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Zwölftes Kapitel

Streng geheim waren die Vorbereitungen zu einer Militärvorlage gehalten worden. Man war daher völlig betäubt, als man diese Stelle der Thronrede las. Wie kam denn der alte König, der doch noch nicht abgedankt hatte, auf einmal zu dieser Politik, er, dem man Sympathien für die Neutralitätsidee nachgesagt hatte? Man erfuhr, daß er bei der Feierlichkeit einen sehr hinfälligen Eindruck gemacht habe. Er war also durch den Alkohol geistig geschwächt und ganz in den Händen des Kronprinzen. Von dem hatte man ja nie Gutes erwartet, aber daß die Wünsche des Volkes so in ihr Gegenteil verkehrt wurden, das hieß doch die vielen Unzufriedenen frevelhaft reizen. Selbst der hochkonservative Senat geriet in dumpfe Zweifelsstimmung. Die Monarchisch-Liberalen, aus deren Reihen das Ministerium genommen war, das jetzt eine so klägliche Rolle spielte, klammerten sich mit Inbrunst an die Verfassung und bemühten sich sofort, eifrig ihre Parteigenossen damit zu beschwichtigen, daß ja alles toter Buchstabe bleiben müsse, denn es werde sich nie eine parlamentarische Mehrheit für eine solche Militärpolitik finden, die also ohne Verfassungsbruch gar nicht denkbar sei. Darauf kam aus dem republikanischen Lager die Meinung, der Verfassungsbruch werde eben kommen, wenn sich das Parlament nicht beuge, und die sogenannte Militärreform habe nichts mit auswärtiger Politik zu tun, sondern sei dazu bestimmt, im waffenstarrenden Lande einer persönlichen und dynastischen Politik Geltung zu verschaffen, die den abenteuerlichen Plan hege, unwiderbringlich Verlorenes zurückzugewinnen. Das Parlament arbeitete träge an den Vorlagen, für die jetzt niemand ein Interesse hatte. Simoni war auch unter diesen Volksvertretern, aber die Gelegenheit, die ihm dort nicht wurde, fand er reichlich draußen. Er reiste im ganzen Lande umher und rüstete eifrig für eine Zukunft, die ihm in die nächste Nähe gerückt schien. Auf das Parlament war kein Verlaß. Als man sich von der ersten Betäubung erholt hatte, da machten sich schon, und nicht bloß bei den Konservativen, einzelne Stimmen vernehmbar, die das alte, gänzlich eingeschlafen gewesene Lied aus der politischen Rumpelkammer wieder hervorholten, daß bei gewissen europäischen Konstellationen eine Wiederherstellung der alten Landesgrenzen nicht in das Bereich der Unmöglichkeiten gehöre. Man fing zugleich an über die Übelstände zu reden, die jetzt doch unleugbar im Militärwesen herrschten. Das stellte sich auch mit der Zeit heraus, daß Prinz Roger eine abgetane Größe in der Politik war. Er war nach wie vor beim König, wenn sich auch das Verhältnis äußerlich gebessert hatte, einflußlos, und weiterhin hatte man das Gefühl, das man nur sich selber nicht offen eingestand, die Intrigue sei kein zeitgemäßes politisches Mittel. Man hatte es zwar versucht, an den Baron Avia heranzukommen, wenigstens um ihn auszuhorchen. Der hatte sich aber ganz untauglich erwiesen. Der Kronprinz schien ihn nur zu Diensten zu gebrauchen, die weit ab von der Politik lagen.

Der Baron hatte unweit des Königsschlosses, in abgelegener Gegend, ein kleines Gartenhäuschen gemietet, in dem eine junge, leidlich hübsche Engländerin wohnte, die kein Wort der Landessprache verstand. Eine alte Dame war bei ihr, die diese Sprache zwar gut beherrschte, aber auch Ausländerin war. Was es mit diesen beiden auf sich hatte, ob die junge Engländerin wirklich Avias Maitresse war, wie er behauptete, konnte vorläufig nicht in Erfahrung gebracht werden. Man munkelte, die Sache müsse irgendwie mit dem Kronprinzen zusammenhängen, von dessen persönlichem Leben man seit seiner Rückkehr aus Afrika merkwürdigerweise gar nichts mehr hörte, was irgend einen Anlaß zu solchen Unterhaltungen über ihn hätte bieten können, wie sie früher gang und gäbe waren. Gerade dieser Umstand machte die Situation erst recht unheimlich.

