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Ein gefeierter Künstler erschießt sich nach halbjähriger Ehe, deren Motiv, den begleitenden Umständen nach, doch nur eine glühende Liebe sein konnte. Das war ein Problem, dessen Lösung die Gesellschaft lange Zeit beschäftigte. Ein Gerücht löste das andere ab. Nahrungssorgen trieben ihn in den Tod, er war zu stolz, den Schwiegervater um Unterstützung anzugehen. – Die Lüge war zu greifbar. Jedermann hatte ja wenigstens schon gehört von der Pracht des Makowskyschen Ateliers und seine Bilder standen hoch im Preise. Das wußte man bestimmt, obwohl man selbst noch keines gekauft, es stand doch wiederholt in den Zeitungen. Mit seiner Frau war nicht alles in Ordnung. Ein Vetter wurde erwähnt, mit dessen Erscheinen im Hause die Tragödie angefangen. Die einen meinten Georg, die andern Franz Prechting. Irgend ein früheres Ereignis, das mit einem dieser Namen in Beziehung stand, warf seine Schatten in die Ehe.

Die Unwahrheit dieser Gerüchte war ebenso greifbar. Georg Prechting, berüchtigter Löwe der Residenz, lag völlig in den Fesseln der schönen Arabella und ließ sich überhaupt in der Stadt nicht mehr sehen. Franz, sein Bruder, ein höchst harmloser Mensch, der bereits vor Jahren mit seiner Werbung bei der schönen Kitty gründlich abgeblitzt sein soll, kam lediglich als Vermittler zwischen Vater und Tochter in das Haus.

Als dann zuletzt die wirkliche Tatsache bekannt wurde, Makowsky habe sich in einem Anfall von Irrsinn vor dem Entwürfe zu einem verlorenen Paradiese erschossen, da wollte man ihm plötzlich dieses Ende schon längst aus seinen verrückten Bildern prophezeit haben. Sich wegen eines »verlorenen Paradieses« erschießen, als Gatte der schönen Kitty und Schwiegersohn des Grafen Seefeld, das war allerdings der Höhepunkt der Narrheit. Wirkliche Teilnahme erregte nur das Gerücht, Frau Makowsky selbst, die schöne, lebenslustige Kitty Seefeld, deren Gespann noch vor wenigen Jahren die Residenz in Aufregung versetzte, die einstige Zierde des Rennplatzes, sei demselben traurigen Schicksal verfallen seit dem Tode ihres Mannes. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, selbst das »verlorene Paradies« vollenden zu wollen, ihrer Ansicht nach das größte Meisterwerk der Welt.

Allen Bemühungen ihrer Verwandten, selbst des Vaters, gelang es nicht, sie aus dem Unglücksatelier zu entfernen. Das Gerücht hatte einen wahren Kern. Kitty betrachtete das unglückselige Bild als heiliges Vermächtnis ihres Gatten. Er sollte wenigstens nicht vergebens sein Blut dafür vergossen haben. Der Ruhm, den der Lebende damit erstrebte, sollte dem Toten nicht entgehen. Trotz allem Wahnsinn war unter der häßlichen, schwarzgrauen Farbendecke eine Fülle von Genie verborgen, welche, an das Licht gebracht dem Namen Makowsky die Unsterblichkeit sichern mußte. Davon war sie überzeugt. Unter ihrer Aufsicht wurden alle bedenklichen Verfahren angewendet, die jüngste Farbenschicht zu entfernen. Alles vergeblich. Sie war auf das selbst noch feuchte Bild aufgetragen und war nicht mehr zu trennen.

Unter dem dunklen Schleier, welchen Makowsky in seiner letzten Stunde über das Bild gebreitet, lag kein Paradies mehr, wo man ihn wegkratzte, blickte das Gewebe der Leinwand hindurch; nur die beiden Gestalten der Vertriebenen blieben vor der Verwüstung bewahrt. Auf den aus düsterm Farbenchaos sich hebenden Klippen glichen sie eher aus vernichtender Katastrophe Geretteten. – Die beabsichtigte Restauration des Bildes war ihr ein willkommener Grund, die dringende Aufforderung ihrer Familie, nach Vals überzusiedeln, vorderhand zurückzuweisen. Sie glaubte dies dem Toten schuldig zu sein, so unheimlich sie sich in dem Atelier fühlte. Jetzt, nachdem der Geist Makowskys daraus gewichen, der es aus dem Nichts geschaffen, schien ihr ein modriger Duft auszugehen von all dem hohlen Pappwerk, die lebhaftesten Farben schienen zu erblinden, Sie sah selbst ein, daß es ihr unmöglich sein würde, immer in diesem Räume zu leben, worin nichts echt als der grauenhafte rote Fleck auf dem Teppich, dem sie so sorgfältig auswich. Was hatte sie denn eigentlich für einen Grund, die Heimat, den Vater zu meiden? Wenn er ihr erst jetzt, nach dem Tode des Gatten, die Hand zur Versöhnung geboten, dann – ja, dann wäre es ihre Pflicht aber so ... – Weil Paul sich im letzten Augenblick sträubte, nach Vals zu kommen – aber da war ja sein Geist schon zerrüttet! – Es war etwas ganz anderes was sie abhielt, und so sorgfältig sie auch immer wieder ihren Geist davon abzuwenden suchte, vergeblich! – immer wieder stand es vor ihr, das furchtbare Bild. – Sie an der Seite Franzens, dicht an ihn geschmiegt, der Blick des Sterbenden auf sie gerichtet. Sie zerfaserte unzähligemal diesen Blick. Er war nicht schmerzerfüllt, auch nicht gehässig, eher – zustimmend! Er sah wohl überhaupt nicht mehr, aber gleichviel – in keinem Falle war Franz der rechte Mann, sie nach Vals zu holen.

