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Erstes Kapitel

In allen Restaurants und Cafés wurde das Ereignis des Morgens in allen Tonarten besprochen, und hätte die Polizei jedes Wort auffangen können, die Gerichte hätten nicht zu bewältigende Arbeit bekommen. Gegen neun Uhr, als der Kronprinz in Begleitung seines Adjutanten vom Morgenritt in der Königsau zurückkehrte, war auf dem Platze, an dem die große Parkstraße in die Stadt einmündete, dem Paraderondell, das von den vornehmsten Stadtgebäuden umsäumt war, eine nach Hunderten zählende Volksmenge versammelt. Sie erwartete den Prinzen, dessen tägliche Gewohnheiten genau bekannt waren, und empfing ihn bei seinem Erscheinen mit Pfeifen und Johlen. Auch einige Steine flogen, von denen einer das Pferd des Kronprinzen streifte, daß es einen wilden Satz zur Seite machte und vom Reiter mit Mühe gebändigt werden konnte. Im Galopp durcheilte der Prinz mit seinem Begleiter den Platz, auf dem zahlreiche Polizeimannschaften im Laufschritt eintrafen und sich sogleich mit wilder Energie auf die Menge stürzten, die schnell unter lautem Geschrei auseinanderstob. Prinzessin Constanze, die auch von der Königsau geritten kam, sah gerade noch, wie ein Häuflein Arrestanten gefesselt abgeführt wurde. Der sie geleitende Stallmeister meldete nach Anfrage bei einem Polizeikommissar etwas von einem Attentat gegen den Kronprinzen. Da ging auch das Pferd der Prinzessin in Galopp über.

Am Frühmorgen schon war es bekannt geworden, daß abends zuvor eine bildschöne siebzehnjährige Verkäuferin, die Tochter eines niederen Postbeamten in den Fluß gesprungen sei unter Hinterlassung von Geständnissen, wonach sie sich in eines der vornehmsten Hotels habe locken lassen und dort während einer wilden Orgie, an der auch noch andere blutjunge Mädchen teilnahmen, mißbraucht worden sei. Der Kronprinz sei der Anführer der dabei beteiligten vornehmen Wüstlinge gewesen. Indessen man über diese neueste Untat des Thronfolgers, der sich nachgerade unmöglich mache, debattierte, stand dieser bereits vor dem Richterstuhl seines königlichen Vaters. Gleich nachdem die Zusammenrottung am Paraderondell von der Polizei auseinandergesprengt worden war, hatte sich eine lebhafte Tätigkeit der höchsten Behörden entwickelt. Der genau informierte König befahl dann den Obersthofmeister Grafen Coriolani zu sich. Es galt das nicht dem obersten Leiter des Hofhaltes, sondern dem alten Vertrauten, der in allen schwierigen Fällen sein maßgebender Berater war, seit König Arthur den Thron seiner Väter bestiegen hatte. Der König zählte jetzt dreiundsechzig Jahre und war ein großer, auffallend beleibter Mann, dessen feiste rote Wangen mit dem Doppelkinn durch den weißen Vollbart brechen zu wollen schienen. Er litt an Atemnot, die Ärzte mahnten aber vergebens zu Enthaltsamkeit in alkoholischen Genüssen. Er war kein glücklicher König. Ein Jahr nach seinem Regierungsantritt war der Krieg mit dem mächtigen Nachbarreich ausgebrochen. Er hatte ihn nicht gewollt, aber die Politik seines Vaters und dessen ehrgeizigen leitenden Ministers hatte ihm eine unhaltbare Situation als schicksalschweres Erbe hinterlassen. Der kurze Krieg endete mit einer völligen Niederlage und dem Verluste fast der Hälfte des angestammten Gebietes, ja, ohne die schließliche Intervention einer befreundeten Großmacht hätte die hochberühmte Dynastie der Orlandiner wahrscheinlich den Thron verloren. Der junge König Arthur büßte die Sünden der Vergangenheit schwer. Das Volk dachte nicht weiter über die wirklichen Ursachen des Unglückes nach und konnte jedenfalls nicht besondere Liebe für den Herrscher aufbringen, der noch keine Zeit gehabt hatte, Tugenden zu zeigen und nur als der Besiegte vor ihm stand. Es bildete sich sogar, woran früher kein Mensch gedacht hatte, eine republikanische Partei heraus, die im Laufe der Zeit einen nicht unerheblichen Einfluß gewann. Der König ging auf die Jagd, trieb Musik, förderte das Theater und interessierte sich für Edelsteinraritäten. Alles Militärische war ihm verhaßt, er trug nur widerwillig bei offiziellen Gelegenheiten die Uniform. Mit den Jahren wuchs sein Gefallen an Tafelfreuden. Eifrige Patrioten sowohl, wie die Radikalen klagten über die dauernde Stagnation in den öffentlichen Dingen, die allgemeine politische Schläfrigkeit, die von oben her die ganze Bevölkerung ansteckte. Die dem König näher standen, rühmten ihm seine Geistesbildung und edle Gesinnung nach. Sie wollten wissen, daß doch manches Gute, vom großen Haufen unterschätzt oder gar nicht beachtet, auf seine kluge Meinung hin geschaffen worden sei und daß er eine tiefe Liebe zu seinem Volke hegte, die zuweilen ergreifend im Tone einer wehmütigen Ironie zum Ausdruck kam. Diesen Wissenden galt er als ein verkannter Fürst von schönen Anlagen, dessen Selbstvertrauen durch das Schicksal gebrochen war. König Arthur hatte drei Söhne, den Kronprinzen Golo, der von früher Jugend an seiner Ausschweifungen und wilden Streiche wegen, bei ernsten Männern höchst unbeliebt, aber von vielen Frauen und Mädchen heimlich bestaunt war, den volkstümlichen, eleganten Prinzen Roger, dem man staatsmännische Talente zuschrieb, und den harmlos lebensfrohen, noch sehr jungen Prinzen Adolar, der so schöne Hunde hatte und im Karneval auf allen Bürgerbällen mit den nettesten Mädchen tanzte. Die Königin war vor sechs Jahren an einem Krebsleiden gestorben.

