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Fünftes Kapitel

»Mein Besuch überrascht Sie wohl, verehrte Gräfin,« sagte Graf Coriolani zur Gräfin Zerpa, ihr in deren Salon entgegentretend. »Es ist schon lange her, seit ich die angenehme Gelegenheit hatte, mich mit Ihnen unterhalten zu dürfen.«

Durch eine Handbewegung ihm einen Sitz anbietend, antwortete die Gräfin mit mißtrauisch lauernder Kälte:

»Ich stehe allerdings seit geraumer Zeit der Hofgesellschaft ganz fern und darf daher wohl auf einen besonderen Anlaß schließen, der mir das Vergnügen verschafft, Sie in meinem Hause zu begrüßen.«

Coriolani antwortete:

»Ein besonderer Anlaß ist es eigentlich gar nicht, weshalb ich mir erlaubte Sie aufzusuchen, Gräfin. Ich möchte mich nur einmal in einer Angelegenheit, an der wir ein gemeinsames Interesse haben, mit Ihnen aussprechen.«

»Ein gemeinsames Interesse – – – wir beide?«

»Nun, da ist nichts so Wunderliches daran. Es ist vielmehr sehr leicht zu erraten, daß es sich nur um Se. Majestät den König handeln kann.«

»Um – – die Majestät?« fragte die Gräfin gedehnt. Gleich aber hellte sich ihr Gesicht so auf, daß ein Lächeln darauf erschien.

»Ach so! So meinen Sie das gemeinsame Interesse? Da bin ich aber noch mehr erstaunt, daß der Graf Coriolani sich an mich wendet.«

»Ich weiß nicht, was Sie eben denken, Gräfin. Ich möchte nur vorausschicken, daß mir alles fernliegt, was die kleine Malice Ihres Tones rechtfertigte. Der körperliche Zustand unseres teuren Königs ist es, den ich mit Ihnen besprechen möchte.«

»Um Gottes willen, was ist denn geschehen?«

»Nichts, Frau Gräfin! Aber Sie wissen so gut wie ich, daß die Majestät sich nicht jene Vorsicht aneignen will, die nötig wäre.«

»Leider, leider! Hängt damit also Ihr Besuch zusammen? Dann habe ich Sie allerdings mißverstanden.«

»Und darf man fragen, was Sie dachten, Gräfin?«

»Majestät sprachen vor einigen Tagen bei mir etwas übel gelaunt von Ihnen. Da ließ mich Ihr so gänzlich unerwarteter Besuch vermuten, ich sollte helfen, die kleine allerhöchste Verstimmung zu beseitigen.«

Des Grafen Gesicht rötete sich merklich, es klang absichtsvoll trocken, als er erwiderte:

»Der Verstimmte war eigentlich ich, aber das ist bereits wieder zwischen dem allerhöchsten Herrn und mir geordnet, ohne daß ich dazu fremder Hilfe bedurft hätte.«

Dann fuhr er schroff fort:

»Also um des Königs Gesundheit handelt es sich, und dazu ist Ihre Mitwirkung nötig.«

Die Gräfin sah ihn jetzt beinahe furchtsam an und entgegnete:

»Verzeihen Sie meinen Irrtum, Exzellenz, aber ich weiß auch jetzt nicht recht, was die Absicht Ihres Besuches ist.«

Coriolani sagte:

»Es ist von der höchsten Wichtigkeit, daß wenigstens vor der Rückkehr des Kronprinzen keine Ereignisse eintreten, wie sie leider jederzeit im Bereich der Möglichkeit liegen. Der König muß vor allen Aufregungen ängstlich behütet werden.«

»Ich bin's wahrhaftig nicht, die ihn mit ärgerlichen Dingen belästigt,« antwortete Gräfin Zerpa. »Ich politisiere und intrigiere nicht. Wohl aber ist es mir schon oft gelungen, ihm die Sorgen, mit denen er zu mir kam, zu verscheuchen.«