Den Vater, der noch am Unglückstage, alles vergessend, zu ihr geeilt, hatte sie in dem ersten Schmerz schroff abgewiesen, ebenso das gewiß ehrlich gemeinte Mitleid Arabellas und Georgs.

Eines Tages, die dritte Woche seit dem Tode Makowskys ging zu Ende, hatte sie sich in die Grotte zurückgezogen. Unterhandlungen mit einem Kunsthändler betreffs einiger noch vorhandener Skizzen Pauls, zu welchen sie sich gezwungen sah, hatten sie völlig entmutigt; sie floh aus dem Atelier dahin. – Der Springbrunnen war längst verrostet, das abgestandene Wasser in dem Bassin verbreitete häßlichen Geruch. Sie kauerte sich auf dem Thron zusammen und überließ sich ganz ihrem Schmerz. Hier hatte er begonnen, der Traum, so prächtig, so glutvoll! Es waren ja schon viele zerronnen, aber so rasch, so in Blut noch keiner. – Wohin jetzt mit ihrem wegmüden Herzen? Was sie sich auch vorredete von Verzweiflung, ewiger Buße für die ihr selbst unklare Schuld, es schlug doch immer noch heiß, verlangend nach Leben und Freude und schauerte nur vor einem zusammen in seinem Innersten – vor Verlassenheit! O, es fror sie so bei diesem Gedanken, daß sie sich schlotternd in die Falten des schäbigen Purpurs hüllte. – Da vernahm sie Tritte im Atelier und ihren Namen leise rufen. – Eine unbezwingliche freudige Sehnsucht ergriff sie nach etwas Unbestimmten, das menschliche Gestalt annahm, eine bestimmte Gestalt.

»Hier bin ich! Hier!« – rief sie verlangend.

Da trat eine hohe Gestalt unter den Eingang, ein schneeweißer Bart leuchtet in der Dämmerung.

»Vater! Mein guter, lieber Vater!« – Kitty stürzte hell aufjubelnd in die ausgebreiteten Arme des Greises.

Denselben Tag noch folgte sie ihm nach Vals.

Einem wunden Frauenherzen tut nichts wohler, als sich aufopfern müssen, fremde Leiden pflegen. Kitty hatte dazu den Winter über vollauf Gelegenheit. Den Grafen Seefeld hatte seine robuste Gesundheit plötzlich im Stich gelassen. Die Aufregungen des letzten Jahres mochten wohl ihren Anteil daran haben. Zu allem Überfluß machte sich noch ein längst vernarbter Beinbruch, eine alte Erinnerung vom Rennplatz, sehr unliebsam bemerkbar. Da war nun Kitty ganz an ihrem Platz, sie ging ganz auf in der Pflege des Vaters. Abgesehen davon, daß hierdurch ihre Gedanken von der jüngsten Vergangenheit abgelenkt wurden, hatte die Sache noch einen andern Vorteil; einem kranken Vater durfte man nicht widersprechen.

Graf Seefeld war sich dieses Vorzugs wohl bewußt. Da wurden Spazierritte mit Arabella anbefohlen, wichtige Aufträge für die Ökonomie, für Schwarzacker erteilt, welche Kitty immer mehr zwangen, die Stelle des Vaters zu vertreten und infolgedessen sich überall zu orientieren. Die Folge davon war, daß sie rascher, als es sonst der Fall gewesen wäre, in die neuen lebens- und arbeitsvollen Verhältnisse von Vals hineinlebte und dabei, dank ihrer auf dem heimatlichen Boden neu aufblühenden, kernigen Natur, sich rasch erholte. Nur in einem Punkte war sie schroff, auch dem Vater gegenüber. Es entging ihr nicht sein beständiges Deuten auf Franz, seinen Liebling. Darin lag für sie eine bittere Kränkung des Toten, eine Geringschätzung ihres eigenen erlittenen Leides, ihrer ganzen unglücklichen Ehe, über die man überhaupt in Vals sorgfältig schwieg, wie über eine Schuld. Sie kannte ja sehr wohl des Vaters triftige und dringende Gründe. Das ungewohnte Leiden machte ihn ängstlich. Sie war die letzte ihres Namens. Makowsky war ihm zum mindesten fremd, kein Wunder, daß er über den Toten einfach hinwegsah, auf – auf den Erben seiner angemaßten Rechte. Ja, er war imstande, in den Ereignissen eine göttliche Fügung zu erblicken, ein besonderes Walten himmlischer Mächte für das Haus Seefeld. Aber trotz alledem kränkte sie dieses Vorgehen, welches jedes Zartgefühl entbehrte. Wie er doch nicht nur sein Kind, sondern auch Franz unterschätzte! Dieses wankelmütige Herz, das ihn verschmäht, so lange es rein, gesund und frei war, soll ihm jetzt genügen, von Leidenschaften zerfressen, nachdem ein anderer es schon besessen! Da war er gerade der Rechte! O, er ließ es sie nur zu oft deutlich fühlen! Das wäre grade auch nicht notwendig gewesen und tat bitter weh, aber gewiß war es ganz gerecht. Sie konnte ihn nur achten um sein zurückhaltendes Wesen, dem selbst die Wärme der alten Freundschaft fehlte. Dagegen stand er im regsten Verkehr mit Arabella. Er war ihr ja zu Dank verpflichtet für die Unterstützung seines Problems, die Verbindung der beiden Gruben, welches längst ausgeführt war. Arabella schien ihm überhaupt das geworden zu sein, was er einst wohl von seiner Kitty erhoffte, seine Mitarbeiterin. Es war nur zu verwundern, daß Georg nicht eifersüchtig wurde.