Als Graf Coriolani in das Arbeitskabinett des Königs eintrat, saß dieser auf einem in die reichgeschnitzte Holzwand eingelassenen Sofa mit dunkelrotem Lederbezug in die Ecke gedrückt, in der einen Hand eine dicke Zigarre haltend, in der anderen ein Taschentuch. Vor ihm stand auf einem silbernen Tablett ein hohes, geschliffenes Kelchglas. Es enthielt, wie Coriolani wohl wußte, eine Mischung nach Art der american drinks, mit der der König sich jedes Mal zu allen Tageszeiten zu beruhigen pflegte, wenn er aufgeregt war.

»Setz dich, setz dich,« sagte der König schweratmend, als der Graf unter tiefen Verbeugungen näher trat, und wies mit dem Taschentuch, mit dem er sich dann über den Mund fuhr, auf einen Lehnstuhl. Ehe der Graf noch Platz genommen hatte, fuhr der König fort:

»Hast schon gehört? He?«

»Unklares, Majestät, Dienergerede. Als ich nähere Nachrichten einholen wollte, traf mich der allerhöchste Befehl.«

»Ja, Dienergerede! Es gibt wieder Unterhaltungsstoff für Hausknechte und Waschweiber. Mit Steinen haben sie ihren künftigen Landesherrn geschmissen, und ich kann nicht sagen, daß sie so ganz unrecht gehabt haben.«

»So wurde mir auch erzählt,« bemerkte der Graf. »Der Fall ist ganz merkwürdig bei unserer ruhigen Residenzbevölkerung. Man kann doch auch nicht an eine Agitation der Republikaner glauben.«

»Ach, was braucht es da Republikaner!« versetzte der König. »Endlich ist's den Leuten eben einmal zu toll geworden, daß das Königshaus nichts anderes mehr fertig bringt als Skandal.«

Der Fall wurde nun eingehend besprochen. Schließlich sagte der König:

»Mit seinen Kumpanen wird gründlich verfahren. Das ist schon in den Weg geleitet. Die Offiziere erhalten den schlichten Abschied, dem jungen Sergini wird bedeutet, daß er keine Aussicht auf Staatsanstellung mehr hat, Prinz Robidan, einem der schlimmsten Kunden, ist leider nicht anders beizukommen, er verliert den Hofzutritt, und dem russischen Grafen Suchow wird der gute Rat erteilt, einen anderen Wohnort zu wählen. Aber was soll nun mit ihm, mit Golo, geschehen? Ich verlangte von meinen Ministern die strengsten Vorschläge. Die Herren zeigten sich ängstlich und meinten, alles, was zu deutlich nach Strafe aussehe, sei bedenklich, denn es schaffe eine Erinnerung an den Vorfall, die der Würde des späteren Königs schade!«

»Ich bin ganz derselben Meinung, Majestät,« sagte Graf Coriolani.

