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Gräfin Kitty sollte heuer zum erstenmal die Gesellschaft besuchen. Man war sehr gespannt auf ihr Erscheinen. Bis jetzt kannte man sie nur als musterhafte Amazone.

Sie selbst versprach sich viel davon, obwohl Vetter Georg alles tat um ihr von vornherein die Freude daran zu verderben, indem er ihr die unsterblichste Langeweile prophezeite. Sie glaubte ihn zu durchschauen, er fürchtete, sie würde seinem Einflüsse entwachsen, Eindrücke gewinnen, Bekanntschaften machen, die seinen Plänen gefährlich sein könnten. Aber das hoffte, wünschte sie gerade – neue Anregungen, neue Freuden!

Dieses ewige Stall- und Sattelleben bedurfte notwendig einer Auffrischung, und sie war noch zu jung, um nicht das Bedürfnis zu haben, auch auf anderm Terrain zu glänzen, gefeiert zu werden.

In der letzten Zeit ließ sich Georg von Prechting auffallend wenig im Seefeldschen Palais sehen. Der Zirkus Cinelli, welcher sein Winterquartier in der Stadt aufgeschlagen, nahm ihn völlig in Anspruch.

Kitty hatte denselben wiederholt mit dem Vater besucht und Georg jedesmal im Kreise seiner früheren Regiments-Kameraden dort gesehen. Immer an der bewußten Ecke, neben dem Stalleingang.

Die Herren begaben sich während jeder Pause in die Stallungen, aus welchen ein verführerischer Geruch herausdrang.

Er fand nicht einmal Zeit, sie m der Loge aufzusuchen und doch wäre es ihr sehnlichster Wunsch gewesen, auch einmal hinter die Geheimnisse des orientalischen Vorhanges zu kommen, welcher den Stalleingang verdeckte. Das Gespringe in der Arena reizte sie längst nicht mehr.

Sie nahm sich stets vor, sich zu rächen, auf dem ersten Balle, wo sie sich begegnen sollten.

So gleichgültig er ihr im Grunde genommen war, die Gewohnheit fesselte sie an ihn – und noch etwas, was sie sich hartnäckig nicht gestand – er war sein Bruder! Er vermittelte eine gewisse Verbindung mit dem Jugendfreunde, die ganz zu missen, ihr schmerzlich gewesen wäre.

Das Generalstabspicknick, einer der vornehmsten Bälle der Saison, sollte ihr erstes Debüt sein. Kitty besprach schon Wochen vorher mit ihrer Schneiderin die Toilette. Madame Bernard meinte, man sei gewöhnt, ein junges Mädchen, welches zum erstenmal die Welt betritt, in schlichten Farben, möglichst einfach zu erblicken.

Kitty gab widerwillig nach, als aber die wichtige Stunde der Probe kam, fühlte sie sich unglücklich in dem weißen, mit Veilchen drapierten Kleide. Sie machte auch wirklich mit ihren vollen, infolge der ständigen körperlichen Übungen, für ihr Alter fast etwas zu herben Formen, den Eindruck, als ob sie daraus gewachsen wäre.

Madame Bernard selbst mußte das zugeben. – Das Kleid wurde sofort abgelegt und Kitty übernahm die Wahl.

Als Graf Seefeld am großen Abende in das Boudoir der Gräfin trat, erkannte er kaum die hohe Erscheinung, welche ihm entgegentrat. Das war kein Mädchen, das war eine voll erblühte Frau! Aus diesen Augen sprach nicht die ängstliche jungfräuliche Unruhe einer Novizin, sondern die volle Zuversicht, die Siegesgewißheit des reifen, erfahrenen Weibes.

Das Goldhaar, in einen griechischen Knoten geschürzt, ließ den edel geformten Nacken frei, unten dessen blühender Weiße kräftige Muskeln spielten. Die kleine Hand hielt den Fächer wie eine Reitgerte.

Alle guten Ratschläge, alle Verhaltungsmaßregeln blieben dem Grafen in der Kehle stecken.

Und doch war er entzückt von seinem Kinde. Da steckt Rasse darin! Da werden sie gucken, mit ihren blutarmen Dingerchen, die Herren Standesgenossen! Das war der glänzende Erfolg seiner rationellen Erziehung.

»Wenn der Georg heute nicht anbeißt, dann bekommt er sie überhaupt nicht mehr,« schwor er sich im Stillen.

»Tritt nur stramm auf, Mädel, und zeige den Laffen, daß du überall fest im Sattel bist!« ermahnte er noch zu allem Überfluß Kitty.

