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Elftes Kapitel

Der Kronprinz hatte sich einen Schlüssel zum hinteren Parktor des Palais zu beschaffen gewußt und schritt in Uniform ruhig an dem salutierenden Posten vorbei, mußte aber freilich immer noch den Weg durch das Fenster nehmen. Constanze hatte in Erfahrung gebracht, daß die zweite nächtliche Runde durch das Palais eine Vorschrift war, die praktisch gar nicht mehr beachtet wurde. Das gab den Zusammenkünften eine solche Sicherheit, daß das Liebespaar sich in dem kleinen, gemütlichen Parterresalon wie in einem weltentrückten Paradies befunden hätte, wäre nicht noch immer in Constanzens Entfernung aus ihrem Schlafzimmer die Möglichkeit einer zufälligen Entdeckung gelegen gewesen. Auch sonst war Unzuträgliches in der Sache.

Im Süden der Stadt lag der alte königliche Wildpark mit einem Schlößchen aus dem achtzehnten Jahrhundert in dessen Mitte. Der Mode dieser Zeit entstammte auch das kleine chinesische Haus, das auf verschwiegenen Wegen erreichbar, an einem Ende des Parkes lag. Eine Veranda mit bunt bemaltem Holzwerk lag vor dem spielerischen Bau, der nur drei Räume enthielt, einen kleinen Salon mit chinesisch gemusterten Tapeten und Möbelbezügen und chinesischem Geschirr in einem Glasschränkchen, einem Kabinett mit großem Spiegel und einer breiten Causeuse, und endlich einem Sitzzimmer für begleitende Dienerschaft, in dem sich auch eine kleine Kochvorrichtung befand. Das nannte man die Pagode. Die königlichen Prinzen waren als Kinder oft da heraußen gewesen, um das Damwild, das sich ganz zahm im Park umhertrieb, zu füttern und selber einen Nachmittagsimbiß zu nehmen. Aber in neuerer Zeit war der Ort ganz außer Mode gekommen. Höchst selten erschienen einmal die Kinder des Prinzen Roger. Vom königlichen Reitgarten aus kam man sehr schnell nach dieser Richtung ins Freie. Ohne belebtere oder vornehme Straßen berühren zu müssen, führte der Weg an Gemüsegärten, Holzplätzen und halbländlichen Vorstadthäusern vorbei. Die Stadt hatte sich gerade nach dieser Richtung in der Neuzeit nicht weiter entwickelt. Man wurde also nicht sonderlich beobachtet. Mit dem Kastellan des Schlößchens, beziehungsweise mit seiner Frau hatte man es zu tun. Damit auch daraus kein Gerede erwuchs, mußte ein Dritter als Deckung mitgenommen werden, und das sollte Baron Avia sein. Dagegen sträubte sich Constanze zunächst. Aber sie ließ sich von der Zweckmäßigkeit der Maßregel überzeugen, und beruhigend wirkte auch die Bemerkung des Kronprinzen: »Er ist mir so treu ergeben, daß er einen Mord für mich begehen würde. Wenn ich es ihm sage, was du mir bist, dann legt er sich dir zu Füßen. Ahnen hab ich es ihn schon lassen, daß mir durch ein Weib eine neue Welt aufgegangen ist.«

Constanze sah ihn zärtlich an und sagte:

»Ach Golo, wenn das wahr wäre, was Gutes daraus käme, würde ich mich gar nicht mehr schämen über das, was wir tun.«

Avia hörte den Prinzen, der seine Befangenheit hinter schärfste Formen verschanzte, und hörte aus dessen Rede auch, daß er, wenn ihm dieser Dienst nicht passe, sich zum Teufel scheren könne. Das war ja wohl von Anfang an der Gedanke gewesen, daß ein Kerl wie er zu jedem Dienst zu brauchen sei. Er hatte freilich geglaubt, nach seinem Grundsatz leben zu können ›nichts bereuen, aber besser machen‹. Nach Bessermachen sah das nun nicht aus. Es war aber doch nichts mehr zu retten und wohl auch nichts mehr zu verderben, und ganz andere Leute, die sich öffentlich mit ihrer Würde brüsten, hätten dem künftigen König diesen Dienst geleistet. Wie von einem wundertätigen Heiligenbilde sprach er von ihr im selben Atem, mit dem er Beihilfe zur Besudelung dieser Heiligen forderte. Die Wollust schmückt eben gern ihr Opfer mit Blumen.