»Ich will ihn aber züchtigen!« rief der König jetzt und wurde dunkelrot im Gesicht.

Der Graf antwortete gelassen:

»Es ist nun einmal der Thronfolger, der in Frage steht. Unter vier Augen mag der Vater die Schale seines Zornes über den schuldigen Sohn nach Belieben ausgießen, öffentlich bloßgestellt darf der künftige König nicht werden.«

»Als ob er das nicht selber schon gründlich besorgt hätte!« warf der König ein und wischte sich die Stirne. Seine Brust ging lebhaft auf und nieder.

»Man verzeiht dem reifen Manne Jugendsünden gerne, wenn sich keine Merkmale der Vergangenheit aufdrängen,« versetzte Coriolani.

»Er ist kein Knabe mehr, zählt vielmehr vierunddreißig Jahre. Willst mir wohl mit der alten Weisheit auf den Leib rücken, Kronprinzen verwandelten sich gänzlich als Könige? Na, vielleicht kann er euch dieses Verwandlungskunststück bald vorführen.«

Mit einem großen Zuge leerte der König sein Glas und drückte dann auf einen Knopf im Wandgetäfel.

Dem nach einer Sekunde erscheinenden Lakai zeigte er mit dem Finger das Glas, mit dem dieser verschwand. Dann schielte er nach dem Grafen und sagte:

»Es ist nichts Schweres, fast nur Sekt. Der wirkt ja bekanntlich sehr gut auf die Herztätigkeit. Um aber wieder zur Sache zu kommen. Ich muß, so scheint es, der Weisheit meiner Umgebung wieder einmal nachgeben. Was du da aber von ›unter vier Augen‹ sagtest, das genügt mir doch nicht. Wenigstens vor versammeltem königlichem Hause will ich ihm die Meinung sagen. Zu einer Zwiesprache ist er ohnehin schon hierher befohlen, aber er soll auch noch allen seinen Verwandten Abbitte leisten für die Schande, die er der Dynastie bereitet hat.«

Jetzt erhob sich Graf Coriolani erregt, und mit bittend gefalteten Händen sich vor den König neigend, sagte er:

»Ich beschwöre Majestät, von solcher Maßregel abzusehen. Sie würde den Kronprinzen auf das Tiefste gegen die ganze königliche Familie, vor der er sich demütigen mußte, erbittern.«

»Es bleibt dabei,« versetzte der König unwirsch. Vorsichtig trat der Lakai wieder ein. Mit einer hastigen Bewegung nahm ihm der König das Glas ab und tat einen Schluck.

Als der Diener sich schnell entfernt hatte, begann Coriolani wieder:

»Und ich wage es noch einmal, Majestät, ein solches Vorgehen zu widerraten. Man spricht nicht gerne davon, aber Tatsache ist es doch, daß innerhalb der königlichen Familie Strömungen vorhanden sind, die nicht weitere Nahrung finden sollten.«

»Was soll das heißen?« entgegnete der König. »Daß man mißtrauisch in die Zukunft sieht, ist sehr begreiflich. Ich weiß auch, daß meine Schwiegertochter Klara Eugenie ehrgeizige Wünsche hat. Aber Golo ist ein Bär von Gesundheit und hat noch lange Zeit sich zu den beiden Mädchen, die er hat, einen Sohn anzuschaffen. Er wird König werden und ihr Oberhaupt, dem sie zu gehorchen haben, ob's ihnen paßt oder nicht. Was soll's also mit deinen ›Strömungen‹?«

Der Graf erwiderte:

»Gesetzt, die Dinge spitzten sich dereinst durch des künftigen Königs Erbitterung gegen seine Verwandten zum offenen Familienkonflikt zu und man übertrüge diesen in die Politik, indem man die Republikaner gegen den König ausspielt? Sie erstarken jedenfalls dadurch. Aus dem Familienkonflikt wird ein schwerer Konflikt für das Land. Und der Ausgang? Man wird auf der einen Seite die Geister nicht mehr los, die man rief, und geht mit dem König, den man treffen wollte, unter, oder aber der König siegt durch rücksichtslose Gewalt und bereitet so den Boden zu neuen Revolutionen.«

Der König sah eine kleine Weile vor sich hin, dann sagte er:

»Du schreibst in deinem Zukunftsbild Golo eine gewisse Bedeutung zu. Ich muß ihn leider nur für einen brutalen Wüstling halten, der unfähig ist, das Ansehen der Dynastie zu mehren. In diesem Sinn bereitet er vielleicht den Republikanern den Weg. So käm's also doch noch dazu. Sie sind etwas so Jämmerliches diese landlosen souveränen Häuser!«

»Majestät,« sagte der Graf mit einer gewissen Zärtlichkeit im Ton, »ich glaubte nur, gefährlichen Möglichkeiten ins Auge zu sehen, sei besser, als unvorsichtig Keime dazu zu legen.«

»Ich kenne deine treue Meinung, Alter,« sagte der König. Dann erschien er auf einmal ganz zusammengebrochen mit gebeugtem Kopf und schlaffen Wangen. Vor sich hinstarrend klagte er:

»Warum ist denn gerade er so und keiner von seinen Brüdern? So nötig braucht das Land einen tüchtigen König. Ich bin's ja nicht gewesen.«

Graf Coriolani stürzte auf ihn zu und küßte ihm die Hand.

»Laß nur, laß nur!« wehrte der König ab. »Daran ist nichts mehr zu ändern. Aber daß ich meinem Volke nicht wenigstens einen besseren Nachfolger hinterlassen kann, das trifft mich hart.«

»Majestät, Weiberaffären haben keinen Zusammenhang mit der Befähigung zum Herrscher und stellen auch im bürgerlichen Leben ein ganz besonderes Kapitel dar.«

»Lieber Coriolani, du bist selbst eine zu ritterliche Natur, als daß dir das aus der Überzeugung käme. Ich erkenne auch hier seine frevelhafte Mißachtung des Mitmenschen. Ein König muß Kränkungen dulden können, darf aber niemand selber kränken.«

Der Adjutant trat ein und meldete die Anwesenheit Seiner königlichen Hoheit des Kronprinzen.

»Sogleich!« sagte der König. »Nur ein kurzes Wort noch mit dem Grafen.«

»Was soll nach deiner Meinung also jetzt geschehen?« wendete er sich nach dem Abgange des Adjutanten an Coriolani.

»Königliche Hoheit sollen sich auf einige Zeit der öffentlichen Aufmerksamkeit entziehen. Eine Jagdreise nach Afrika etwa, wie sie jetzt modern sind. Bis zu dieser die Vorbereitungen getroffen, sollte Seine Hoheit nach der Schweiz oder an die Riviera gehen, aber tunlichst in Begleitung der Frau Kronprinzessin.«

»Und weiter nichts?«

»Weiter nichts. Ich bitte inständigst darum.«

Der König streckte ihm die Hand entgegen und sagte:

»Alter Freund, es geschehe nach deiner Meinung, aber mein Wille ist es ganz und gar nicht. Da ist keine Gerechtigkeit darin, nein, nein, die ist nicht darin.« Er schüttelte mehrmals den Kopf.

»Das, was man so Gerechtigkeit nennt, Majestät, hat schon manchen Irrenden erst zum Bösewicht gemacht.«

Der König winkte leicht mit der Hand, und der Graf entfernte sich.

Im nächsten Augenblick erschien der Kronprinz. Den weißbebuschten Stahlhelm der Gardereiter im Arm, den Stern des Hausordens vom schwarzen Schwan auf dem reichverschnürten hellblauen Rock, stand er in Haltung und sprach mit heller Stimmer »Kronprinz Golo auf allerhöchsten Befehl zur Stelle.«

Der Kronprinz war eine hochragende edelgebaute Männergestalt. Gescheiteltes rotes Haar lag dicht an der Stirne an. Die grauen Augen wurden unter den großen Lidern kaum sichtbar. Das Gesicht war knochig, darum doch nicht unfein, aber die schmale Oberlippe unter dem kurzen roten Schnurrbärtchen gab den Zügen etwas Leidenschaftliches.

Der König richtete sich schwerfällig auf und machte eine nervöse Gebärde, auf die der Kronprinz einige Schritte näher trat.