Ritt Kitty mit Arabella, so war von nichts die Rede als von ihm. Seines Lobes wurde kein Ende, er war der Segen von Schwarzacker. Das wußte sie ja alles selbst, ja besser als Arabella, aber sie fand solches Lob unpassend im Munde einer Frau; noch dazu einer Frau, die ihrem Gatten alles zu danken hatte. Ja, auch selbst ihr gegenüber, der Witwe eines Mannes, der doch ohne Zweifel viel bedeutender war als Franz, eine Kunstgröße, ein Genie. Aber das begriff ja Arabella nicht, und sie hielt es auch unter ihrer Würde, es ihr begreiflich zu machen.

Das Frühjahr kam, mit ihm neues Leben, dem sich auch Kitty nicht entziehen, konnte. Die alten Kräfte wirkten, da half auch absichtlicher Widerstand nicht. Mit der Krankenpflege war es auch zu Ende. Graf Seefeld wagte sich schon wieder in den Sattel und machte täglich seinen Ritt nach Schwarzacker.

Das Kohlenwerk, welches man früher förmlich umging, bildete jetzt den Mittelpunkt des Lebens. Der Sport kam erst in zweiter Linie, obwohl er durchaus nicht vernachlässigt wurde. Kurz, auf Schritt und Tritt merkte man den Einfluß Franzens, dem sich alles unwillkürlich fügte.

Kitty wußte nicht, ob sie sich darüber freuen sollte. Was verhalf ihm denn eigentlich dazu? Ihre Abwesenheit! Noch etwas, die schlimme Erfahrung, die der Vater mit ihr gemacht. Ein System, das solche Früchte zeigte, mußte verworfen werden. Oft war es ihr, als müsse sie mit ihm darum kämpfen, um einen Einfluß, der doch ihr allein zukam in diesem Hause. Doch alle Ansätze dazu waren vergebens, es war ihr selbst nicht ernst damit. Konnte sie doch die Heilsamkeit seines Wirkens selbst nicht wegleugnen. Nur eines verdroß sie, daß er sich gar keine Mühe mehr gab mit ihr, daß er ihre Bestrebungen, sich allmählich im Geschäft zu orientieren, mit, wie es ihr vorkam, mitleidigem Lächeln betrachtete. Eine Frau, auf deren Rat ein Makowsky horchte, wird sich wohl auch noch die Kenntnisse irgend eines Buchhalters erringen können. Was sollte daraus werden, wenn sie einmal die Herrin war auf Vals? Das konnte rasch geschehen – ein ganz unhaltbares Verhältnis! Ja, was sollte daraus werden! Das quälte wohl auch den armen Vater! Aber was nützt das! Sollte sie denn immer nur vom Zufall, von den Verhältnissen bestimmt werden. Warum heiratete er nicht ihr zuliebe schon? Dann war alles gut!

Eines Abends ritt sie von Sittenfeld nach Hause, Arabella gab ihr das Geleite. Sie hatte vor einem Monat erst ihrem Gatten einen Stammhalter geschenkt und strahlte jetzt im Mutterglück. Die sie umgebende duftende Natur war nur die Folie ihres eigenen Innern. In solchen Zeiten macht sich in jedem edlen Frauenherzen der Drang geltend, auch etwas abzugeben von all der Wonne an seine nächste Umgebung.

Kittys Dahinträumen war ihr schon längst ein Dorn im Auge. Die Ehe mit Makowsky war nun einmal in ihren Augen nichts als eine unglückliche Episode im Leben Kittys, mit der man kurzweg aufräumen mußte. Sie haßte jede Sentimentalität, war gewohnt, von jeher der nackten Wirklichkeit ins Gesicht zu sehen. Der einzige Weg zum Heil war für Kitty aber eine neue Heirat. Und die einzig richtige Heirat für Kitty war eine Heirat mit Franz, den sie schon vor ihrer Ehe mit dem Maler liebte – wahrscheinlich auch während derselben – die jungen Dinger sind sich ja selbst nie klar – und ganz gewiß jetzt liebt wie sie aus unzähligen Anzeichen anzunehmen die Berechtigung hatte.

Die dampfenden Kamine, der Lärm, der herüberdrang, erhöhte die Spannung in ihrem Innern bis zur Unerträglichkeit. Ihrem Pferde selbst teilte sich dieselbe mit, es wollte nicht mehr Schritt halten mit seiner Begleiterin, der »Wildrose.«

»Ist es nicht eine wahre Freude, wenn man da hinüber sieht?'' begann sie plötzlich. »Wie das pustet und arbeitet Tag und Nacht.«

»Aber, liebe Cousine, das pustet und arbeitet da drüben ja schon, solange ich denke! Was soll ich denn da Neues sehen und gar Erfreuliches?« erwiderte Kitty schwermütig.

»Das ist sehr undankbar von dir.«

»Undankbar? Wem bin ich denn zu Dank verpflichtet?« – Kitty hielt ihr Pferd, der alte Stolz regte sich in ihr Arabelle gegenüber.

