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Graf Seefeld war sehr erfreut über die heitere Stimmung, in welcher seine Tochter zurückgekehrt. Die künstlerischen Anwandlungen von gestern waren total verflogen. Gerne ging er auf die Bitte Kittys ein, abends mit ihr den Zirkus zu besuchen.

Georg von Prechting war auf seinem Posten.

Als Arabella auf Mohammed in die Manege geritten kam, winkte sie Kitty mit der Gerte zu und diese war stolz auf die Blicke, welche von allen Seiten auf sie gerichtet waren.

Jetzt in vollem Lichterglanze, bejubelt von der Menge, erschien sie ihr noch herrlicher, bewundernswerter, und als sie als Schlußeffekt die sogenannte Schule über der Erde ritt, Mohammed, schaumbespritzt sich kerzengerade auf die Hinterfüße erhob und die Reiterin nur noch durch Zauberkraft in den Sattel gebannt schien, um gleich darauf, unter dem Jubel der Menge, dem Rauschen der Musik, durch die Manege zu jagen, da loderte ihre Begeisterung hoch auf. Sie hob sich vom Sitze um Beifall zu klatschen und rief laut den Namen Arabellas, unbekümmert um die Bedenklichkeit und das Geflüster in ihrer Umgebung.

Dreimal erschien Arabella, huldvoll sich verneigend, während Mohammed, auf eine leise Berührung ihrer Gerte, sich auf die Knie niederließ.

Kitty blickte triumphierend im Kreise umher, auf die unzählig sich regenden Hände. Sie genoß den Erfolg mit der neuen Freundin.

Da fiel ihr gerade in der Loge gegenüber ein Herr auf, welcher, nachlässig zurückgelehnt, keine Hand rührte. Sie nahm ärgerlich das Opernglas und sah hinüber – Makowsky!

Sein Blick war starr auf sie gerichtet wie damals auf dem Balle. Jetzt verneigte er sich leise und um den schönen Mund zog wieder dasselbe liebenswürdige, schmerzliche Lächeln.

Sonderbar! Anstatt sich über ihn zu ärgern, über seine Kaltblütigkeit, ärgerte sie sich über sich selbst, über ihren Enthusiasmus. Gewiß verlachte er sie deshalb.

Das war ein sonderbarer, fremdartiger Zustand von diesem Augenblick an. Jede Bewegung, welche sie machte, stand in Beziehung zu ihm, kam nur in Betracht als eine von ihm gesehene. Ihr Blick war blind, inmitten all des Lichtes, bis er wieder zu ihm zurückkehrte. Die Spaße der Clowns, das Gelächter des Publikums klang wie aus weiter Ferne. Auch an Arabella dachte sie nicht mehr, nur eine ungeheure freudige Unruhe ergriff sie. Ob ihm wohl der Seehundpelz gefalle und das kleine rote Hütchen? Er studiert wohl eben jetzt die Zusammenstellung!

Die Pause begann. Die Herren erhoben sich in den Logen, auch Makowsky. Er ging dem Stalle zu.

Georg von Prechting kam herüber, auffallend förmlich, Kitty drängte es in den Stall. Sie habe Arabella versprochen zu kommen.

Die Herren mußten sie wohl begleiten.

Es war ein dichtes Gedränge in dem schwülen, von einigen Lampen nur matt erhelltem Gange.

Jeder wollte einen Blick werfen in diese geheiligten Räume, womöglich ein Wort, einen Blick wechseln mit einer Künstlerin, einem Ballettmädchen. Mancher fühlte sich als Sportsmann und betrachtete mit affektiertem Kennerblick die Pferde.

Der Menschenstrom riß Kitty fort. Sie hatte ihren Begleiter verloren und spähte in der Menge umher. Warum gab er nicht acht auf sie? Sie empfand in Wahrheit einen bitteren Schmerz darüber.

Jetzt stand sie vor der Garderobe Arabellas.

Sie war verschlossen. »Das Fräulein hat Umzug«, erklärte ihr ein Bedienter.

Kitty war froh darüber, so gewann sie Zeit.

Plötzlich stand der Maler dicht vor ihr, wie aus dem Boden gezaubert und begrüßte sie.

Es gelang ihr nicht, ihre Freude zu verbergen.

»Nun, sind Sie befriedigt von Ihrem Ausflug in die Zirkuswelt?« fragte er sie.

