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Neuntes Kapitel

Der Kronprinz hatte persönlich den Grafen Coriolani gebeten, die Bildung des Ministeriums zu besorgen und sich selbst an dessen Spitze zu stellen. Der Graf, der in der letzten Zeit sehr gealtert war, weigerte sich unter Hinweis darauf, daß er ja nie ein Politiker gewesen sei und daher in so schwierigen Zeiten eine solche Verantwortung nicht übernehmen könne. Als ihm der Kronprinz erklärte, es handele sich um eine bedingungslos königstreue Persönlichkeit, die nicht in der Routine und nicht im Parteigeiste befangen sei, betonte er sein Alter. Da sah sich der Kronprinz veranlaßt, auf seinen Konflikt mit dem König einzugehen. Daß dieser nicht mit der Gräfin Zerpa zusammenhing, fand er bestätigt, der Graf behauptete vielmehr, die Weigerung des Königs, seinen Sohn in den diplomatischen Dienst zu übernehmen, habe ihn gekränkt. Diese Wendung war dem Kronprinzen neu und er versprach bestimmt die Erfüllung des Wunsches, höchst erstaunt, daß an einem solchen Umstand das alte Vertrauensverhältnis zum König habe scheitern können. Jetzt, meinte Coriolani, sei dies nicht mehr tunlich, denn dem Minister würde es verübelt, wenn er gleich seinen Sohn in die politische Karriere hineinschiebe. Immer wieder wußte er dem Andringen des Kronprinzen auszuweichen, der den Kampf schließlich in der Überzeugung aufgab, daß da Dinge mitspielten, die er nicht zu ergründen vermochte. Er sah es dem alten Herrn ja an, daß er sich irgend etwas um keinen Preis entwinden lassen wollte.

Der König berief ein ganz farbloses Beamtenministerium, dessen einzelne Mitglieder wohl als liberale Monarchisten gelten konnten, aber bisher den politischen Kreisen ganz fern gestanden hatten. Die Liberalen sahen sich um den Erfolg ihres Wahlsieges betrogen, denn offenbar war es die Absicht, einen politischen Charakter des Ministeriums vorzutäuschen, der durch die Unfreiheit des Bureaukratismus, des zweiten Charakterzuges, wieder aufgehoben wurde. Die Konservativen aber wurden gleichzeitig durch einen anderen Umstand geärgert. Baron Avia, der Abenteurer, wurde Oberstallmeister des Kronprinzen. Den bisherigen Inhaber dieses Amtes, einen adeligen Obersten a. D., hatte man auf den gerade erledigten Posten eines Gestütsdirektors abgeschoben. Weiteren Kreisen war dieser höfische Vorgang ja gleichgültig. Man guckte nur neugierig, wenn man jetzt an der Seite des roten Kronprinzen diesen schwarzen Begleiter mit dem fahlen Gesicht reiten sah. Aber aus dem Hofadel heraus wurde die Mißstimmung über das Eindringen einer solchen Persönlichkeit in den Umkreis der allerhöchsten Herrschaften auch in den Senat, die erste Kammer der Landesvertretung, fortgepflanzt. Und dieser ›unmögliche‹ Mensch wurde gelegentlich der Feste bei der Verlobung der Prinzessin Beate vom König in bemerkenswerter Weise ausgezeichnet. Prinzessin Constanze, von der man freilich gewohnt war, daß sie ihrer Laune die Zügel schießen ließ, unterhielt sich mit ihm wiederholt sehr angeregt, und er bewegte sich in seiner neuen Uniform, den eben verliehenen, einzigen Orden auf der Brust, mit der sichersten Frechheit, ohne merken zu wollen, wie schlecht man ihn behandelte. Ärgerlicher Weise gab es einige verschrobene mannstolle Damen, die behaupteten, er sei ›eigentlich‹ ein interessanter Mann. Die verrückte Gräfin Grimo-Salmi, die unanständige Verse machte und in ihrem Auto immer sonderbare Gesellen von Malern und Bildhauern sitzen hatte, las aus seinem ramponierten Hochstaplergesicht die ›Pilgerschaft durch das dunkelblaue Tal‹.