Sie zog die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, als sie, am Arm des Vaters, den Ballsaal betrat.

Die Herren, welche Kitty noch nicht kannten, zerbrachen sich im ersten Augenblicke den Kopf über die neue phänomenale Erscheinung, die wie aus dem Nichts auftauchte. Ehe man sich Aufklärung verschaffen konnte, bildeten die schon seit einer Stunde auf ihrem Posten stehenden Sportgenossen von Vals einen undurchdringlichen Ring um sie, in welchem Kitty zu ihrem Verdrusse Georg nicht entdeckte.

Das war stark! Er wußte, daß sie kam! Sie rechnete sicher auf ihn und ihre Rache. Es verdarb ihr die Laune von vornherein.

Die Hoffnungen der übrigen Herren, daß der neue Stern doch endlich freigegeben werden müsse, wurde vereitelt. Der Ring der Freunde wurde durch einen andern ersetzt, durch einen selbstleuchtenden; der Stern war jetzt der Fixstern, welcher alle andern im Saale befindlichen mit astraler Kraft an sich zog. Die ganze ordensgeschmückte Generalität bewegte sich um Kitty.

Die Damen verfolgten nicht minder aufmerksam den ganzen Auftritt.

War auch der Name Seefeld einer der besten des Landes, so ging denn doch die Liebenswürdigkeit etwas zu weit, vor allem stand das Auftreten und die Allüren der jungen Dame, welcher doch als Novizin mehr Bescheidenheit zukam, durchaus nicht im Einklang mit dem hocharistokratischen Namen. – Das kam ja herein wie eine Primadonna mit solcher Prätension! Man sprach von Kraftadel, unweibliche Erziehung, und beruhigte sich erst etwas, als man bei dem Mitleide angelangt war, mit dem frühe der Mutter beraubten Kinde.

Kitty bildete auch einen in die Augen springenden Kontrast mit ihren Altersgenossinnen. Diese dürftigen Gestalten mit ihren hingebenden Blicken, ihren ängstlichen Bewegungen, diese noch nicht erschlossenen Mädchenblumen, mit dem kindlichen Hauch der Festesfreude auf den geröteten Wangen, ja selbst die schon erprobte feuergeübte Garde mußte weichen vor ihrer sieghaften Jugend, von der ein eigenartiger Hauch des Lebens ausging. Weiblicher Reiz war hier vereinigt mit männlichem Kraftgefühl.

Kitty begeisterte anfangs der unzweifelhafte Erfolg, aber die Abwesenheit Georgs ernüchterte sie rasch wieder. Gerade er hätte ja Augenzeuge sein sollen.

Warum sie das so lebhaft wünschte, warum sie ihn so vermißte, war ihr selbst nicht klar. Sie sollte ja froh sein, daß er sie in Ruhe ließ, seinen Vorteil nicht besser ausnützte! – O, diese jugendlichen Gewohnheiten, wie können sie zur lästigen Fessel werden.

Sie war keine leidenschaftliche Tänzerin, diese mädchenhafte Hingabe mit gesenktem Blick und geröteten Wangen, welche sie rings um sich bemerkte, war nicht ihre Sache, noch weniger dieser brennende Ehrgeiz, die Tanzkarte zu füllen. Sie mußte lächeln über die prüfenden Blicke der Mütter in die Liste, über die glückstrahlenden, dankbaren Gesichter, wenn wieder ein Eintrag geschah. Es war ihr, als habe sie das alles schon längst durchgemacht und satt bekommen, und sie erteilte mit einer Sicherheit Körbe, die für ein erstes Auftreten verblüffend war.

Dann kamen die endlosen Vorstellungen, welche Papa in seiner kurz angebundenen Weise besorgte. Die prüfenden Blicke, die langweiligen, ewig sich wiederholenden Fragen all der Exzellenzen bis herab zu den Hauptmannsfrauen.

»Sie haben sich gewiß recht gefreut auf den ersten Ball? Ach, es ist ja auch die schönste Erinnerung im Leben. – Es muß doch recht einsam sein in Vals, für eine Dame so allein! – Schadet Ihnen das viele Reiten nicht? In Ihren Jahren? – Wie machen Sie es denn mit dem Fleisch auf dem einsamen Schloß,« fragte ein besorgte Hausfrau.

»Wir braten und essen es,« erwiderte Kitty in ernsthaftem Tone.

