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Gral Seefeld erhielt am andern Morgen von Georg von Prechting folgenden Brief:

 

»Lieber Onkel!

Vor allen bitte ich dich um ruhig Blut. Die Sache ist lange nicht so schlimm, als sie dir im ersten Augenblick scheinen wird. – Ohne längere Redensart! Ich bin auf der Reise nach Wien, um mich dort mit unserer gefeierten Arabella trauen zu lassen. – Ich kann nicht anders. Ich liebe sie und bin überzeugt mit ihr glücklich zu werden. Kitty wird die Kunde eher Freude als Leid bereiten. Du kennst ja ihre Jugendliebe, die völlig zu ignorieren, eigentlich weder mir noch dir zukam. Ich rate dir dringend, lasse umgehend Franz kommen! Er allein ist imstande, Kitty vor einer Torheit zu bewahren, welche schweren Kummer bringen würde über dein Haus, und damit auch über mich. – Aber mit Vorsicht, sowohl Franz gegenüber, welcher den Zweck seiner Berufung nicht ahnen darf – du kennst ja seine Empfindlichkeit – als auch gegen Kitty. Sie darf unter keinen Umständen von diesen Zeilen etwas erfahren. Ich gebe mich der Hoffnung hin, durch den Rat, welche dieselben enthalten, den Kummer, den ich dir zu gleicher Zeit damit bereite, zum Teil wieder gut zu machen.

Stets dein treuer Neffe
Georg.«

 

Georg hatte sich denn doch in dem Alter des Grafen verrechnet, indem er im Beginn seiner Hiobspost ruhig Blut empfahl!

Vor zehn Jahren, da hätte er getobt, wie ein gereizter Löwe, hätte wahrscheinlich ein paar Pferde zuschanden geritten, oder wäre gar mit. dem ersten Zuge nach Wien gefahren, um den leichtsinnigen Burschen noch vor dem Altar, von seiner sauberen Braut zu trennen. – Aber heute knickte er einfach zusammen unter der Last der Ereignisse.

Gestern hielt ein Maler, ein Herr Makowsky, um Kitty, des Grafen Seefelds einzige Tochter an! Heute heiratet ein Baron Prechting eine Kunstreiterin!

Das war zu viel für seinen alten Kopf. Er sah darin kein zufälliges Zusammentreffen mehr, sondern ein Zeichen, daß seine Zeit vorüber, daß eine andere nahe, von der er nichts mehr wissen wolle. Der Zusammenbruch alles dessen, was ihm teuer war und ehrwürdig.

Er hatte überhaupt nur den ersten Teil des Briefes gelesen. »Trauen zu lassen.« Was kümmerten ihn alle weiteren Entschuldigungen, Erklärungen.

Immer wieder las der Graf die eine Zeile: »Um mich mit unserer gefeierten Arabelle trauen zu lassen.« Mit » unserer!« Was soll das heißen? Allmählich stieg ihm eine andere Röte als die des Zornes in das Antlitz. – Das Verständnis dämmerte in ihm auf, dieses sonderbaren »unserer.« In diesem Mädchen verkörperte sich das einzige Ideal seines ganzen Lebenskreises, die rohe körperliche Kraft und Fertigkeit, die im Sport den besten Ausdruck fand, die tierische Genußfreudigkeit, ohne jedes ernste Ziel – das Ideal, weiches alle andern, erhabenen, die einst den Adel groß gemacht, ihm seine innere Würde verliehen, verdrängte. Hatte er das Recht, sich zu beklagen, daß ein Glied desselben ihm zum Opfer fiel? War er nicht der Mitschuldige? Huldigte er je einem andern? Kannte er je ein anderes? – Er las weiter: – »er allein ist imstande, Kitty vor einer großen Torheit zu bewahren« – diese Worte erschreckten ihn fast noch mehr, trieben den Schweiß auf seine Stirn. – Nach dem, was sich vor einer Stunde ereignete, konnte er sie nicht mißverstehen. Kitty wußte um den Antrag Makowskys, war einverstanden damit! Im Atelier – in der Grotte – ihre Verwirrung! – Sein einziges Kind, die Erbin von Vals, einverstanden mit dem Maler! – Er schleuderte den Brief auf den Tisch und ließ seinem Zorn freien Lauf, die Hände ballend, vor sich hingrollend, verzweifelnd lachend – dann wurde er plötzlich wieder nachdenklich. – Wie sie nur dazu kam, so abtrünnig zu werden? Alle ihre Grundsätze, die er ihr von Kind auf eingepflanzt über Bord zu werfen – alle ihre Ideale! – die Ideale Georgs, seine Ideale – eine vortreffliche Hundemeute, eine berühmte Pferdezucht – eine gute Jagd! Wenn in ihr plötzlich das Bedürfnis nach andern Idealen erwacht – es gab andere, es mußte andere geben, er fühlte es jetzt wie noch nie – war sie deshalb so verdammenswert? Waren sie am Ende doch dort zu finden in dem bunten Wirrwarr des Makowskyschen Ateliers? In den tollen, sinnverwirrenden Bildern? In der üppigen, schwülen Grotte mit dem Thron aus Pappe? Nein nimmermehr! – Seine ganze gesunde Natur sträubte sich dagegen. Dort nicht! Das war alles krank, weichlich. Das schlich sich wie Gift in das Blut seines Kindes. Lieber noch das andere! Da lag doch noch Kraft darin, Natur, Gesundheit!