Baron Avia selber aber besah sich die Aufstellung seiner Gegner, studierte Physiognomien und nahm nebenher die Aussicht auf nacktes Frauenfleisch wohlgefällig mit, wobei er eine Art unter halbverschlossenen Lidern hervorzuschauen hatte, die manche Dame veranlaßte, mit scheinbarer Harmlosigkeit den Fächer zu entfalten. Man bemerkte sein Bestreben, sich an die hervorragendsten fremden Gesandten heran zu machen, und dabei fiel es auf, daß diese Herren, die doch gesellschaftlich informiert waren, ihm willig stand hielten. Das kam, weil er sehr gewandt Deutsch, Französisch und Englisch sprach und es verstand, jedem eine Bemerkung hinzuwerfen, die dessen Aufmerksamkeit weckte und zu einem weiteren Gespräch reizte. Inzwischen sah er auch, daß die Kronprinzessin, währenddem sie sich anderweitig unterhielt, die Möglichkeit fand, dem schönen Vizezeremonienmeister Coriolani mit dem Blicke zu folgen, und daß der Kronprinz sich mehrmals mit der Prinzessin Constanze in einer Weise unterhielt, die ihm schließlich deshalb auffiel, weil er in dem Gesicht des schlanken Mädchens höchste Erregung oder Spannung las. Das war es ja gewesen, was den Kronprinzen zuerst zutraulich gemacht, die Ähnlichkeit ihres Schicksals in der Rolle, die eine Cousine dabei gespielt hatte. Und davon war auch die Rede gewesen, daß der schönste Frauenleib keinen dauernden Genuß bereitet, wenn die Art nicht lockt, mit der er geboten wird. Er hatte es gut vor mit dem hohen Freunde, aber ihn zum Heiligen zu machen, konnte nicht in seinem Plan liegen. Die Prinzessin sah freilich nicht so aus, wie eines der Mädchen, die bei ihrer lüsternen Neugier zu fassen sind. Er empfand so etwas wie Mitleid mit ihr. Der Kronprinz hätte sie besser in Ruhe lassen sollen, statt zwecklos mit ihren Mädchenträumen zu tändeln. Das war Quälerei. Oder war was anderes beabsichtigt? Zuzutrauen war es ihm ja. Wehr dich, Mädchen! Mag auch eine Prinzessin schmecken, was Menschennot heißt. Ein Narr ist, wer dem Manne den Mund zuhalten will, der nach dem Weibe schreit.

Die Bevölkerung der Residenz hatte, soweit es ihr möglich war, also wenn man das Brautpaar auf der Straße vorbeifahren sah, oder wenn es in der Theaterloge erschien, durch lautes Hochrufen seinem altgewohnten Zusammenhang mit dem Königshause Ausdruck gegeben. Das kam aus einer anererbten Empfindung heraus, über die sich niemand weiter Gedanken machte, so wenig, wie über irgend eine andere Sitte, das Hutabnehmen in der Kirche, das Applaudieren im Theater. Aber gleich darauf, als die neuen Minister wieder an ihren Arbeitstischen saßen, kam die Kunde in die Öffentlichkeit, daß die vor allem von einem liberalen Ministerium erwartete Neutralitätsvorlage dem demnächst einzuberufenden Parlamente nicht zugehen würde, und daß die Regierung auch einem dahinzielenden, aus der Mitte des Parlaments kommenden Antrag entschiedenen Widerstand entgegensetzen würde. Die Neutralität war schon seit langem das große Schlagwort der linksstehenden Parteien gewesen, an das sich alle jene Hoffnungen knüpften, die durch die fast gänzliche Abschaffung der Militärlasten erfüllt werden und dem Lande eine neue Zukunft bringen sollten. Daher ging ein Schrei der Entrüstung durch das Land. Die sozialistische Partei war sofort zur Stelle mit erregten Volksversammlungen und verwegenen Artikeln der Presse. Es kam zu Verhaftungen und Anklagen in der Provinz, wie in der Hauptstadt. Nicht bloß im Kronprinzen sah man den Urheber dieser Dinge, sondern der Verdacht lenkte sich mehr und mehr auf den neuen Oberstallmeister, den man fast immer in dessen Gesellschaft sah. Dazu trug wesentlich auch folgender Umstand bei. Damals, als in der afrikanischen Wildnis der Kronprinz sich mit drohender Schroffheit seinem Gefolge, das ihn als Gefangenen behandelte, entgegengestellt hatte, war beschlossen worden, von der Affäre zu Hause nichts verlauten zu lassen, um nicht in ein schiefes Licht zu geraten. Auch der heimkehrende Graf Mario hatte in seinem Berichte den eigentlichen Vorfall unerwähnt gelassen. Aber jetzt drang allerlei davon in die Öffentlichkeit, und zwar in einer Wendung, nach der Baron Avia nicht bloß schuldlos die Veranlassung des prinzlichen Vorgehens, sondern der bewußte Anstifter dazu gewesen wäre. Einem solchen Menschen war alles zuzutrauen. Die Minister freilich sahen und hörten nichts vom Kronprinzen und noch viel weniger vom Baron Avia. Sie hatten nur den König vor sich, der ihnen das Leben sauer machte, so daß jeder von ihnen die Stunde fürchtete, in der er sich zum Bericht einzufinden hatte. Der König wurde wütend über jeden Antrag, der ihm nicht paßte, und nahm jede Gelegenheit wahr, mit einem grimmigen Behagen über die liberale Welt- und Staatsanschauung zu spotten. Dabei versäumte er nie, besonders zu betonen, daß der vor ihm stehende Minister ja selber ein Liberaler sei, der jetzt das Regieren versuche.