Als aber eine ältere Dame sie frage – »Wo steckt denn heute Ihr Lehrmeister Baron Prechting?« erwiderte sie unmutig errötend: »Er wird wohl eine bessere Verwendung für den Abend haben.«

Man war enttäuscht von Kitty. Sie war keine Frau, welcher gegenüber ein freier pikanter Gesprächston zulässig war und auch kein junges Mädchen, an dessen harmloser Freude man sich miterquicken konnte. Selbst ihre alten Sportgefährten von Vals erkannten in diesem hochmütigen Wesen, in dieser kalten Schönheit, die feurige, lebenslustige Kitty nicht mehr. – Die Hitze, das Gedränge verursachten ihr Kopfschmerz. Sie zog sich in eines der kleinen im Rokokostil gehaltenen Apartements zurück, welche sich an den Ballsaal anschlössen. Zum erstenmal in ihrem Leben sehnte sie sich nach Einsamkeit.

Das also sollte die ersehnte Abwechslung sein? Diese krampfhaft, konventionelle Welt, in der jedermann eine andere Rolle spielt, nur nicht seine eigene? Dieser lächerliche Mädchenmarkt? – – Wie war es doch herrlich dagegen in Vals, auf der Wildrose über Hecken und Gräben! – Sie war ja keine besondere Naturschwärmerin, aber jetzt tauchte deutlich die buntfarbige Heide mit dem tiefblauen Himmel drüber, der sonnige Buchenwald vor ihr auf – und noch etwas – das war doch zu komisch – hier! – Schwarzacker!!! Ja, Schwarzacker! Die garstige Grube mit ihrem monotonen Lärm!

Von ihrem Sitze aus blickte sie durch eine Reihe von Räumen in den Tanzsaal. Die Portiere bot einen schmalen Ausschnitt, im grellen Licht von hundert Gasflammen, welche jetzt, als sie lange darauf hinstarrte, sich auf und ab zu schwingen schienen.

Dieser Anblick rief ein anderes Bild wach, das ihrem jetzigen Ideengange sehr nahe lag. Sie stand wieder mit Franz vor der Schachtöffnung und blickte auf die phantastische Welt unter sich. – Gerade so tanzten die Lichter!

Sie schloß die Augen und beugte sich zurück. – Wo war er jetzt? – In dem kleinen Grubennest am Rhein – vielleicht auch auf einem Ball, unter kleinen, unbedeutenden Bürgermädchen.

Da wird sich rasch eines finden, das sich glücklich preist, ihn begleiten zu dürfen in seine rauhe harte Welt! – Ein blondes, braves Mädchen, mit sanften, blauen Augen, die nicht reitet und fährt und jagt wie ein Mann, die seine Nähe, seinen Anblick, seine treue innige Liebe all dem Glänze der Welt vorzieht, allen Picknicks und Bällen, wobei man sich so vortrefflich amüsiert – so ein dummes, gutes – glückliches deutsches Mädchen!

Als sie die Augen wieder öffnete, flimmerte und zuckte es, wie von unzähligen gekreuzten Klingen – Tränen füllten sie – und durch dieses Geflimmer hindurch näherte sich ihr jemand – durch die leeren. Räume. – Ein Säbel klirrte, Stiefel knarrten auf dem Teppich – die Gestalt erschien ihr ganz schwarz, unkennbar. Wenn es jetzt Georg wäre! – und er träte vor sie hin und würbe um ihre Hand? – Sie würde sie ihm reichen, nur um der Qual ledig zu werden der Erinnerung, um sich an Franz zu rächen, der sie so leicht aufgegeben – um – – da stand er wirklich vor ihr, Georg – in der kleidsamen, blauen Husarenuniform mit dem überlegenen Lächeln unter dem sorgfältig gepflegten Schnurrbart.

In dem Gefühle ihrer Verlassenheit freute sie sich über sein Kommen, zugleich aber packte sie die Angst – jetzt wird auch das andere eintreten, was sie sich eben gedacht.

»Großartig! Bezaubernd!«

Georg hatte das Monokel eingeklemmt und beobachtete sie, auf seinen Säbel gestützt. Kitty war innerlich entrüstet über diese banale Huldigung – diesen kalten beobachtenden Blick hinter dem blitzenden Glas – der ebensogut einem schönen Pferde hätte gelten können.

»Wahrlich, Kitty, ich bin entzückt, baff!«

»Und vor allem ebenso entsetzlich langweilig, wie die ganze Gesellschaft da draußen,« bemerkte Kitty. Das Herz zog sich ihr zusammen – »so entsetzlich, so entsetzlich und –!«

Georg ließ sein Monokel fallen.

»Habe dich wohl in süßen Träumereien gestört?«

»Hast du auch,« erwiderte Kitty mit einer heftigen abwehrenden Bewegung.

