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Zehntes Kapitel

»So darfst du mit mir nicht sprechen, Vetter! Das schickt sich nicht,« sagte Constanze zu dem neben ihr im scharfen Trabe reitenden Kronprinzen.

»Armes Mädel, mit deinem ›das schickt sich nicht‹,« entgegnete dieser. »Da hast du auch was davon. Hörst es ja doch ganz gerne, hast nur keine Courage. Die hättest du, wenn du erst wüßtest, was es um die Liebe ist. Ich laß dich nicht in Ruhe. Es hilft dir nichts.«

»Dann kann ich hier eben nicht mehr reiten, und du nimmst mir meine einzige Freude.«

»Es soll eben nicht deine einzige Freude bleiben, denn du bist zu ganz anderen Freuden geschaffen.«

»Schäm dich, Golo. Ich weiß schon lange, was du für ein Leben führst. Aber in die Familie solltest du so etwas nicht hereintragen.«

»Du weißt? Was weißt du? Und mit der Familie darfst du mir schon gar nicht kommen. Ich hab dich haben wollen und du mich auch. Ich weiß es, ohne daß zwischen uns davon die Rede war. Die Familie hat es verhindert.«

»Deine Mutter.«

»Und ich trag's nun nicht länger. Ich trag's nicht mehr, Constanze! Wir müssen zusammenkommen!«

»Aber Golo, das kann nun einmal nicht mehr sein, und wir müssen uns darein finden.«

»Fällt mir gar nicht ein! Und weißt du warum? Weil ich es sehe, ganz deutlich sehe, daß du dich auch nach mir sehnst. Und wie sehnst du dich! Deine Augen rufen mir zu: ›Komm!‹«

»Das ist nicht wahr! Das wäre Sünde, große Sünde!«

»Und es ist doch so! Du bist bereit mit mir zu sündigen und fürchtest nur den großen Graben. Nimm ihn, Stanza, bist ja eine schneidige Reiterin!«

»Was für ein schlechter Mensch bist du, Golo! Ich höre dich nicht mehr an.«

Das Gespräch wurde im königlichen Reitgarten geführt, einem großen, an den Marstall anstoßenden, ummauerten Terrain, das für equestrische Übungen mit Hürden, Barrieren, Gräben und Wällen ausgestattet war und in mehreren engen und weiten Ellipsen, die von Rasenflächen getrennt, einige Verbindungsstellen hatten, sorgfältig gepflegte weiche Bahnen bot.

Prinz Achilles war neuerdings von einer Ischias viel geplagt und konnte nicht reiten. Er liebte es nicht, wenn Constanze in anderer Begleitung die öffentliche Königsau beritt. Diese ging daher ihren Übungen im geschlossenen Reitgarten nach, und dort stellte sich auch häufig der Kronprinz ein, um, was er besonders liebte, junge Tiere einzureiten. Constanze hatte ihr Pferd in Galopp übergeleitet, der Kronprinz hielt sich an ihrer Seite, aber eine Unterhaltung war bei der jetzigen Gangart nicht mehr möglich. Plötzlich wendete sich die Prinzessin der Hindernisbahn zu, und zwar ritt sie gleich gegen das Haupthindernis, Mauer und Wassergraben, an, das sie mit vollendeter Kunst nahm.

»Bravo!« rief ihr der Kronprinz nach, dessen junges Tier noch nicht perfekt genug war, über das Hindernis zu gehen, und kam dann, dieses umreitend, auf die Cousine zu, die hochatmend auf ihrem stillstehenden Pferde saß.

»Soll das ein Symbol gewesen sein?« fragte er mit heiter leuchtender Miene.

»Ich sollte den großen Graben nehmen, und das habe ich getan,« antwortete sie jetzt. »Jetzt möchte ich ganz ruhig reiten und meine Galathee schonen. Ich bitte aber auch um Schonung und zwar sehr dringend. Was sollte ich Papa sagen, wenn ich auf einmal nicht mehr ritte?«

Der Kronprinz salutierte ironisch. Sie ritten dann in dem gemächlichen Promenadentempo eine gute Weile wortlos nebeneinander her, bis endlich Constanze sagte:

»Du willst mich wohl necken mit deinem Schweigen? Oder kannst du dich wirklich nicht anständig benehmen?«

Der Kronprinz antwortete darauf:

»Ich habe die ganze Zeit über dich nachgedacht. Das darf ich doch noch?«

»Das kommt sehr darauf an,« versetzte Constanze.