Im Ministerium des Innern saß noch immer der Assessor Graf Coriolani, aber der neue Herr hatte ihn nicht in der Vertrauensstellung belassen, die er bei dem Vorgänger eingenommen hatte, nachdem er ihm als der Verfasser jener aufsehenerregenden Wahlartikel bezeichnet worden war. Vielmehr war er in ein Ressort versetzt worden, das mit der Politik keine Berührungspunkte hatte. Leander Coriolani machte eine Zeit schwerer innerer Kämpfe durch. Der Ausgang der Wahlen hatte ihn geschmerzt, weil er so vergeblich die ganze Schwungkraft seiner Jugend eingesetzt hatte. Aber damit war es nicht genug gewesen. Seine Versetzung in ein Ressort, das ihm nur ein rein bureaukratisch-technisches Feld gewährte, glich noch einer Bestrafung seines königstreuen Eifers. Und dabei war diese gegen einen loyalen tüchtigen Beamten geübte Schikane die billige Heldentat solcher Leute, die ihre Gesinnungen nach oben hin ängstlich geheim hielten und um des Amtes willen das Vaterland der Vergewaltigung auslieferten. Das war stets der Verrat der Streber gewesen, und hier war er wieder. Ein starkes Königtum, jawohl, das war ein sehr beachtenswertes, ein rettendes Ziel. Echte Stärke braucht aber keine Gewalt. Dieser Kronprinz war des Landes Schicksal, das mußte ertragen werden. Jetzt war es also am Parlament, zu zeigen, welcher Wert in ihm gelegen war, wenn eine schwere Stunde für das Vaterland schlug. Leander Coriolani hatte das Gefühl, als ob für dieses Parlament eigentlich in der ernsten Stunde gar kein Platz sei. Er sah Waffen blitzen in langen regelmäßigen Reihen, sah eine dunkle Masse johlend, pfeifend, unheimlich in ihrem Getöse, wie auf der anderen Seite das Schweigen in den waffenblitzenden Reihen. Wo sollten denn da die Herren in Zylinderhut und Gehrock mit ihren Ledermappen unter dem Arm, unterkommen? Wo kam aber er selber vor allem unter? Was war der Beamte in einem solchen Kampfe zwischen König und Volk? Nichts anderes als das Parlament, ein zwecklos gewordenes Zwischenglied. Verhüten, das wäre jetzt die Kunst gewesen, die der Augenblick erheischte. Und immer wieder mußte er da an seinen Vater denken, der schweigsam zu Hause saß, sich in die Zeitungen vertiefte und aufmerksam anhörte, was man ihm erzählte, aber jedem Gespräche auswich. Der jüngere Bruder war, seit er auf die Akademie ging, ein ganz anderer Mensch geworden. Er wollte von Politik gar nichts mehr hören. Zwar fing es, wie er erzählte, auch dort bei den jungen Leuten lebhaft zu gären an und wilde Worte wurden am Kneiptisch geredet, aber er selber hielt sich dem gegenüber völlig kühl. Er lebte ganz seiner Kunst und seinen Zukunftsträumen und, wie er die Fürsten nicht liebte, verachtete er den Pöbel. Leander hatte gut sagen, kein reifer Mann dürfe gleichgültig bleiben, wenn das Vaterland in Not sei, er habe jetzt ein anderes Vaterland, sagte er, in dem er den inneren Frieden gefunden habe, und das sei das Wichtigste für jeden Menschen, mit sich selber ins reine zu kommen. Er kam jetzt auch wenig mehr in jenen Kreis, in dem er sonst seine Abendstunden gerne verbracht hatte, denn dort wurde jetzt nichts anderes gesprochen als Politik. Simoni sah er nur selten bei zufälligen Begegnungen auf der Straße. Sie grüßten sich dann mit kühler Förmlichkeit. Erst war der Führer der Republikaner mehrmals bei dem jungen Grafen stehen geblieben und hatte versucht, etwas von ihm über den Bruch seines Vaters mit dem König zu erfahren. Da dieser aber selber keine Klarheit über die Vorgänge besaß, hätte er keine Mitteilungen darüber machen können, auch wenn er gewollt hätte.