»Welcher Art, wenn ich fragen darf?«

»O, da würdest du nur lachen darüber, und das will ich mir doch lieber ersparen. Übrigens, wo kommst du denn her, mit deiner höchst geistreichen Galanterie? Vom Zirkus wohl?«

»Ich kann's nicht leugnen.«

»Natürlich! Und das sind les beaux restes deines Geistes, die du für mich gerettet! Miß Arabella, das große Wunder, hat dich wohl so völlig ausgeplündert?« sagte Kitty, mehr aus Übermut, der Langweile satt, als aus bestimmter Absicht. Deshalb fiel ihr auch der Eindruck auf, den ihre Worte auf Georg machten.

Er kaute an dem Schnurrbart – ein schlimmes Zeichen! Die Stirn zog sich in Falten. »Du irrst, Kitty,« sprach er in schroffem Tone, »Miß Arabella, das große Wunder, wie du sie nennst, bedarf meiner Bewunderung wahrlich nicht.«

Kitty erhob sich jäh von ihrem Sitze, in ihrem Auge flammte es auf. »Aber ich bedarf sie, willst du sagen! Das ist ja reizend – unartig!«

Georg bekämpfte mit Mühe seine Erregung. »Du scheinst etwas sehr gereizt! Du mißverstehst mich! Ich vermutete in deiner Bemerkung ein gewisses Vorurteil gegen die Dame, welches ich widerlegen wollte. Dasselbe ist ja bei deiner völligen Unkenntnis der Verhältnisse sehr begreiflich. Der Sinn, welchen du hinein legtest, lag meinen Worten völlig ferne. – Darf ich dir jetzt meinen Arm anbieten?«

Kitty zögerte. Ein Gedanke stieg in ihr auf, der sie mächtig reizte.

»Ich mache eine Bedingung.«

»Im voraus gewährt – zur Versöhnung,« entgegnete Georg.

»Du widerlegst meine Vorurteile praktisch, indem du mich einmal in den Zirkus mitnimmst und mit Miß Arabella bekannt machst.«

Georg war sichtlich verlegen. »Aber, Kitty, für eine Dame deiner Stellung ganz unmöglich.«

»Mit einer ›Dame‹ bekannt zu werden?« entgegnete Kitty spöttisch. »Welche Vorurteile!«

»Der Papa wird es einfach nicht dulden. Es handelt sich ja nicht um Miß Arabella, sondern um das ganze Völkchen, um den leichten Ton, der dort herrscht.«

»Ach, ich bin nicht so empfindlich, das weißt du ja, Georg, und ziemlich abgehärtet von Hause her. – Ich kann mich ja in der hohen Reitkunst ausbilden wollen, Stunden nehmen. – Da haben wir's ja! Da wird Papa auch nichts dagegen haben. – Also willst du?«

»Ich glaube nicht, daß Miß Arabella Stunden gibt,« versuchte Georg noch einmal einzuwenden.

»Wenn du dich für mich verwendest – gewiß.«

Georg verwünschte in seinem Innern seine Unbedachtsamkeit. Er glaubte ein unerfahrenes Mädchen vor sich zu haben und sah sich nun völlig durchschaut; anderseits fühlte er sich geschmeichelt von der eifersüchtigen Regung, welche Kitty nicht verbergen konnte. Er hatte gewichtige Gründe, dieselbe vorderhand nicht weiter anwachsen zu lassen.

»Nun ja, – ich verspreche es dir – dieser Tage – nur um deine Neugierde zu befriedigen. Wer kann dir heute eine Bitte abschlagen?«

Sie nahm seinen Arm.

Das schöne Paar erregte Aufsehen bei seinem Erscheinen. – Daher das geradezu verletzende schroffe Benehmen der Gräfin, die Abweisung der Tänzer! Sie wartete nur auf ihn – aber das läßt man sich doch nicht so anmerken! Das kommt so, wenn ein Mädchen ohne Mutter aufwächst!

Graf Seefeld war freudig überrascht. Er zweifelte keinen Augenblick, daß sich heute noch sein Lieblingswunsch erfüllen werde. In seiner drollig-derben Weise rückte er Georg geradezu auf den Leib, machte Anspielungen, die beiden höchst peinlich waren.

Das Souper vereinigte alle alten Bekannten von Vals an einem Tisch und es entwickelte sich an demselben bald eine so laute Unterhaltung, daß dieselbe die Aufmerksamkeit des ganzen Saales auf sich zog.

