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Kitty war den andern Tag noch mit ihrer Toilette beschäftigt, als ihr schon Georg von Prechting gemeldet wurde. Der Name riß die ganze bunte Kette von Gedanken, mit der sie eben ein so reizendes Spiel trieb, jäh entzwei. – Was wollte sie denn im Zirkus? – Das Blut stieg ihr in das Gesicht, indem ihr die Erinnerung kam, was sie dort wollte. – Eine Kunstreiterin beobachten als Nebenbuhlerin! – Wie ihr das heute lächerlich, erbärmlich vorkam! – und gestern hatte sie ein lebhaftes Interesse daran. Also lag etwas zwischen gestern und heute! Eine Nacht! Aber eine Nacht, wie sie noch keine erlebt. Wenn man das alles malen könnte, was sie gesehen! Daran dachte sie auch noch nie: – einen Traum malen!

– Armer junger Mann, was sind dagegen deine Entwürfe!

– Und das alles einem schildern können, der es dann auf die Leinwand bringt! Einem? Das geht doch nicht! Einem Manne! Dem müßte man ja ganz nahe stehen, sein zweites Ich sein – sein Genius. Allen großen Männern steht einer zur Seite. Sie hat ihn auch schon auf Bildern als Allegorie gesehen, immer eine weibliche Gestalt.

Georg drängte. Es sei höchste Zeit, wenn man noch in die Probe kommen wollte.

O, dieser langweilige Zirkus! Wenn sie jetzt in das Atelier Makowsky eilen und ihm die Bilder der Nacht offenbaren könnte! – Da sollte er ihr lauschen, wie sie gestern ihm, und was er gestern wohl nur aus schmeichelnder Höflichkeit gesagt, das würde er heute begeistert rufen: Sie sind eine große Künstlerin, Komtesse! Und warum sollte sie nicht hingehen in Begleitung des Vaters? Das wäre ja doch viel schicklicher als mit Georg in den Zirkus. Ihr Entschluß war rasch gefaßt.

Sie traf Georg bei dem Vater. Ein erregtes Gespräch wurde bei ihrem Eintritt plötzlich abgebrochen. Sie war der Gegenstand – kein Zweifel!

Die starke Erregung, die sichtlich im Vater noch nachzitterte, die Befangenheit Georgs, dessen Scherze sehr erzwungen schienen, ließen sie nicht zweifeln. Ein Gedanke kam ihr, der ihr Innerstes empörte: Papa hat dich eben diesem Manne aufgedrängt und er ...

»Ich gehe nicht in den Zirkus,« sagte sie energisch.

Georg zuckte die Achseln. Es lag kein besonderes Bedauern darin.

»Warum auf einmal nicht?« fragte der Graf mit einer ihm sonst ungewohnten Strenge.

»Ich habe es mir überlegt, es paßt sich nicht für mich.«

»Hat dir das Herr Makowsky beigebracht?« fragte der Graf.

Kitty fühlte, daß sie errötete. Die Ahnung des Vaters, die sie in seinen Augen las, trieb ihr das Blut und ermahnte sie zugleich zur Vorsicht.

»Dieser arme Mensch! Was soll der noch alles verbrochen haben,« sagte sie in leichtem Tone, »daß er mich eingeladen hat, sein Atelier zu besuchen?«

»Nun, ich finde, das paßt sich weit weniger für dich,« meinte der Graf.

»Ein Atelier besuchen? Mit dir? Ja, warum denn? Das verstehe ich nicht.«

Graf Seefeld war ärgerlich über die Blöße, die er sich gegeben. »Aber heute doch nicht gleich,« erwiderte er polternd. »Was soll sich denn der eitle Mensch einbilden!«

»Ja, aber wer spricht denn davon?« erwiderte Kitty in echt weiblicher Verschlagenheit, sofort einstehend, daß jetzt nicht die rechte Zeit sei, ihr Vorhaben auszuführen. »Wenn dir so viel daran liegt, gehe ich auch in den Zirkus

»Mir daran liegen? Du weißt ja selbst nicht, was du willst! Jeden Tag was anderes! Dein plötzliches Abspringen von der Idee ist doch auffallend.«

»Wenn Kitty einmal nicht will! – Ich will gewiß nicht lästig fallen,« bemerkte Georg.