Lieber Arabella als Makowsky! – Franz! – Ja, das wäre der Mann! – Er stand vor ihm in seiner schlichten ernsten Männlichkeit, und wie ein Blitz durchleuchtete es ihn das ist's! Das Ideal, nach dem dieser getrachtet, Arbeit, Pflichtbewußtsein! Etwas Positives leisten, mitschaffen an der großen Kulturarbeit der Zeit. Je größer die Kraft, desto größer die Pflicht. – Und diesen Mann hatte er Vermögensrücksichten geopfert, obwohl er wußte, daß Kitty ihn Georg vorzog. – Also war er allein schuld, er hatte ja kein Recht mehr, seinem Kinde Vorwürfe zu machen! Her mit Franz! Er wird alles gut machen! Kitty wird erwachen wie aus wüstem Traume und glücklich sein. – Eine Vaterliebe ergriff ihn zu Franz, dem Retter! – Ja, er sah jetzt eine Fügung des Himmels in den Ereignissen. Und Kitty sollte überrascht werden – nicht weil er etwa eine Torheit fürchtete – was für eine Torheit denn? Daß sie sich den Kopf von dem Phantasten etwas verdrehen ließ? Den wird der Franz gleich wieder zurechtrücken. Nein – nur um ihr eine rechte Freude zu bereiten.

Er faltete den Brief, zufrieden lächelnd, zusammen, und ging selbst, so jeden Verrat vermeidend, um die Depesche aufzugeben an »seinen Franz.«

Kitty empörte das völlige Schweigen des Vaters über Makowskys Antrag. Er mußte sich doch denken, daß irgend ein Anlaß dazu auch von ihrer Seite gegeben worden sei. Er interessierte sich nicht einmal für ihr innerstes Empfinden, das kam überhaupt nicht in Frage. – So erwartete sie mit heller Schadenfreude die Nachricht Georgs betreffs seiner Vermählung mit Arabella. Was hatte er für einen Grund, dieselbe dem Vater zu verbergen? Ja, sie dachte bereits darüber nach, ob dies nicht der geeignete Augenblick sei, ihre Liebe zu Makowsky offen zu gestehen und um seine Einwilligung zu bitten. Der Vorwurf, sein Kind beinahe einem Manne geopfert zu haben, welcher ihr die nächst beste Kunstreiterin vorzog, mußte ihn entwaffnen. Doch der Vater war stets in bester Laune, von einer ihr so ungewohnten Herzlichkeit, daß sie sich lebhaft beunruhigt fühlte. Es lag eine Gefahr in der Luft! Die als Äußerstes geplante Flucht erschien ihr in dem verschiedenartigsten Lichte. Bald völlig berechtigt, einem rücksichtslosen Vater gegenüber, reizvoll in ihrer romantischen Abenteuerlichkeit, als Gewähr für eine über alles Menschliche erhabene Liebe, bald ehrlos, verbrecherisch, als eine ungeheure Gefahr, in deren Abgrund sie nicht einmal zu schauen wagte.

Nach drei Tagen wurde der Zustand unerträglich. Sie hatte erfahren, daß der Graf mehrere Depeschen erhalten. Unbedingt von Georg. Warum schwieg er ihr gegenüber? War es ihm am Ende gelungen, Georg von der Ehe mit Arabella noch im letzten Augenblick abzuhalten, auf daß er reuig zu seiner Tochter zurückkehre? Ihr Blut empörte sich bei dem Gedanken. Da war sie zum Äußersten nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet.

Am Abend des dritten Tages nach der Unterredung im Park trug die Lampe in Kittys Zimmer einen roten Schirm. Um jeden Preis mußte der Geliebte von der ihm drohenden Gefahr unterrichtet werden. Zu schreiben wagte sie nicht, noch weniger einen Besuch im Atelier! Es sollte sich ja nur um eine kurze Zusammenkunft handeln, noch dachte sie nicht an Flucht.