Kitty war jetzt bester Laune. Rings umgeben von bekannten Gesichtern, sah sie sich in das gemütliche Speisezimmer von Vals versetzt und vergaß ganz, daß sie der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit war.

Der Kreis an ihrem Tische vergrößerte sich immer mehr und umfaßte die Elite der Gesellschaft. Kitty machte es einen kindischen Spaß, all die Anstrengungen zu beobachten, die gemacht wurden, eingeführt zu werden.

Georg war vollauf mit Vorstellungen beschäftigt. Der zündende Erfolg Kittys, alle die feurigen Blicke, die an sie verschwendet wurden, die heiße Atmosphäre in der Nähe eines schönen, gefeierten Weibes, im vollen Zauber ihrer Reize, erhitzte auch sein Blut.

Bei Gott, sie war schön, begehrenswert! Die Erbin von Millionen! – Sie liebte ihn, seit einer Stunde wußte er es gewiß – und er durfte das entscheidende Wort nicht sprechen. – Warum nicht? – Weil er ein Dummkopf war und einen verhängnisvollen Namen genannt – Arabella!

Er liebte dieses schöne, verführerische Weib, das ihm ungewohnten beharrlichen Widerstand leistete, mit einer Leidenschaft, über die er hinaus zu sein glaubte. – Aber was sollte daraus werden? Eine Verlobung mit Kitty wäre für ihn ja ein erwünschter Anlaß und vor allem ein moralischer Zwang, mit der Reiterin zu brechen, sie nie mehr zu sehen – und heute, eben jetzt fühlte er sich reif zu diesem Opfer. – Aber er hatte es sich selbst unmöglich gemacht. Er war gezwungen, Kitty selbst mit ihr bekannt zu machen, seinen Verkehr fortzusetzen. – Das machte vorderhand jeden entscheidenden Schritt unmöglich.

Kitty verweilte absichtlich lange dabei und schwärmte von dem Künstlerleben, als hätte sie bereits einen Einblick in dasselbe getan. Dadurch lockte sie unwillkürlich die Herren aus ihrer Reserve. Pikante Ausschnitte, denen eigene Anschauungen zugrunde lagen, wurden gemacht.

Ein junger Offizier wußte Genaueres über die höchst abenteuerliche Lebensgeschichte Arabelles zu erzählen. Ein Gemisch von Romantik und Pikanterie.

Georg korrigierte seine Angaben und verriet sich als sehr genau unterrichtet. Hier und da nahmen seine Bestrebungen, die Künstlerin im besten Lichte darzustellen, sichtlich wider seinen Willen, eine so erregte Form an, daß man, allgemein peinlich berührt, das Gespräch abzubrechen suchte.

Der höhnische Blick Kittys, die jetzt, nachdem sie erreicht, was sie wollte, nur mehr Zuhörerin war, brachte ihn vollends aus der Fassung. – Graf Seefeld setzte den Bitten seiner Tochter betreffs des Zirkusbesuchs nur geringen Widerstand entgegen – so war seine letzte Hoffnung verschwunden.

An einem Tische neben der Gesellschaft saß ein junger Mann in Zivil. Obwohl seine Toilette tadellos war, unterschied er sich doch mit seiner nachlässigen Haltung, den Kopf auf die rechte Hand gestützt, dem verworrenen, etwas gelockten Haupthaar, in welchem seine weißen, auffallend schmalen Finger wühlten, von den militärisch strammen Erscheinungen rings umher mit dem peinlich abgezirkelten Äußern.

Kitty fiel einmal flüchtig seine Einsamkeit inmitten des geselligen Treibens auf. Ein junger Mann in Zivil konnte sie nicht weiter interessieren, sie hatte geradezu eine Abneigung gegen alle Frackträger, mit ihrem saloppen Wesen, ihren unschönen, nachlässigen Bewegungen. Mann und Offizier waren bei ihr nachgerade gleichbedeutende Begriffe geworden.

Einmal aber, mitten im Gespräch, ganz zufällig, begegnete sie dem starr auf sie gerichteten Blick dieses Mannes. Es war sonderbar! Sie konnte nicht, so rasch sie wollte, ihr Auge abwenden. Es lag etwas in dem gelblichen, regelmäßigen Gesichte, mit den tiefen schwarzen Augen, unter einer auffallend niedern kantigen Stirn, das sie fesselte.