»Daran zweifle ich nicht im geringsten,« erwiderte Coriolani. »Es ist die alte Gabe schöner Frauen, die Männer die Sorgen vergessen zu machen.«

»Ich möchte Exzellenz nicht neuerdings mißverstehen,« sagte jetzt Gräfin Zerpa gereizt, »und bitte Sie daher, ganz deutlich zu werden. Des Königs Leben ist mir mindestens so kostbar, wie irgend jemand an seinem Hof. Was soll es also bedeuten, daß Sie kommen, um gerade mir Möglichkeiten vor Augen zu führen, an die ich nur mit schwerer Angst denke?«

»Ich komme zu Ihnen, Frau Gräfin, weil Sie für des Königs Leben unter Umständen verantwortlich gemacht werden könnten,« antwortete Coriolani.

»Deutlicher ist das nun nicht, im Gegenteil muß ich mich besinnen, ob ich nicht träume.«

»Der Konstitution Seiner Majestät ist von den drei gerühmten Dingen, Wein, Weib, Gesang, nicht bloß der Wein schädlich – – –.«

»Sondern auch der Gesang. Jetzt verstehe ich Sie, Exzellenz, wenn ich auch noch nicht die ganze Intrige durchschaue.«

»Von einer Intrige ist gar keine Rede. Sie haben es nur mit mir zu tun, Frau Gräfin, und meiner Meinung, daß Sie imstande seien, sich wenigstens bis zu einem gewissen Grad um die Gesundheit der Majestät verdient zu machen, die man leider vom Alkohol nun nicht mehr abbringen kann.«

»Und Ihrer Meinung nach soll ich mir diese Infamie als wehrlose Frau ruhig gefallen lassen?« rief die Gräfin im höchsten Grade zorniger Erregung. »Ach nein! Ich rufe den Schutz meines königlichen Freundes an, der mir Genugtuung nicht verweigern wird.«

»Das hätten Sie nicht sagen sollen,« entgegnete Coriolani behaglich gutmütig. »So spricht eine Theaterprinzessin, die des Königs Gunst genießt, aber nicht die Gräfin Zerpa. Es liegt ja nicht in meinem Interesse, Sie zu beleidigen. Die Umstände zwingen aber eine diskrete Angelegenheit offen zur Sprache zu bringen. Ich hätte vielleicht meine Frau schicken können, aber ich habe sie bisher nie als Mittelsperson meiner Geschäfte verwendet, und vielleicht hätten Sie dann erst recht von indiskreter Einmischung sprechen können. Also, daß Sie mich bei der Majestät verklagen werden, glaube ich einstweilen nicht. Ich rechne vielmehr ganz sicher darauf, daß Sie das Richtige finden. Von einem eigentlichen Bruche soll ja gar keine Rede sein, das schiene mir gar nicht wünschenswert.«

Der Gräfin kamen jetzt die Tränen in die Augen.

»Sie hören ja nicht auf, mich zu beschimpfen,« klagte sie. »Wissen Sie denn eigentlich von meinen Beziehungen zum König? Ich verwahre mich gegen die indiskreten Voraussetzungen Ihres Überfalles.«

Coriolani erwiderte: »Regen Sie sich doch nicht unnötig auf, Frau Gräfin. Ich moralisiere über nichts, aber Sie zwingen mich wirklich, indiskret zu werden, wenn Sie mit mir Theater spielen wollen. Das kann ich mir mit meinen greisen Haaren nicht gefallen lassen. Ich kenne meinen königlichen Herrn gut genug, um zu wissen, daß er nicht mit einer schönen blühenden Frau jahrelang eine sogenannte Seelenfreundschaft unterhält. Trocknen Sie also Ihre Tränen, lassen Sie alle Beteuerungen und fassen Sie den Ernst der Sache ins Auge. Eine kluge Frau wie Sie, wird es doch fertig bringen, einen alten Herrn an sich zu fesseln und zugleich in Schranken zu halten. Schaffen Sie einen Übergang. Verreisen Sie auf eine kleine Weile, und nach Ihrer Rückkehr sehen Sie die Dinge mit ganz anderen Augen an. Denken Sie sich einmal, in Ihrem Hause ereignet sich eines Tages etwas Ähnliches wie der plötzliche Tod des Präsidenten Faure.«