Der nächste Tag brachte ihr den Beweis, daß sie die schmachvolle Wahrheit geahnt. Wieder war eine Depesche eingetroffen. Sie machte auf Papa den heitersten Eindruck, ja, er ließ sich sogar zu unklaren Anspielungen auf eine freudige Überraschung hinreißen, die sie anfangs zwar etwas verwirrten, zuletzt aber doch nicht anders gedeutet werden konnten. Als er nachmittags das Haus verließ, hielt sie sich völlig berechtigt, in seinem Zimmer nach der Depesche zu suchen. – Lange vergeblich. – Endlicht entdeckte sie im Papierkorb einige Fetzen. Sie setzte sie sorgfältig zusammen. Es war nicht die letzte Depesche, aber völlig genügend: »Unmöglich vor Donnerstag abend. Prechting.« Da stand es! Erbärmlichster Verrat, den je ein Vater ersonnen. Er wird den Elenden mit den glänzendsten Versprechungen zurückgelockt haben. Arabella wird mit Geld entschädigt worden sein. Sie war ja praktisch, verstand ihren Vorteil, und am Ende konnte es ja auch nach dem »beim alten« bleiben. Und das alles, diese Fülle von Gemeinheit, um sie dem Geliebten für immer zu entziehen, der sich ihrer erbarmt, der sie herausziehen will aus diesem ekeln Sumpf, in dem sie geboren und gelebt, aber um keinen Preis untergehen will. Eine zornige Energie erwachte jetzt in ihr. Sie dachte nicht an Flucht, offen wollte sie dem Vater und Georg gegenübertreten, ihm den schmachvollen Betrug vorhalten, ihre Liebe zu Makowsky bekennen, jetzt hatte sie ein Recht darauf, über sich selbst zu verfügen, und niemand soll es ihr mehr streitig machen. Makowsky soll heute alles erfahren, daß sie entschlossen sei, offen in den Kampf zu treten, auf jede Heimlichkeit und List zu verzichten. – Sie war glücklich, zu diesem Entschluß gelangt zu sein; ihrer ganzen Natur sagte diese offene Kampfesart mehr zu. Der Wiener Schnellzug traf um sieben Uhr ein. Um sechs Uhr wird sie Makowsky sprechen, das wird ihr doppelten Mut verleihen. – Nicht zögernd, zitternd, im Gefühle des Unrechts, kämpfend mit der Scham, legte sie, als es dunkel wurde, den roten Schirm zum zweitenmal um die Lampe, sondern in dem Bewußtsein, in einen völlig berechtigten Kampf zu treten um ihr Heiligstes, das man mit rohen Händen anzutasten wagte. – Und mit einer Sicherheit, die ihr andernfalls gewiß gefehlt hätte, begab sie sich Schlag sechs Uhr zu dem Stelldichein. – Den Hauptweg vermeidend, schlich sie durch den Park.

Wie damals, als sie mit Makowsky zusammentraf, lag ein kalter, feuchter Nebel zwischen den Bäumen. Da hielt ein Wagen vor dem Parktor, eine Kutschenschlag ward zugeworfen. Sie versteckte sich rasch hinter einem Baume. Ein Mann kam eilig dem Hause zu – ein großer Mann! – Sollte er mit einem frühern Zuge gekommen sein? Dann wird man nach ihr fragen, ihre Abwesenheit bemerken! Anderseits mußte sie Makowsky sprechen. Sie mußte wissen, ob es Georg war! Als gewandte Jägerin schlich sie eilig von Stamm zu Stamm. Jetzt traf ihn das durch den Nebel dringende Licht des Kandelabers vor dem Portale. Das war nicht Georg. – Der Mann war groß und auffallend breit. – Noch einen Sprung näher. – Ein Ästchen krachte unter ihren Füßen. Er wandte sich – sie sank in die Knie vor Schreck – Franz! – Kein Zweifel, Franz! – Ihr ganzes Gebäude, das sie mit innerer Genugtuung aufgetürmt, stürzte dröhnend zusammen. Das heilige Recht, der falsche Georg, der gewissenlose Vater, der entbrennende Kampf um den Geliebten, nach dem sie sich förmlich gesehnt – alles vorbei! nur die Schuld blieb – die Sünde!

Der Jugendfreund, an dessen Herzen sie schon geruht, nahte, sie zu retten, gerufen vom ratlosen Vater. Jetzt käme es an sie, das Lügen und Heucheln – von dem Stelldichein kommend mit einem andern, dem sie Liebe geschworen, vor Franz hinzutreten – ihm alles gestehen, seine Vergebung zu erflehen – wofür? – Was hatte sie verbrochen? – Oder einfach tun, was sie getan, wenn Georg gekommen wäre, ihr Recht behaupten, um ihre Liebe kämpfen. Was kümmerte sie der Mann, welcher sie um kleinliche Rücksichten aufgegeben! – Franz war nicht mehr zu sehen, und noch lag sie auf den Knien und rang mit sich selbst. Da wurde es laut im Hause. Man empfing ihn. – Oder sollte am Ende schon ihre Abwesenheit entdeckt sein? Plötzlich sprang sie auf und floh hinaus auf die Straße, wie ein gehetztes Wild, um die Ecke. Die schwarzen Umrisse eines Wagens waren im Nebel erkennbar. Sie eilte darauf zu. Der Schlag öffnete sich. Zwei Arme umfingen sie stürmisch, ein heißer Kuß flammte auf ihren Lippen.

»Bist zu bereit?«

»Ich bin's, Geliebter! Ich muß!«

Dann ward es Nacht in ihr, um sie, das Rollen des Wagens zum Donner, das Leuchten der Straßenlaternen zum Blitzen, und zitternd, frierend schmiegte sie sich immer enger an den Geliebten.

Vals hatte noch nie eine so ruhige Sommersaison gesehen. Man hörte kein Hundegebell, kein fröhliches Halali, keinen Schuß im Walde, die lustige Gesellschaft von einst war nicht mehr zu sehen. Vals glich einem Trauerhause, aus dem man das Liebste, Teuerste vor kurzem erst hinausgetragen.