»Ich dachte darüber nach, wie es anzufangen wäre, dich heimlich zu treffen,« sagte der Kronprinz in ganz ruhigem Gesprächston.

Constanze warf einen scheuen Blick auf ihn und schwieg. Der Kronprinz fuhr im selben harmlos klingenden Ton fort:

»Jemand ins Vertrauen zu ziehen, empfiehlt sich nicht. Ich möchte es möglichst vermeiden. Du kannst auch nicht unbemerkt aus dem Hause.«

»Wahrhaftig, du hast sonderbare Gedanken,« bemerkte Constanze mit einem kurzen trockenen Lachen.

»Man müßte es ganz romantisch anfassen und die Nacht zu Hilfe nehmen.«

»Da bin ich leider nicht zu sprechen.«

»Es ginge wohl nicht, bis in dein Schlafzimmer vorzudringen.«

»Ich bitte deine Gedanken etwas im Zaum zu halten.«

»Ins Erdgeschoß könnte man wahrscheinlich kommen, ohne vom Wachtposten bemerkt zu werden. Ich denke von der Orangeriestraße aus. Muß doch mal die ganze Örtlichkeit genau rekognoszieren.«

»Jetzt sind wir gleich am Stalle, und ich überlasse es dir, für dich allein die Fortsetzung deines Räuberromanes weiterzuspinnen.«

»Roman sagst du? Das wird gemacht, meine schlanke Stanza, und du wirst dir die Sache auch durch das Köpfchen gehen lassen und dich vorsichtig umsehen, wie es im Innern eures Palais klappt mit der Einteilung der Räume, mit der Hausordnung.«

»Aber Golo, was soll denn der Unsinn bedeuten? Hör doch endlich auf,« sagte Constanze und sah mit heißgerötetem Gesicht den Vetter ganz verwirrt an.

»Es ist mir verflucht ernst damit, Mädchen,« entgegnete der Kronprinz in ganz verändertem Ton und sah seine Cousine mit stechendem Blick an. »Ich richte mir nicht mein ganzes Gehirn zugrunde, das mir der Gedanke an dich zerwühlt. In meinen Armen muß ich dich haben, besitzen will ich dich! Verstehst du das?«

Mit starren Augen sah ihn Constanze an, und in ihrem Gesicht zuckte es, als wollte sie weinen.

»Du hast mich doch auch lieb, Stanza? Nicht wahr?«

Es klang beinahe wie Drohung.

»Aber nicht so, nicht so, Golo!« stammelte die Prinzessin wie bittend.

Mit schwerem Atemhauche sagte der Vetter:

»Das verstehst du noch nicht, Kind.«

Dann setzte er in anderem Tone hinzu:

»Nimm dich jetzt zusammen. Da stehen schon die Stalleute.«

Was sollte das werden? Tag und Nacht lebte sie im Fieber. Etwas Ungeheures, etwas ganz Unmögliches kam da atemberaubend, gliederlähmend an sie heran, umschlang sie und zog sie mit sich. Sie hatte so Angst vor Golo, der sie im Reitgarten erwartete, und war von nervöser Hast, wenn die Zeit kam. Sie wußte gar nichts von der Hausordnung des elterlichen Palais und war zu ängstlich, sich durch Fragen bei der Zofe verdächtig zu machen, und zugleich trieb sie doch eine unwiderstehliche Lust, bei dem gereiften Mädchen Hilfe zu suchen zu der schrecklichen, geheimnisvollen Tat, die sie begehen mußte, weil es Golo wollte und weil es ganz unmöglich war nicht zu tun, was er wollte. Ihr Schlafzimmer lag mit denen der Eltern, der beiden Schwestern und des jüngeren Bruders im zweiten Stock. Dort schliefen noch die Hofdame der Mutter, die der drei Prinzessinnen, die Kammerfrau der Mutter und der Kammerdiener des Prinzen. In den Mansarden hatten noch weitere weibliche Dienstboten, im Erdgeschoß der Portier, ein Hausdiener und ein junger Lakai ihre Zimmer. Andere Lakaien waren verheiratet und hatten Stadtwohnung. Die elektrische Beleuchtung wurde in der Regel Punkt zwölf Uhr gelöscht, und es brannten dann nur noch einige wenige Gasflammen in Laternen auf den Fluren und im Treppenhaus. Die Türen der Gemächer blieben unverschlossen, aber zweimal des Nachts machte der Hausdiener oder der junge Lakai eine Runde durch alle unbewohnten Räume.