Die Gräfin machte eine ganz leise abwehrende Bewegung mit der Hand. Dann sagte sie mit gelassener Bestimmtheit:

»Wenn er mich nicht mehr hätte, wäre er schon längst zusammengebrochen. Er ist ein armer König.«

Coriolani bekam einen Zug leisen Mißtrauens. Er hatte gar keine Lust, sich mit der Gräfin Zerpa in ein Gespräch über den Seelenzustand seines königlichen Herrn einzulassen.

»Sie trauen sich also eine große Macht über unseren allergnädigsten Herrn zu?« sagte er sich erhebend. »Dann darf ich wohl hoffen, daß unsere kurze Besprechung nicht überflüssig war.«

Die Gräfin stand ebenfalls auf und sagte mit etwas flackerndem Blick, aber sehr ruhig:

»Ich will Ihnen Ihren Zynismus verzeihen, weil Sie so treu besorgt um Ihren königlichen Herrn sind, aber ich bitte sehr ernstlich, aus meiner Nachsicht keine falschen Schlüsse zu ziehen.«

Ohne Händedruck, mit knappen Komplimenten verabschiedete man sich. –

Während die Männer durch Zeitungsartikel und Volksversammlungen für die Wahlen eingepeitscht wurden und sich immer mehr an den Schlagworten des Parteikampfes erhitzten, gaben sich die Frauen mit angespannten Nerven den Neigungen und Aufregungen der großen Saison hin.

Bei Hof brachte es die Abwesenheit des Kronprinzen mit sich, daß das kronprinzliche Palais sich nur für kleine Veranstaltungen öffnete, aber kein großes Ballfest stattfand. So war es der Wunsch der Kronprinzessin gewesen. Dadurch trat, abgesehen von den wenigen großen Repräsentationsfesten im königlichen Schlosse, die rege Geselligkeit, die Prinz Roger und Prinzessin Clara Eugenie pflegten, in diesem Jahr besonders in den Vordergrund. Da und auf den Festen des Adels und der Diplomatie entschädigte sich die lebenslustige Kronprinzessin reichlich für die Zurückhaltung, die sie sich im eigenen Hause auferlegte. In großer Toilette war sie buchstäblich märchenhaft schön, wie aus einem Weihnachtsbuche geschnitten. Da ihr überall die Stellung der ersten Dame zukam, strahlte diese liebliche Schönheit immer weithin sichtbar im Mittelpunkt der Feste. Der eine der bisherigen Vortänzer bei den Hoffesten, der Oberleutnant der Gardereiter Graf Mattassi hatte sich im Laufe des Sommers verlobt. Das gab Anlaß zu einem Wechsel, und auf besonderen Wunsch der Kronprinzessin hatte Vizezeremonienmeister Graf Cäsar Coriolani das Amt übernommen, das sonst immer ein Offizier bekleidet hatte. Man kam dahinter, daß Clara Eugenie der Kronprinzessin diesen Wunsch suggeriert hatte und sah nun darin murrend eine absichtliche Zurücksetzung des Offizierkorps durch die militärfeindliche Gesinnung des Prinzen Roger und seiner Gemahlin. Nach nicht sehr langer Zeit wollten einige besonders scharfsichtige Damen die Wahrnehmung machen, daß die Kronprinzessin den hochmütigen gezierten Coriolani mehr auszeichne als nötig, ja angemessen sei. Man wollte sogar mehrmals ein Lächeln an ihr bemerkt haben, das geradezu erstaunlich war, denn sonst trug sie doch immer nur eine teilnahmlos gleichgültige Miene zur Schau und behandelte die Kavaliere gegebenenfalls nur als Instrumente zur Befriedigung ihrer Tanzlust.