»Franz! Für wen schafft er denn das alles? Für wen sorgt er Tag und Nacht als für dich!«

»Für mich! Weil er schaffen und sorgen muß, weil das sein Lebenselement ist! Weil der Ehrgeiz ihn antreibt – für den Vater – aber nicht für mich! – Daran denkt er wohl gar nicht, und wenn er daran denkt, wird es ihm nur peinlich sein.«

»Allerdings, das kannst du ihm gar nicht verargen. Was soll er denn, wenn du die Herrin bist auf Vals? Seine Entlassung nehmen, wie irgend ein Beamter des Werkes?«

»Er kann ja bleiben.«

»Als dein Untergebener?«

»Warum nicht?«

»Weil man nicht dienen will, wo man einst geherrscht hat.«

»Geherrscht, Franz, auf Vals?«

»Nicht auf Vals, aber in dir, Kitty – als dein Geliebter!«

Kitty riß ihr Pferd zurück. Heller Zorn blitzte aus ihren Augen. »Wer sagt dir das? – Er?«

Arabella ließ sich nicht aus der Fassung bringen, sie drängte ihr Pferd dicht an das Kittys. – »O nein, er nicht! Weil er ein zu guter, edler Mensch ist, weil er eher sterben würde, als so etwas gestehen! Aber dieser da sagt es mir ...« – Sie zeigte Kitty den kleinen Finger. – »Er sagt mir noch mehr, mehr als du selbst weißt, daß er noch immer herrscht – daß er ...«

»Arabella, ich muß dich bitten ...«

»Dich zu verlassen. Das tue ich auch, da sich eben ein für dich viel geeigneterer Begleiter naht.«

Mit diesen Worten wandte Arabella hurtig ihr Pferd und sprengte zurück nach Sittenfeld.

Wo der Weg vor Vals in die Straße einbog, kam Franz geritten. Vergebens rief Kitty ihrer Cousine zu, diese war im Nu hinter einer Baumgruppe verschwunden, und Franz hielt vor ihr.

»Warum so erregt, Kitty – und Arabella förmlich flüchtig? Ich glaube gar, ihr habt euch gezankt?«

»Haben wir auch!« erwiderte Kitty mit fliegendem Atem, »und zwar über dich! Über deine Stellung in Schwarzacker. Da du grade dazugekommen, ist es vielleicht besser, wir sprechen uns aus!«

»Bitte! Obwohl ich nicht recht begreife, was du damit zu tun hast.«

»Arabella behauptet, daß du nur für mich dich so anstrengst, dich sorgst Tag und Nacht. Offen gesagt – das möchte ich nicht...«

»Da behauptet Arabella einfach einen Unsinn. Ich strenge mich nicht mehr an, als mein Beruf und die große Verantwortung, die auf mich ruht, erfordert. Ich tue das für niemand, sondern für mich selbst, weil ich meine Befriedigung darin finde.«

»Das dachte ich auch – und doch dachte ich wieder – du möchtest vielleicht aus alter Freundschaft – aus besonderer Rücksicht darauf zu viel tun ...«

»Und einst einen besonderen Dank verlangen,« ergänzte Franz. »Sei außer Sorge, Kitty.«

»Franz!« – Kitty bereute schon lange, den Gegenstand berührt zu haben.

»Oder auf einen Erfolg pochend, schwer anzubringen sein, wenn es einmal so weit ist...«

»Franz!« Immer flehender klang die Stimme Kittys.

»Oder mich gar törichten Vergeltungsträumen hingeben ...«

»Franz – du rächst dich zu hart für ein paar unbedachte Worte ...«

»Sehr weise Worte, Kitty, die mir zeigen, daß du aus deiner Phantasiewelt wieder zurückgekehrt bist in die reale praktische. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Darum laß uns einen Pakt schließen. Der Name Prechting soll dir keine böse Stunde mehr bereiten.«

Kitty beugte das Haupt auf die »Wildrose« herab. »Nur zu! Ich habe es reichlich verdient...«

»Sobald es so weit ist – du verstehst mich ja« – fuhr Franz unbarmherzig fort, »trete ich freiwillig, ohne nur eine Willensäußerung abzuwarten, vom Amt zurück. Bis dahin bindet mich mehr noch als mein Wort die treue Freundschaft und die Liebe zu deinem Vater.«

»Zu meinem Vater! Das sagte ich Arabella auch,« bemerkte Kitty, schwermütig mit dem Kopf nickend.

»Und zu noch etwas,« setzte Franz hinzu – »zu Schwarzacker! Es knüpfen sich die heiligsten Erinnerungen daran.«

Langes Schweigen. Kitty sah nicht auf, die beiden Pferde kosten sich.

»Wenn man einen Pakt schließt, reicht man sich die Hand, Cousine.«

Franz streckte die Hand aus.

Kitty ergriff sie; in ihren Augen blinkten Tränen.

Er sah länger hinein, als für den Augenblick angemessen war. Die Hände preßten sich, als gelte es einen ganz andern Pakt. Beide fühlten, und doch drückten beide leise die Weichen ihrer Pferde und sprengten nach verschiedenen Richtungen davon, ohne sich umzusehen.

Am Fuße des Schloßberges mußte Kitty anhalten, der Atem versagte ihr. Der Sonnenball senkte sich im Westen, hinter bläulichem, auf dem Horizont lagernden Regengewölk, Purpurgluten hinausschleudernd in die weite Landschaft, über Feld und Wald. Kitty konnte lange den Blick nicht wenden davon. »Das verlorene Paradies« – grade so! Ein schwarzer Reiter sprengte jetzt mitten hindurch, in wilder Hast, durch die dampfende Lohe. Dann verschlang ihn das Schlachtwerk von Schwarzacker, das finster drohend den glühenden Sonnenball durchschnitt.

Kitty traf den Vater in auffallend trüber Stimmung.

»Du mußt Franz begegnet sein?« sagte er.

Kitty bejahte die Frage kurz.

»Der brave Junge arbeitet sich ganz auf für das Werk.«

»Ja er ist mit Leib und Seele Bergmann«, erwiderte ausweichend Kitty.

Der Graf war sichtlich ärgerlich darüber. »Mit Leib und Seele Bergmann. Deshalb ruiniert man noch nicht seine Gesundheit, wenn man nicht warmes persönliches Interesse hat an der Sache.«

»Er sah vortrefflich aus, Papa.«

»Nun, so sieh ihn dir einmal morgen an! So eine ganze Nacht im Grubenwasser...«

»Diese Nacht? Ja, ist denn das notwendig?« Kittys Teilnahme schien langsam rege zu werden.