Die Ausschaltung des Prinzen Roger ermöglichte es Simoni, wieder an gewisse Elemente der Monarchisch-Liberalen heranzukommen, die doch nicht so recht mit der Biegsamkeit ihrer Genossen einverstanden waren. Er erreichte seinen Zweck in der Richtung, daß diese vielfach sehr wohlhabenden Leute bereit wurden, im Falle einer wirklichen Gefahr für das konstitutionelle Regiment eine Volksbewegung mit Geldmitteln zu unterstützen. Auf der anderen Seite gelang seiner Gewandtheit eine Versöhnung mit den durch die Haltung der Republikaner gekränkten Sozialisten. Dadurch kam er dazu, auf diese in heftigste Gärung geratenen Kreise so weit zurückhaltend zu wirken, daß sie von heimlich lebhaft erörterten Attentatsideen abkamen. Er stellte ihnen vor, daß auch nach einem gelungenen Attentat auf den Kronprinzen Prinz Roger nicht etwa Dankbarkeit bekunden, sondern auf seine eigene Sicherheit bedacht sein werde. Eine derartige Probe vertrage ein solcher Prinzenliberalismus denn doch nicht. Nur dann hätte ein Attentat Sinn, wenn sich die Erklärung der Republik unmittelbar ohne weiteren ernstlichen Widerstand daran anschließen könnte. Das sei aber bei der gegebenen Sachlage nicht der Fall. Dagegen nahm er sehr gern ihre internationale Organisation zu Hilfe, um nicht nur Geldmittel zu beschaffen, sondern auch für Waffenlieferungen zu sorgen, die rasch die jenseits der Landesgrenze gelegenen Depots füllten. Ehemalige Offiziere stellten sich als militärische Führer zur Verfügung, und während äußerlich alles ruhig blieb, die Aufmerksamkeit der Polizei nicht einmal durch größere Versammlungen geweckt wurde und sogar die Presse ihrem Eifer Zügel anlegte, reifte die Bereitschaft in regster heimlicher Arbeit eines sich über das ganze Land breitenden Netzes von Helfern. In den Kreisen der Hofgesellschaft und der höheren Amtsstuben sah man mit täglich wachsender Unruhe nach dem stillen Kronprinzen. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen, da mußte sich etwas Besonderes vorbereiten, eine ausgesuchte Teufelei meinten manche. Dieser Baron Avia war und blieb nun einmal ein verdächtiger Geselle, so recht für dunkle Dienste geeignet. Den hielt sich der Kronprinz doch nicht bloß aus besonderer Sympathie in der unmittelbarsten Nähe mit Ausschluß aller seiner früheren Freunde aus den Adels- und Offizierskreisen, und darum war es auch mit dem gemieteten Häuschen und den Engländerinnen nicht geheuer.