Clara Eugenie verstand es mit überlegenem Takt den Vorrang der Schwägerin so zu markieren, daß diese, obwohl die gleiche Rangordnung ja schon immer bestanden hatte, sich jetzt doch viel gehobener fühlte und, ohne ausdrücklich darüber zu sprechen, ihr doch eine erkennbare Dankbarkeit in Gestalt zutunlichen Wesens zollte. Bisher hatte die Gegenwart des Gatten immer einen Druck auf sie geübt. Er war bei solchen Gelegenheiten nicht gerade unfreundlich, aber die aufragende Persönlichkeit, die die Blicke hochfahrend umherschweifen ließ, fürchtete sie. Ganz zaghaft stand sie neben ihm, nur bedacht ja nichts zu tun, was ihr seine Mißbilligung bringen konnte, die er mit so hartklingender heller Stimme ihr entgegenschleuderte, wie jedem Lakai. Clara Eugenie hatte aber in intimen Unterhaltungen herausgehört, daß es mit dieser Furcht vor dem Herrn und Gebieter eine besondere Bewandtnis hatte. Sie fühlte sich durch dessen Entfernung nicht etwa befreit. Für eine Weile hatte sie sich wohl zu einer trotzigen Haltung bestimmen lassen, aber ganz deutlich wurde es nach und nach erkennbar, daß ihr die Abwesenheit des gefürchteten Tyrannen zu lange dauerte und daß sie keinesfalls für Clara Eugeniens weitere Pläne durch Überredung zu einem Standpunkte empfindlichsten Zartgefühles zu gewinnen war. Als sie die Schwägerin mit nötiger Vorsicht auf die tröstende Zuflucht eines tieferen religiöseren Lebens zu verweisen anfing, hörte sie diese mit melancholischer Andacht an, gab aber dann ihre Ergebenheit in den göttlichen Willen dahin kund, daß sie von diesem berufen sei, die Mutter eines Thronfolgers zu werden. Gerade um die Zeit, als die Vortänzerfrage in Schwebe war, sprach man im engsten Damenkreise von den Hofkavalieren und von der Notwendigkeit, daß zu solchen nur Männer von wirklich schöner Erscheinung berufen werden sollten. Man kritisierte dann verschiedene Herren mit malitiösem Humor. Dabei fiel auch eine spöttische Bemerkung über Cäsar Coriolani. Mit naiver Wärme sagte da die Kronprinzessin:

»Das ist aber doch ein sehr schöner Mann.«

Als sich dieser dann zunächst sträubte, das Amt des Vortänzers zu übernehmen, weil dies seiner Hofcharge nicht entspreche, vermittelte Clara Eugenie, indem sie dem Grafen erklärte, er könne doch unmöglich der Kronprinzessin, deren ausdrücklicher Wunsch es sei, einen Korb geben. Clara Eugenie sah dann auch, daß die Kronprinzessin einen lebhafteren Gesichtsausdruck gewann, wenn sich Coriolani vor ihr verneigte, und sie sagte ihr schließlich auch einmal:

»'s ist ja nichts dahinter, aber du darfst dir nicht so merken lassen, daß du den Coriolani gern siehst.«

Die Kronprinzessin wurde feuerrot und erwiderte mit erschrockener Lebhaftigkeit:

»Aber woran denkst du denn? So was wird mir doch nicht einfallen. Was habe ich denn getan, was gegen die Etikette wäre?«

»Nichts, gar nichts, Liebste!« lautete die Antwort. »Aber bei dir lauert man mit vermehrter Schärfe auf jeden Blick, jede Miene, weil man gerade bei dir neugierig ist, wie du dich als Strohwitwe hältst.«