»Kitty geht – und damit fertig! Sie muß sich einmal dieses wetterwendische Wesen abgewöhnen. Sie ist kein Kind mehr.«

»Gut, dann gehen wir. Wie ihr aufgeregt seid! – Du hast wohl Miß Arabella auf meinen Besuch schon vorbereitet?« wandte sie sich an Georg. »Und die Dame hat allergnädigst zugesagt? Da darf ich freilich nicht zögern.«

Der Graf hielt in seinem Rundgang inne und warf einen scharfen Blick auf Georg: »Das wird wohl nicht nötig gewesen sein.«

»Kittys Einbildung, weiter nichts,« bemerkte Georg verlegen.

Die beiden gingen.

»Was habt ihr denn so eifrig gesprochen, als ich eintrat?« fragte Kitty, als sie auf der Straße waren.

»Ach, Geschäftliches!« antwortete Georg ausweichend.

»Halte mich doch nicht für so albern. Ich will dir sagen, wovon ihr gesprochen. Von unserer Heirat!«

»Kitty!« Georg blieb einen Augenblick stehen, als ob er umkehren wollte. »Wie kannst du so etwas sprechen, auf offener Straße?«

»Gerade auf offener Straße. So ersparen wir uns ein unausbleibliches Tete-a-tete, das für uns beide lächerlich und peinlich zugleich wäre.«

»Damit willst du sagen ...?«

»Daß du keine Angst zu haben brauchst. Ich heirate dich nicht, Georg!«

Georg verblüffte diese Offenheit, trotz seiner reichen Erfahrung. So einfach hatte er sich die Lösung dieser Frage, die ihn seit Wochen beschäftigte, doch nicht gedacht. Auch die materiellen Vorteile, welche er mit Kitty verlor, waren ihm jetzt in ihrer ganzen Bedeutung gegenwärtig. »Weil du einen andern liebst, nicht wahr?« sagte er.

Jetzt war das Verblüfftsein an Kitty. »Wer sagt das?«

»Ich! – Franz liebst du!«

Kitty empfand einen heftigen Schmerz bei Nennung dieses Namens, anderseits atmete sie erleichtert auf. Sie fürchtete einen andern zu hören und erschrak zugleich selbst über diese, ihre Furcht, zu welcher nicht der geringste Anlaß war. Wie sollte Georg darauf kommen, daß sie ...

»Das ist nicht wahr!« erwiderte sie. »Ich liebe Franz als meinen besten Freund und Verwandten, weiter nichts ...«

»Und eure Verirrung in Schwarzacker – den letzten Tag?«

»Georg, ich muß dich bitten ...«

»Nun, ich habe mich vielleicht falsch ausgedrückt. Euer Zurückbleiben, sollte das wirklich ganz unabsichtlich ...?«

»Ah so – das meinst du?«

»Was denn sonst?« fragte Georg spöttisch.

»Lassen wir das Gespräch! Du hast recht, ich hätte es nicht beginnen sollen, aber mein Widerwille gegen diese geheime Familienabmachung trieb mich dazu.«

»Von deren Wichtigkeit du eben keine Ahnung hast. Unter Umständen muß man der Familie aber ein Opfer bringen.«

»Und du wärest stark genug zu diesem Opfer, wie du es nennst?«

»Ich hoffe es, Kitty.«

»Ich aber nicht, ich nicht! Zu diesem Opfer nicht. Aber zu einem andern.«

»Zu welchem?«

»Zu einem Opfer wahrer Liebe – alles, alles, wenn es sein müßte!«

Georg stutzte. »Was hättest du denn zu opfern, wenn du Franz –«

»Immer mit Franz!« entgegnete Kitty ärgerlich. »Du bist ja auf einmal sehr brüderlich gesinnt.«