Andere Leute als der junge Künstler widmeten dem jüdischen Rechtsanwalt desto mehr Aufmerksamkeit. Was war sein Plan? Man hörte darüber gar nichts, er verhielt sich merkwürdig still. Und noch merkwürdiger wurde dies dadurch, daß die sozialistisch-radikalen Organe, die ihm und seiner Partei doch der Wahlen wegen zürnen mußten, trotz ihrer so laut und heftig gewordenen Haltung völliges Stillschweigen nach dieser Richtung bewahrten. –

Zu vorgerückter Abendstunde, als schon die völlige Dunkelheit durch die Straßenbeleuchtung erhellt wurde, traten aus dem Palais des Prinzen Roger zwei weibliche Gestalten. Sie waren einfach dunkelgekleidet, und eine von ihnen erkannte der Polizeiagent, der sich wie ein junger Mann in Erwartung der Liebsten gebärdete, auch als eine Person aus dem prinzlichen Haushalt. Die andere aber fiel ihm durch ihre elegante Haltung auf. Sie trug einen breitrandigen Hut und ein Jackett mit hohem Kragen, so daß er ihr Gesicht nicht erkennen konnte, ohne sich auffällig zu machen. So folgte er den beiden Frauen, die den Weg aus dem Viertel der Paläste und Parkanlagen nach dem um diese Zeit sehr belebten Geschäftsviertel der Altstadt einschlugen. Sie waren nicht sonderlich eilig, aber sie vermieden die sonstige Gewohnheit der Frauen, an den hellerleuchteten Geschäftsauslagen stehen zu bleiben. Der Agent bemerkte, daß die eine, zur Linken gehende Frauensperson, die er erkannt hatte, sich zeitweilig umsah. Auf einmal, in einer besonders belebten Straße, in der sich das Publikum förmlich drängte, entschwanden ihm die beiden. Bei eifrig raschem Kreuzen der Nebenstraßen, stieß er wieder auf die ihm bekannte Person, die aber jetzt allein war. Da gab er seine Beobachtungen auf, denn offenbar handelte es sich bei der Verschwundenen um eine Besucherin dieser Bediensteten, die sich, um zu schwatzen, eine Weile hatte begleiten lassen und dann ihres Weges gegangen war.

Die schlaue Zofe der Prinzessin Clara Eugenie hatte längst bemerkt, daß ihnen ein Mann folgte, sie erkannte ihn als eine Persönlichkeit, die öfter in der Nähe des prinzlichen Palais sichtbar wurde, und wußte auch, wie das ganze Dienstpersonal, daß man polizeilich beobachtet war.

In einem geeigneten Augenblick wies sie der Prinzessin den Weg durch Seitenstraßen nach einem bestimmten Treffpunkt und tauchte dann in der Menge unter. Als sie mit der Prinzessin, für die dieses Alleingehen etwas Abenteuerliches gewesen war, wieder zusammengetroffen war, handelte es sich nur noch um eine kleine Strecke bis zu dem großen Mietshause, in dem ihre Tante, eine Beamtenwitwe, unter vielen anderen Parteien wohnte. Mit vielen Knixen und unter großer Ängstlichkeit führte die schlichte Frau die Prinzessin in die typische gute Stube, in der bereits Simoni wartend stand.

Hastig sprach die Prinzessin ihn an:

»Ich danke herzlich, daß Sie gekommen sind, Herr Rechtsanwalt. Ich mußte Sie einmal sprechen, es ist höchste Zeit geworden.«

Sie nahm mit seiner Hilfe das Jackett ab, setzte sich auf das Kameeltaschensofa und fuhr, ohne ihn vorerst zu Wort kommen zu lassen, in dem erregten Tempo fort:

»Die Zustände sind ja unglaublich geworden. Roger leidet furchtbar darunter, aber er ist ein ohnmächtiger Gefangener, wie Sie ohne Zweifel wissen.«

Simoni konnte nur mit dem Kopf nicken.