Beim ersten Ausritt nach dem Wildpark sprach Constanze mit dem Baron kein Wort, und sie mied es sogar ihn anzusehen. In der Pagode war Südwein mit kleinem Naschwerk vorbereitet. Jetzt sprach sie einige Worte mit Avia, weil sie der Kronprinz darauf hingelenkt hatte. Nach einigen Minuten war der Baron verschwunden. Als der Sturm der Zärtlichkeiten sich zu sanft spielendem Gekose besänftigte, sagte Golo, die Reize der Geliebten umschmeichelnd, die an ihn geschmiegt war:

»Das Winkelchen hier ist köstlich. Zur Kinderstube hatte man es gemacht, aber zu ganz anderen Spielen taugt es eher. Nicht wahr?«

Constanze sah ihn an und versteckte dann den Kopf an seiner Schulter.

»Mir ist's kein Spiel,« sagte sie leise.

»Ja, wenn du es so nimmst, Schatz, dann weißt du doch, wie ich denke!« entgegnete der Kronprinz und preßte sie heißer an sich.

»Nicht wild werden!« bat Constanze.

»Willst du mich vielleicht des Lokales wegen zum Rokokoschäfer machen?« scherzte Golo.

»Von dem Vergangenen sollst du nicht immer reden,« sagte Constanze. »Was sie uns Arges angetan, wir sind ja doch jetzt vereint. Es soll alles Bittere aus unserer Liebe weichen. Schau, das macht mich irre, und ich kann dann nicht vergessen, was ich vergessen möchte.«

Heißer, mit großen Augen fuhr sie dann fort:

»Zum Schäfer möcht ich dich nicht machen. Du selber hast mich die Liebe anders gelehrt. Wie ein Sturmwind bist du über mich gekommen und hast lodernde Flammen in mir angefacht. Ein Held und König bist du, und nur der konnte mich bezwingen. Einem Schäfer hätte ich mich nicht überlassen.«

»Held und König!« sagte Golo darauf. »Da hast du es ja! Weil du keine Königstochter warst, weil du keine Macht als Morgengabe mitbrachtest, mit der wir Schulter an Schulter hätten kämpfen können, haben sie uns getrennt. Und jetzt soll die feige Neutralität das doch überflüssig machen. Solcher Politik brauchte ich nicht geopfert zu werden. Aber es ist noch nicht soweit!«

Seine Lippen wurden wieder schmal, und das graue Auge blinkte unter den dicken Brauen wie funkelndes Metall.

Constanze sah ihn mit höchster Spannung an. Dann schlang sie den Arm um seinen Hals und sprach:

»Nicht so, du Starker, Wilder! Da kommt was Böses aus dunklen Tiefen! Das Große, Gute bringe ans Licht, das in dir ist. Es ist da. Es ist nur verschüttet. Golo, groß und gut sollst du sein. Ich glaube an dich, wenn sie alle gegen dich sind. Du machst sie zu Schanden, wenn du nur willst.«

»Mädchen, was redest du da! Das verdien ich nicht um dich. Es klingt zwar schön, aber es ist zu spät. Ich danke dir für die gute Meinung. Du wirst sie wahrscheinlich nicht immer behalten.«

Er machte Miene sich zu erheben.