Clara Eugenie war ein gar geschäftiger Geist und als solcher eigentlich die bewegende Kraft des ganzen Hofes. Das wußte man namentlich auch an auswärtigen Höfen, an denen sie als die heimliche Königin betrachtet wurde. In dieser Eigenschaft war ihr schon vor einiger Zeit durch den Gesandten des Deutschen Reiches die diskreteste Andeutung gemacht worden, daß der verwitwete Souverän eines kleinen Herzogtums an eine Wiederverheiratung denke und daß man zu diesem Zwecke auch die Prinzessinnen Constanze und Beate in Aussicht genommen habe. Clara Eugenie hatte keine besondere Sympathie für Constanze, war aber Beate sehr zugeneigt und schon lange besorgt, sie gut zu versorgen. Der Herzog war Mitte der Dreißig, Vater einer achtjährigen Tochter und, wie man wußte, trotz seines riesigen Reichtums eine zum Familiären geneigte, beinahe bürgerliche Natur. Seiner heißgeliebten ersten Frau hatte er sechs Jahre lang nachgetrauert, und seine Landeskinder wollten wieder einen richtiggehenden Hofhalt mit einer Frau Herzogin haben, die einen Sohn bekommen sollte, weil sonst das Ländchen in einen anderen Kleinstaat erbrechtlich aufging. So etwas war doch viel mehr für die sinnige Beate, als für die emanzipierte Constanze. So wurde denn an den Herzogshof die Information gegeben, daß eine Werbung in beiden Fällen hochwillkommen sei, aber zugleich wurde, was Prinzessin Constanze anging, doch nicht ein ganz zarter Hinweis darauf versäumt, daß sie, persönlich zwar gesund, aus einer belasteten Familie stamme. Das war nun freilich nicht ganz im Sinne des Familienoberhauptes, des Königs, der schon seit langem gerade Constanze gern verheiratet gesehen hätte. Die beiden Prinzessinnen wurden davon in Kenntnis gesetzt, daß sie bald vor die große Schicksalsfrage gestellt würden. Viel wurde weiter mit ihnen nicht darüber gesprochen, denn sie waren schon alt genug, um zu wissen, wie sich in solchen Fällen eine Prinzessin zu verhalten hat. Trotz ihrer innigen Freundschaft taten sie auch untereinander der Sache keine Erwähnung. Das aber hatte einen besonderen Grund, der bei Constanze lag. Diese selbst wollte ihren festen Entschluß, eine Werbung abzulehnen, nicht vor der Zeit preisgeben, denn Beate sollte das Geheimnis ihrer Seele nicht noch mehr durchschauen, als sie es schon getan. Beate aber hielt eine Heirat zwar für die Rettung Constanzens aus schweren Herzenswirren, aber in diesem Falle war es ihr besonders schwer gemacht, der geliebten Base zuzureden. Nach allem, was über den Herzog verlautete, paßte Constanze wirklich nicht in diese besonderen Verhältnisse, konnte dort weder selbst glücklich werden, noch den von ihr erwarteten Segen stiften. Schon sofort die Mutter eines achtjährigen Mädchens spielen zu müssen, war nichts für sie. Dann gab es eine alte Herzogin-Mutter, die sich das Dazwischenreden nicht würde nehmen lassen. Eine Residenzstadt von höchstens zwanzigtausend Einwohnern, die aber alle vom Morgen bis Abend ihre Blicke unentwegt auf den ›Hof‹ gerichtet hielten, ein sehr ländlicher Landadel, Geheim- und Hofräte, deren Gattinnen und Töchtern man sich liebenswürdig zeigen mußte – nimmermehr paßte Constanze in diesen Rahmen. Sie aber, Beate, fand es ein schönes Ziel, einem braven Manne die heißgeliebte erste Gattin zu ersetzen. Um solcher treuen Liebe willen war ihr der Herzog jetzt schon höchst sympathisch. Gleich für ein Kind sorgen zu dürfen, dessen Alter bereits erzieherische Aufgaben stellte, reizte sie als eine nicht minder hohe Aufgabe. Freilich würden die Dinge auch hier den hergebrachten Gang nehmen, daß es nach flüchtigen Begegnungen schon zur Verlobung kam, aber man konnte doch schon gewisse Umrisse eines Zukunftsbildes erkennen, und so war es doch etwas anderes, als die sonst übliche Auslieferung.