»Sie wissen auch, daß der Prinz alles eher als ein Gewaltmensch ist, von mir gar nicht zu reden. Aber wir schreien wirklich beide aus innerster Seele vor Schmerz auf über das Unheil, das dem Lande droht. Das steuert einem europäischen Skandal zu. Habe ich nicht recht?«

Wieder konnte Simoni nur mit einer unklaren Geste antworten.

»Also wie stellen Sie sich zur Sache? Das will ich wissen. Vor mir brauchen Sie keine Geheimnisse zu haben. Ich bin in Ungnade und verdächtig wie Sie, aber zum Äußersten bereit, und der Prinz denkt wie ich.«

»Und die bisherigen Anhänger Seiner königlichen Hoheit sind sehr vorsichtige Leute geworden,« bemerkte jetzt Simoni sarkastisch.

»Nur gewisse Führer, die in einer sehr exponierten Stellung sind, aber gewiß nicht die große Mehrheit, auf die es ankommt,« entgegnete die Prinzessin. »Roger hat sich bisher ja auch ganz still verhalten. Wenn er ruft, dann kommen sie alle. Daran zweifle ich keinen Augenblick.«

»Königliche Hoheit rechnen also mit einer Revolution oder, wenn dieser Ausdruck Anstoß erregen sollte, mit einer Erhebung?« fragte Simoni gelassen.

»Die Revolution käme von der anderen Seite. Wir wollen den Rechtszustand aufrecht erhalten. Wir sind die die Revolution abwehrenden Konservativen.«

»Ich bitte zu bedenken, königliche Hoheit, daß ich Republikaner bin.«

»Als ob ich das nicht wüßte!« sagte die Prinzessin etwas ungeduldig. »Davon will ich gerade reden, daß Sie mit Ihren republikanischen Ideen ja doch nichts ausrichten können.«

»Das bedürfte doch noch einer näheren Erwägung,« bemerkte Simoni.

»Eine Republik hat heute keine Chancen mehr, wenn sie nicht eine sozialistische Republik sein soll. Und das will ja Ihre Partei nicht. Sie können aber nur etwas ausrichten mit Hilfe der Sozialisten. Dann zerfleischt ihr euch hinterher untereinander, bis ein Diktator euch alle zusammen unter seine Faust zwingt.«

»Zunächst möchte ich königliche Hoheit darauf aufmerksam machen, daß ich bisher kein Wort davon gesprochen habe, als ob wir irgend etwas auszurichten die Absicht hätten.«

»Wollen Sie etwa die demnächstigen Dinge ganz ruhig über sich ergehen lassen?«

»Wenn es nach meinem Willen ginge, ja. Ich bin indessen kein Prophet.«

»Sie lassen mich erkennen, daß Sie eventuell bereit sind. Sehen Sie nun nicht ein, daß Sie in jedem Fall schweren Schaden leiden werden?«

Simoni lächelte kaum merklich und sagte:

»Wir kommen rascher zum Ziele, wenn ich sage, daß die Absichten Eurer königlichen Hoheit mir schon deutlich waren, als ich Ihre Einladung erhielt.«

»Und daß Sie darauf eingegangen sind, darf ich doch als ein Zeichen ansehen, daß Sie wenigstens zu einer näheren Besprechung gewillt sind.«

»Ich wollte Mißdeutungen vermeiden, die eine andere Haltung vielleicht nach sich gezogen hätte. Ich bin nicht nur Republikaner, sondern auch Jude. Da legt man alles anders aus, als bei einem Kavalier.«

»Sie sind also gekommen, und es ist an Ihnen sich zu äußern, ob Sie es nicht für politisch ratsamer halten, weiter mitzuarbeiten am Erreichbaren, wie Sie es bereits bei den Wahlen getan haben, als an einem Prinzip unfruchtbar festzuhalten. Der Staatsstreich wird kommen, deshalb hat der König den Kronprinzen zu den Geschäften herangezogen. Der König muß dann zur Abdankung, der Kronprinz zum Verzicht auf den Thron gezwungen werden.«