»Golo!« rief Constanze. »So darf die süße Stunde doch nicht enden! Es ist so schwer, deinen bösen Geist zu verscheuchen, und es muß mir doch gelingen, denn ich glaube auch an mich, und vergebens hätte ich gesündigt, wenn es mir nicht gelänge. Wie es aber fallen mag, das sage ich dir auf deine sonderbare Rede, ein Held siegt in dir oder geht in dir zugrunde.«

»Was tut man heute mit einem Helden?« fragte Golo bitter.

»Zunächst ihn lieben, du böser Mann!« versetzte Constanze und reichte ihm die Lippen zum Kusse.

»Ich bin zwar nicht so klug wie zum Beispiel Clara Eugenie,« fuhr sie dann fort, »aber ich könnte doch dann auch etwas ausrichten bei einem Mann, der sogar bedeutender ist als Roger.«

»Roger ist der König von Volkes Gnaden,« spottete Golo.

»Mögen sie's träumen, er und sie. Wirklicher König wird Golo sein und seine Liebste bin ich!« rief Constanze und sah ihn jugendstrahlend an.

»Da mußt du einmal mit Avia darüber reden,« bemerkte Golo.

»Mit Avia, dem Baron?« fragte Constanze erstaunt.

»Ja, ja. Er tut den Dienst nur widerwillig und hat mir so was angedeutet, als seiest du eigentlich zu schade für mich.«

Constanze errötete heiß und sagte:

»Seine Begleitung war mir recht peinlich. Jetzt aber soll er erfahren, wie er zu denken hat.«

»Bitte, sei freundlich mit ihm. In seiner Art ist er mir ja wertvoll.«

»Ich gehorche dir, Golo, aber es wird sich schon eine Gelegenheit finden.«

Als das Paar aus der Pagode heraustrat, sahen sie nach kurzem Gange den Baron langsam auf einem Parkwege wandeln.

»Befehlen die königlichen Hoheiten schon die Pferde?« fragte er, den Hut in der Hand, als sie mit ihm zusammentrafen.

Der Kronprinz sagte freundlich:

»Gehen Sie doch mit uns. Die Pferde werden wir gleich bereit gemacht haben.«

Dann fing er mit ihm ein Gespräch an über die Vernachlässigung dieser königlichen Besitzung und über die Frage, was denn auch mit anderen, nie benutzten Lustschlössern zu tun sei.

Avia, der wohl erkannte, daß es sich bei diesem Gespräche nur um einen Vorwand handelte, über eine etwas heikle Situation hinwegzukommen, vertiefte sich in das Thema der Baulust früherer Souveräne und sprach, obwohl seine Kenntnisse auf diesem Gebiete nur sehr oberflächlich waren, so ausdauernd, daß jede Verlegenheitspause vermieden wurde, bis man wieder an den Pferden war, die der Kastellan inzwischen behütet hatte. Dort hob er dann die Prinzessin in den Sattel.

Da Constanzens Vater seiner Ischias wegen gar nicht mehr aufs Pferd kam, regte die Prinzessin-Mutter endlich an, die Reitübungen der Tochter einer Neuordnung zu unterziehen. Sie hatte etwas gehört von Ausritten in Gesellschaft des Kronprinzen und Avias, und das gefiel ihr nicht. Man ließ aber, weil sich ein völlig befriedigender Ausweg nicht finden ließ, die Dinge bestehen. Prinz Achilles war durch die Betonung seiner Invalidität, die dabei laut wurde, ärgerlich geworden und sprach sich schließlich dahin aus, der Sport räume nun einmal der Dame größere Freiheiten ein, eben weil er sie zu größerer Selbständigkeit erziehe. Als die Prinzessin-Mutter dann doch noch eine Anspielung machte, schloß er das Gespräch mit der unwirschen Gegenrede: »Das fällt doch keinem Mädchen, das etwas auf sich hält, ein, mit einem Mann zu flirten, für den es einmal nicht gut genug gefunden worden ist. So etwas vergißt man nicht, wenn man auch später darüber wegsieht.« Das tat Constanze sehr wehe, und sie wollte nichts mehr wissen von der Pagode.