Um so kräftigeres Leben pulsierte in Schwarzacker. An allen Enden und Ecken wurde gebaut, Altes niedergerissen. Ein zweiter Kamin erhob sich neben dem alten geschwärzten und stieß mit frischen Lungen eine mächtige Rauchsäule gegen den Himmel. Die Arbeiterzahl war beinahe verdoppelt und es hatte den Anschein, als ob die Leute sich rascher hin und her bewegten, die Augen freundlicher, mutiger blickten aus den rußigen Gesichtern, wie vor einem Jahre. Neue Jugend schien über das alte Werk gekommen mit seinem neuen Leiter Franz von Prechting.

»Du darfst mich nicht verlassen, Franz, nur unter der Bedingung folge ich deinem Rat in dieser schweren Stunde.«

Diese Worte des Grafen Seefeld bestimmten Franz, die oberste Leitung von Schwarzacker zu übernehmen.

Die schwere Stunde! – Einige Tage nach Kittys Flucht kam ein Brief aus Florenz, in welchem sie ihr Vergehen zu entschuldigen versuchte, die Schuld daran dem Vater selbst aufbürdete. Daran schlossen sich leidenschaftliche Schilderungen ihrer Liebe zu Makowsky, zuletzt die Bitte um den väterlichen Segen zu einer ehelichen Verbindung, doch vermochte sie sichtlich den Übergang von trotziger Willensbetätigung zu einem weichern, versöhnlichem Tone nicht zu finden und verfehlte daher die beabsichtigte Wirkung.

Dieser Brief vernichtete die letzte schmerzliche Regung über den Verlust des einzigen Kindes und ließ mehr den gerechten Zorn, die Erbitterung in dem Grafen zurück über die ihm angetane Schmach.

Der Rat Franzens – welchem es wenigstens gelungen war, den Grafen in der ersten Wut von dem törichten Schritte einer gerichtlichen Verfolgung des flüchtigen Paares abzuhalten – ging dahin, sich in das Unabänderliche zu fügen, durch möglichst rasche Eheschließung einen nutzlosen öffentlichen Skandal zu verhindern. So tiefen Kummer ihm auch der wahnsinnige Schritt Kittys bereitete, so sehr er auch überzeugt war, daß sie denselben zu ihrem Unglück getan, bei der Gesinnungsart Kittys durfte er, abgesehen von der Zwangslage, keinen andern geben.

Graf Seefeld verwarf ihn. Er habe kein Kind mehr, Nie werde er dulden, daß sein Vals nach vielhundertjährigem Besitz seines Hauses in die Hände dieses dahergelaufenen Schurken falle, der sein Kind verführt. Er sprach von Enterbung. Auch Georg sei für ihn verloren. Dabei erfuhr Franz zum erstenmal den Schritt seines Bruders. Er habe nur ein Wesen mehr, ihn, Franz! Den er in die Welt habe hinausziehen lassen, wie einen Handwerksburschen, in seiner Verblendung. Aber jetzt wolle er alles wieder gut machen, er müsse bleiben, die Leitung Schwarzackers bis auf weiteres übernehmen.

Franz weigerte sich entschieden, triftige Gründe bestimmten ihn dazu.

Der Graf tobte über den Widerstand, den er auf allen Seiten fand, weinte über seine Verlassenheit.

Franz blieb standhaft, es stand zu viel für ihn auf dem Spiel.

Nun sprach der Graf die für ihn entscheidenden Worte. Er machte sein Bleiben zur unablässigen Bedingung, unter welcher allein er seine Einwilligung zu Kittys Vermählung geben wolle. So blieb Franz.

Graf Seefeld fuhr in derselben Nacht nach Vals. Niemand erfuhr von Kittys Flucht, man vermutete sie bei dem Vater.

Einige Wochen später wurde die Vermählung der Gräfin Kitty Seefeld mit dem Maler Paul Makowsky öffentlich bekannt gemacht. Zu einer weitern Annäherung und Aussöhnung ließ sich der Graf auch durch Franz nicht bewegen. Auch nachdem die Makowskys nach zwei Monaten in die Residenz zurückgekehrt waren, bestand keinerlei Verbindung zwischen ihnen und Vals. Der Graf verbot, den verhaßten Namen in seinem Hause auszusprechen. Ebenso hielt er es mit Georg und seiner Frau, die sich schon nach wenigen Wochen in Sittenfeld häuslich niederließen. Freilich konnte er nicht umhin, bei der Anstandsvisite, die Georg notgedrungen mit Arabella in Vals machte, sich offen zu gestehen, daß ihm die schöne Frau ganz gut gefallen habe. Er hatte sich die Person ganz anders gedacht; unverschämt auf ihre neue Stellung pochend, tüchtig aufgedonnert. Anstatt dessen kam ihm eine vornehme aber höchst einfach gekleidete Dame, mit einer von Herzen kommenden Ehrerbietung entgegen, deren Ansichten so vernünftig und klar, deren Äußerungen über die bedenklichsten Dinge, besonders in Beziehung auf Kitty, von bewundernswertem Takte waren. Jetzt, nachdem ihm mit Kitty das Unglück widerfahren, betrachtete er die Heirat Georgs mit einer gewissen Schadenfreude. Beide waren Mesalliancen der schlimmsten Art in seinen Augen, die zu nichts Gutem führen konnten, wenigstens rächte sich die Untreue Georgs an ihm selbst. Diesen Glauben nahm ihm der Besuch vollständig, und wenn er auch zu gutartig war, um sich darüber zu ärgern, so brachte er es doch nicht über sich, seine Schroffheit abzulegen und Arabella als Verwandter entgegenzukommen; er hätte darin auch eine Ungerechtigkeit gesehen in bezug auf Kitty. So blieb es bei dem ersten Besuche und es bestand keine weitere Beziehung zwischen Vals und Sittenfeld.