»Das aber ist doch gefährlich der Diebe wegen,« hatte Constanze bemerkt, als sie von den unverschlossenen Türen hörte.

»Dagegen sollen eben die Runden schützen,« antwortete die Zofe. »Und dann sind ja doch die Doppelposten an den beiden Portalen des Palais da. Bei Feuersgefahr könnte aber der Verschluß der Gemächer schädlich werden.«

»An die Schildwachen dachte ich gar nicht,« sagte Constanze darauf. »Da kann freilich kein Dieb herein. Nicht wahr?«

»Von der Seite der Orangeriestraße wär's am Ende möglich. Aber im ganzen Erdgeschoß sind ja starke Innenläden.«

Prinzessin Constanze empfand auf einmal das Bedürfnis, englische Sportbilder, die in einem gegen die Orangeriestraße gelegenen Parterreraum hingen, zu besichtigen. Sie wollte sich etwas ins Gedächtnis rufen. Es war die Schmalseite des Palais, die nur ein mittelgroßes und zwei kleine Gemächer enthielt, ein Entreezimmer mit wenigen Möbeln, ein Speisezimmer und einen salonartigen Konversationsraum. Im Hochsommer, bei sehr großer Hitze, hielten sich die Herrschaften dort auf, weil Schatten und Kühle vorhanden waren, und manchmal versammelte Prinz Achilles auch zu anderer Zeit dort eine kleine Herrengesellschaft um sich. Nur ein schmaler Gartenweg und niederes Buschwerk trennten hier das Gebäude von dem eisernen Gitter, das längs der Straße auf einem Mauersockel sich hinstreckte. Constanze stellte sich eine kleine Weile an das Fenster. War es schwierig da herüber zu klettern? Sie maß auch die Höhe der Fenster vom Gartenboden und tändelnd spielten ihre Finger die Klappläden entlang. Wann fand die zweite Nachtrunde statt? Das mußte sie noch erfahren. Das war alles so umständlich und so gefährlich, und sie fühlte sich so unbeholfen.

Gerade in diesen Tagen traf es sich, daß Prinz Achilles ein intimes Herrenfrühstück gab, dem auch der Kronprinz anwohnte. Nach dem Frühstück wollte er der Tante noch die Hand küssen und begab sich daher in das erste Stockwerk hinauf. Dort traf er auch Constanze und hatte Gelegenheit ihr unmerklich die Worte zuzuwerfen:

»Heute nacht halb zwei.«

Sie sah ihn angstvoll an. Er wendete sich von ihr ab.

»Sind königliche Hoheit nicht ganz wohl?« fragte die Kammerjungfer während des Entkleidens, denn die Prinzessin kam ihr ganz seltsam vor. Als sie dann das Kleid über den Arm legend untertänigst ›Gute Nacht‹ wünschte, glaubte sie, die Prinzessin habe noch etwas gesagt, auf ihre Frage aber erhielt sie die Antwort:

»Nein, nein, es ist gut.«

Als Constanze dann allein war, ging sie daran sich wieder anzuziehen. Zum ersten Mal in ihrem Leben tat sie das ohne Hilfe. So leise sie dabei verfuhr, kam doch auf einmal aus dem Schlafzimmer der Schwestern, deren Tür immer offen stand, die Frage:

»Was machst du denn noch?«

»Nichts,« war ihre hilflose Antwort. Sie hielt sich eine gute Weile mäuschenstill. Das Kleid war fort. Sie mußte den Morgenrock nehmen. So und auch noch mit aufgelöstem Haar vor den Kronprinzen zu treten, war doch höchst peinlich, und ihr wurde noch beklommener, als ihr schon war. Aber der Morgenrock hing dort drüben in der anderen Zimmerecke im metallgeschmückten Empireschranke, den zu öffnen schwer ohne ein kleines Geräusch abging. Vor allem mußte die Tür zu den Schwestern zugemacht werden. Sie horchte gespannt, dann schlich sie an die Türe und schloß sie. Aus dem Nebenzimmer kam ein lallender Laut der Taubstummen. Dann wurde es wieder still. Hinlegen durfte sie sich nicht wegen der offenen Haare. Es war eben zwölf Uhr. Sie setzte sich auf ein Taburett ganz im Finstern. Dann und wann machte sie Licht und sah auf das Taschenührchen, das auf dem Nachttisch lag. Es war eine schreckliche Zeit quälender Nachdenklichkeiten und schwüler Ängste. So was hätte Golo nicht machen sollen. Das war rücksichtslos ungeschickt. Wenn sie so viel Erfahrung gehabt hätte wie er, dann hätte sie sicher was Besseres gefunden. Sie war böse auf ihn. Jetzt war es Zeit. Glücklich war sie aus der Tür geglitten. Nun stand sie auf dem Korridor mit dem Gasflämmchen in einiger Entfernung, und das Abenteuer mußte beginnen. Wenn ihr jemand begegnete, hatte Golo gesagt, sollte sie nicht ängstlich werden, sondern sofort in der Haltung der Prinzessin auf ihn losgehen, der Kerl mochte sich dann denken, was er wollte. Es ging ja auch alles ganz gut, aber der Weg war furchtbar lang. Nie wieder machte sie das. Jetzt war sie in dem kleinen Salon, tastete nach der elektrischen Leitung, die Stelle hatte sie sich wohl gemerkt, und ein Wandleuchter blitzte auf. Das Öffnen des Fensterladens machte Schwierigkeiten, die ihr so Angst bereiteten, daß sie Herzklopfen bekam. Endlich war es geschehen. Der Zeigefinger tat ihr weh. Jetzt galt es, das Fenster ohne Geräusch zu öffnen. Auch das gelang. Die kühle Nachtluft wehte ihr entgegen. Sie wich zurück und lauerte hinter den Vorhängen. Sie war gar nicht mehr im Elternhause, sondern weit, weit weg, weg von allem was ihr bisheriges Leben gewesen war, allein, schrecklich allein, in Golos Hand gegeben. Jetzt, aus dem Buschwerk kam es in einem Sprung über den schmalen Weg, hob sich auf den Sockelvorsprung, und Golo riß sie ungestüm an sich.

Als sie wieder im Bette lag, rang sie mit dem Gewirr ihres Bewußtseins, in dem bei schlaflosen Augen traumhaft Wogendes mit klarer plastischer Erinnerung ineinanderschwamm. An ihrem Körper kroch etwas, was sie mit den unruhig tastenden Händen nicht entfernen konnte. Müde, todmüde war sie, und sie hatte nicht die Kraft abzuwehren, was bedrückend sich über sie legte. Das ganze Palais wankte, Mama rang die Hände, Papa sah furchtbar drohend, die Geschwister, die Dienerschaft glotzten mit starren Augen. Golo stand da, faßte sie, und sie konnte nicht los. Sie hatte Kleider an und war doch so nackt. Sie konnte sich nicht zudecken. Golo war ein Teufel, ein Ungeheuer, und sie war so ganz in seine Macht gegeben, hatte ihn so furchtbar lieb und, was sie erlebt, mußte wiederkommen. Das war es ja, was sie nicht geahnt hatte und was doch so sein mußte.

Baron Avia hatte sich nie im Reitgarten sehen lassen, während der Kronprinz und Prinzessin Constanze dort ritten. Sonst war er sehr viel mit dem Kronprinzen. Jetzt merkte er, daß diesem etwas auf dem Herzen lag, was er gern losgeworden wäre. Aber er machte keine Miene, ihm ermunternd entgegenzukommen. Ihm kam diese Vertraulichkeit, die ja doch nicht ausbleiben konnte, früh genug. Seine Ansicht war dem Kronprinzen bekannt. Diese lautete: ›Ehrfurcht vor dem reinen Weibe.‹ War es aber nicht mehr rein, dann war es nur mehr ein Weibchen und hatte als solches keinen Anspruch auf besondere Schonung. Manche wollten gar nichts anderes, aber um viele war es doch schade, und darum mußte man es wohl überlegen, ehe man ein solches Geschöpf in Bedrängnis brachte. Damals hatte der Kronprinz entgegnet, er habe sich nie viel Mühe um Weiber gegeben und nur genommen, was rasch zu gewinnen war. Die Weiber seien ihm ja von selber in die Arme gelaufen. Trotzdem sei großes Geschrei über seine Untaten erhoben worden.