Da kam Beatens Hochzeitsfeier, und mit dieser kamen auch Stimmungen, die sie trieben, sich wieder in das Flammenbad der Leidenschaft zu stürzen.

Erst hatte sie nur davon gesprochen, daß die Ausritte bekannt geworden seien, und der Kronprinz deutete ihr Widerstreben als Furcht. Jetzt, im heimlichen Winkel der Pagode, berichtete sie die Äußerungen ihres Vaters und klagte, wie schwer sie sich durch diese belastet fühle.

»'s ist gut!« sagte er darauf bitter. »Komm, laß uns gleich wieder auf die Pferde und im Galopp zu deinem Herrn Papa eilen. Ich will dich nicht weiter belästigen, o nein! Was geschehen ist, läßt sich nicht mehr ändern, aber die gute Tochter kannst du trotzdem noch spielen. Es ist verdienstlich, sich zu befreien vom Bösen, den reuigen Sündern wird verziehen und dich tragen Engel zum Himmel, wenn du einmal stirbst, während ich zur Hölle fahre. Das sag ich dir, wenn du mich verläßt, dann magst du dich mit allen guten Christen bekreuzigen vor mir. Dann ist es aus mit mir, dann werde ich ein brüllendes Tier, dann rase ich durch dies verfluchte Leben, bis mich irgend einer totschlägt, wie einen tollgewordenen Hund.«

Er barg das Gesicht in die Arme und keuchte und wimmerte.

»Golo, lieber Golo!« rief Constanze und suchte ihn, indem sie ihn umschlang, aufzurichten. »Mein Herz ist so schwer, ich konnte nicht schweigen. Aber ich nehme ja alles auf mich, ich tue jede Sünde, um den Weg zu dir zu finden. Ich brenne nach dir und begehre ja nichts anderes, als in deiner Umarmung unterzugehen!«

Golo richtete sich auf und zog Constanze mit heftiger Gebärde auf seinen Schoß.

»Mädchen, Mädchen!« rief er. »Willst du also wirklich mein bleiben, was auch kommen mag? Wärst du nicht auch lieber im Myrtenkranz vor den Altar getreten und hättest einen braven deutschen Herzog geheiratet?«

»Hätt' ihn doch haben können, aber ich hab nur dich gewollt, denn du bist mein Schicksal! Verzeih, daß ich dich mit meinem dummen Mädchenherzen kränkte. Ich will alles herausreißen aus mir, was sich nicht zu dir fügt.«

»Ich weiß es ja, Stanza, ich bin in dein Leben hineingefahren, wie ein richtiger Barbar, ich hab dich an mich gerissen, wie ein Raubtier seine Beute, aber du mußt mich lieb haben, und das sag ich dir, das halt ich nicht aus, wie in der letzten Zeit. Das darf nicht so bleiben.«

»Törichter Mann, da bin ich ja, da hast du mich ja. Zum Überlegen ist nachher Zeit,« sagte Constanze mit leuchtendem Lächeln.

Ehe sie wieder aus der Pagode traten, wendete sie sich an Golo mit den Worten:

»Rufe doch den Baron Avia herein. Er ist jedenfalls in der Nähe.«

Golo sah sie verwundert fragend an.

»Ich will mit ihm reden,« sagte sie mit einer freien, entschlossenen Miene.

»Aber Kind, das ist doch meine Sache.«

»Du irrst dich. Es handelt sich ganz und gar um meine Sache. Also, bitte, sei so liebenswürdig.«

Innerhalb einer Minute stand Baron Avia vor der Prinzessin.

»Lieber Baron,« sagte diese, »ich muß jetzt einmal ganz frei und offen mit Ihnen sprechen. Diese Pagode hier ist allerliebst, aber Sie müssen uns eine andere Unterkunft ausfindig machen, in der wir uns nach Belieben zu jeder Zeit treffen können. Das hätte Ihnen auch Seine königliche Hoheit der Kronprinz sagen können, aber ich tue es, damit Ihnen die Situation ganz klar wird. Ich bin die Geliebte Seiner königlichen Hoheit, das wissen Sie –«

»Constanze, was machst du denn?« rief Golo dazwischen.