In seiner Verlassenheit schloß er sich innig an Franz an. Er wußte, wie auch er im geheimen trauerte um Kitty, und in der Tiefe seines Herzens, wo die Liebe zu seinem Kinde nicht erloschen war, keimte der Gedanke, Franz könne einmal, wenn er nicht mehr war, die einzige Stütze seines unglücklichen Kindes sein. Die notwendige Folge dieser innigen Beziehung war, daß er sich rasch dem ihm bisher fremdartigen Ideenkreise des jungen Mannes anbequemte, gewissermaßen sein Schüler ward. Er lernte jetzt seinen Besitz, der bisher für ihn nur eine reichliche Einnahmequelle war, erst kennen und lieben. Ebenso überzeugte er sich von der unverantwortlichen Vernachlässigung, der schlechten bisherigen Wirtschaft seiner Beamten, welche mit der Zeit auch den größten Reichtum gefährden mußte. Besonders »Schwarzacker« war in einer entsetzlichen Verfassung und durch sinnlosen Raubbau, Vernachlässigung selbst der gesetzlichen Vorschriften bei dem Abbau, geradezu gefährdet.

Franz griff mit Energie ein und wußte auch den Grafen lebhaft für seine Reform zu interessieren. Beide waren täglich auf dem Werke zu sehen. Ihr reger Eifer, ihr warmes Interesse teilte sich dem unbedeutendsten Glied dieses komplizierten Körpers mit. Ein mißlicher Umstand, welcher einst ein Hauptmotiv der bekannten Heiratspläne der Frechlings und der Seefelds war, machte sich jetzt bei näherer Einsicht und intensiverem Betriebe des Werkes immer mehr geltend. Die Seefeldsche Grube Schwarzacker und die Prechtingsche Sittenfeld bildeten ein fortlaufendes Kohlenflöz, die wirtschaftliche Trennung infolge verschiedener Besitzer erschwerte von je her den Abbau. Waren die Gruben in einer Hand, unter einer Leitung, mußte ihr Wert bedeutend wachsen. Dieser Übelstand machte sich immer mehr geltend, je mehr man sich von beiden Seiten der Grenze näherte, und hatte jetzt seinen Höhepunkt erreicht.

Franz arbeitete einen völlig neuen Wirtschaftsplan aus, gegründet auf die Idee einer Betriebseinigung, der verglichen mit dem bisherigen, ungeheure Vorteile bot, und legte ihn seinem Bruder wie dem Grafen vor.

Georg erklärte, er habe keinen Anlaß, dem Grafen entgegenzukommen, der gegen seine Gattin eine so abweisende Haltung bewahre. Der Graf weigerte sich entschieden, geschäftlichen Interessen seine Ansichten zu opfern, Irgend welcher Bedingung sich zu fügen. Das ganze Projekt schien rettungslos verloren, zur Verzweiflung Franzens.

Eines Tages war er eben im Zeichnungsaale von Schwarzacker bemüht, dem Grafen die unabweisbare Notwendigkeit einer Vereinbarung mit Sittenfeld zu beweisen, da kam eine Dame den Weg herauf, dem Werke zugeritten – die Baronin Prechting. Graf Seefeld war an das Fenster getreten und betrachtete mit Behagen die herrliche Reiterin. Seit langer Zeit war ihm der Anblick versagt. Die Tränen traten ihm ins Auge, er dachte an Kitty. Eben dieser Gedanke weckte ihn aus seiner Betrachtung.

»Was will die Person auf Schwarzacker? Empfange du sie, Franz,« sagte er verdrossen. »Wird ihr selbst lieber sein.«

Damit wollte er sich entfernen, doch Franz ließ ihn nicht.

»Sie bringt nichts Schlimmes und daß sie dich nicht mit Bitten belästigt, dafür stehe ich ein. Es sähe ja aus, als hättest du Furcht vor ihr.«

Da sprang Arabella schon draußen aus dem Sattel mit einer Gewandheit und Grazie, die dem Grafen einen lauten Ausruf des Beifalls entlockte. Dann nahm er plötzlich, mit für Franz komischem Zwang, eine schroffe Haltung an.

Arabella trat ein mit ihrem gewohnten Reiterschritt, sich vor dem Grafen tiefer verneigend, als es ihr zugekommen wäre.

»Sie werden erstaunt sein, mich hier zu sehen,« begann sie, »aber da es sich um Dinge handelt, welche mir wichtiger erscheinen als die Umstände, die mich fern halten sollen, muß ich Ihnen wohl lästig fallen.«

Graf Seefeld bot ihr, eine verworrene Phrase murmelnd, Platz an; doch Arabella hatte sich bereits über die aufgeschlagene Zeichnung gebeugt, welche das Profil des ganzen Kohlenflözes von Schwarzacker und Sittenfeld darstellte.