»Notwendig! Das ist es eben! Für den ersten besten Bergmann, der mit Leib und Seele beim Fach, ist es nicht notwendig, aber für Franz ist es notwendig, der an Schwarzacker hängt, als ob ein Schatz für ihn dort vergraben wäre. Die Unterwasser machen bösen Rumor seit der Verbindung der Gruben. Dem will er einmal gründlich ein Ende machen.«

»Das kann wohl auch gefährlich werden?« fragte Kitty,

»Sehr gefährlich sogar! Ich warnte ihn auch, ich bat ihn, aber da hilft ja nichts. Und wem zuliebe tut er das alles?«

»Dir zuliebe!« entgegnete Kitty.

»Das ist nicht wahr! Mir zuliebe! Wie lange dauert es denn noch mit mir! Man opfert nicht ein junges Leben einem Greise.«

»Er sagte es aber selbst, klar und deutlich.«

»Dann hat er einfach gelogen – aus Zorn – aus Verdruß! Mir zuliebe! Einem siebzigjährigen Greis! Das wäre grade noch der Mühe wert, Kitty!« – Der Graf trat mit geröteten Wangen und. bittend erhobenen Händen vor sein Kind.

»Ich kann nicht, Papa – ich darf nicht –«

»Darfst nicht? Und ich sage dir, Makowsky selbst würde eure Hände ineinander legen, wenn er noch könnte ...«

Kitty überraschten diese Worte. Er hatte ja noch gekonnt, er hatte sie noch ineinander gelegt. Die ganze furchtbare Szene trat ihr vor Augen.

»Weil er einsehen mußte, daß eure Ehe eine Idee war, die sein Künstlergehirn plötzlich erzeugt hatte, ein Traum, der nie von Dauer sein konnte, daß du dich einfach in einen Zaubergarten verirrt hattest, der mit dem Tode seines Herrn, wie in den Märchen, in eine kahle welke Wüste sich verwandelte, aus der du dich hinaussehnst in die alte Heimat, der er dich geraubt.«

So hatte der Vater noch nie mit ihr gesprochen. Die Liebe zu ihr allein, die Sehnsucht nach Verwirklichung seines Herzenswunsches konnte ihm diese Worte in den Mund legen, die zugleich den Weg zu ihrem Kopf und ihren Herzen fanden. Es war ihm ais schwebte ein Wort auf den Lippen seiner Tochter, um das er am liebsten auf den Knien gebettelt hätte. Er wartete ängstlich darauf.

»Ich will sofort einen Brief an ihn schicken nach Schwarzacker. Er soll heute nacht nicht in die Grube fahren – seiner Kitty zuliebe nicht. Bist du damit zufrieden?«

Graf Seefeld konnte nicht sprechen, er drückte sein Kind, an das Herz und küßte es. »Es wird zwar nichts helfen, wenn er es einmal für seine Pflicht hält, und du brauchst auch keine Angst zu haben wegen des bißchen kalten Wassers um die Beine, – Aber schreibe, Kitty, schreibe! Ich werde sofort den Ruprecht schicken! – Wenn er dir doch folgen und Franz heute abend noch ich bitte dich, schreibe sofort, Kitty.«

Der Graf eilte, trunken vor Freude, in die Stallungen, um selbst den Eilboten zu bestellen.

Kitty schrieb in ihrem Zimmer die wenigen Zeilen mit fliegender Hast. Jetzt durfte er wirklich nicht hinunter in die feuchte, häßliche Grube. – »Sehr gefährlich,« sagte der Vater, »und sie hätte wohl ganz ruhig darüber geschlafen, hat schon oft ruhig geschlafen, während er zwischen Tod und Leben schwebte.« Während des Schreibens packte sie plötzlich ein Angstgefühl, immer dringender flossen die Worte. »Bei den heiligen Erinnerungen, die für uns beide in Schwarzacker begraben liegen, beschwöre ich dich,« schloß der Brief. Sie zögerte einen Augenblick, ehe sie ihn schloß. Diese feierliche Warnung vor einer ihm alltäglichen Gefahr, die sie nie mit einem Worte besprach, mußte ihm geradezu lächerlich erscheinen. Dann schloß sie das Kuvert mit einem glücklichen Lächeln, das diesen schönen Mund schon lange nicht mehr geziert und übergab es dem Diener.

Unten wartete schon der Reitknecht, sie beobachtete durch das Fenster, wie der Vater ihm noch ganz besondere Weisungen gab.

Eine wilde Frühjahrsnacht war angebrochen, der Regen rauschte in den Almenkronen des Parkes, kaum den Duft unzähliger Blüten einsaugend. Kitty verfolgte den Reiter durch die Finsternis, nachdem der Hufschlag längst verschollen. Über Schwarzacker lagerte weithin leuchtend wallende Lohe. Sie konnte den Blick nicht mehr davon wenden! Das verlorene Paradies, das sich verlockend hebt aus der Frühjahrsnacht! Wär's noch einmal möglich? Hatte sie das Recht, es zu betreten? Wird sich nicht der Tote mit flammendem. Schwert als Racheengel vor den Eingang stellen? Mußte es nicht wenigstens verdient werden, wenn es nicht wieder verschwinden sollte hinter düsterm Schleier, wie das im Atelier? »Franz, Franz, warum hast du mich damals nicht emporgehoben mit kräftigen Armen aus der Tiefe des Paradieses? Oder war vielleicht der Umweg notwendig, um zu begreifen seinen Glanz, sein Glück?« Eine eigentümliche Unruhe schien ihr Schwarzacker zu ergreifen. Unzählige Fünkchen bewegten sich wirr durcheinander im Schwarz der Nacht, offenbar auf dem Wege zwischen den Halden entlang, und doch war jetzt sein Schichtenwechsel, das wußte sie ganz genau. Es waren offenbar Grubenlichter, aber die Träger liefen, der Raschheit der Bewegung nach, ja, oft war es ihr, als ob laute Stimmen herüberdrängen. Der Bote mußte längst gekommen sein, aber das war doch kein Grund zu solcher Bewegung im Werk. Von überall huschten die leuchtenden Sternchen dem Werke zu. Es mußte sich irgend etwas Besonderes ereignen. Doch sehr einfach. Franz brauchte alle Kräfte für die heutige Nachtarbeit. Daher diese auffallende Unregelmäßigkeit! Und doch klopfte ihr Herz so ängstlich, und sie achtete nicht, daß der Regen stärker fiel und ihr ins Antlitz schlug.