»Unter uns,« fuhr die Prinzessin fort, »soll das nicht länger mangelhaft maskiert werden. So was ist albern und gibt der Sache einen üblen Geschmack. Ich höre, lieber Baron, Sie haben erst für mich so was wie Vorsehung spielen, mich vor meinem Schicksal behüten wollen. Das war gut gemeint. Aber künftighin bitte ich Sie, mich nicht als ein Prinzeßchen anzusehen, das bedenkliche Seitensprünge macht, sondern als eine Dame, die über das, was sie tut, sich selber deutliche Rechenschaft gibt.«

Das war freilich die jungfräuliche Amazone nicht mehr. Das war ein kampfbereites Weib, das sein Schicksal in sich trug. Avia dünkte es, als sei ihre Stimme anders, tiefer, sonorer geworden. Er küßte, sich niederbeugend, ihre Hand und tat es lebhafter als herkömmlich war. Kronprinz Golo aber sagte leise:

»Meine tapfere Constanze!« und hauchte einen Kuß auf ihre Stirne.

»Gehen wir jetzt, meine Herren!« rief dann Constanze laut und schritt, ganz Fürstin, aus der Türe, die Baron Avia geöffnet hielt.

Sie waren einige Schritte im Parke gegangen, als die Prinzessin begann:

»Jetzt ist mir wohl. Jetzt habe ich mir endlich ein Doppelleben in zwei klar getrennten Teilen geschaffen. Es war vielleicht unweiblich, daß ich die Dinge so beim Namen nannte. Aber ich empfand die Notwendigkeit dazu schon länger, und zwar eben aus meiner weiblichen Natur heraus. Ich habe mich die ganze Zeit vor dem Baron geniert, daß er mich als ein unartiges Mädchen ansehn soll, das Streiche macht.«

»Königliche Hoheit, das war nie mein Gedanke!« warf Avia mit warmer Betonung ein.

Constanze streifte ihn mit einem Blick und sagte:

»Ich fühlte es so, und das war eine sehr demütigende Empfindung.«

Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort:

»Wenn mich das eine Leben auch zu einer Komödie zwingt, die mir wirklich schwer zu spielen fällt, so will ich doch im anderen völlig sein, was ich tatsächlich bin, eine Frau. Ich weiß ja gar nichts von dem, wie es im weiten Leben draußen aussieht, aber ich fühle, daß, wenn gewisse Dinge nicht ganz ernst genommen werden, sie dann ganz etwas Abscheuliches werden. Man mag mich so streng beurteilen wie man will, entsetzlich wäre mir zu wissen, daß frivol über mich gedacht wird. Ich habe die Ahnung, daß Herren dazu geneigt sind.«

»Von uns beiden wohl keiner!« sagte der Kronprinz. »Im übrigen fällt alle Schuld auf mich.«

»Wie kannst du das sagen?« entgegnete Constanze. »Damit widersprichst du gerade dem, worauf ich Gewicht lege. Ich werde schon meinen Teil an Schuld selber tragen, soweit es Schuld und nicht etwas, was – was eben kommen mußte.«

Jetzt mischte sich Avia in das Gespräch.

»Darf ich um die Erlaubnis zu einer kleinen Bemerkung bitten?«

»Sprechen Sie, Baron,« versetzte Constanze, während der Kronprinz neugierig auf ihn sah.