Indessen litt der so beargwöhnte Mann unter den bittersten Gefühlen. Er war nichts, gar nichts, als der Kuppler. Mit vieler List hatte er das Häuschen ausfindig gemacht, das prächtig eingerichtet wurde. Die Engländerin und ihre ältere Begleiterin waren ihm in die Hände gefallen, dank seiner Gewohnheit, nächtliche Wanderungen durch allerlei zweifelhafte Lokale zu machen. Er hatte noch immer ein Gelüste, von Zeit zu Zeit solche Örtlichkeiten aufzusuchen, die gerade keine Lasterhöhlen waren, in denen aber allerlei Gestalten sich sammelten, deren Erscheinung verkündete, daß sie viel umhergetrieben waren im schwankenden Lebensboot, oder daß sie eben im Begriffe standen, losgerissen von alltäglicher Gewöhnung, solche Fahrt zu wagen. Die Engländerin war eine Varietésängerin, die sich hier im fernen Lande infolge widriger Zufälle festgefahren hatte und nach irgend einer Nahrungsquelle ausschaute, ihre Begleiterin, eine sprachkundige Deutsche, ehemals selbst sogenannte Artistin und seit etlichen Jahren bei solchen fahrenden Künstlerinnen als Duenna dienend. Sie bekamen drei Zimmerchen angewiesen, durften aber die beiden vornehmen Haupträume nicht betreten, die Jüngere sich unter keinen Umständen sehen lassen, wenn jemand das Haus betrat. Die Ältere öffnete das Haus, leistete Dienste, wenn sie verlangt wurden, sah aber und wußte nichts. Auf der anderen Seite hatte es Constanze durchgesetzt, daß sie, nachdem der Vater sie gar nicht mehr geleiten konnte, eine eigene Hofdame bekam, ein nicht mehr ganz junges Fräulein aus armer Adelsfamilie. Avia brachte es dann fertig, die Mutter des Fräuleins mit einer Summe zu bestechen, die für deren Lage ein Vermögen bedeutete, und von der Mutter erhielt die Dame die Weisungen, wie sie ihren Dienst zu versehen habe.

Böses, durchaus Böses wäre das alles in den Augen der Gerechten gewesen, und Avia, der schlaue Ordner dieses Bösen, betete mehr als je die an, deren Sünde er mit solchen Listen sicherte. Dabei mußte er schweigend anhören, wie der, der unter dem Feuermantel seiner Leidenschaft die stolze, schlanke Unschuld aus dem reinen Reiche ihres Magdtums entführt hatte, das eigene Glück pries, mußte erkennen, daß derselbe Frevel, der ihm das Gewissen bedrückte, beim andern wundertätigen Zauber übte, und dieser andere war sein Herr, er der Knecht. Und von nichts anderem sprach der Herr zu seinem Knecht, zu nichts anderem schien er ihn brauchen zu können, als dazu, von dem zu reden, was diesem zur peinigenden Qual wurde.

Im Abgeordnetenhause kam der Etattitel ›Ministerium des Auswärtigen‹ zur Beratung. In der Vorlage der Regierung, die sich auf Gehaltsangelegenheiten beschränkte, lag nichts Verfängliches, und da aus der Versammlung keine Anträge gestellt waren, schien die Neutralitätsfrage, die hier heranzuziehen gewesen wäre, von den früheren offiziösen Äußerungen der Regierung erdrückt zu sein. Da meldete sich bei dem Posten der Gesandtschaften ein bisher ganz unbemerkt gebliebenes Mitglied der sozialistischen Partei zum Wort und sprach in ziemlich ungelenker Form von der Verschwendung für solche Vertretungen in auswärtigen Ländern, die im Grunde nichts anderes seien als höfische Ämter. Schließlich sprach der Redner die Meinung aus, jedenfalls könnten nach Erklärung der Neutralität auf diesem Gebiete bedeutende Ersparnisse gemacht werden, so daß sie also auch hierin Vorteile böte.

Da erhob sich der Minister des Auswärtigen und erklärte:

»Der von dem Vorredner angezogene Fall würde in den Ausgaben für die auswärtigen Vertretungen keinerlei Ersparnisse herbeiführen können. Da es aber dem Vorredner anscheinend weniger um den eben zu erörternden Gegenstand zu tun ist, als um einen Vorwand die Diskussion auf ein ganz anderes Gebiet zu verschieben, so erkläre ich, daß für die Gesamtregierung die gewaltsam in die Debatte gebrachte völkerrechtliche Frage vollkommen indiskutabel ist, in welcher Gestalt auch immer sie hier vorgebracht werden mag.«

Aus der nun entstehenden lebhaften Bewegung hob sich die kräftige helle Stimme des Abgeordneten Simoni:

»Ich empfehle dem Herrn Staatsminister ein genaueres Studium unseres Staatsrechtes. Um ihm dazu Gelegenheit zu geben, lege ich hiermit auf den Tisch des Hauses einen formulierten, mit der vorgeschriebenen Zahl von Unterschriften versehenen Antrag, den ich noch im Zusammenhang mit dem zur Verhandlung stehenden Etatsposten auf die Tagesordnung zu setzen bitte.

