesicht. Sie sind ja selbst dadurch berührt als Verwandter der Gräfin,« fügte er nach einer kleinen Pause hinzu und weiter noch mit einem prüfenden Blick: »aber ein guter Schütze.«

Avia fing den prüfenden Blick in aufrechter Haltung auf.

Wie nebenbei hingeworfen kam es noch halblaut von des Königs Lippen:

»Sie würden auch der Monarchie dienen.«

So, mit der Pistole in der Hand, durfte er sich die königliche Gnade und die errungene Stellung erhalten. Also wieder der Abenteurer, der Glücksritter. Ehe er noch dazu gekommen war, dem königlichen Winke sich gefügig zu zeigen, hatte sich, wenige Tage nach dem Begräbnis König Arthurs, die Gräfin Zerpa vergiftet. Es hatte ihr anonyme Schmähbriefe ins Haus geregnet, und bei Ausfahrten hatte man ihr Schimpfworte in den Wagen gerufen. Das hatte sie doch tiefer getroffen, als daß es durch einen Wechsel des Wohnortes hätte weggewischt werden können. Wieder einige Tage später wurde ihr Testament eröffnet, in dem ihr Vetter Baron Avia zum einzigen Erben ihres Vermögens von ungefähr zwei Millionen bestimmt war, unter der Verpflichtung, das Andenken König Arthurs in jeder ihm dienlich scheinenden Weise vor Verunglimpfung zu schützen.

›Das soll fernerhin deine Lebensaufgabe sein!‹ hieß es da. Gleich darauf aber kam eine eingehende Aufstellung und Erklärung der augenblicklichen Lage ihrer Finanzverhältnisse und Börsenverbindlichkeiten.

Avia sorgte sofort dafür, daß der den verstorbenen König betreffende Teil des Testamentes durch die Presse weitesten Kreisen bekannt wurde zugleich mit der Nachricht, daß bereits ein hervorragender Künstler mit der Ausführung eines Grabmals für die hochgesinnte Frau beauftragt worden sei, die wie eine antike Heldin dem königlichen Freunde ins Grab gefolgt sei. In der großen Öffentlichkeit verstummte darnach das Gerede über König Arthurs Ende sehr rasch, und es wurde überhaupt nicht mehr über ihn gesprochen. In den Hofkreisen medisierte man zum Zeitvertreib während der langweiligen Landestrauer über Avia, den glücklichen Erben, der das Palais seiner Cousine bezog und sich als vornehmer Junggeselle installierte. Man fand es schamlos, daß er seine Hofstellung beibehielt, denn, so berechnete man, von der Zerpaschen Erbschaft war etwa eine halbe Million ursprüngliches reinliches Vermögen der Gräfin, der große Rest mit königlichen Mitteln gemachter Börsengewinn. Aber beim König stand er nach wie vor in vollster Gnade, nachdem er nicht nur durch die Veröffentlichung des Zerpaschen Testamentes und den demonstrativen Denkmalsauftrag, sondern besonders noch durch bedeutende Schenkungen für verschiedene Zwecke die Skandallust des Publikums zur Ruhe gebracht hatte. Er war jetzt der weitaus reichste und mächtigste Hofbeamte. Da konnte man in engster Vertraulichkeit einmal ein Wörtchen riskieren, aber es war nicht klug, sich den Mann zum Feind zu machen. Avia selber hatte flüchtig erwogen, ob es nicht besser sei dem Hofdienst nicht nur, sondern auch der Hauptstadt den Rücken zu kehren und an irgend einem schönen Erdenflecke von der Wendung des Geschickes unangefochtenen Gewinn zu ziehen. Dem Willen der Erblasserin hätte er sich ja auch aus der Ferne dienstbar machen können. Aber rasch stellte sich der Kitzel ein, nun gerade mit der Macht jenes Reichtums, dessen Natur er sich nicht verhehlte, der Lästersucht stand zu halten, die Nachrede zu vereiteln, er habe sich mit seiner Beute scheu gedrückt. Es gefiel ihm weiter, noch mit dem Gedanken zu spielen, daß er durch fernere Königsdienste eine gute Form freiwilliger Verpflichtung erfülle. Der König hatte sich bei ihm bedankt für die geschickte und würdige Art, mit der er die peinliche Angelegenheit aus der Welt gebracht habe, und hinzugefügt:

»Das ist kavaliermäßig ohne Pistole. Aber Sie sind ein reicher Mann und werden wohl nicht mehr dienen wollen. Die Zeiten sind vorbei, in denen ›Ich dien‹ ein Wort des Stolzes war.«

Und Avia hatte geantwortet:

»Wenn ich mich auch keiner großen Tugenden rühmen kann, Majestät, so bin ich doch kein undankbarer Schelm und auch von solchem Blut, daß ich über einer Besserung meiner Vermögensverhältnisse noch nicht den Verstand verliere.«

Der König drückte ihm lächelnd die Hand.

Nach einiger Zeit machte Avia eine eigentümliche Erfahrung über die Folgen seines neuen Reichtums, die etwas anderes war als die verschiedenen Variationen der täglichen Bettelbriefe. Seine Scheinmaitresse – um sie bei Laune zu halten war er ihr allerdings im Laufe der Zeit gelegentlich näher getreten – hatte trotz ihres zurückgezogenen Lebens und ihrer örtlichen Fremdheit von den jüngsten Vorgängen genug erfahren, um an ihn mit nicht unerheblichen Ansprüchen auf Vermehrung ihrer Einkünfte heranzutreten. Als er sich schwerhörig stellte, machte sie Anspielungen, aus denen zu entnehmen war, daß sie zwar über das Geheimnis, dem sie als Schutzmantel diente, nicht die Wahrheit kannte, dagegen eine andere Spur hatte, die auch Gefahr in sich barg. Durch grobe Behandlung reizte er sie zu größerer Deutlichkeit. Da kam es heraus, daß die Königin Buhlschaft mit einem Hofkavalier habe, und da er ja auch ein großer Herr bei Hofe sei, so gehöre nicht viel Grütze dazu, um zu ahnen, wer die vornehmen Benützer der prächtig eingerichteten Räume, die sie selber nicht einmal betreten sollte, seien. Avia hatte gewisse Beobachtungen, die sich ihm früher aufgedrängt hatten, nicht mehr weiter verfolgt, und bei dem Mißtrauen, das man in den Hofkreisen gegen ihn hegte, hatte man in seiner Nähe auch zu der Zeit nie an das Geheimnis der Königin gerührt, als es noch eine pikante Neuheit war. Er verbarg seine nachdenkliche Überraschung unter einem belustigten Lachen, zeigte sich aber zu Unterhandlungen bereit, deren Endergebnis die Engländerin derartig befriedigte, daß sie die lebhaftesten Versicherungen gab, sie werde nie und nimmer seinen besten Freund, den armen Offizier, der um seine Stellung käme, und die Gräfin, die vom Hofe verbannt würde, verraten. Er hatte geschwind einen ganz unglaublichen Roman zusammenphantasiert. Als er das Haus wieder verlassen hatte, war ihm das eine gewiß, daß die Varietédame samt Begleitung baldigst verschwinden müsse. Sie hatten schon Hofluft gerochen, und man durfte ihnen jetzt nicht noch den König in Person unter die Nase bringen. Aber man mußte auch das Haus aufgeben, durfte nicht neue Leute ins Vertrauen ziehen. Er hatte den Handel gründlich satt, weil ihm davor graute, daß Prinzessin Constanze in einem neuen Schlupfwinkel verbergen sollte, was vor der Welt grobe Sünde war und doch aus edelstem Herzen kam. Und dazu diese Königin! Er schmähte sie in Gedanken mit den niedrigsten Worten. Er glaubte an die Wahrheit dessen, was da schon auf der Gasse gesprochen wurde, denn jetzt erinnerte er sich wieder deutlich seiner früheren Eindrücke. Der schöne Cäsar, das war doch die richtige Nummer für solche Weiber, die einen wilden Knaben zu fesseln zu wenig Kunst, still zu dulden zu wenig Seele haben, sondern nur einmal geweckt, das Männchen nicht entbehren wollen. Daran war auch nicht zu tasten, daß des Weibes Untreue, sehr im Unterschied von der des Mannes, diesem zum Spott gereicht. Das aber war es gerade, was ihn empörte, daß solch ein glatter Fant einen solchen König verhöhnen durfte. Aber er fühlte die Ohnmacht seines Grimmes. Es mochte einmal eine Gelegenheit kommen, auszuführen, was ihm durch den Sinn kam. Das ist einmal in solchen Dingen das bittere Gebot, daß man nicht Feuer rufen soll, wenn jede Nase schon den Rauch riecht, gar wo es um ein königliches Bett geht.