»Das Wort Schuld,« sagte Avia darauf, »bedeutet immer ein Urteil anderer über das Äußerliche unserer Handlungen. Für uns selbst ist das Entscheidende, warum es so kommen mußte, oder ob wir es bei einiger Besonnenheit hätten vermeiden können.«

Der Kronprinz machte eine enttäuschte Miene und sagte:

»Kinder, tut mir den einzigen Gefallen und werdet nicht geistreich!«

Sich besonders an Constanze wendend fuhr er fort:

»Du bist eben Weib, Vollweib geworden und reckst dich jetzt, atmest dich aus. Das kleidet dich sehr gut.«

Golo, der weder Philosoph noch Poet war, gab damit einem viel reicheren, tieferen Gefühle unbeholfenen Ausdruck. Die freimütige Erklärung Constanzens war nur eine klare Bezeichnung dessen, was ihm an ihr zum großen Erlebnis geworden war. Die vielen Weiber, die er bisher besessen hatte, waren alle nur Dirnchen gewesen, die sich dem Königssohn schamlos oder mit gespielter Ziererei in dem Mischgefühle von Eitelkeit und Wollust preisgegeben hatten, erst recht so manche stolze Dame aus den Hofkreisen. Constanze gab ihm eine ganz neue Kunde vom Weibe, die mit jedem Beisammensein ihn bereicherte. Er sah deutlich, wie sie sich in seinen Armen entfaltete und dabei stärker in der Persönlichkeit wurde, geradezu eine Würde gewann, die ihm ein Zartgefühl aufzwang, das er dem Weibe gegenüber nie gekannt hatte. Er, der brutale Wüstling, der sich bisher zu dem Grundsatze bekannt hatte, die Weiber seien umso toller verliebt, je derber man sie packe, wurde bei ihr zuweilen schüchtern zaghaft, vorsichtig werbend, besorgt, auch nicht den leisesten Unwillen in ihr zu erwecken. Er schämte sich in der Stille seiner Seele aufs tiefste der groben Wissenschaft vom Weibe, die er sich erworben hatte und kam sich wie ein täppischer Tölpel vor einer Königin vor. Was blieb von der Vornehmheit gewisser Damen übrig, wenn sie erst einmal sich zu einer kleinen Entblößung verstanden hatten? Bei Constanze stand er all dem Zauber lächelnder Anmut, inniger Zärtlichkeit, starken Genußwillens immer aufs neue mit der Empfindung gegenüber:

›Kerl, das bist du ja gar nicht wert!‹

Und wie wohl tat es, von diesem herrlichen Geschöpfe Worte zu hören, die was ganz anderes waren als verliebte Redensarten. Hatte ihn denn überhaupt jemand einmal lieb gehabt? Die Mutter wohl, aber das war mehr geahnt, als deutlich empfunden. Königinnen dürfen auch als Mütter sich nicht so geben, wie sie's möchten, oder sie können es gar nicht, haben das rechte Fühlen nicht gelernt. Constanze war zwar auch nur eine Prinzessin, aber es lag eben in ihr, sie war eine Rassenatur. Und gerade sie war es, die mit allen ihren Entzückungen ihm klar machte, daß ein ordentlicher Kerl, ein rechter Mann sich nicht ans Weib verliert, daß das rechte Weib begehrt, ihn bewundern, sich seines Wertes, der außer der Liebeslust liegt, freuen zu können. Das gab ihm höchste Spannkraft, der Macht, die ihm der Vater anvertraut hatte, sich würdig zu zeigen. Jetzt war das Ziel da, das er mit finster grollendem Zorn über seine Tatenlosigkeit ersehnt hatte. Jetzt galt es herauszuholen, was, wie Constanze es gesagt, verschüttet in ihm lag, vom Fürstenwert und Mannesmut. Und es kam heraus, immer mehr heraus aus dem dunklen Schacht der Seele. Constanze Blondhaar schwebte vor ihm als Siegesgöttin, hob und hob ihn mit sich zur Höhe. ›Constanze und das Reich!‹ klang es in ihm.