»Das hohe Haus wolle beschließen: ›Unser Land tritt unter den Bestimmungen des allgemeinen Völkerrechtes den neutralen Staaten Europas bei. Es ist die Anerkennung dieser Neutralität durch die auswärtigen Mächte sofort in die Wege zu leiten.‹« Die erneute und gesteigerte Unruhe überwuchs demonstrativer Beifall der Linken. Der Minister erbleichte und sprach in heftiger Erregung:

»Ich verweise auf das, was ich eben ausgeführt habe.«

Dann verließ er hastig den Saal. Der Präsident besah das von Simoni eingereichte Schriftstück und sagte dann:

»Der Antrag ist ordnungsgemäß gestellt. Ich muß ihn daher für eine der nächsten Sitzungen zur Tagesordnung stellen.«

Der Kronprinz ließ Avia in sein Kabinett kommen.

»Wie sieht es in der Stadt aus?« fragte er ihn. »Was sagt man von dem Streich der Radikalen?«

»Man ist wohl oder übel auf schwere Zeiten gefaßt,« antwortete der Baron beinah mürrisch. »Viele Leute reisen ab.«

»Reisen ab?« sagte der Kronprinz mit bitterem Humor. »Das sind natürlich die sogenannten Patrioten, die angeblich königstreuen Biedermänner. Morgen also verhandeln diese Philister über Tod und Begräbnis des Vaterlandes. Wissen Sie, was ich tue?«

Baron Avia zuckte die Achseln und sagte:

»Königliche Hoheit haben bisher nicht beliebt, mich in dero politische Pläne einzuweihen.«

»Sie sind beleidigt? Das tut mir leid. Aber Sie tun mir damit unrecht. Was ich bisher im Kopfe hatte, das waren rein militärische Dinge, und Sie sind kein Militär. Das tut nun einmal ein Soldat nicht, daß er Laien zu Vertrauten in solchen Dingen macht. Was anderes ist's mit dieser Parlamentsaffäre. Sie kommt mir unerwartet, ich glaubte, erst später würde es zum Klappen kommen. Aber das schadet nichts. Morgen, mitten in der Rederei erscheint Militär im Saal und treibt die Gesellschaft auseinander. Was sagen Sie dazu?«

»Das ist eben der Staatsstreich in optima forma,« sagte Avia trocken.

»Und was glauben Sie, daß darauf erfolgen wird?«

»Die Vorgänge im Parlament sehen nicht danach aus, als ob das nur gekommen wäre durch die Entgleisung eines an sich unbedeutenden Abgeordneten. Der war mit Absicht vorgeschickt, den Minister herauszulocken, und dieser ist auch in die Falle gegangen. Das deutet aber darauf hin, daß man auf Eventualitäten vorbereitet ist.«

»Was für Eventualitäten sind das?«

»Revolution, nichts weniger, königliche Hoheit.«

»Revolution? Meinen Sie wirklich? Das ist's ja gerade, was ich wünsche.«

Avia sah den Kronprinzen, der diese Worte in dem bisherigen gelassenen Ton sprach, erstaunt an. Der Kronprinz fuhr ebenso ruhig fort:

»Jetzt halten Sie mich auch für einen ganz frivolen Bösewicht, vielleicht für einen gefährlichen Narren. Aber sehen Sie sich einmal um. Wir stecken in der Versumpfung; das weiß ich so gut, wie diese Demokraten. Die treiben uns aber mit ihrer Neutralität, die die Milizarmee zum Gefolge hat, nur noch weiter in einen Zustand, bei dem die Krämer vielleicht fett werden, der Staat aber in eine Ohnmacht versinkt, die ihn früher oder später zur leichten Beute eines Stärkeren macht. Es gibt kein anderes Mittel diese Entwicklung aufzuhalten als den Staatsstreich, und auf die Gelegenheit dazu habe ich gewartet. Haben die Leute noch die Energie, sich dagegen zur Wehr zu setzen, dann ist das eigentlich ein gutes Zeichen. Aufgerüttelt müssen die Menschen werden, Klarheit müssen sie darüber bekommen, daß der Staat kein Nachtwächter, Kassenbote oder so was Ähnliches ist, sondern daß es auch eine nationale Ehre, eine Stellung unter anderen Staaten zu wahren gibt. Das muß ihnen der Monarch, der Träger der alten Traditionen nationaler Ehre wieder beibringen, wenn sie's verlernt haben. Das ist meine Meinung. Und jetzt, Baron, sagen Sie ganz offen die Ihre.«

Baron Avia sprach leise, langsam:

»Wenn ich offen sprechen darf, so meine ich, der Ehrgeiz der modernen Völker bezieht sich immer mehr auf die Vorzüglichkeit ihrer inneren Einrichtungen, ihrer Kulturkraft. Das birgt allerdings die Gefahr einer Verfettung in Wohlstand und einer philiströsen Auffassung vom Staate in sich, und daß Eurer königlichen Hoheit Derartiges zuwider ist, begreife ich vollkommen. Aber es ist eine schicksalsschwere Stunde, in der sich Fürst und Volk als Feinde gegenüberstehen, und ich fürchte, es gibt das Wunden, die nie mehr heilen. Da ich die Erlaubnis Eurer königlichen Hoheit habe, offen zu sprechen, wage ich es gerade im gegebenen Falle, diese Furcht besonders zu betonen. Königliche Hoheit haben in vertrauten Stunden mich ahnen lassen, daß ein hoher Wille für die Zukunft in Ihnen wohnt, und ich glaube, es gibt noch jemanden, der darauf Hoffnungen baut. Aber solche Gewalttat fördert diese Absicht nicht.«

Der Kronprinz sprang von seinem Sitze und sagte erregt:

»Es ist das eine nicht vom andern zu trennen. Ich kann es den Menschen so bequem nicht machen. Ganz muß man mich haben, wie ich bin. Mag ich ihren Haß verschuldet haben, ich nehm's auf mich, aber ich will mich wehren können, daß sie mich nicht wie ein Raubtier umstellen. Das ist der Plan, mich einzukreisen mit Gesetzen, ehe ich noch zur Regierung komme, daß ich dann wie eine Bestie im Käfig im Königsschlosse sitze. Mein königlicher Vater hat mir Macht gegeben, dies zu hindern, ehe es zu spät ist. Nach wie vor, Baron, bleibe ich gesonnen, diesem Volk ein König zu sein, dessen es sich einst rühmen darf. Aber ein freier König muß ich sein, nicht ein gefangener, der vom Fenster aus zusehen darf, wie Bruder Roger die Pfennige der Volksgunst in seinem glattgebügelten Zylinder auffängt. Einmal müssen sie meine Pranke spüren, damit sie wissen, daß die Bestie nicht bloß ein geiler Hund ist.«

Der Kronprinz war, während er sprach, auf engem Raume hin und her geschritten. Zuletzt blieb er vor Avia stehen, ließ seine Erregung erlöschen und sagte dann:

»Mir scheint, Sie sorgen sich nicht bloß um mich, Sie haben auch Mitleid mit allen denen, die bei dieser Gelegenheit zu Schaden kommen könnten? Wie stimmt das zu Ihrer Lehre: ›Fürchte dich nicht vor deiner eigenen Kraft!‹ Jetzt gilt es Farbe bekennen, lieber Freund! Ich hoffe nicht, daß Sie mir schwach werden.«

Baron Avia richtete sich auf und sagte:

»Nur von Eurer königlichen Hoheit war die Rede, und nur von ihr kann für mich in jedem Falle die Rede sein.«

Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann fort:

»Darf ich einem Gedanken des Augenblickes Raum geben?«

Der Kronprinz nickte mit dem Kopf.