Er sprach dem König davon, daß das bisherige Liebesversteck sich nicht mehr eigne, das Geheimnis zu wahren, weil die Hüterin die Stadt verlasse und es bedenklich sei, eine neue Person ins Vertrauen zu ziehen. Der König sah zu Boden und sagte, wie im Selbstgespräch:

»Arme Constanze! Es ist ein ganz abgeschmackter Handel, wie du deine Köstlichkeit verstecken mußt!«

Dann hob er den Kopf und sprach erregt zu Avia:

»Ich entwürdige, ich erniedrige sie. Das Gefühl haben Sie Wohl auch? Es war ein Wunder für mich, eine Erlösung, aber ich hätte es nicht anfangen sollen.«

Als er eine leise Bewegung Avias bemerkte, fuhr er noch lebhafter fort:

»Mißverstehen Sie mich nicht, ja nicht! Ich bin dem herrlichen Geschöpf zeitlebens Dank schuldig und werde nie aufhören sie anzubeten. Aber,« klang es dann langsam in gedämpfterem Tone weiter, »ich habe jetzt wirklich zu viel im Kopfe. Ich kann mich meinen Gefühlen nicht mehr frei hingeben. Selbst wenn ich bei ihr bin, werde ich zerstreut. Ich fürchte, ich kränke sie zuweilen ganz wider meinen Willen. Vieles kann ich mit ihr bereden und das ist mir von höchstem Wert, aber doch nicht alles. Sie hat mich gelehrt, was ein Weib dem Manne sein kann, sie lebt ganz für mich, alles an ihr ist Zärtlichkeit, Hingabe und – – – ich kann nicht mit, kann's nicht mehr, wie in der ersten Zeit.«

Baron Avia sagte mit einem dunklen Klang der Stimme:

»Majestät haben neue Aufgaben, neue Pflichten bekommen. Es ist eine alte Notwendigkeit, daß der Mann nicht von der Liebe allein leben kann.«

»Das ist's, das ist's!« versetzte der König. »Aber, wie gesagt, mißverstehen Sie mich ja nicht. Helfen Sie uns wieder einmal, lieber Baron. Sie werden schon eine neue Kriegslist ersinnen. Die Prinzessin darf ja nicht zu der Empfindung kommen, als ob ich weniger eifrig um unsere Zusammenkünfte bemüht wäre.«