Da sprengte der Bote in den Hof. Diese Hast auf dem Rückweg war eine Narrheit. Sie rief ihm zu, als er aus dem Sattel sprang: »Besorgt?«

»Ach Gott, Gräfin – ein großes Unglück – der Schacht! – Alles den Kopf verloren! Unmöglich zu finden – sechs Mann – ich muß zum Grafen!«

»Du bleibst!«

Der Knecht blieb gebannt neben seinem Pferde stehen,

»Der Schacht! Sprich, Mensch!«

»Eingestürzt, Gräfin!«

Kitty wankten die Knie! – »die sechs Mann tot?«

»Weiß man nicht! – Verschüttet!«

»Der Direktor?«

»Ist eingefahren.«

»Sattle Wildrose, Wir reiten! Wenn der Graf ein Wort erfährt, bist du entlassen.«

Zehn Minuten darauf ritt Kitty, verfolgt von dem Diener, auf Schwarzacker zu, Wildrose zur äußersten Leistung anspornend. Der jetzt herabprasselnde Regen kühlte das pochende Hirn. Sie sprengte den Weg zwischen den Halden hinauf, ohne eine Frage an die ab- und zueilenden Leute zu richten, die scheu der aus dem Dunkel plötzlich auftauchenden Reiterin auswichen. Vor der Grube drängte sich eine dunkle, grollende Masse. Weiber mit Kindern auf dem Arme, deren heile Stimmen grell das Gemurmel der Männer übertönten. Sie konnte nur zu Pferde diesen lebenden Wall durchdringen. Wildrose stutzte einen Augenblick, dann drang sie ein.

Die Erscheinung war so überraschend, der Ruf Kittys klang so schneidend aus dem Finstern heraus, daß die Menge wie von einer Panik erfaßt zur Seite wich, Sie wurde erst erkannt als sie vor der geöffneten, von zwei Bergleuten, die jeden unberechtigten Eintritt wehren mußten, bewachten Schachthaustür aus dem Sattel sprang. Wildrose ihrem eigenen Schicksal überlassend.

»Das ist brav von ihr! Bravo!« wurden Stimmen laut. Frauen drängten sich jammernd an sie, um mit ihr den Eingang zu gewinnen. Sie wurden von zwei Wächtern zurückgewiesen.

In dein düstern Räume vor dem Fördergerüste herrschte musterhafte Ordnung. Niemand ahnte hier die Katastrophe. Eine Gruppe Arbeiter harrte wohl als Ablösungsmannschaft der Einfahrt, mit dein gewohnten ernsten Schweigen des Bergmannes. Auf Kitty wirkte die Ruhe dieser Leute selbst beruhigend, sie unterdrückte gewaltsam ihre Aufregung und fragte mit zitternder Stimme nach dem Tatbestand. Ein Schacht war eingestürzt, wohl infolge Stützenberaubung eines größern Schichtengewölbes durch Unterwaschung. Allen vor Ort beschäftigten Arbeitern war es gelungen, zu entkommen bis auf vier Mann. Nun kam die verhängnisvolle Frage nach Franz. Der Direktor gehörte leider zu den Vermißten. Er war bereits mit den übrigen auf der Flucht, kehrte aber um, als er vernahm, daß drei Mann fehlten.

Vor Kittys Augen begannen die Grubenlichter zu tanzen, die Halle sich zu drehen.

Indessen ist noch Hoffnung. Man hat schon ein Pochen. im Gestein gehört. Die Rettungsarbeit ist im vollen Gange.

Dieser Zusatz des Steigers, an den sich Kitty gewandt, gab ihr die Fassung zurück.

In diesem Augenblick hob sich der Förderkorb aus der Tiefe. Wassertriefende, schwarze Männer traten heraus. Keine Frage, keine Antwort, jetzt empörte Kitty das Schweigen. Sie stürzte auf einen zu und hielt ihn fest.

»Sprechen Sie doch! Sie haben die Stimme gehört? Wessen Stimme? Prechting? Nicht wahr, Prechting?«

»Weiß ich nicht, gute Frau, jetzt heißt's arbeiten? Ganz gleich, wer ruft, einer so gut wie der andere. Wenn wir sie nicht bald herauskriegen, holt sie das Wasser.«

Die Ablösungsmannschaft stieg in den Förderkorb. In dem Augenblick, wo er sich zu senken begann, ehe einer der Umstehenden es wehren konnten, sprang Kitty hinein. In wirbelndem, eisigem Luftzug ging es hinab. Sie dachte ihrer ersten Fahrt an seiner Seite – als Hauerjunge! Sie stellte hastige Fragen an die sie umdrängenden Leute.

»Das Wasser! Das Wasser!« lautete immer die besorgte Antwort.

»Ertrinken in dieser Nacht!« Unnennbare Schauer packen sie. – Da war man schon angelangt.

Kitty hörte auf keine Vorstellungen, keine Warnung der Leute.