Herzog Maximilian erschien zu einem mehrtägigen Besuch. Es war ein stattlicher Herr von deutschmilitärischer Haltung, dessen frisches, von einem dunkelblonden, kurzen Vollbart umrahmtes Gesicht etwas sympathisch Offenes und Frohes gewann, wenn er nach seiner Art breit lächelte. Der Besuch des zu Hof und Land sonst ganz fremdstehenden deutschen Fürsten war eingewickelt in eine größere Vergnügungsreise, bei der der hohe Herr eben die Hauptstadt passierte und aus diesem Anlasse einen Höflichkeitsbesuch machte. Aber die Veranstaltungen waren doch umfangreicher und glänzender, als dies eigentlich dem Gelegenheitsbesuch eines kleinen deutschen Fürsten entsprach. Das merkte auch die Bürgerschaft. Der Name der Prinzessin Constanze wurde überall genannt, und die alte Geschichte von der Neigung zwischen ihr und dem Kronprinzen tauchte wieder in der Erörterung auf. »Sie hat bisher nicht geheiratet, sie heiratet auch jetzt nicht, sie will ledig bleiben,« hieß es da und dort. So viel es die Etikette zuließ, wurde dem Herzog Gelegenheit gegeben, sich mit beiden Prinzessinnen länger zu unterhalten. Mit Constanze und deren Vater unternahm er am zweiten Tage einen Morgenritt. Danach schien es den Hofleuten, als ob er zu einer näheren Prüfung Beatens übergehe. Diese glaubte bemerkt zu haben, daß Constanze ihrer amazonenhaften Forschheit im Verkehr mit dem Herzog einen besonderen Nachdruck verleihe. Auf dem Morgenritt mochte dies Verhalten noch eine Steigerung erhalten haben und darin war wohl die Ursache zu suchen, daß der Herzog sich jetzt mehr ihr zuwendete. Das war eben nicht nach seinem Geschmack. Er sprach mit ihr längere Zeit von seinem Töchterchen und dessen von der Herzogin-Mutter geleiteten Erziehung, dann aber auch von seiner verstorbenen Frau, die eine Dame von großem Kunstgeschmack gewesen sei und namentlich große Freude an der Gartenbaukunst gehabt habe. Was sie da auf dem herzoglichen Sommersitze an Verschönerungen begonnen habe, sei nur zum kleinsten Teile vollendet worden.

»Mir war es immer so, als verdürbe ich ihre Absichten, wenn ich mehr täte,« sagte er. Dann sprach er von den Kunstschätzen in seinen Schlössern, von der schönen Landschaft in seinem Herzogtum.

Beate wußte durch Bemerkungen und Fragen nicht nur ihr Interesse zu bekunden, sondern ihn auch zu ermuntern, daß er sich in seiner Rede ganz ungezwungen gehen ließ. Am letzten Tage fand bei Clara Eugenie ein ganz familiärer Fünfuhrtee statt, bei dem sich der Herzog hauptsächlich mit den älteren Damen und Herren über deutsche Verhältnisse aller Art unterhielt. Beate war aufmerksame Zuhörerin und fand Gefallen an der Schlagfertigkeit und ruhigen Würde, mit der der Gast namentlich den lebhaften Äußerungen des Prinzen Roger standhielt. Es gefiel ihr, was Prinz Achilles so nebenher zum jungen Prinzen Adolar sagte:

»Siehst du, das sind diese kleinen deutschen Potentaten. Ist das Reich auch nur einige Quadratmeilen groß, sie zeigen die richtige Monarchenrasse, die mit der Krone auf dem Haupt geboren ist.«

Am Abend fand noch Familiensouper beim König statt. Unmittelbar darauf verabschiedete sich Herzog Maximilian. Als er Beate die Hand reichte, hielt er die ihre ein wenig länger, als es wohl Brauch war, und unter seinem Blick, der sich wie prüfend auf sie senkte, mußte sie erröten.