»Wenn es zum bitteren Ernste kommt, würde sich königliche Hoheit deutlich sichtbar an die Spitze der Truppen stellen?«

»Was haben Sie im Sinn?« fragte der Kronprinz verwundert.

»Es ist ein eigenes Ding um die Volksseele, und ich rechne mit der Möglichkeit, daß diese Erscheinung eine besondere Wirkung ausübt.«

Der Kronprinz fiel lebhaft ein:

»Der Gedanke ist gut aus anderem Grund. Mit der ›Erscheinung‹ wird es nicht abgetan sein, und sie können dann nicht sagen, daß ich wohlbewacht im Sicheren saß, während es meinetwegen um das Leben ging. Ich danke Ihnen, Baron. Meine Dispositionen werden sich danach einrichten. Man wird mich zwar hindern wollen, und wenn mir was Menschliches passiert, ist für die braven Leute der Teufel zur Hölle gefahren, Roger aber wird der geliebte König. Es sei denn.«

»Und ich, königliche Hoheit, bitte, in Ihrer Nähe mich aufhalten zu dürfen,« sagte Avia darauf.

»Soldatensache, lieber Freund!« erwiderte der Kronprinz. »Wird sich schwer machen lassen. Aber halten Sie sich nur bereit. Zu tun kann es für jeden geben. – Was ich da von Schwäche sagte, dürfen Sie nicht mißverstehen. Ich kann es mir recht wohl denken, daß jemand, der sonst ganz tapfer sein mag, vor solchen Katastrophen von Bedenklichkeiten gepackt wird. Sie sollen ja auch keine Krone tragen. Auf die Phrase ›von Gottes Gnaden‹ gebe ich nicht viel, aber wer auf eine Ahnenreihe zurückblickt von Herren und Gebietern, der schämt sich, ins Mauseloch zu kriechen vor etlichen drohend geballten Fäusten. Er ist zum Herrschen geboren, hat's im Blute, wenn er gesund ist. Es gab keine französische Revolution, wenn Ludwig XVI. weniger fett war. Läßt sich einer, der's wehren kann, zum Bettler machen? Und ich bin ein Bettler, wenn ich nicht König bin. Ihr Vorschlag gefällt mir immer besser, Avia. Ich stelle mich den Leuten. Das ist doch beinahe demokratisch. Sehen Sie sich morgen die Austreibung aus dem Tempel an und erzählen Sie mir davon. Sie werden unter militärischen Schutz gestellt sein.«

Avia verließ den Kronprinzen mit dem Eindruck, daß seine Ahnungen sich vollauf bestätigten. Wie es nun auch kommen mochte, das war kein Mensch, der mit dem Dutzendmaße spießbürgerlichen Urteils gemessen sein durfte. Das war ein Herrschergenie, das, wenn es scheiternd vom allgemeinen Haß mit Flüchen bedeckt wurde, nur dem einen Fluche unterlag, der sich so oft dem Genie an die Fersen heftet, zur falschen Zeit, oder im falschen Hause geboren zu sein. Diese Macht der Persönlichkeit war es auch nur gewesen, die dem Baron den verwegenen Vorschlag eingegeben hatte, der ihm jetzt aber schwere Angst einflößte.

»Mit der Erscheinung wird es nicht abgetan sein.« Das Wort des Kronprinzen hob sich jetzt aus dessen Rede in der Erinnerung unheimlich heraus. Gerade das hatte er ja verhindern wollen. Nun war sein Wunsch erfüllt, nun war er nicht mehr bloß der Kuppler. Da stand es aber wie eine blutige Erscheinung vor ihm – er war der Henkersknecht geworden.