»Sehen Sie nur, Herr Graf,« sagte sie, mit dem Griff des Reitstocks die Stelle bezeichnend, an welcher Franz den beabsichtigten Durchschlag mit roter Schraffierung markiert. »Wir liegen ja da wie zwei feindliche Maulwürfe voreinander, die sich den Weg versperren. Wenn wir zusammen hier fördern können, ersparen wir uns ja die Hälfte der Arbeit. Wir können uns frei bewegen, während wir jetzt förmliche Schleichwege einschlagen müssen, um zu unserer Kohle zu gelangen. Warum sollen wir uns nicht, wenigstens vierhundert Meter tief unter der Erde, die Hand reichen, wenn uns schon am Tageslicht Verhältnisse daran verhindern, die hier unten längst nicht mehr wirken.«

»Das ist sehr klug gesprochen, sehr klug,« entgegnete betroffen der Graf. »Sie scheinen ja vortrefflich orientiert zu sein, für eine Frau sehr ehrenwert! Die Sache läge ja hauptsächlich in meinem Interesse –, aber eine so kluge Frau wird auch begreifen, wie peinlich es ist, darüber zu reden, aber eben weil Sie so klug, so einsichtsvoll...«

»Es ist Ihnen wohl weniger peinlich, wenn ich Ihre Gedanken selbst ausspreche,« sagte Arabella. »Diese kluge Frau wird gewisse Bedingungen setzen, Sie wird verlangen, daß die Hand, welche ihr vierhundert Meter unter der Erde gereicht wird, sich auch am Tageslicht ihr nicht mehr entziehe. Sie wird einen Handel machen wollen, Vorteil gegen Vorteil! Sie wird sich auf diese Weise in das gräfliche Haus einschmuggeln wollen. Um Sie darüber zu beruhigen, bin ich eben selbst gekommen, ohne Wissen meines Mannes. Ja, ich will einen Handel machen, ich verhehle es nicht, aber einen ganz andern als Sie vermuten. Das Objekt des Handels sind auch zwei Hände, aber nicht unsere zwei Hände, Herr Graf. Darüber beruhigen Sie sich, Herr Graf. Ich schwöre Ihnen, zwischen uns soll oberirdisch sich nichts verändern, so lange es nicht Ihr eigener Wille ist!«

»Ich bin ein schlechter Rätsellöser, Baronin,« entgegnete der Graf.

»Nun, so will ich deutlicher sein. Diese Hand« – sie wies auf die Rechte Graf Seefelds – »und eine andere, welche schon längst sich sehnt, sich in die Ihre zu legen raten Sie noch nicht? – Ihres Kindes Kittys!«

Des Grafen Antlitz verfinsterte sich, er machte eine abweisende Gebärde.

»An dem Tage, an welchem diese beiden Hände sich ineinander legen, steht dem Durchschlag auf Strecke zwölf von Schwarzacker nach Sittenfeld nichts mehr entgegen. Ist die Bedingung zu hart? Vermuten Sie noch eine Falle dahinter? Eine List?«

»Onkel, schlag ein!« rief begeistert Franz. »Nie wurde ein besserer, glücksverheißenderer Vergleich geschlossen.«

Der Graf war sichtlich bewegt, doch verdroß ihn die Überrumpelung, gerade von dieser Seite. »An mir ist es nicht, die Hand zu bieten.«

»Das sollen Sie auch nicht,« entgegnete Arabella.

»Sie waren bei ihr, haben mit ihr darüber gesprochen? Ach, ich vergaß, Sie sind ja alte Bekannte – Vertraute sogar. – Nun, da werden Sie wahrscheinlich auch wissen, daß Frau Makowsky sich durchaus nicht heraussehnt aus ihrem neuen Feenreich, nach dem langweiligen Vals.«

»Ist nicht so schlimm mit dem Feenreich, als Sie sich denken, Herr Graf. Ich glaube, es hat schon bedenkliche Risse bekommen.«

»Sie ist nicht glücklich, wollen Sie sagen? Jetzt schon?« Der Graf stellte die Frage heftig, seine ganze Zurückhaltung vergessend.

»O, das will ich nicht sagen, wenn sie sich auch erst an die bekannten Launen eines großen Künstlers gewöhnen muß. Jedenfalls kann von einem reinen Glück nicht die Rede sein, solange sie mit ihrem Vater nicht ausgesöhnt ist.

»Wissen Sie das aus ihrem eigenen Munde?«

»Ja!«

»Nun, dann geben Sie ihr den guten Rat, sie soll tun, was ihr einzig geziemt, hierher eilen, sich mir zu Füßen werfen, um meine Verzeihung flehen. – Sie werden ihr ja schon oft guten Rat erteilt haben?«

»Das habe ich auch, und hätte sie ihn befolgt, wäre ihrem Vater ein großer Kummer erspart geblieben.«

»Wirklich? Das hätten Sie? – Ja, ich glaube jetzt fest, daß Sie das getan haben. – Nun, so gebe ich Ihnen die Ermächtigung, ihr auch diesen zu geben. Das ist alles, was ich tun kann.« Der Graf ging erregt im Saale auf und ab.