»Und König Roger besteigt ihn. Für diese Familienangelegenheit des Königshauses soll das Volk sein Blut opfern, statt, wenn es doch einmal zum Bluten kommt, dies für seine Freiheit zu tun? Königliche Hoheit, dazu kann ich doch nicht zu Hilfe gerufen werden.«

»Aber Ihre Republik ist ja nicht möglich!« rief die Prinzessin jetzt erregt. »Sehen Sie sich doch in der Welt um. Die Serben und Bulgaren haben sich, sobald sie vom Türkenjoch befreit waren, Fürsten geholt, die demokratischen Norweger machten, als sie sich von Schweden getrennt hatten, keine Republik, sondern riefen einen neuen König, Frankreich fehlte immer nur der rechte Mann, und sogar in den Vereinigten Staaten schielt man mehr und mehr nach dem Imperator.«

»Königliche Hoheit wollen die Dynastie retten, die auf dem Wege ist, sich unmöglich zu machen. Ich begreife den Standpunkt sehr wohl. Aber so beliebt Prinz Roger sein mag, ist's einmal so weit, macht das Volk doch lieber reine Bahn für die Zukunft.«

»Die Zukunft gewährleiste ich in meinen Söhnen. Das Volk ist in seinem Kern monarchisch. Man wird uns nach einiger Zeit wieder rufen, wenn wir vertrieben werden. Mit Roger gehen alle, auch das Militär. Er kann das Blutvergießen vielleicht ganz vermeiden, sicher einschränken. Ihr holt euch eine sichere Niederlage in einem Gemetzel.«

Die erregte Prinzessin schöpfte Atem und sah mit dringlichem Blick auf Simoni, der schweigend vor sich hinsah.

Dann fuhr sie fort:

»Denken Sie an sich selber! Was haben Sie für eine politische Zukunft? Selbst wenn Sie sich stille halten, wird man Ihnen beikommen. Daß Sie in der Fremde das Brot der Verbannung essen werden, ist noch die beste Aussicht, die Sie haben. Der Kerker und noch Schlimmeres ist in dem anderen Falle sicher. Und bei uns? Da wären Sie wirklich der Führer eines ganzen Volkes, denn natürlich ständen Sie an erster Stelle im Rate des Königs, Sie, der Jude! Macht und Ruhm wären Ihnen verliehen und ein dauerndes Gedächtnis in der Geschichte des Vaterlandes. Kann da noch von einer Wahl die Rede sein?«

Sie war ganz Königin in ihrer straffen Haltung mit leicht zurückgelegtem Haupt und lockte dabei mit feurig glänzenden Augen.

Simoni beugte sich zum Handkusse und sagte dann:

»Königliche Hoheit sind eine starke und mutige Frau, und Ihnen zu dienen ist ehrenvoll für jeden Mann, der das Ziel in der Monarchie sucht. Der glänzende Weg, den Sie mir weisen, ist aber nicht für mich gemacht. Ich bin ehrgeizig und bin es nicht zum geringsten gerade deshalb, weil ich Jude bin. Aber ich will nicht zur Taufe gehen, in keinem Sinn. Was königliche Hoheit von mir verlangen, darf sich der Christ erlauben, beim Juden würde man es ganz anders nennen.«

Die Prinzessin sagte:

»Ich verstehe Sie, und jetzt liegt mir erst recht daran, daß Sie in einem freien Königtum den rechten Platz finden.«

»Sie meinen es gut, königliche Hoheit,« erwiderte Simoni, »aber ein freies Königtum kann es nicht geben, denn ein König ist selber nie frei. Was Sie schaffen wollen, sichert Ihnen und Ihren Nachkommen die geschichtliche Würde, die Ihnen wertvoll ist, gibt aber dem Volke nicht das, was die Zeit verlangt. Der König ist nicht allein, und was sich zwischen ihn und das Volk stellt, eben das ist es, was den Riß gibt, den man heute nicht mehr recht ertragen kann. Dagegen kann aber kein König aufkommen.«

Die Prinzessin erhob sich.

»So hätte ich also ein vergebliches Abenteuer unternommen,« sagte sie matt. »Würden Sie vielleicht die Güte haben, meine Begleiterin zu rufen.«

Simoni suchte die Zofe auf, die bei der Tante in der Küche saß. Mit einem förmlichen Gruß schied die Prinzessin von ihm.

»Sie haben doch noch Material,« sagte Simoni zu sich selber. »Eine bedeutende und deshalb wahrscheinlich eine gefährliche Frau.«



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