Mit derselben Ruhe, als ging es an die tägliche Arbeit, bewegte sich die Truppe vorwärts, dem Orte des Unglücks zu. Ein Wirrsal von Balken, Holztrümmern, Felsblöcken und Kohlengeröll schloß hier den Schacht. Die Enge des Raumes ließ immer nur zwei Mann arbeiten, die übrigen schafften, eine Kette bildend, das Material heraus.

Kitty gebot in einem Tone Halt, der jede Widerrede ausschloß – dann kniete sie vor dem Schutt.

»Franz!«

Deutliches Pochen war vernehmbar.

»Franz! Nur ein Wort, Franz!«

Ein unbestimmter singender Ton drang matt durch das Gestein. – Unmöglich eine Stimme zu erkennen. Jeder weitere Versuch war Verzögerung der Arbeit. Sie mußte zurücktreten. Eine qualvolle Zeit begann! Sie zählte jeden Spatenhieb, jede Schaufel voll Schutt, maß gierig den langsamen Fortschritt. Sie schämte sich ihres nutzlosen Zusehens und blickte mit Neid auf die arbeitsharten Arme der Männer. Das Wasser sickerte durch den Schutt, den Schacht langsam füllend. Das war bedenklich. Die Pumpen wurden angesetzt. Das Pochen klang immer näher – man arbeitete schon in der vierten Stunde.

Kitty strengte ihr Gehör aufs äußerste an, sie hatte keinen andern Gedanken, als seine Stimme zu hören. Endlich vernahm sie deutliche, menschliche Laute. Man hielt mit der Arbeit ein und ließ Kitty vor.

»Das Wasser! Rasch!« vernahm sie deutlich.

»Franz!« rief sie kreischend.

»Ja!« klang es deutlich zurück.

Ein donnerndes »Glück auf!« von den Arbeitern antwortete.

Kitty zuckte zusammen. Jax war ein junger Arbeiter, den sie zufällig kannte.

»Wer bei dir?« rief der Vorarbeiter.

»Drei!«

»Leben?«

»Einer!« klang die traurige Antwort.

»Wer?« rief Kitty mit Aufwand aller Kräfte.

»Weiß nicht! Wasser! Wasser!« klang es drängend zurück.

Die Arbeit begann mit neuer Hast. Die Antwort war nur so zu erklären, daß der Verschüttete sich an der Seite seiner getöteten Genossen in völliger Nacht befand, die ihn verhinderte, den einen noch Lebenden zu erkennen.

Die Ungewißheit erhöhte die Seelenfolter Kittys. Sie wollte ja nichts vom Leben, er soll sie verachten, verlassen, nur der eine Atmende soll er sein. Das Licht soll er wieder sehen – oder sie auch nicht mehr! Beide zusammen begraben im Schwarzacker! Wo sie ihr Heiligstes gelassen, was ein Weib besitzt, das erste Liebesstammeln, der erste Kuß, die erste Wonne an Mannesbrust! – Hier begann der Frevel, hier soll er auch enden. – Das wäre das Beste! Was dazwischen lag, erschien ihr jetzt in ihrem fiebernden, von den giftigen Gasen wie berauschten Gehirn als ein bunter, sinnloser Traum, der in der riesigen, flammenden Leinwand sich verkörperte, in dem weinenden Weibe im Dornengestrüppe – dem Bilde vom »verlorenen Paradies.« Sie ertrug nicht länger diese Tatlosigkeit. Als ein Arbeiter ermattet einen Augenblick zurücktrat, entriß sie ihm die Hacke und trat in die Reihe ein. In der dicken, von Kohlenstaub verfinsterten Luft, schmutzbesudelt, war sie von den übrigen nicht mehr zu unterscheiden und auch ihr Einhieb saß so gut wie jeder andere. – Jetzt dachte sie nichts mehr, eine Tollwut packte sie gegen den zähen Schutt, das Balkenwerk, das ihre Hiebe hemmte. Das Kleid hing in Fetzen von ihrem Leib, das schwere Haar war aufgegangen und hing in nassen Strähnen über das glühende Gesicht herab. Niemand wagte mehr, sie abzulösen. Die Arbeit wurde jetzt mit fieberhafter Hast betrieben. Man war den Verschütteten schon ganz nahe, man achtete nicht mehr auf das jetzt in Sprudeln herausströmende Wasser, das bis an die Knie reichte, nicht mehr auf die Zurufe des Arbeiters Jax. Eine dicke Staubwolke erfüllte den engen Raum, das Licht brannte kaum mehr in der dicken Atmosphäre.

Endlich ein Freudenschrei von drüben, der erste Lichtstrahl drang durch das Gewirr von Gebälk und Brettern, das den Arbeitern plötzlich Widerstand leistete. Jetzt galt es Vorsicht! Man wühlte mit den Händen eine Bresche und plötzlich zeigten sich vor Kitty zwei blitzende Augen – eine Hand streckte sich heraus.

»Dank, Kameraden!« Es war der Arbeiter Jax. Er wies nur noch stammelnd zurück in die finstere Höhle, die man eben geöffnet, dann sank er ohnmächtig zusammen.

Kitty benutzte den Augenblick und kroch mit dem Grubenlicht in die schmale Öffnung. Das Holzwerk eines eingestürzten Firstes hatte, sich klemmend, einen engen hohlen Raum geschaffen, der nirgends einen Ausweg bot. Ein Körper lag auf einer Erhöhung quer über den Boden, von schmutzigein Wasser bespült. Kitty ließ das Licht der Laterne darüber gleiten. Es war ein kleiner Mann mit grauem Haar. – Dicht daneben ein zweiter, das Haupt im Gebälk verklemmt, die Hände im Todeskampf geballt. – Auch nicht! – Sie hätte aufjauchzen mögen, trotz den Schauern des Ortes, des Anblicks.