Am anderen Tage teilte man ihr mit, es sei für nicht zu ferne Zeit eine nochmalige Begegnung zwischen ihr und dem Herzog verabredet worden, für die noch der Ort vereinbart werden sollte, an dem man sich unter beiderseitigem Inkognito treffen würde.

Tante Clara Eugenie kam auch und gratulierte sogar schon, ins Ohr. »Dich erwartet ein schönes Los, das nicht jeder Prinzessin beschieden ist,« sagte sie dazu sehr ernst. »Er ist ohne Zweifel ein braver Mann und ein souveräner Fürst. Ob das Land größer oder kleiner ist, verschlägt nichts, Souverän bleibt Souverän, und du bist mehr als die Nebenprinzessinnen eines Kaiserhauses.«

Beate empfand das selber recht wohl und dazu noch manches andere. Ein schöner Zukunftstraum zog in ihre Seele ein, der reichlich die Wehmut des bisherigen einsamen Prinzessinnendaseins aufwog und an die Stelle dunkel bedrückender Sehnsüchte ein leuchtendes, beflügelndes Hoffen und Wollen setzte. Sie nahm Geist und Herz in ernste Vorbereitung zu einem hohen Ziele, und das gab ihr eine innere Blüte, vor der sie selber beglückt staunte. Ihr Leben hatte auf einmal Sinn, träumerische Dämmerungen wurden zu lichtem Tag, ihr war es, als bekäme sie selber erst volle Gestalt.

Hier und da mischte sich in diese edle Gedanken- und Gefühlswelt, deren sonnenhelle Lauterkeit bewölkend, die Erwägung, daß doch zuerst Constanze des Herzogs Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Nur deren Benehmen, das sich, je mehr man darüber nachdachte, immer deutlicher als absichtlich darstellte, hatte ihm mißfallen, und aus dieser Ursache erst, nicht von einer unmittelbaren Empfindung getrieben, war er ihr nähergetreten. Das wühlte Zweifel auf, mischte das Mißtrauen unter die Hoffnungsblüten.

Es kam darüber zwischen den beiden Mädchen zu gelegentlicher Aussprache, die aber sehr kurz ausfiel. Constanze antwortete auf Beatens Bemerkung:

»Du hast ihn zuerst interessiert. Es stimmt da etwas nicht.«

»Sehr gut stimmt es. Du wirst an deinem Platze sein und ihn glücklich machen. ›Wie gut, daß ich nicht bei der Constanze hereingefallen bin!‹ wird er dir einmal sagen. Dann entgegnest du ihm: ›Das wäre ja doch nie geschehen, denn die Ehe ist Constanze schrecklicher als der Tod.‹«

»Um Gottes willen, welche Rede!« rief Beate und beachtete ängstlich Constanzens hart entschlossene Miene.

»Es ist nichts anderes, ich kann und darf nicht heiraten,« fuhr diese fort. »Und jetzt bitte, laß diesen Gegenstand ein für alle Mal fallen.«

Beate sah sie an und wagte nicht weiter zu reden. Sie schien älter geworden, und ihre Züge waren statuenhaft erstarrt.