»Aber ich kann nicht tun, was Sie verlangen.«

»Warum nicht?«

»Weil die ehemalige Kunstreiterin nicht die geeignete Vermittlerin ist zwischen Kitty und ihrem Vater. Solche kranken Seelen sind äußerst feinfühlig, Herr Graf.«

Der Graf betrachtete verwundert Arabella. »Nicht feinfühliger als Sie, Nichte – eine kerngesunde, brave Seele! – Hier, meine Hand, Arabella. Wir wollen einen Vergleich schließen. Die Scheidewand soll fallen zwischen Schwarzacker und Sittenfeld, nicht nur unter, sondern auch über der Erde. Zeuge sei der hier.« Er wies auf Franz. »Das Siegel ein Kuß von deinen schönen Lippen, Nichte ...«

»In handfester, reinster Prägung!« ergänzte freudig Arabella, den Grafen herzhaft küssend.

»Und jetzt, Kinder,« sagte er mit zitternder Stimme, »schafft mir Kitty her.«

»Herr Schwager, das ist Ihre Aufgabe. Ich wüßte keinen bessern Sachwalter!« sagte Arabella zu Franz gewandt, dessen helle Freude über die glückliche Wendung durch diese Äußerung sehr beeinträchtigt schien.

»Ja, du Franz, mußt sie mir bringen. Wenn sie dich sieht, muß die Erinnerung in ihr erwachen an ihre glückliche Jugend, an die Heimat, an ihren alten Vater, der zwar viel an ihr gefehlt, aber sie auch über alles geliebt hat. – Franz, ich weiß alles! Schlage mir's nicht ab – eben deshalb darfst du es nicht.«

»Denke an den Durchschlag, Schwager! Er findet an dem Tage statt, an dem du Kitty bringst!« sagte Arabella.

»Und ein Freudenfest wollen wir feiern, wie Schwarzacker noch keines erlebt, an diesem Tage! Ich habe es, bei Gott, satt, das traurige Leben!« jubelte jetzt Graf Seefeld.

Franz sagte schweren Herzens zu. »Und er soll natürlich mitkommen?«

Das wird wohl sein müssen! Hm! An ihn habe ich dabei eigentlich gar nicht gedacht, an den ...« Die Zornader schwoll auf der geröteten Stirn des Grafen. »Aber höre, Franz, betteln, betteln tue ich um beide nicht, hörst du? Daß du nur keine Dummheiten machst! Reuig, ihr schweres Unrecht einsehend, müssen sie kommen, sonst lieber nicht! Besonders er – er! Das Volk bildet sich am Ende noch ein, man müsse sich eine Ehre daraus machen! Na, du kennst mich ja, Franz! jetzt geht, Kinder, so etwas muß man mit einem Schwertstreich durchhauen. Nichte –« er reichte Arabella die Hand – »mir ist's, als könnten wir noch recht gute Freunde werden. Grüß mir den Georg! Er soll sich bald sehen lassen auf Vals.«

Er eilte rasch, als ob er einen Rückfall fürchtete, aus dem Zeichensaale.

Arabella machte Franz Vorschläge betreffs einer Betriebsleitung, welche einen praktischen Einblick in die Verhältnisse und geradezu überraschende technische Kenntnisse verriet.

Franz war so zerstreut, daß er ihr kaum folgen konnte. Plötzlich unterbrach er sie mitten in ihrer Auseinandersetzung, sich auf die Karte lehnend, mit der Frage: »Sagen Sie mir nur eins! Wie haben Sie Kitty getroffen?«

»Sehr verändert! Aus der tollen Komtesse ist in der kurzen Zeit eine geistreiche, höchst interessante Dame geworden, ganz ätherisch, wie der Makowsky sie malt, mit den bleichen Gesichtern, aus denen große Märchenaugen blicken, als ob er sie verzaubert hätte! – Nehmen Sie sich in acht, Herr Schwager! Sie ist gefährlicher als je!"

»Ja, Sie haben recht, Arabella, nichts ist gefährlicher als das Mitleid mit einem Wesen, das man einst – verehrt. Aber er? Er trägt sie doch auf Händen? Sie hat ihm doch alles geopfert, sie muß ihn ja unendlich lieben?« fragte Franz erregt.

»Er trägt sie auf Händen wie einen kostbaren Stein, auf dessen Besitz man stolz ist, dessen Ausstrahlung das Auge gierig einsaugt, wie ein Götzenbild, von dessen Zauber er Heilung hofft. Er malt nur sie seit Monaten, in allen erdenklichen Auffassungen, Kostümen, Wendungen, und es kommt mir vor, als ob diese beständige Spannung der Nerven, diese ständige Pose, dieser Kultus ihrer Schönheit erschlaffend auf sie wirke. Aber am Ende, sie fühlt sich glücklich in dieser Hingebung ihres ganzen Wesens, und das ist die Hauptsache.«

»Die Hingebung einer schönen Sklavin! Das glaube ich nimmer! Diese frische duftige Heideblume muß verdorren in dieser schwülen, kranken Luft!« Franz vergaß ganz die Anwesenheit seiner Schwägerin. Bitterer Vorwurf, wilde, unmögliche Gedanken gärten in ihm. – »Sie muß heraus! Aufs Pferd! Auf die Jagd! Wenn ich bedenke, daß ich vielleicht mit schuld bin durch meine Geringschätzung von dem allem! Ich muß heute noch zu ihr – sofort! Ich will ihm sagen ...« Eine jähe Leidenschaft blitzte auf in dem sonst so milden, ernsten Auge, die Fäuste ballten sich, ein Kampfgelüst schwellte die Brust.