Zwei Arbeiter waren ihr gefolgt, sie deutete auf die Toten und kroch, das Licht hochhaltend, weiter. – Wo war der Lebende? – Niemand soll ihm die erste Rettung bringen als sie. Da regte sich etwas im Dunkeln vor ihr.

»Franz! Ich bin's Kitty! – das Leben – das Licht!«

Immer tiefer bohrte sich der goldene Strahl des Lämpchens in die Höhlung – und dort an der wassertriefenden Wand saß er aufrecht, den Arm ihr entgegenstreckend, unverständliche Worte stammelnd, vom ersten Lichtstrahl, vom ersten leisen Luftzug, der durch die Öffnung drang, aus Todesschlummer geweckt.

»Dank! – Leute! – Die andern – helft!« Er hielt sie offenbar für einen Arbeiter. Sie betrachtete sein Haupt, es war mit geronnenem Blut bedeckt.

»Grüßt mir Kitty – bleibe in Schwarzacker! – Luft! – Wasser!«

Sein Körper sank zurück.

Die Arbeiter krochen herein. Als sie ihren geliebten Herrn erkannten, daß er atmete, lebte, war jede andere Sorge vergessen. In wenigen Minuten lag er wohlgebettet auf einem Kohlenhund und rollte, während Kitty an seiner Seite kauerte, das blutige Haupt in ihrem Schoß, der Auffahrt zu. Der eisige Windzug des großen Schachtes schon weckte ihn aus seiner Betäubung. Er starrte sprachlos in das über ihn sich beugende von dem Grubenlicht beleuchtete Antlitz Kittys. Eine unaussprechliche Seligkeit leuchtete aus seinen Zügen. Die schwebende, schwingende Bewegung nach aufwärts erhöhte wohl noch die Wonne des Fiebertraumes, in den auch Kitty ermattet, betäubt, sanft hinüberglitt. Als unter dem Jubelruf der Menge, die bereits von der Rettung des Direktors Kunde erhalten, der Förderkorb oben anlangte mitten im strahlenden Tageslicht, lag über den Körper Franz von Prechting hingestreckt eine triefende, schlammbedeckte, nur noch in Fetzen gehüllte regungslose Gestalt – Kitty! Man erkannte sie nur noch an dem üppigen Blondhaar, das in verworrenen; nassen Strähnen über Franz sich ergoß.

Kitty, die sich rasch erholte, wich nicht vom Leidenslager Franz von Prechting, dessen Kopfwunde die ernstlichsten Bedenken des Arztes erregte.

Es war der dritte Tag, als zum erstenmal ein Verständnis seiner Umgebung aufleuchtete in seinem Auge.

»Kitty,« sagte er mit dem rührenden Lächeln aus tiefer Ohnmacht Erwachender. »Weißt du auch, daß ich von dir geträumt?«

»Daß wir himmelwärts flogen, nicht wahr?« sagte Kitty.

»Du auch? Das ist sonderbar! Aus einem höllischen Orte, mitten hinein in die Sonne!«

»In das Paradies!« ergänzte Kitty, selbst göttlichen Abglanz im Antlitz. »Aus dem uns niemand mehr vertreiben soll.« Sie drückte das verbundene Haupt des Geliebten sanft zurück in die Kissen und verbot mit mühsam ernster Miene jede Frage.

Acht Tage darauf bewegte sich abends ein festlicher Zug auf der Straße nach Vals, die Knappschaft von Schwarzacker und Sittenfeld in schmucker Bergmannstracht mit brennenden Lampen, voran die Fahne mit der heiligen Barbara.

Als er im Schloßhofe angelangt, erschien Franz von Prechting auf der Terrasse, an seiner Seite Kitty, der alte Graf, Georg und Arabella.

Donnerndes »Glück auf« begrüßte sie. Dann hielt der älteste der Steiger die Ansprache. Von der Aufopferung des Direktors, der, schon gerettet, freiwillig zurückkehrte zur Unglücksstätte, um dort selbst fast den Tod zu erleiden. Ein leuchtendes Vorbild jedem Bergmann. Von den Mühen und Gefahren der Rettungsmannschaften, unten denen sich allen voran ein Arbeiter ausgezeichnet, den heute alle diese braven Männer mit ebensoviel Stolz als Ehrfurcht ihren treuen Genossen in Not und Gefahr nennen – die Tochter unseres erlauchten Herrn selbst – Gräfin Kitty.

Die übrigen Worte verschlang der Sturm des »Glück auf,« das ins Unendliche anschwoll, als Kitty, überwältigt von dem Eindruck, Franz an die Brust sank und seine Arme sie umschlangen. Jeder wußte, es war für immer.

Plötzlich fuhr Kitty jäh auf. Das Schloß, der Park, die ganze Landschaft stand in rotem Lichte und zu gleicher Zeit loderte es auch in Schwarzacker auf wie ein ungeheurer Brand.

»Sieh nur! Als ob es mich mahnen wollte,« flüsterte Kitty.

»Daß alles nur Schein war, ein rasch versprühendes Feuerwerk wie dieses hier, nicht aus der Wesenheit stammend und sie nicht berührend,« sagte Franz, sie an sich drückend.

Da erlosch der Brand, kein Fünkchen blieb. In erhabener Ruhe ging der Mond auf hinter zerrissenem Gewölk, mit seinem sanften Licht ein Fest verklärend, wie es Schloß Vals noch nie gefeiert.

Zum erstenmal zogen die Arbeiter von Schwarzacker als Gäste ein in seine alten ehrwürdigen Hallen, einen Bund zu feiern, der mitten in ihrer dunklen Welt, mitten in Not und Gefahr ihres Berufes geschlossen, der glückverheißendes Symbol ihnen war einer neuen Zeit – die Dämmerung des »verlorenen Paradieses.«


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