Die hohen Offiziere, die er zu Sitzungen im Kriegsministerium eifervoll versammelte, staunten immer mehr über seine großen Gesichtspunkte, mit denen sich eine strebsame Bescheidenheit verband, die der Belehrung mit begieriger Empfänglichkeit lauschte. Sein Werk war es, daß man hier an der Stelle einer Neutralitätsvorlage die einer weitergreifenden Militärreform vorbereitete. Von ihm ging der Gedanke aus, der erst verblüffte und von verschiedenen Seiten als eine Unmöglichkeit bezeichnet wurde. Er war kein Redner, der einen größeren Kreis für sich zu gewinnen wußte, aber er nahm sich einzelne Persönlichkeiten, zu denen er Vertrauen hatte, vor und diese wußte er mit zäher Beharrlichkeit in Zwiegesprächen nach und nach zu gewinnen. Abgesehen von bedeutsamen politischen Gesichtspunkten, wurden diese Militärs durch die Aussicht, daß eine Neutralität eine Militärreform ganz anderen Sinnes und damit eine schwere Schädigung der militärischen Laufbahn mit sich bringen würde, zugunsten eines Planes gestimmt, der umgekehrt die entschwundenen Zeiten wiederbrächte, in denen der Offizier eine ganz andere Stellung hatte, als heute unter dem militärfeindlichen König Arthur. Schon daß er seinen Vater zu bereden vermocht hatte, an einen solchen kühnen Plan überhaupt heranzutreten, stimmte vertrauenerweckend. Freilich war die Zustimmung des königlichen Vaters nur ein Ausdruck jener Resignation, die sich seiner seit dem Ausfall der Wahlen bemächtigt hatte.

»Es ist ein Unternehmen,« sagte er, »das auf deine Zukunft zugeschnitten ist. Der will ich nicht im Wege stehen, denn mir hat man es schlecht gelohnt, daß ich die durch unser Unglück geschwächte Volkskraft geschont habe. Unter meiner Regierung haben sie sich ein bequemes Wohlleben angewöhnt, das sie dreist und begehrlich gemacht hat. Es ist ihnen vielleicht ganz gesund, wenn sie den Ernst des Staatswesens besser kennen lernen. Ich habe dir ja deshalb die größeren Vollmachten gegeben, damit ich noch manches auf mich nehmen kann und du nicht schon gleich in der ersten Stunde zeigen mußt, daß andere Zeiten gekommen sind.«

Dem Bedenken aber, daß die Vorlage ja nie und nimmer vom Parlament angenommen würde, stellte der Kronprinz die Worte entgegen:

»Dann wird es eben auf den Mut ankommen.«

Das nannten vorsichtige ältere Gemüter eine abenteuerliche Politik. Die jüngere Generation aber fand, daß man aus der Versumpfung herauskommen müsse, denn nur auf die Armee könne sich die Monarchie stützen, wenn sie dem deutlich drohenden Wachstum radikaler Tendenzen Einhalt tun wolle. Mochte der Kronprinz was immer für Fehler haben, der schneidige Ton, den er anschlug, wurde in diesen Kreisen als neuer frischer Geist lebhaft willkommen geheißen. Die alten Herren wollten sich nun doch nicht kalt stellen lassen, wozu der Kronprinz deutliche Miene machte, und stellten daher ihre Arbeitskraft zur Verfügung.