Georg fühlte, daß er zu weit gegangen. »Nun, ich meine nur – aber von wem sprichst du denn, wenn nicht von Franz?«

Kitty hüllte sich tiefer in ihren Pelz und schwieg. Dieses Gespräch inmitten des Straßenpublikums, wobei man jede Erregung sorgfältig verbergen, selbst die Miene beherrschen mußte, erschöpfte sie geradezu, außerdem war sie nahe daran, den reinsten Unsinn zu schwatzen, den sie dann später gewiß bereuen würde.

Sie waren vor dem Zirkus angelangt.

Herr Cinelli, der Besitzer, ein älterer Herr in tadelloser Reittoilette, begrüßte Georg wie einen alten Bekannten und warf Blicke auf seine Begleiterin, vor welchen diese entrüstet die Augen zu Boden schlug. Erst als Georg ihm seine Cousine vorstellte, verwandelte sich der Unverschämte in den gewandtesten Kavalier.

Er schien kein rechtes Vertrauen zu haben auf den vormittäglichen Besuch des Zirkus, noch dazu in Gesellschaft Georg von Prechtings.

Von drinnen ertönten abgebrochene Musiktakte, das Klatschen der Peitschen, Kommandorufe – Herr Cinelli zog den schweren Vorhang zur Seite und forderte Kitty mit einer galanten Verbeugung zum Eintritt auf.

Die Musik stimmte eben eine Polka an. In der Arena ritt eine Dame auf einem überaus edel geformten Rappen die hohe Schule.

Arabella – kein Zweifel! Sie war so mit ihrem Pferde beschäftigt, daß sie die Eintretenden nicht beobachtete.

Die an und für sich unästhetischen Bewegungen des Körpers, welche die Gangart des Pferdes aufnötigte, wurden mit einer so vollendeten Grazie ausgeführt, daß Kitty kein Auge mehr davon wandte. Das edle Tier zitterte nervös bei der leisesten Berührung der Gerte, der samtglänzende Hals war mit flockig schneeweißem Schaum bespritzt.

»Der ›Mohammed‹ macht sich, Baron, was?« bemerkte Cinelli.

»Wenn man ihn so reitet!« erwiderte Georg.

Die Reiterin blickte auf und winkte Georg mit der Hand zu.

»Wo stecken Sie denn so lange? Beim Cousinchen natürlich.«

Sie bemerkte offenbar Kitty nicht, welche diese Worte wie ein Pfeil trafen.

Er hatte also mit dieser Person schon über sie gesprochen! Über die aufgedrungene Braut wohl seine schlechten Witze darüber gemacht! Sie war jetzt doppelt froh, daß sie ihm auf dem Herwege unumwunden die Wahrheit gesagt.

Georg verwünschte m seinem Innern die Unvorsichtigkeit Arabellas. »Ich habe ihr schon oft von deinem Reittalente erzählt,« versuchte er Kitty aufzuklären.

Diese gab ihm keine Antwort.

Arabella führte die schwierigsten Figuren aus: Passade, Kurbette, Pirouette und Durchsprung.

Selbst Kitty vergaß über ihre Bewunderung den Unmut. Was war dagegen ihr Reiten, auf das sie sich so viel zugute getan? Also nicht einmal auf diesem Gebiete leistete sie etwas? Ob das Makowsky auch eine Fertigkeit nennen würde?

Arabella hielt dicht vor ihnen.

Georg, um einer weiteren Gefahr auszuweichen, trat rasch auf die Seite und stellte Kitty vor: »Meine Cousine, Gräfin Seefeld.«

Arabella verneigte sich im Sattel. »Da habe ich mich ja schön blamiert! Verzeihen Sie, Gräfin. Aber der Herr Baron hat mir so viel von Ihnen erzählt. Wir sind ja sozusagen Kolleginnen.«

Sie reichte Kitty auf eine kordiale Weise die Hand, welche dieselbe augenblicklich verletzte, aber ihr ganzes Wesen war so bestrickend liebenswürdig, die Bewunderung Kittys so groß, daß sie nicht zögerte, dieselbe zu ergreifen. Diese Dame war doch wirklich etwas, eine gefeierte Künstlerin, und sie war nichts, ein unbedeutendes Geschöpf. Dieses erdrückende Gefühl hatte sie noch nie, wie jetzt.