Avia wollte nicht wieder einmal eine Enttäuschung erleben, und er hielt viel, sehr viel von Prinzessin Constanze. Gerade der, der so durch Wind und Wetter des Lebens gejagt worden ist, trägt Sehnsuchtsbilder im Herzen, Traumvorstellungen von dem, wie's anders hätte sein können, und Prinzessin Constanze war für ihn so was geworden, in dem er über die Prinzessin weg nur das Weib sah.

Als er eines Tages neben dem Kronprinzen in der großen Korsoallee der Königsau ritt, begegnete ihnen eine bekannte Courtisane, die ihr eigenes Dogcart lenkte. Sie lächelte dem Kronprinzen ziemlich frech zu. Er aber ignorierte sie und sagte dann zu Avia:

»Die war schon mit siebzehn Jahren ein perfektes Luder. Damals habe ich mit ihr verkehrt. Zehn Jahre ist dies schon her, und immer noch grinst mich der Affe an. Ich denke an das, was Sie einmal über die Weiber sagten. Im übrigen haben Sie sich damals doch sehr hart geäußert. Erinnern Sie sich noch?«

»Ich entsinne mich dessen sehr gut,« erwiderte der Baron. »Aber daß gerade der Anblick dieser Person königliche Hoheit zu einer Rüge meiner damaligen Härte veranlaßt, nimmt mich doch Wunder.«

»Es ist mir eben eingefallen, daß man nicht alle Wei– –, alle weiblichen Personen in einen Topf werfen darf.«

»Gewiß nicht, aber in Fragen der Moral gibt die Erfahrung doch eine führende Grundlinie des Denkens, an die man sich halten kann und das gilt gerade in bezug auf das Kapitel Weib.«

»Männer sind doch auch sehr verschieden,« wendete der Kronprinz mit einem leisen Klang von Gereiztheit ein.

»Wollen königliche Hoheit die Verschiedenheiten der Ausbildung, des Berufes bei den Männern beachten, während die Entwicklung des weiblichen Geschlechtes viel einförmiger ist. Übrigens lassen sich auch für die Männer mehr oder minder allgemein gültige Leitsätze für die Beurteilung aufstellen.«

»Das mag alles schön und gut sein,« sagte der Kronprinz beinahe aufgeregt, »aber was Sie damals sagten, das war doch zu hart, ja ganz reaktionär, bigott möchte ich sagen. Sie sind doch sonst nicht so.«

»Meiner Härte gegen das Weib,« antwortete Avia trocken, »entspricht meine Strenge gegen den Mann, der kein Weib durch Verführung in eine solche Lage bringen soll.«

»Das ist ja ganz unhaltbar!« sagte der Kronprinz jetzt ungeduldig. »Wir sind und bleiben Menschen, und damit ist zu rechnen. Was ist Verführung, wenn auf der anderen Seite auch Leidenschaft vorhanden ist? So was ist auch nicht immer eigene Schuld, sondern die anderer Leute. Wenn es als Heldentat gepriesen wird, daß Völker Revolutionen machen, kann es sich der einzelne auch mal erlauben, der unter einem härteren Joche seufzt, als es dem Volke von Hetzern eingepaukt wird. Das Volk hat mehr Freiheit zu leben, wie es ihm gefällt, als unsereins.«

Avia wußte jetzt, woran er war. Ein Gefühl stieg in ihm auf, das seine Zunge lähmte, und er klammerte sich mit aller Kraft an den Gedanken, daß er dem Manne, dem er zur Seite ritt, Dank schuldig war, um das Gefühl nicht zum Hasse werden zu lassen. Der Kronprinz aber fuhr, redseliger als sonst, nach einer kurzen Pause fort:

»So viel darf ich sagen, ohne die ritterliche Diskretion zu verletzen: Ich habe neuerdings eine Erfahrung gemacht, die mich sehr beschäftigt. Was das für Folgen haben wird, weiß ich noch nicht. Folgen aber wird es haben. Das ist nicht bloß eine Weibergeschichte, Avia, das ist ganz was anderes. Sie würden aber wieder mit Steinen nach mir werfen, wenn sie's wüßten. Ich kann's den Leuten eben nicht recht machen.«

Welche geheime Macht hatte Prinzessin Constanze denn, daß sie solche Wirkung auf diesen Mann üben konnte? Das schien ja noch viel mehr, als er in ihr vermutet. Aber wurde denn damit der Handel nicht noch übler, ging es da nicht erst recht auf die Tragödie einer edlen Frauenseele zu? Avia sagte mit mühsamer Selbstbeherrschung:

»Die Andeutungen Eurer königlichen Hoheit lassen auf eine Eroberung seltener Art schließen. Dieser Dame scheinen besondere Gaben verliehen zu sein, und von hochbegabten Frauen ist es bekannt, daß sie dem Ehrgeiz willig alles opfern. Den künftigen König zu fesseln, ist ein stolzer Plan, auch für eine Dame von Rang und Stand.«

»Sie sind auf ganz falscher Fährte, mein Lieber,« sagte der Kronprinz im Tone heiteren Selbstgefühles, »es handelt sich um eine Herzensneigung und um nichts anderes.«

Avia konnte nicht mehr an sich halten.

»Dann gibt's am Ende Tränen,« sagte er.

»Das konnten Sie für sich behalten,« bemerkte der Kronprinz verstimmt und sprach weiter nichts mehr.

Avia schalt sich hinterher einen alten Esel. Wenn er jetzt beim Kronprinzen in dauernde Ungnade fiel, was gab ihm Prinzessin Constanze dafür? Man ist doch sein Lebtag nicht davor geschützt, um des Weibes willen Dummheiten zu machen. Er, der eben erst ein sicheres Dach über dem Kopf gewonnen hatte, mußte sich um die künftigen Tränen einer Prinzessin kümmern, die in ihm nichts weiter als einen Mann aus dem Trosse sah.

In diesen Tagen ließ sich des Kronprinzen jüngster Bruder, Prinz Adolar, bei diesem melden, und als er ihn vertraulich burschikos begrüßte, stutzte er über dessen ernsthafte, offenbar verlegene Miene.

»Na, was ist denn los?« fragte er. »Was hast du denn verbrochen? Kostet es Geld? Nur nicht zuviel!«

»Es handelt sich nicht um Geld,« sagte Prinz Adolar leise.

Dann sprach er von ›Vermittlung‹, vom Vater, der nicht aufgeregt werden dürfe. Endlich kam es heraus. Er sei entschlossen, die Hofschauspielerin Labana zu heiraten.

Der Kronprinz ließ das Monokel aus dem Auge fallen und sagte, damit spielend:

»Weiter nichts? Hast du ihr das versprochen?«

»Ja, schon seit längerer Zeit und wiederholt,« antwortete Adolar, jetzt mutiger geworden, mit fester Stimme. »Es ist daran nichts mehr zu ändern, auch wenn ich wollte.«

»Schriftlich?«

»Das nicht, aber – –«

»Schon gut! Die Beziehungen sind natürlich – na ja –.«

»Ich habe sie verführt. Sie ist aus sehr guter Familie. Ihr Vater ist Major a. D.«

»Die Labana ist ja eine schöne Person. Aber was veranlaßt dich denn, sie heiraten zu wollen? Solche Heiraten sind gerade keine Seltenheit, und bei einem dritten Prinzen wäre die Sache am Ende auch tolerabel, wenn dabei die Nachkommenschaft nicht in Frage käme. Sie sind nicht angenehm für die Dynastie, diese morganatischen Verwandten, die immer protegiert werden wollen. Du denkst auch gar nicht daran, wie unbequem nach allen Richtungen dir so eine Frau werden kann. Das ist überhaupt mehr etwas für ältere Herren. Sie hat dich wohl zu dem Gedanken gedrängt?«