Avia ging sehr betrübt vom König. Da vollzog sich also wieder das Trauerspiel des Weibes. Den kostbarsten Inhalt seines Seins gibt es opferfreudig hin, Heiligtümer enthüllt es, Schatzkammern öffnet es, den Bannfluch der Gerechten wagt es, für den Mann aber, um deß Willen dies alles geschieht, ist es nur eine Episode auf dem Ritte durch das Leben. Und in diesem Trauerspiel war auch ihm eine Rolle zugewiesen, die erbärmlichste des ganzen Stückes, nicht einmal eines richtigen Bösewichts, sondern eines kleinen Schurken, der sich verkauft hat. Das ist das kläglichste Menschenlos, so zwischen drinnen zu stehen mit Nichtsnutzigkeiten und unfruchtbarem Schamgefühl als wetterwendischer Fahnenfetzen, den der Lebenswind hin und her peitscht. Da war nun wieder so ein witziges Problem von Gut und Böse. Er hatte es nicht mehr nötig, sich jeglichem Dienst feil zu halten, und in des Königs Seele war zu lesen gewesen, daß er nicht in zornige Verzweiflung geriete, würde dem Roman von Golo und Constanze jetzt ein sanftes Ende durch hemmende Umstände bereitet. Aber das war doch erst die volle Schurkerei, so zu spielen mit Constanzens Seele, sie so preiszugeben dem gemeinen Schicksal des verliebten Mädchens. Jetzt mußte erst recht alles aufgeboten werden, die Krisis dieses Frauenlebens so lange als möglich hintan zu halten, indem man sie und den König im Banne dieser Liebe hielt.

Für die nächsten Zusammenkünfte kam man auf die Pagode zurück. Man ritt nicht mehr dorthin, sondern benutzte zwei dem Ziel auf verschiedenen Wegen zustrebende, geschlossene Automobile, die so am Parke landeten, daß sie auch vom Schloßkastellan nicht gesehen wurden.