Unwillkürlich stellte sie, als sie sich umwandte, Vergleiche an in ihrer Umgebung, und es schien ihr auf einmal, als seien alle diese Gesichter einander auffallend ähnlich, junge und alte, die mit dem schwarzen und die mit dem blonden Schnurrbart. Der Blick aus allen genau derselbe. Ja, nicht nur an ihrem Tische, nein, im ganzen Saale, so weit sie sich umsah, als habe sich eine riesige Familie hier zusammengefunden – und nur der eine dort gehöre ihr nicht an.

Jetzt war sie gezwungen, hinzusehen, und wenn sie sich abwandte, fühlte sie den Blick auf sich ruhen.

Diese ihr aufgezwungene Beunruhigung verdroß sie.

»Kennst du den Herrn dort an dem Tisch?« fragte sie endlich Georg.

Der wandte sich brüsk um.

»Ach, das ist ein Maler,« sagte er dann in geringschätzigem Tone. »Ein Herr Makowsky. Ein ganz verrückter Kerl« – und setzte sein abgebrochenes Gespräch wieder fort.

Die übrigen Herren warfen rasch einen Blick auf den Einsamen, weiter war keine Rede davon.

Kitty stand der Kunst völlig fern, wie der ganze Kreis, in dem sie lebte.

Sie hatte keinen Begriff von ihrer Bedeutung als Kulturelement, ebensowenig von den Genüssen, die sie zu vergeben hat.

Höchstens das Theater ragte wenigstens äußerlich als Unterhaltungsmittel, als gewohnter Versammlungsort der Gesellschaft, in ihre Sphäre hinein, aber auch hier konnte von einem, künstlerischen Genießen, von feinerer Auswahl nicht die Rede sein. Literatur stand nur unter französischer Marke Einlaß, auf die sehr zweifelhafte Empfehlung der Valser Freunde oder Georgs. Bedürfnis wenig, Zeit sehr beschränkt. Doch hielt die Pensionatserinnerung den allgemeinen Begriff noch aufrecht.

Am entferntesten jedoch lag ihr das Gebiet der darstellenden Kunst. Es fehlte ihr völlig der Schlüssel zum Verhältnis derselben. Ihr ständig reger Verkehr mit der Natur, ihre mehr auf das Sinnliche, körperliche gerichtete Entwicklung mochte daran schuld sein. Der Bauer ist aus demselben Grunde ein Kunstverächter. – Kunst ist ein Surrogat für Natur, je mehr wir uns von dieser entfernen, desto notwendiger wird sie uns.

Zwar drang wiederholte Kunde aus der Künstlerwelt an das Ohr. Berühmte Namen, Extravaganzen und Tollheiten, welche man belachte. Aber berühmt und unberühmt, das ganze Völkchen war nicht salonfähig, gehörte nicht zur »Gesellschaft.« Sie hatte auch noch nie gehört, daß ein junger Mann aus guter Familie diesen Beruf gewählt.

Sie ärgerte sich über ihr Interesse an dem Menschen, über sein unanständiges Herüberstarren, und doch beschäftigte er sie derart, daß ihre Zerstreutheit auffallen mußte.

Die Musik begann wieder. Die Paare verließen den Soupiersaal. Kitty machte Georg ein Zeichen, daß sie sich anzuschließen wünsche. Sie fühlte sich unbehaglich unter diesem Blick.

Georg ergriff mit Eifer die Gelegenheit, gefällig zu sein, und reichte Kitty seinen Arm.

Er mußte dicht an dem Maler vorbei. Kitty empfand ein eigentümliches Angstgefühl, sie blickte zu Boden und drängte ihren Begleiter möglichst rasch vorbei. Doch der junge Mann trat ihnen förmlich in den Weg.

»Herr Baron, darf ich Sie bitten, mich der Komtesse vorzustellen?«

Es lag etwas in seinem Wesen, was eine brüske, sichtliche in der Absicht Georgs liegende Abweisung unmöglich machte – etwas Überlegenes, Zwingendes.

Makowsky bat Kitty um eine Tour. Diese Kühnheit imponierte ihr. Obwohl sie es für höchst unpassend hielt, mit einem Maler zu tanzen, konnte sie seine Bitte doch nicht abschlagen. Alles Absonderliche reizte sie, und absonderlich war der Mensch, anders wie alle. Georg war starr und übergab seine Dame mit einer ärgerlichen Bereitwilligkeit.

Als sie ihren Arm in den seinen legte, bereute Kitty faßt ihr Unternehmen – es war ihr noch nie so unbehaglich.

»Ich muß mich entschuldigen, Gräfin,« begann der Maler. »Ich beobachtete Sie vorhin auf eine höchst unpassende Weise und es entging mir nicht, daß Sie sich verletzt fühlten.«

»Und womit wollen Sie sich denn entschuldigen?« entgegnete Kitty.