Schon am frühen Morgen war allen Angehörigen des Königshauses die Weisung zugegangen, sich einschließlich der unerwachsenen Kinder noch im Laufe des Vormittags unauffällig im königlichen Schlosse einzufinden. Prinz Roger sagte, sich mit Clara Eugenie über diese Order in höchster Erregung besprechend:

»Da ist Furchtbares im Werke. Man will uns in Sicherheit bringen.«

»Jawohl,« erwiderte Clara Eugenie, »und vor allem dich. Es wird schon dafür gesorgt werden, daß du dich dort nicht an ein Fenster stellst.«

»Das geht aber doch auf alle.«

»Was würde denn den anderen Großes geschehen, wenn sie hübsch zu Hause blieben?«

»Man sprengt das Parlament und ist auf Rebellion gefaßt.«

»Und eben darum wollen wir der Order nicht gehorchen.«

»Golo wird uns dann schon holen lassen,« bemerkte der Prinz bitter.

»Man wird mich und die Kinder finden. Du aber bist spazieren geritten, freilich in großer Uniform.«

»Was träumst du da? Ich sollte –«

»Ja, du sollst den Augenblick ergreifen und ein unsägliches Unglück verhüten.«

»Ich werde mich dem König zu Füßen werfen, aber ich bin kein Rebell. Ich hätte ja auch gar nicht die Macht dazu.«

»Keine Waffe wird sich heben, wenn du dich vor die Truppen stellst. Sprich zu ihnen, und sie gehen mit dir. Dein Vater muß abdanken, und Golo wird zur Flucht ins Ausland gezwungen.«

»Du hast eine geringe Meinung von Soldatentreue. Davon abgesehen, kannst du mir doch nicht zumuten, an meinem eigenen Vater Gewalt zu üben.«

»Ich habe nicht von Haus aus Politik getrieben, ich habe das erst von dir gelernt. Aber ich habe auch daraus die Konsequenzen gezogen, nicht bloß mir die Zeit damit vertrieben. Es geschieht ein Staatsverbrechen, du bist der Nächste dazu, einzuschreiten.«

»Es gibt für einen königlichen Prinzen nur ein Wort: ›Es lebe der König.‹«

Clara Eugenie zuckte ärgerlich die Achseln.

»Dann hättest du mich bei meiner Prinzessinneneinfalt lassen und mich nicht glauben machen sollen, ich müßte die würdige Gefährtin eines bedeutenden Mannes sein.«

»Clara!« rief Roger. »Das klingt nicht gut. Ich dächte, Liebe wäre es gewesen, die uns zu schöner geistiger Gemeinschaft führte.«

»Wenn es so war, so will die Liebe dich eben als König sehen. Das weißt du längst und könntest wohl auch wissen, daß es von mir niemals nur leere Schwärmerei gewesen ist. Ich beschwöre dich, Roger, nütze die Stunde für dich und deinen Sohn!«

»Wer uns so hörte, könnte glauben, wir spielten ein Theaterstück.«

»Theaterstücke erzählen von Geschichte und von Helden. Hier wird jetzt auch Geschichte gemacht. Du kannst der Held sein, wenn du nur willst.«

»Ich danke für solches Heldentum. Wir werden sofort Anstalt treffen, der königlichen Order Folge zu leisten.«

»So falle dem alten Herrn zu Füßen und laß dir sagen, daß du nur ein Nachgeborener bist, den die Politik weniger angeht, als jeden Sackträger. Der kann wenigstens mitlaufen, wenn sie Rebellion machen.«

Damit entfernte sich Clara Eugenie, und Roger blieb in trüben Gedanken zurück. Sein ganzes Glück war hin; sie, die ihn geliebt hatte, war imstande ihn zu verachten. Die Krone glänzte wirklich ganz nahe, zum Greifen nahe, es war kein bloßes Traumspiel mehr, das lockte. Aber, wie es Unselige gibt, die in der Stunde vor dem Weibe verzagen, das sie so heiß begehrt haben, so schwindelte ihm jetzt, und sein Arm konnte sich nicht nach ihr strecken.