So kam der Tag der Parlamentseröffnung im großen Thronsaale des Schlosses heran. In zwei nebeneinanderliegenden, reich drapierten Logen des mit berühmten Deckengemälden, kostbaren Marmorsäulen und Meisterstücken der Holzplastik in den Türen ausgestatteten Saales nahmen die Prinzessinnen und das diplomatische Korps Platz. Der König betrat in feierlichem Aufzug, unter Vortritt des großen Hofstaates, gefolgt von den Prinzen, den Ministern und der Generalität den Raum und stellte sich vor den von einem Baldachin überwölbten Thronsessel. Der dicke Herr mit dem schwammigen roten Gesicht sah nicht gerade vorteilhaft in der Galauniform aus. Auf der ersten Stufe zum Throne, zur Rechten des Königs, stand Kronprinz Golo im goldleuchtenden Panzer mit dem großen roten Ordensbande quer darüber, tiefer als er, auf dem Parkettboden, reihten sich neben ihn die Prinzen. Zur Linken hatten die Minister ihre Stellung. Die Mitglieder beider Häuser des Parlamentes, mit ihren Präsidien an der Spitze, standen dichtgedrängt dem Thron gegenüber. Der Ministerpräsident überreichte dem König den Text der Thronrede. Man merkte sehr deutlich dessen Schweratmigkeit, als er diese mit öfteren kurzen Pausen vorlas. Verschiedene Gesetzesvorlagen wurden aufgezählt, die in der bevorstehenden Session zur Beratung kommen sollten. Es fanden sich darunter mehrere Forderungen der liberalen Parteien. Lautlos hörte man zu, in gespannter Erwartung darauf, ob nicht doch irgend eine Äußerung in bezug auf die Neutralitätsfrage komme. Jetzt las der König:

›Unsere Beziehungen zu den Nachbarstaaten und übrigen auswärtigen Mächten sind, wie hiermit zur größten Genugtuung festgestellt werden soll, durchweg ausgezeichnet, und es wird unser eifriges Bemühen sein, diese erfreuliche Lage unserer auswärtigen Politik aufrecht zu erhalten und dadurch an der Fortdauer des europäischen Friedens nach unseren Kräften mitzuwirken.‹

Es ging ein leises Geräusch durch den Saal. Jeder nahm eine straffere Haltung an. Der König fuhr fort:

›Es haben sich aber während des verflossenen Jahres in der europäischen Politik wiederholt kritische Symptome gezeigt, die uns die Tatsache nahe legen, daß wir, unter gewissen Umständen, wenn auch gegen unseren Willen, in ernste Verwicklungen hineingezogen werden können. Sollen wir in einem solchen Falle, den Gott verhüten möge, mit Ehren bestehn, so bedarf es einer wesentlichen Verbesserung unseres Heerwesens im Sinne der modernen Anforderungen. Demzufolge wird Ihnen tunlichst noch im Verlaufe dieser Session eine Vorlage zur Bewilligung der nötigen Mittel für Umgestaltung verschiedener Einrichtungen unserer Armee zugehen.‹

Jetzt entstand ein so lebhaftes Geräusch murmelnder und sich zu Gruppen zusammenschiebender Personen, daß der König mit einer nervösen Bewegung des Kinnes innehielt. Die Prinzen und die Minister bewegten leise die Köpfe, nur Kronprinz Golo stand, den Pallasch mit beiden Händen haltend, starr da. Oben in der Prinzessinnenloge saß ganz hinten im Dunkel Constanze. Ihr schlug das Herz. Golo hatte ihr erst gestern von den Dingen gesprochen, die kommen könnten, und gesagt: »Dann ist's vielleicht aus mit deiner Liebe!«

Sie war ihm um den Hals gefallen und hatte geschworen, nie im Leben könne ihre Liebe an ihm irre werden.

In diesem eigentümlich bänglichen, die Nerven reizenden Augenblick stand er da, ein junger Kriegsgott, ein Schicksalsbringer. Und um dieses Mannes Hals legten sich ihre Arme, diesem Manne öffnete sich ihr Schoß! Ein Rauschen ging um sie, riesengroß wurde der Saal, die Säulen wankten, aber ihn, ihn sah sie deutlich in der Verwirrung ihrer Sinne.

Jetzt sprach der König hastig, mit einer häßlichen Grimasse der Kinnbacken die Schlußformel, der Präsident des Senates trat vor und rief:

»Es lebe der König!«

Dann klang der Gegenruf der Versammlung. Er überwand nicht das Stimmengewirr, das sich ordnungswidrig erhob und zwischen dem der Königszug hindurch mußte. Golo hielt den Kopf zurückgeworfen und sah sich die Leute an.



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