Arabella fragte sie, ob sie nicht den Mohammed reiten wolle, er ginge wie ein Lamm.

Kitty war glücklich, daß sie kein Reitkleid angezogen, so hatte sie eine Ausrede. Sie hätte sich zu Tode geschämt, vor dieser Meisterin sich zu zeigen.

Doch Arabella ruhte nicht. Sie hatte drei Reitkleider zur Verfügung in ihrer Garderobe.

Auch Georg drängte. Sie seien ja doch hergekommen, um zu reiten. Arabella werde ihr gewiß reichlich Rat erteilen.

Da kehrte ihr Selbstgefühl zurück. Sie war wirklich eine gute Reiterin und – sie konnte nicht dagegen ankämpfen – sie fühlte sich lebhaft hingezogen zu Arabella. Als diese sich aus dem Sattel schwang und ihr den Arm bot, um sie in ihre Garderobe zu führen, konnte sie nicht widerstehen.

Im Stall ging es lebhaft zu. Die Pferde wurden gefüttert, Zaumzeug geputzt, ein Clown unterrichtet, mit verschränkten Beinen wie ein Türke auf einer Kiste sitzend, zwei schwarze Pudel, während zwei andere eine komische Duoszene übten und sich mit Ohrfeigen traktierten. Papageien krächzten, an der Raufe kletterten zwei Affen umher und warfen mit gestohlenen Nüssen nach ihnen. An einen Schimmel mit ausgetretenem breitem Rücken gelehnt, stand ein junges Mädchen in Trikot, einen Regenmantel um die Schulter geworfen, in eifrigem Gespräch mit einem Offizier. Im Stande daneben sang ein junger Bursche ein französisches Lied zur Arbeit.

Kitty war entzückt von diesem bunten Bild. Arabella hatte Mühe, sie in die Garderobe zu bringen, aber in einer Stunde war Ballettprobe und die Manege nicht mehr frei.

Ein kleiner Bretterverschlag von einer offenen Gasflamme beleuchtet und geheizt, nahm sie auf. Reitstiefel aller Art, Sporen, Reitstöcke lagen in wirrer Unordnung umher, kaum einem dürftigen Spiegel, einigen Schminktöpfen und andern Toilettegegenständen Platz gewährend. An der Bretterwand klebten rahmenlose Photographien von Pferden und Artisten. Ein großer Strauß von weißem Flieder auf der Toilette erfüllte den ganzen Raum mit seinem Duft; Kitty erkannte sofort die Karte Georg von Prechtings auf der Krause angeheftet.

Arabella bediente ihren Gast mit der größten Aufmerksamkeit. Nebenan, nur durch eine Bretterwand getrennt, war die Garderobe des Ballettkorps, welches aus den Reiterinnen formiert war. Ein betäubender Stimmenlärm drang herüber. In einer Stunde war Kostümprobe.

Kitty hatte unzählige Fragen an Arabella. »Wie kann man einer so großen Künstlerin einen solchen Raum anweisen?«

»Ja, das ist so, Gräfin. Die Rampe der Manege ist die Grenze unserer Herrlichkeit.«

»Aber nicht wahr, Sie würden um alles in der Welt Ihrem Berufe nicht entsagen?«

»Warum nicht? Wenn ich mich für die ganze Zukunft gesichert wüßte.«

»O, das kann nicht Ihr Ernst sein.«

»Sie haben gut reden! Wenn man so glücklich ist, so reich! Aber wir? Wenn uns heute etwas zustößt – wer sorgt für uns?«