»Mit meinem Beruf, Gräfin. Sie boten einen Anblick der mich in dieser farblosen Öde ringsum bannte.«

»Eine farblose Öde nennen Sie das? Und ich bekomme Kopfweh von all der Farbe.«

»Das glaube ich Ihnen! Sehen Sie nur diese blaue Stange vor uns mit dem mörderischen roten Streif, der mir die Kehle zuschnürt, und neben ihm das stechende grüne Kleid! Wie kann der Mann ...«

»Generalmajor Graf P. ...« flüsterte Kitty, überrascht von dem ungewohnten Sprechen ihres Begleiters.

»So!« erwiderte dieser kurz. »Das ist es ja, was so schmerzt, diese Brutalität der Farbe und mitten darin ein mit feinstem Geschmack abgetöntes, tadelloses Bild, wie Gräfin, mit Meisterhand geschaffen – ich mußte Sie ansehen, Sie bewundern.«

Die ganze Art des Ausdrucks, der Anschauung, war Kitty völlig fremd. Dieser ihr unbegreifliche Sinn für Farbe, diese intensive Wirkung derselben auf einen Mann. Das war eine spontane Huldigung ihrer Schönheit, wie ihr bisher noch nicht zuteil wurde, und sie mußte der schalen Bewunderung Georgs denken. Großartig! Paff!

»Sie sprechen ja wie der Besitzer eines Modemagazins!« sagte sie dennoch spöttisch.

»Sie malen nicht?« fragte Makowsky.

»Wie kommen Sie auf diese Idee?«

»Treiben gar keine Kunst, als Dilettantin wenigstens?«

»Doch, eine große Kunst!«

»Wußte ich es doch! Musik, nicht wahr?«

»Sie raten schlecht.«

»Also Dichterin? Allerdings, wie konnte ich auch die größte Kunst zuletzt nennen!«

Kitty mußte lachen. Das war zu komisch! Sie eine Künstlerin!

»Und meine Kunst nennen Sie grade nicht – die Reitkunst! – Ah so, das ist ja keine Kunst in Ihren Augen!« versetzte Kitty, verletzt durch das spöttische Lächeln des Malers.

»Nein, Kunst nicht, aber eine erwerbenswerte Fertigkeit – und in Ihnen steckt eine Künstlerin!«

Er sprach das mit scharfer Betonung, mit einem Blick, der ihr Innerstes aufsuchte.

»Ich weiß nicht, auf welchem Gebiet, ist auch ganz gleichgültig – es handelt sich nur um die Empfindung...«

Die Paare vor ihnen waren abgetanzt. Makowsky legte seinen Arm um ihre Taille.

Er war ein vortrefflicher Tänzer, nur erschreckend nervös. In seiner schmalen Hand pochte es so unheimlich und das Auge wechselte immer seinen Ausdruck.

Sie mußte um Gnade bitten, ein Schwindel erfaßte sie.

Makowsky führte sie zu einem Diwan in dem nebenliegenden Gemach.

Sie knüpfte das Gespräch wieder an.

»Wie können Sie denn wissen, daß ich künstlerisch empfinde? Wie Sie das nennen.«

»Das fühle ich, Gräfin. Wie einen elektrischen Strom – wie den Mond...«

»Fühlen Sie den Mond?« fragte Kitty.

»Gewiß! Ein jeder fühlt ihn, nur ist sich nicht jeder der Schwankungen seines innersten Wesens so bewußt wie der Künstler. Diese geheimnisvolle Wechselwirkung von allem und jedem ...«

»Gott sei gedankt! Das muß ja ganz ängstlich sein, schmerzhaft geradezu,« meinte Kitty.

»Oft, gewiß! Aber anderseits bietet diese Empfindungsfähigkeit Genüsse, die alle Schmerzen überwiegen.«

»Ach, wenn Sie wüßten, wie gesund ich bin! Nerven, sage ich Ihnen, wie ein Bauernmädchen!«

»Um so beneidenswerter sind Sie, Komtesse, weil um so genußfähiger. Lernen Sie nur erst dieses Zauberland kennen, des Unbewußten! Wo alles Bedeutung gewinnt, an dem Sie jetzt achtlos vorübergehen, und alles Bedeutung verliert, dem Sie jetzt noch welche zuschreiben. In dem jede Blume spricht, jede Wolke, der Abend, die Nacht, der Morgen! – Die Führerin dahin fehlt Ihnen nicht, sie blickt aus Ihren Augen mir entgegen – die Phantasie. Nicht wahr, Sie haben eine starke Phantasie?«

Kitty mußte immer in diese sprechenden Augen sehen, obwohl ihr Leuchten geradezu Kopfschmerz verursachte, wie eine auf und ab zuckende Flamme. Auch die transparenten, feingegliederten Hände, welche in ständiger Bewegung waren, fesselten sie. Und doch hätte sie viel darum gegeben, sich diesem Manne rasch entziehen zu können.