»Golo!« rief der König keuchend und seine Kinnbacken bebten. »Du – – du bist ein – – – Schurke!«

Der Kronprinz zuckte leise und sagte dann in mühsam beherrschtem Ton:

»Majestät! Ich vermutete wegen des mir heute morgen widerfahrenen Schimpfes befohlen zu sein, um Klage führen zu können. Was Euer Majestät zu so harten Worten veranlaßt, ist mir unbekannt.«

»Du weißt nicht, wodurch die Zusammenrottung veranlaßt worden ist?«

»Nein, Majestät!«

Der König empfand es sehr unangenehm, die ganzen Vorgänge erzählen zu müssen, und er geriet denn auch in eine solche Erregung, daß ihn ein heftiger Hustenanfall überfiel. Der Kronprinz stellte rasch den Helm beiseite und war ihm behilflich, sich zu setzen. Der Anfall ging rasch vorüber. Der König holte mehrmals tief Atem und leerte dann mit einem großen Zug das vor ihm stehende Kelchglas. Er hatte die Tatsache des Selbstmordes des Mädchens vorangestellt, und der Kronprinz sagte jetzt, noch ehe sein Vater zu Ende gesprochen hatte:

»Wollen sich Majestät nicht weiter aufregen. Ich weiß jetzt, um was es sich handelt. Der süße Pöbel glaubte also eine passende Gelegenheit gefunden zu haben, sein Mütchen an mir kühlen zu können. Man liebt mich nicht sehr in diesen Kreisen. Was die Affäre angeht, so ist mir wohl in der Erinnerung, daß die Person von einer anderen in unseren Kreis gebracht worden ist und daß man etwas ausgelassen mit ihr umging, was sie sich zunächst nicht gefallen lassen wollte. Ich selber war nur als Zuschauer beteiligt, habe sie gar nicht angefaßt. Na ja, es war gewissermaßen eine wilde Sache, aber daß das Mädel so was tragisch nimmt, hat niemand voraussehen können. Hängt auch vielleicht mit anderen Umständen zusammen.«

Der König wurde schwankend.

»Daß solche Amüsements eines Thronfolgers unwürdig sind, wirst du einsehen,« sagte er, »und ebenso, daß du allen Grund hättest, die öffentliche Meinung nicht zu reizen.« Der Kronprinz zuckte kaum merkbar die Achseln.

»Jedenfalls,« fuhr der König fort, »trägst du die Verantwortung, welcher Art deine Beteiligung auch gewesen sein mag, und deine sauberen Genossen mögen sich für die Folgen bei dir bedanken.«

Als der Kronprinz hörte, was über seine Freunde beschlossen sei, rief er in einem, zwischen verhaltenem Zorn und dringlicher Bitte schwebenden Ton:

»Majestät, es sind ausgezeichnete Offiziere darunter, die der Armee zur Ehre gereichen.«

»Zur Ehre?« rief der König und seine Kinnbacken zitterten wieder. »Nette Armee, die solche Ehrbegriffe hat. Ich dulde es aber nicht, daß diese Herren glauben, ihnen seien die Bürgermädchen der Stadt als Freiwild ausgeliefert. Die Armee ist doch nicht dazu da, das Ansehen der Monarchie zu untergraben.«

»Das tut sie auch nicht!« stieß jetzt der Kronprinz ganz disziplinwidrig hervor, und sein Körper reckte sich, seine grauen Augen funkelten stechend unter hochgehobenen Lidern. Der König erschrak fast, und es stieg ein flüchtig nebelhaftes Bild vor ihm auf, in dem der Sohn als Rebell gegen den eigenen Vater erschien.

»Deine Sprache ist unziemlich für den Kronprinzen und den Offizier!« sagte er verweisend, aber es wollte nicht streng genug klingen.

»Ich bitte um Vergebung, Majestät, wenn ich im Ton gefehlt habe,« erwiderte der Kronprinz. »Aber es ist mir schmerzlich, aus allerhöchstem Mund Worte zu hören, die die von der Armee so sehr beklagte Ungunst Eurer Majestät deutlich bekunden.«

»Ich habe keine Lust, mich von dir in ein anderes Thema drängen zu lassen,« sagte der König und fuhr dann fort: »Eigentlich war es meine Absicht, auch gegen dich strengste Maßregeln zu ergreifen, aber Graf Coriolani hast du es zu verdanken, wenn das Verfahren milder ausfällt, als es nach meinem Willen sein sollte. Das Weitere wirst du hören. Es wäre wohl noch mehr zu sagen über dein böses Treiben, das staatsgefährlicher ist, als alle Wühlereien der Demagogen, aber ich muß meine Gesundheit schonen und darf mich nicht allzusehr in Erregung bringen. Das eine aber magst du noch wissen: Ich kenne keinen unwürdigeren Thronfolger in Europa als dich.«

Und die Erregung, die er meiden wollte, machte sich auch schon wieder im Äußeren des Königs erkennbar.

»Geh, geh!« keuchte er, und der Kronprinz entfernte sich.



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