»Ich bitte Sie, Miß Arabella, sprechen Sie mir nicht von dem Glücke der Reichen! Das kenne ich nun wieder besser. Das langweiligste, was Sie sich denken können. Sie hielten es keine drei Tage bei mir aus.«

»Bei Ihnen gewiß! Ich glaube, wir paßten ganz gut zusammen.«

»Wirklich? So kommen Sie doch nach Vals, so lange Sie wollen.«

»Ich muß arbeiten, Komtesse.«

»Arbeiten? Wie das häßlich klingt. Sie arbeiten doch nicht! Ach, wie beneide ich Sie um Ihre Arbeit! Diese Reisen! Überall gefeiert! Das ganze herrliche Künstlerleben! Und das wollten Sie aufgeben um eine nüchterne Versorgung?«

»Entschuldigen Gräfin, aber Sie denken recht kindlich darüber.«

»Das ›Cousinchen,‹ nicht wahr? Ich weiß selbst nicht, wie ich dazu kam, Ihnen das so rasch zu vergessen. Das ist sonst gar nicht meine Art! Was wird er Ihnen alles erzählt haben von dem Cousinchen! Daß er sie heiraten muß! Daß ihm das sehr unangenehm ist!«

»Aber Gräfin!«

»O, sagen Sie es nur ungeniert! Ich habe ihn eben selbst über diesen Punkt völlig beruhigt. Sie wissen ja doch alles! Er verehrt Sie, ich glaube fast mehr –«

Kitty empfand einen ihr erst später verständlichen Wunsch, Arabella in ein engeres Verhältnis zu Georg zu drängen. Sie vergaß darüber völlig ihre Stellung, das Unweibliche ihres Unternehmens, doch von jeher gewohnt, augenblicklichen Stimmungen zu folgen, schüttete sie jetzt ihr Herz vor Arabella aus, die, viel mehr Takt besitzend, diesen Erguß eher zurückdrängte als ihn förderte.

Das mausgraue Reitkleid saß ausgezeichnet. Der Lärm nebenan schwoll ins unendliche. Einige Worte drangen herüber, die Arabella bestimmten die Garderobe mit der Gräfin möglichst rasch zu verlassen.

Georg war nicht wenig erstaunt über das vertraute Verhalten Kittys zu Arabella. Er war im Zweifel, ob er sich darüber freuen oder ärgern sollte. Er beobachtete aufmerksam die beiden Reiterinnen. Arabella hatte ein zweites Pferd bestiegen. – Wie Kitty doch verlor neben ihr! Diese gehärteten Formen, so edel wie die Mohammeds, und das strohgelbe dichte Haar! Das ihn verzehrende, überlegene Lächeln um die scharf geschnittenen Lippen! Der ganze Anblick versetzte ihn in einen sinnlichen Rausch. Kitty war eine schöne, vornehme Erscheinung, aber eben dieses Berauschende fehlte ihr. Er empfand nichts bei ihrem Anblick. Der keusche Reiz unberührter Jugend, der über Kitty trotz ihrer freien Erziehung immer noch gebreitet war, wirkte längst nicht mehr auf ihn. Arabella hatte denselben unwillkürlich, ohne im geringsten ausschweifend zu sein, an den Planken des Zirkus abgescheuert. Tausend bewundernde, lüsterne Augen hatten ihn längst aufgesogen, das rein Animale kam nicht mehr zum Vorschein und das wirkte so mächtig auf Georg, der dieselbe Häutung, nur noch intensiver, längst durchgemacht.

Kitty vollführte tadellos die schwierigsten Evolutionen. Arabella war begeistert und spornte sie zur äußersten Entfaltung ihrer Reitkunst.

Das ganze Personal, die Ballettmädchen mit ihren bei Tage so fadenscheinigen Kostümen, die beiden Clowns mit den schwarzen Pudeln, alles hatte sich unterdessen gesammelt und applaudierte laut den Leistungen Kittys, worüber diese entzückter war als über alle Schmeicheleien ihrer Kavaliere, die sie je zu hören bekommen.