Was der König Avia über seinen Gemütszustand offenbart hatte, das hatte Constanze schon seit einiger Zeit mit vergebens niedergezwungener, stets sich erneuernder Angst bemerkt und immer feinfühliger spürte sie aus mancher Zärtlichkeit heraus, daß sie mit halber Empfindung, nur aus dem Zwange der Situation heraus geboten wurde. Der König sprach ihr gern von weitausschauenden Plänen einer bedeutsameren auswärtigen Politik und beklagte dabei die Schwierigkeit, Diplomaten zu finden, die Staatskünstler und nicht bloß Hofschranzen seien. Von Wert und Unwert des Adels für den Staat war die Rede und auf Prinz Roger und Clara Eugeniens Ehrgeiz kam man zu sprechen. Durch wißbegierige Fragen suchte Constanze anregend auf den königlichen Geliebten zu wirken, und darüber hinaus wagte sie einmal auch ein Wort, wie es der schlichte Verstand oder die Regung eines guten Herzens eingaben. Zur Geduld mahnte sie und zur Nachsicht mit den Menschen, die nicht von gleicher Höhe aus in die Welt sahen und auch nicht das gleiche starke Temperament entfalten konnten, wie der selbstherrliche Fürst. Vor allem bemühte sie sich so, wie sie es verstand, den König auch auf innere Aufgaben, die dem Ehrgeiz weniger Spielraum gaben, zu lenken. Ein glückliches Volk schwebte ihr vor, das seinem König mit dem Herzen huldigte. Es gelang ihr oft ihn lebhaft zu fesseln, und dann kam aus seinem Herzen das Bedürfnis, sich auszusprechen über die Not, ob es ihm gelingen würde das Vertrauen seines Volkes zu gewinnen. Aber nur zu oft, und wie es ihr schien, immer öfter kam er schon zerstreut oder er konnte nicht genug den Drang, die Zusammenkunft bald zu beenden, verbergen, gerade als habe er ihr eben nur mit seinem Kommen einen Gefallen tun wollen. Es wollte ihr auch scheinen, als ob er manchmal bei ernstem Willen eine Zusammenkunft recht wohl hätte ermöglichen können, die durch die Überfüllung mit Geschäften nicht zustande kam. Es war nicht mehr so wie früher, seit er die Krone trug, und zur heimlichen Königin, die sie doch nach seinem eigenen Wunsche hätte sein sollen, würde sie es wohl nimmer bringen. Eine große Angst befiel sie manchmal ganz plötzlich, daß es einmal ein Ende nehmen könnte mit dieser Liebe. Daran hatte sie bisher gar nicht gedacht, und jetzt wurde ihr auf einmal zwingend klar, daß es ja früher oder später so kommen müsse. Und das mußte sie stumm hinnehmen, mußte weiter leben in des ehemaligen Geliebten nächster Nähe, mit ihm verkehren als Mitglied des königlichen Hauses, dessen Oberhaupt er war. Das war ja ganz unmöglich, das hielt sie ja gar nicht aus. Da kam auch schon die Vorbereitung dieses unglaublichen Zustandes. Ihr Bruder hatte sich schon seit einiger Zeit mit großer Leidenschaft dem eben bei den fürstlichen Herrschaften in Übung gekommenen Automobilsport hingegeben. Eine Erkrankung, die keine unmittelbaren Schwierigkeiten bot, gab den Ärzten doch Veranlassung zu der Erklärung, daß die zarte Konstitution des Prinzen nicht sehr geeignet sei für einen Sport, der die Atmungsorgane sehr stark beeinflusse. Der junge Prinz mußte auf sein Vergnügen verzichten. Dagegen war durch diesen Anlaß, der im engeren Kreise viel von Automobilen reden ließ, Prinz Achilles, der Vater, aufmerksam geworden, daß dieses dem Sohn verwehrte Vergnügen vielleicht ihm einen Ersatz für das schwer vermißte Reiten bieten könnte. Er ließ sich die Steuerung eines solchen Kraftwagens lehren, und auch Prinzessin Constanze mußte darin Unterricht nehmen, denn, daß sie wie früher bei den täglichen Ausritten auch jetzt seine Begleiterin sein würde, sprach er gleich als etwas Selbstverständliches aus. Nun ergab sich sehr schnell aus dem Wesen dieses Fahrzeuges die Folgerung weiterer Touren, die einen ganzen Tag in Anspruch nahmen, und es wurde zum erfrischenden Zeitvertreib, noch umfangreichere Reisepläne zu ersinnen und ins einzelne auszuarbeiten. Constanze mußte ihren Eifer für die Sache bekunden, der Vater wurde gleich ärgerlich, wenn er etwas von Lässigkeit an ihr zu bemerken glaubte. Sie war doch nun einmal Sportdame, und wenn ein alter Herr auf diesem Gebiete mit der Mode ging, dann mußte sie es erst recht tun. Als wäre er nie selber ein leidenschaftlicher Reiter gewesen, spöttelte der Prinz jetzt über das Getrabe in der Königsau oder gar im Reitgarten. Constanze hatte ihren Vater so lieb, sie hätte sich gern über die Auffrischung gefreut, die ihm, der über sein Leiden schon ganz verzagt geworden war, diese neue Passion bereitete. Aber so oft sie das Auto bestieg, kam ihr der Gedanke, daß sie von Golo wegfahre, so schnell, so weit. Zusammenkünfte mit ihm waren ja nur möglich, wenn der Vater wieder einmal einen argen Ischiasanfall hatte, geringere Schmerzen ignorierte er und behauptete, die Fahrt sei ein gutes Mittel dagegen, weil er sie darüber vergaß. Und ihre Sehnsucht nach Golo, ihre Angst ihn zu verlieren verband sich, wenn sie so an der Seite des vergnügten Vaters saß, mit einem erdrückenden Schuldgefühl. Wenn der gute alte Mann wüßte, wie es mit seinem Lieblingskinde stand! Da halfen keine kühnen Gedanken, da versagte der Mut, das eigene Schicksal mit freiem Willen zu gestalten. Sie fühlte sich als schwere Sünderin, und jedes liebenswürdige Scherzwort, das der Vater ihr gelegentlich zuwarf, war eine schmerzhafte Anklage ihres Verrates.



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