»Nein, Schwager, so gehen Sie nicht!« sagte Arabella die Franz scharf beobachtete, ihn bei der Hand fassend. »Sie müssen als Freund kommen; wenn Sie das nicht können, wage ich es! – Jetzt aber reiten wir zusammen zu Georg und setzen den Vertrag auf. In acht Tagen kann der Durchschlag stattfinden, dann feiern wir das große Friedensfest.«

»Arabella, ich bewundere Sie!« sagte Franz, sie mit wahrer Andacht betrachtend.

»Weil Sie mich zuerst verachtet; – sehr einfach!«

»Nicht verachtet, das ist nicht meine Art, aber nicht gekannt.«

»Wir kennen uns alle nicht, daß ist ein großes Übel in der Welt. Daher alle Verbitterung, aller Haß, alle Enttäuschung. Ein ewiges großes Mißverständnis! Die Geschichte vom Turm zu Babel!«

Franz mußte sich sagen, daß sie nur zu recht habe. Er war doch gewiß kein Junker, eher von etwas zu freien Anschauungen für seinen Stand und seine Stellung. Er achtete den geringsten Arbeiter, wenn er seine Pflicht tat, aber gegen seine Schwägerin hatte er bisher ein unbezwingbares Vorurteil. Er mied jeden Verkehr mit Sittenfeld fast so sorgfältig wie der Graf. – Der Grund? Sie war eine Kunstreiterin! – Er kannte diesen Beruf nicht im geringsten, aber er war gewöhnt, darüber Ungünstiges zu hören, verächtlich darüber zu denken; er ertappte sich beschämt über derselben Schwäche, die er an andern so oft gerügt. Sein Ritt an Arabellas Seite nach Sittenfeld verstärkte nur dieses Gefühl. Sie verriet nicht minder eine reife Lebenserfahrung, praktischen Sinn, als ein gutes Herz. Als sie aber dem Grubenhaus in Sittenfeld sich näherten, wurde Franz der überraschendste Anblick. Georg in hohen, schmutzigen Stiefeln und Joppe, ein Notizbuch in der Hand, mit Stentorstimme Befehl austeilend, zwischen aufgeschichtetem Grubenholz herumstolpernd, da und dort selbst Hand anlegend. Georg, der nie anders zu sehen war als in tadellosem Reitkostüm, mit Handschuhen und Reitpeitsche, der keinen andern Weg kannte auf Sittenfeld als den zu den Stallungen – das war eine unglaubliche Veränderung, und niemand hatte das vollbracht als diese Frau an seiner Seite, die ehemalige Kunstreiterin!

Georg kam ihr mit lautem Hallo entgegen. Die helle Freude über das Wiedersehen blitzte aus dem gebräunten Antlitz, dessen Männlichkeit jetzt ein stattlicher Vollbart nur erhöhte. Erst als er Franz erkannte, wurde seine Haltung gemessen. »Was verschafft mir denn die Ehre deines Besuches?« fragte er nicht ohne Bitterkeit.

»Das glücklichste, segensreichste Ereignis, das vielleicht je in unserer lieben Heimat sich ereignete,« entgegnete Franz.

»Oho«, meinte Georg, »da müßte ich doch auch etwas davon wissen!«

»War gar nicht nötig,« sagte Arabella verschmitzt. »Du hättest es wahrscheinlich gar nicht geduldet. – Ein Mann hat mich geküßt.«

»Laß die Scherze, Arabella! Mein Herr Bruder könnte sie bei dir gleich ernst nehmen.«

»Ist kein Scherz, Georg – Onkel Seefeld.«

Georg prallte förmlich zurück vor Erstaunen.

»Er besiegelte damit den neuen Vertrag zwischen Schwarzacker und Sittenfeld. Vetter Franz war Zeuge. Hast du jetzt noch was dagegen?«

»Ich dagegen – wenn der alte Seefeld ...«

»Mich wirklich geküßt? Feste, sage ich dir!«

»Ja, das glaube ich, wenn er's schon getan; Bella, was bist du für eine Zauberin! Ich glaube gar, du hast auch Franz schon bekehrt, weil er dich so verzückt ansieht.«

Da reichte ihm Franz die Hand vom. Pferde herab. »Georg, verzeih! Das steckt einmal im Blut wie ein Gift. Du weißt es ja selbst, ich habe geglaubt, es glücklich angebracht zu haben, da stehe ich vor dem erbärmlichsten Rückfall. Aber ich glaube, deine Gattin hat mich endgültig geheilt.«

Die beiden Brüder drückten sich zum erstenmal im Leben herzlich die Hand. Zwischen ihnen fiel schon jetzt die Scheidewand, welche eine verkehrte Erziehung, gegenseitige Verkennung ihrer selbst und Unduldsamkeit aufgerichtet.

Noch an demselben Tage wurde der Vertrag fertiggestellt zwischen den Gruben Schwarzacker und Sittenfeld für alle Zeiten, zu Nutz und Frommen der Besitzer. Und morgen galt es – Kitty!

Franz fühlte sich mit Gerechtigkeit gewappnet wie noch nie, nur so konnte er es wagen, Makowsky gegenüber zu treten.

*


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