Erst abends vor dem gefüllten Zirkus seine Kunst zeigen zu dürfen unter donnerndem Applaus, das müßte herrlich, göttlich sein! Als sie wieder in der Garderobe war, um das Kleid zu wechseln, glühte sie vor Eifer. Das war ja schon die Welt der Phantasie, von der Makowsky geschwärmt – der Kunst! Und Arabella, die einen so hervorragenden Platz in ihr einnahm, konnte sie verlassen einer Versorgung halber. – Nein, das machte sie ihr nicht weis – nur um eines, um dasselbe, von dem sie vorhin so unvorsichtig mit Georg sprach – um einer großen Liebe willen war das möglich. – Diese Überzeugung erhöhte nur ihr Interesse. Die Protektorin zu sein dieser romantischen Liebe, deren Gegenstand sie sehr wohl kannte, erschien ihr jetzt ein neuer Lebensreiz.

»Sie lieben meinen Vetter?« platzte sie ganz unvermittelt heraus.

Arabella fand diese Zumutung geradezu spaßhaft. – Sie schätzte Baron Prechting als einen liebenswürdigen Kavalier, als ihren eifrigsten Bewunderer, aber von Liebe könne keine Rede sein. Damit sei es unbedingt gar nicht so schlimm in ihrem Stande, als die Leute gewöhnlich glaubten. Sie seien alle viel zu abgehärtet, zu derb dazu.

»Aber er liebt Sie – das weiß ich bestimmt!« erklärte Kitty, verdrossen über die Kälte der Reiterin. Es entging ihr nicht, daß das stark gepuderte Antlitz Arabellas errötete.

»Das wäre sehr schlimm,« meinte sie, »wohin soll das führen?«

»Nun, warum? Alles schon dagewesen! Theater und Zirkus spielen eine große Rolle im hohen Adel.«

Arabella verlor völlig ihre Kaltblütigkeit.

»Wie können Sie nur so sprechen, Komtesse! Ich und Baron Prechting! Ich möchte mich auch gar nicht eindrängen in eine solche Familie. Da bin ich mir viel zu gut dafür,« setzte sie in einem herben Tone hinzu.

»Ach was! Eindrängen! Wenn man liebt? Glauben Sie, ich würde mich besinnen, mich abhalten lassen durch irgend etwas –?«

»Wirklich? Würden Sie sich die Kraft zutrauen, einem Manne, den Sie lieben, überall hin zu folgen? Ins Elend, wenn es sein müßte?« fragte Arabella.

Kitty beunruhigte diese Frage, das Gewissen erwachte. Sie dachte wenige Wochen zurück – um so energischer klang ihre Antwort.

»Gewiß! Wenn ich eine starke Liebe empfände, mein einziges Glück darin sähe –«

»Ja, Komtesse, Ihnen traue ich das wirklich zu,« erwiderte Arabella in herzlichem Tone. »Aber die Männer denken anders über diese Dinge.«

»Meinen Sie? Nun, wir werden ja sehen! Ich weiß selbst nicht warum – ich kenne Sie doch erst seit einer Stunde – aber Sie gefallen mir. Ich könnte irgend etwas tun für Sie! Mir ist, als ob ich Ihnen Dank schuldig wäre.«

»Mir Dank?«

»Ja doch – doch! Wir wollen Freundinnen sein, für alle Fälle.« Sie reichte Arabella die Hand.

Sie bedurfte jetzt dringend einer Freundin, irgend einer Zuneigung und Arabella war ihr sympathischer als alle ihre Bekannten. Weitere Rücksichten kannte sie nicht.

Als die beiden zu Georg kamen, bemerkte dieser sofort in ihrem ganzen Wesen eine Vertraulichkeit, die ihn Schlimmes befürchten ließ.

Kitty hatte wahrscheinlich wieder irgend eine Torheit begangen. Sie mußte Arabella versprechen, in die Abendvorstellung zu kommen.