Clara Eugenie hatte wieder zu wenig Zeit, sich weiter um diese Heiratsangelegenheit zu kümmern. Das konnten auch Beatens Eltern zu Ende führen. Es war immer der Brauch gewesen, daß bei Prinz Roger außer Größen der Kunst und Wissenschaft, auch die hervorragendsten Parlamentarier verkehrten. Diesmal, da die Saison mit einer bedeutsamen Wahlbewegung zusammenfiel, legte Clara Eugenie ein besonderes Interesse an den Tag, daß ihr Palais zu einem politischen Hauptlager wurde. Außer den großen Festen richtete sie auch Routs und kleine Soupers für engere Kreise ein, zuweilen waren nur zwei oder drei Personen geladen. Sie selbst war die liebenswürdige Wirtin, die sich keinem Gaste gegenüber mit der konventionellen Prinzessinnenliebenswürdigkeit begnügte, sondern stets die Miene annahm, als sei ihr gerade der, mit dem sie eben sprach, besonders willkommen. Dann aber trat sie ganz bescheiden vor dem Gatten in den Hintergrund, der nur geschoben sein wollte, ehe er mit größtem Freimut über alle öffentlichen Angelegenheiten diskutierte, was es nun auch sein mochte, Justiz, Verwaltung, Militär, öffentlicher Unterricht, Industrie oder Landwirtschaft. Er hatte eine sehr große Redegewandtheit, weshalb er sich auch gern selber sprechen hörte und nervös wurde, wenn eine Antwort zu lange dauerte. Seine tadellose Kavaliershaltung, die Schönheit seiner schlanken Erscheinung übten dabei eine bestrickende Wirkung auf die Zuhörer. Er wäre ein höchst erfolgreicher öffentlicher Redner gewesen. Die politischen Tendenzen des prinzlichen Palais waren die eines monarchischen Liberalismus, der in der augenblicklichen Lage sich in stärkere Opposition gegen das herrschende konservative Regime stellte, als gegen die linksstehenden Parteien. Der leitende Gesichtspunkt für die Betrachtung der gesamten Politik war der, daß alle auswärtigen Spekulationen und Ambitionen zurückzutreten hätten vor den verschiedenen Reformbedürfnissen im Innern. Deshalb trat man für den Neutralitätsgedanken ein und sprach nur wenig verschleiert von einer Zukunft, der rechtzeitig vorgebeugt werden müsse. Jedermann wußte, was damit gemeint war. Der künftige König sollte außerstand gesetzt werden, Pläne, die man ihm zuschrieb, auszuführen. Dazu gehörte aber auch wesentlich eine Erstarkung der parlamentarischen Gewalten, denen insbesondere auch die ausschließliche Autorität über das Heer in seiner neuen Form zustehen sollte. Unter solchen Bedingungen war man gewillt, die Monarchie etwaigen revolutionären Bewegungen gegenüber aufrecht zu erhalten, und Prinz Roger hatte diese Bedingungen im Hinblick auf denkbare Zwischenfälle anerkannt. Jetzt bei den Wahlen handelte es sich darum, dem monarchischen Liberalismus sowohl gegenüber den Konservativen, wie gegen die Radikalen die entscheidende Stellung zu sichern. Die Radikalen waren geschieden in die bürgerlich-republikanische Gruppe und die sozialistische. Die bürgerlichen Republikaner hatten in der Hauptstadt starken Anhang, waren aber doch nicht in der Lage, einen eigenen Kandidaten durchzusetzen. Es handelte sich nun darum, sie zu einem Zusammengehen mit den monarchischen Liberalen zu bewegen, wozu ihr Führer Rechtsanwalt Simoni einigermaßen geneigt war. Aber er hatte in seiner Partei neben der Mehrheit entschiedener Sozialistenfeinde auch eine nicht zu übersehende Minderheit gesinnungstüchtiger Doktrinäre, die es für schnöden Verrat hielten, mit einer Partei ein Wahlkompromiß zu schließen, die sich unmittelbar unter das Protektorat eines königlichen Prinzen stellte. Bisher hatte Prinz Roger es vermieden, mit Simoni in persönliche Verbindung zu treten. Das ging ihm doch zu weit. Dagegen kokettierte Clara Eugenie mehr und mehr mit dem Gedanken, in der Voraussetzung, daß eine solche Begegnung unter strengstem Geheimnis erfolge.



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