Als die prinzlichen Herrschaften im Königsschlosse ankamen, wurden ihnen Räume wie zu längerem Aufenthalt angewiesen und ihnen anheimgestellt, sich die Leibdienerschaft mit nötigem Gepäck nachkommen zu lassen. Der Zutritt zum König wurde verwehrt. Die Minister, hieß es, seien bei ihm. Auch der Kronprinz war nicht erreichbar, denn auch er war beim König. Die Hofbeamten wußten keine Frage zu beantworten und waren selbst in scheuer Verwirrung. Jetzt hörte man das Geräusch heranziehender Truppen und kurze, mäßig laute Kommandorufe. Kavallerie und Infanterie umstellte das Schloß, zu dem, vielfach im Laufschritt, eine große Menschenmenge herandrängte. Eben um diese Zeit wurde in der Deputiertenkammer die Sitzung eröffnet, in der der Antrag von Simoni und Genossen auf Erklärung der völkerrechtlichen Neutralität zur Tagesordnung stand. Die Zuhörertribüne war dicht besetzt, die Sessel der Minister blieben aber leer. Dieser Umstand brachte eine deutliche Erregung in das Haus, die sich auch bei dem Präsidenten erkennbar machte, als er dem Abgeordneten Simoni das Wort erteilte. Später wurde erzählt, es habe sich in diesem Augenblick von der Tribüne ein Herr entfernt, der im Hintergrunde dicht an der Tür gestanden hatte. Simoni war etwa eine Viertelstunde am Reden, als man von der Straße her das taktmäßige Geräusch trabender Pferde hörte. Im Saale entstand Unruhe, auf der Tribüne drängten viele Zuhörer den Ausgängen zu. Simoni sprach weiter, der Präsident gebot mit der Glocke Ruhe. Ein Parlamentsdiener kam eilig herein und flüsterte dem Präsidenten etwas zu, der erblaßte. Zugleich hörte man auf dem Flur militärische Schritte und Säbelklirren. Jetzt erschien in der Tür neben dem Präsidentensitz ein Rittmeister von Mannschaften gefolgt, die stramm stehen blieben, während er dem Präsidenten ein Schriftstück überreichte. Die Abgeordneten waren von ihren Sitzen aufgesprungen und drängten in einem Knäuel gegen den Präsidenten, der mit bebender Stimme las:

»Auf Befehl des Königs. Der Rittmeister Andrea Zozodoli ist beauftragt, mit vierundzwanzig Mann seiner Eskadron den Sitzungssaal der Deputiertenkammer zu besetzen und die Abgeordneten zum Räumen desselben, sowie des ganzen Gebäudes zu veranlassen. Widersetzliche sind zu verhaften. Der Generalgouverneur der Haupt- und Residenzstadt.«

Der Präsident fügte an die Verlesung des Schriftstückes, vom Lärm der Abgeordneten, aus dem schrille Schreie der Wut herausklangen, und von dem der Tribüne übertönt, die Worte bei:

»Unter Protest gegen diese an der verfassungsmäßigen Volksvertretung begangene Gewalttat, lege ich dem Zwange gehorchend mein Amt nieder und bitte die Versammlung, den Saal und das Haus zu verlassen. Gott schütze das Vaterland.« Er gab dem Rittmeister, der sich höflich verneigte, die Legitimation zurück. Auf Kommando zogen die Soldaten blank und umzingelten in ruhigem Schritt die Abgeordneten, die jetzt ganz stumm geworden waren. Verschiedene umarmten sich, andere suchten von Schwäche befallen Stütze an der Schulter des Nachbarn. Bleich, gebeugt, ließen sie sich von den Soldaten hinausdrängen. Die Tribüne war weniger schonend geräumt worden. Als die Abgeordneten auf der Straße erschienen, wurden sie von der herbeigeeilten Menschenmenge mit Hochrufen begrüßt, aber zugleich von Reitern in die Mitte genommen und gezwungen, sich alle in gleicher Richtung zu entfernen. In einiger Entfernung vom Parlamentsgebäude gab man sie frei.



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