»Ich danke Ihnen herzlich für die Ehre, die Sie mir erwiesen mit dem Besuche Ihrer liebenswürdigen Cousine,« sagte sie zu Georg. »Wir sind Freundinnen geworden.«

»Das geht ja verdammt rasch bei den Damen,« meinte Georg, dem es gar nicht scherzhaft zu Mute war.

»Unter Umständen schon,« bemerkte Kitty, mit einem Lächeln gegen Arabella, das Georgs Befürchtung fast zur Gewißheit machte. Dem tollen Mädel war alles zuzutrauen.

Das Ballett begann und füllte die Manege.

Georg entfernte sich mit Kitty.

Ihr Schweigen beängstigte ihn, das war sonst nicht ihre Art, besonders bei so neuen Eindrücken, die sie eben empfangen haben mußte.

Er selbst fürchtete sich, den Namen Arabella auszusprechen, obwohl er sich mehr denn je damit beschäftigte.

Da begann sie plötzlich, ohne ihn anzusehen: »Rate einmal, über was ich mit Arabella gesprochen in der Garderobe?«

»Über Pferde natürlich, Reiten, Zirkusleben!« erwiderte Georg.

»Ach nein! Über dich! Nur über dich! Über deine Liebe!«

Georg war fassungslos. Dieses Geständnis übertraf seine schlimmsten Erwartungen. Er mußte vor einem Ladenfenster stehen bleiben, um wenigstens den Vorübergehenden seine Erregung zu verbergen.

Einen Augenblick besann er sich, dann sagte er in mehr zurechtweisendem Tone: »Ein sehr unpassender Scherz für dich, Kitty.«

»Ist aber kein Scherz, voller Ernst! Du wirst mir doch nicht weismachen wollen, daß sie dir gleichgültig ist?«

»Darüber bin ich dir keine Rechenschaft schuldig,« erwiderte Georg scharf.

»Als deiner, aus Familienrücksichten bestimmten Braut auch nicht?«

»Ich verlasse dich, wenn du noch ein Wort sprichst.«

»Wenn ich dir aber sage, daß ich mich für Arabella, für eure Liebe sehr interessiere, daß ich gar nichts so Unbegreifliches darin sehe. Verläßt du mich dann auch?«

Sie gingen jetzt durch eine völlig verlassene Allee. Vorsicht war nicht mehr so nötig. Georg, welcher in seinem Zorne wirklich einige Schritte vorausgeeilt, blieb stehen.

»Aber ich bitte dich um alles, Kitty! Wie kannst du nur ernstlich denken? Wirst doch nicht glauben –«

»Daß du Arabella zu deiner Frau machen kannst? Warum nicht? Wärst du der erste unseres Standes? – Wenn du sie wirklich liebst!«

»Ah, jetzt verstehe ich dich erst! Du willst mich beiseite räumen, damit Franz freie Bahn hat bei Papa.«

»Wie abscheulich! Ich dachte nicht an Franz.«

»Wirklich nicht?«

Georg sah seiner Cousine scharf ins Auge.

»Nicht an Franz? An wen denn?«

Kitty hielt seinen Blick nicht aus.

»Als ob man an irgend jemand – als ob man nicht ganz uneigennützig –«

Sie verwirrte sich immer mehr.

»Nein – ganz uneigennützig handelt kein Weib wie du. – Also – Kitty – wäre es denn möglich –«

»Was denn nur? Du machst mich ja selbst ganz verwirrt. Was denn? Sprich!«

Georg drehte seinen Schnurrbart, nickte mit dem Kopfe und antwortete nicht.

Seltsame Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Oft hatte es den Anschein, als ob er etwas sagen wollte, aber keine Wort kam über seine Lippen. Und Kitty eilt jetzt, daß er kaum Schritt halten konnte.

»Also heute abend im Zirkus! Sei nicht gar so unbesonnen.«

Mit diesen Worten verließ er sie vor dem väterlichen Hause.

*


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