»Ach, ich bin nie befriedigt. Das ist ja mein Unglück! Immer große Erwartungen – und dann – Warum haben Sie denn vorhin nicht geklatscht, bei Miß Arabella? Ihre Leistung war doch großartig.«

»Wirklich? War sie das? Ich weiß nur, daß sie mir wiederholt Ihren Anblick entzogen. Und da soll ich klatschen?«

»Sie kennen wohl Miß Arabella gar nicht,« fuhr Kitty errötend fort, ohne scheinbar die Schmeichelei des jungen Mannes zu beachten. »Ein reizendes Wesen!«

»Finden Sie?«

»Aber Sie müssen es doch vor allen finden – als Maler.«

»Nein, als Maler eben nicht – viel zu nüchtern.«

»Ach, das ist wieder so etwas aus dem Unterbewußten, was ich nicht verstehe.«

»Indem Sie es sagen, beweisen Sie, daß Sie es verstehen, Gräfin, oder wenigstens fühlen.«

In diesem Augenblick trat Arabella heraus, als Anführerin der Amazonen, in einer großen Reiterschlacht – die nächste Nummer.

Blonde Locken umwallten den glitzernden Panzer, der ihre tadellose Form umschloß. Ein geschürztes Pardelfell zeigte mehr den stolzen Gliederbau, als er ihn verhüllte. Das Antlitz war etwas stark geschminkt. Die scharf markierten Augenbrauen, die künstlich gefärbten, purpurnen Lippen verliehen ihr etwas Maskenhaftes, Starres.

Kitty war entzückt von dem Anblick.

Arabella kam auf sie zu und drückte ihr wirklich amazonenhaft die Hand.

»Das ist schön, daß Sie Wort: gehalten.«

»Jetzt wird er sich rasch bekehren,« dachte sie. Sie kam sich jetzt so entsetzlich klein und unbedeutend vor.

»Das gäbe ein Bild! Nicht wahr, Herr Makowsky,« sagte sie in einem Tone, welcher Arabella auffiel.

»Höchstens ein Aushängeschild für eine Maskengarderobe,« bemerkte lachend die Kunstreiterin. »Aber – Sie werden entschuldigen – ich habe Eile! Treten Sie doch ein wenig in meine Garderobe, wenn Sie plaudern wollen, das Gedrängel ist ja unausstehlich.«

Mit echtamazonenhafter Bewegung, mit der Lanze sich Raum schaffend, verschwand sie in der gaffenden Menge, nur der Helmbusch flatterte darüber.

Der Maler und Kitty standen dicht vor der offenen Garderobe. Makowsky übertrat die Schwelle. Kitty zögerte, bis ein neuer Anprall der Menge sie förmlich hineintrieb.

Niemand achtete darauf, man hielt sie wohl für eine Zirkusdame.

»Wir haben ja noch Zeit, kommen Sie nur.«

Der Maler ließ die Türe zufallen.

Kitty fühlte das Unschickliche dieser Absonderung, noch dazu in diesem Räume, der erfüllt war von aufdringlichen Wohlgerüchen, unordentlich hingeworfenen weiblichen Kleidungsstücken und Toilettegegenständen.

»Ich habe Sie heute erwartet,« sagte Makowsky.

»Heute schon? Sie sind sehr zuversichtlich.«

»Und doch waren Sie schon auf dem Wege zu mir.«

»Nein, das war ich nicht –«

»So hatten Sie doch wenigstens den festen Willen zu kommen, konzentrierten sich ihre Gedanken darauf! Nur ein Hindernis trat dazwischen.«

»Sie vermuten das natürlich.«

»Nein, ich weiß es bestimmt. Um elf Uhr waren Sie fest entschlossen.«

Kitty verlor ihre mühsam erhaltene Fassung. Der beängstigende und doch so süße Bann kam wieder über sie, nur intensiver in diesem schwülen, engen Räume. Sie mußte sich setzen.

»Um elf Uhr? Ja – um elf Uhr! Aber –«

»Wie ich das wissen kann? Ich fühle es! Ich werde es immer fühlen, wenn Sie sich in Gedanken mit mir beschäftigen.«

»Wenn sich jemand mit Ihnen in Gedanken beschäftigt, so fühlen Sie das?«

»Nicht jemand – Sie – nur Sie, Komtesse.«

»Ja, warum gerade ich?«

»Das ist schwer zu sagen. Ich kenne die geheimnisvolle Kette nicht, die unsere Gedanken verbindet. Vielleicht schmieden wir sie selbst, vielleicht besteht sie von Ewig.«

»Sie sind leidend! Sie sollten sich mehr schonen. Ich fühle nie so.«

»In dieser Atmosphäre, in der Sie leben, das glaube ich! Sie durchdringt kein feines Gefühl. – Sie müssen kommen, Gräfin. Ich kann nicht mehr arbeiten, wenn Sie nicht kommen.«

Es klang wie ein Befehl aus seinen Worten.

»Ich komme! Ja, ich komme! Aber jetzt muß ich gehen. Mein Vetter wird mich suchen – wenn er mich hier findet –«

»Anstatt Miß Arabella, wird er sehr enttäuscht sein!«

»Herr Makowsky!«

»Warum? Das ist ein Weib für ihn! Jedem das Seine!«

»Ich ersticke hier!«

Kitty öffnete die Türe. Georg von Prechting wollte eben eintreten. Er prallte zurück, als er Makowsky erblickte.