»Man hat ihren Eltern böswilligerweise Nachricht gegeben, und darauf erhielt sie von ihrem Vater einen Brief, der sie mit Verstoßung bedrohte, wenn sie nicht sofort die Beziehungen zu mir abbräche.«

»Und darauf bist du hereingefallen? Was kann ihr aber Großes an so einer Verstoßung liegen? Sie steht sich wahrscheinlich sehr gut an unserem Hoftheater, und du wirst auch nicht knauserig sein.«

»Golo! So darfst du nicht sprechen! Sie ist keine gewöhnliche Komödiantin.«

»Das sind sie in solchem Fall natürlich nie. Sei doch vernünftig, Junge! Zu was denn die Heiraterei? Ein anderes Mädel, das kann in Ungelegenheiten kommen, aber eine Schauspielerin? Kein Mensch verlangt Tugend von ihr, und wenn sie auch ein Kind kriegt, macht man kein Aufhebens davon. Fräulein Labana kann lieben und sich lieben lassen, wie es ihr gefällt. Zu was also die Heirat? Wenn der Major rabiat wird, dann macht es mit der Majorin ab. Die wird es, wenn ihr es richtig anfaßt, auch zufrieden sein, daß die Reize der Tochter hoffähig sind.«

»Golo, es ist freilich nicht der rechte Augenblick, aber ich möchte doch – –«

»Tu's lieber nicht! Es ist wirklich nicht der rechte Augenblick. Ich meine, an den König kommen in der nächsten Zeit so wichtige Dinge, daß dein Liebesroman davor zurückstehen muß. Ich kann ihn jetzt nicht mit derlei belästigen. Gar so eilig ist's keinesfalls.«

»Du bist aber kein prinzipieller Gegner meiner Absicht?«

»Schenke der Mutter Labana was Schönes, der Tochter noch was Schöneres, schenk immerzu, dann wird's schon eine Weile noch beim Bisherigen bleiben können.«

»Du weichst mir aus.«

»Ja, das tue ich, damit du uns vorläufig keine weiteren Scherereien machst. Später kann sich alles finden, liegt vielleicht gar nichts daran, sofern du noch Lust hast.«

Vergnügt entfernte sich Prinz Adolar.

›Da läuft er hin, der ahnungslose Jüngling,‹ dachte der Kronprinz. ›Was hat er sonst zu tun, als bei der schönen Schauspielerin zu schlafen, und wenn er die Person heiratet, ist's eben auch eine Spielerei, wie irgend eine andere. Zum Spielen ist er ins Leben gesetzt. So was haben die Leute gern, und wenn er die strebsame Komödiantin heiratet, ist's der rührende Liebesroman eines Prinzen ohne Vorurteil.

›– – – Avia muß dabei sein. Es geht nicht mehr anders. 's ist mir eigentlich sehr zuwider. Er führt eigentümliche Reden. Die wird er eben verschlucken. Er muß treu sein wie ein Hund, denn er muß leben, wie ein herrenloser Hund, wenn ich ihn laufen lasse. – – Das geht nicht mehr weiter mit der Nachtwandlerei. Die Pagode –, das hat andere Form, und sie wird da unbefangener aus sich herausgehen. Was doch das Mädchen alles zu sagen weiß! Wie sie's sagt, das ist's, was einen zwingt. Ich hätte nie so was gedacht! Aus dem Herzen kommt es ihr und klingt doch höchst verständig. Es ist, als holte sie aus einem heraus, was man an sich gar nicht kannte, oder auch so was Verschüttetes, Vergessenes. Natürlich ist's ein Weib, das aus ihr redet, aber es trifft, es trifft. Sie wird nicht Herr über mich, ich lasse mich von einem Weibe nicht beherrschen, aber sie kann ihren Nutzen haben, diese Sünde. Später, später einmal. Sie und Avia – seltsame Zusammenstellung, aber das ist's, das wird's sein, was ich brauche. Das ist was anderes, was ganz anderes als Adolars törichte Liebschaft. Das hängt mit dem Wichtigsten zusammen, das ist so ein Stück meines Schicksals. Zum Vieh haben sie mich gemacht, das Beste haben sie mir genommen und mir diese Eudoxia gegeben.‹



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