»Sie hier?«

»In der Garderobe Miß Arabellas,« sagte Makowsky in einem spöttischen Tone, welcher Georg nichts weniger als versöhnlich stimmte. »Ich wollte nur Ihre Cousine aus dem lästigen Gedränge retten.«

»Arabella lud mich ein, einzutreten, Herr Makowsky leistete mir Gesellschaft. Ich wußte, daß du mich hier suchen würdest, das ist doch sehr einfach!« erklärte Kitty, welche gerade in diesem Räume sich Georg überlegen fühlte.

Sie hatte sich nicht verrechnet. Georg reichte ihr ohne weitere Kritik den Arm.

»Papa ist sehr ärgerlich. Die Vorstellung hat ja schon längst wieder begonnen. Du scheinst das ganz übersehen zuhaben.«

Wirklich war der Stall schon längst geleert, von draußen klangen die Zurufe der Reiterinnen, das Hallo des Publikums.

Makowsky empfahl sich mit so gewandter Harmlosigkeit, daß Georg selbst ihn bewundern mußte.

Dieser sprach kein Wort über den Vorfall zu Kitty und geleitete sie in die Loge zum Vater.

»Ich habe mich verspätet und wagte mich nicht mehr durch all die Leute allein,« entschuldigte sie sich.

»Nur meine Schuld, lieber Onkel,« sekundierte zu ihrer Überraschung Georg. »Ich hätte ja wissen können, wo sie steckt – bei Ihrer Meisterin natürlich, Miß Arabella.«

Damit war der Graf zufrieden. Wandte aber selbst kein Auge von dem herrlichen Weibe mit dem üppigen Blondhaar, welches eben, die Lanze über dem Haupte schwingend, in kühnen Wendungen und Bewegungen durch die Manege flog, gefolgt von einer dichtgedrängten Reiterinnenschar.

Von der andern Seite sprengten die Männer herein, stahlgepanzerte, tadellose Reitergestalten.

Der Kampf entbrannte. Blitzende Schwerter und Rüstzeug. Prächtiges Farbengewoge! Ein sinnverwirrendes Drängen von Pferden und Menschenleibern. Anfeuernde Zurufe. Alles gehüllt in eine goldglitzernde, scharfen Geruch ausströmende Staubwolke. Dazu das Keuchen und Wiehern der Pferde, das Tosen und Brüllen des erregten Publikums.

Das war herrlich! Eine wilde Freude!

Kitty mußte sich zurückhalten um nicht laut mitzurufen. Sie verfolgte mit leuchtenden Augen das bewegte Schauspiel, die überall aufleuchtende Gestalt Arabellas.

Bald stand sie im Sattel, die Lanze schwingend, bald beugte sie sich tief zur Erde nieder. In immer neuen Wendungen zeigten sich die edlen Glieder. Aus den sonst so gutmütigen Augen brach jetzt ein wildes Feuer, die sonst so gelassenen Züge waren jetzt bis zur Verzerrung angespannt. – Eine Kriegsgöttin! Eine Walküre! – Das war Kunst! Das konnte er selbst nicht leugnen.

Unwillkürlich sah sie hinüber.

Er saß wie früher, regungslos, ohne die Hand zu rühren. – Das verdroß sie. Das tat er absichtlich. Woher nur diese Geringschätzung der schönen Arabella, gerade bei ihm, den Schwärmer für alles Schöne? Weil sie Kunstreiterin war? Was kümmerte das ihn, den Vorurteilslosen?

Nie wird sie ihn verstehen und er sie auch nicht. Was er sich nur für Vorstellungen machte von ihrem Wesen! Wenn er wüßte, wie verwandt sie in ihrem Innersten, Neigungen und Bedürfnissen mit dieser verachteten Arabella war! Und doch, er irrt sich nie, er weiß, er fühlt alles! Er weiß, daß sie jetzt an ihn denkt.

Sie versank so in Gedanken, daß sie erst eine verhältnismäßige Ruhe, die eingetreten war, daraus weckte.

Die Manege war leer, das Publikum verließ den Zirkus.

Georg erschien nicht mehr. Sie bestieg mit dem Vater die bereitstehende Equipage.

»Das soll so ein Makowsky malen! Das wäre gescheiter, als eine Grube und einen armen Teufel von Arbeiter,« sagte Graf Seefeld, sichtlich noch immer das Bild Arabellas vor Augen.

Kitty antwortete nicht.

In diesem Augenblick erhellte sich förmlich ihr Inneres. Jetzt verstand sie plötzlich die Worte des Malers. Und ein stolzes Gefühl der Überlegenheit schwellte ihre junge Brust über die ganze Hohlheit ihres bisherigen Lebenskreises, die ihr aus den Worten des Vaters entgegenklang.

*


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