»Sie irren sich wieder, Herr von Makowsky. Ich bin vollständig phantasielos. Wie ich Ihnen schon sagte, eine ziemlich gute Reiterin, weiter gar nichts.«

»Sie kennen sich selbst nicht, Gräfin. Warum zogen Sie sich vorhin in das einsame Gemach zurück? Warum schlossen Sie die Augen?«

Kitty machte eine unwillige Bewegung. »Wie kommen Sie dazu, mich derart zu beobachten?«

Der Maler ließ sich dadurch nicht aus der Fassung bringen.

»Das Recht müssen Sie jedem der hier Anwesenden zugestehen. Weil Ihre Seele dieser schalen Umgebung entfliehen wollte – irgend wohin! Aufs Pferd! In die freie Gottesnatur hinaus! Was weiß ich! – Das ist Phantasie! Sie wollen morgen den Zirkus besuchen. Nicht in einer langweiligen Loge unter dem Publikum, um verbrauchte Scherze zu belachen, sondern um einen Blick zu werfen in eine bunte, fremde Welt, von der Sie sich einen besonderen Reiz erhoffen. Das ist Phantasie! Ihre Seele ist unbefriedigt von Ihrer jetzigen Atmosphäre und sucht sehnsüchtig nach einer andern, nach Unbekannten!«

»Sie sind wirklich unheimlich, Herr von Makowsky,« sagte Kitty in gezwungen scherzendem Tone. Im Grunde genommen war es ihr Ernst mit dieser Bemerkung.

»Zürnen Sie mir, wenn ich Sie auf die Ihnen allein heilsame Atmosphäre aufmerksam mache, in der Sie sich wie neu belebt fühlen werden?«

»Und die wäre nach Ihrer Meinung?« fragte Kitty.

»Ich sagte es Ihnen ja eben.«

»Ah so, ja! Wie nannten Sie es nur? Das Zauberland – des ...«

»Des Unbewußten!«

»Wissen Sie keinen andern, verständlicheren Namen dafür?«

»Das Zauberreich der Kunst, der Phantasie – des Übersinnlichen, das keine Grenzen kennt, nie ausgenossen werden kann ...«

»Und wie soll ich den Weg dahin finden? In meiner Umgebung hat man ja gar keine Ahnung, wo es überhaupt liegt.«

»Ja, das ist allerdings wahr! Da haben Sie recht! Sie bedürfen eines Führers ...«

»Was malen Sie denn eigentlich?« fragte jetzt Kitty bei den letzten Worten des Malers sich rasch erhebend.

Die Musik war verstummt, der Tanz beendet. Einzelne Paare betraten, um sich abzukühlen, den Raum.

Kitty spähte nach Georg und dem Vater, nach Hilfe vor dem entsetzlichen Mann, der ihr ganzes Innere durchschaute und aufwühlte.

»Haben Sie wirklich noch nicht von dem verrückten Makowsky gehört?« fragte der Maler, unbekümmert um seine Umgebung.

»Offen gesagt, nein! Bis eben zuvor – Baron Prechting ...« sie stockte.

»Von ihm sprach, von dem verrückten Makowsky ...« Kitty wurde feuerrot. Sie brachte diesem Manne gegenüber, der alles durchschaute, nicht die einfachste Notlüge zustande.

»O, sagen Sie es nur, Komtesse! Der Baron hat auch ganz recht von seinem Standpunkt aus. Denken Sie sich einmal eine bunte Wiese, bunter, als Sie je eine erblickt. Die Blumen die in unserm Nebellande nur kümmerlich sich durchringen durch das Gras und bei diesem Kampfe ihren ganzen Farbenreichtum einbüßen, in der vollen Pracht, einer glücklichen Zone. Blaue, purpurrote, weiße Sterne, violettsamtene Glocken auf zierlichen Stengeln, sich kräftig abhebend vom saftigen Grün. Die Sonne geht auf, über dem flachen Horizont, drei singende Mädchen im duftigen Florgewand, einander die Hände reichend, schreiten heran, im Glorienschein des nahenden Gestirn. Die Blumen duften ihnen entgegen, kehren ihnen die Blüten zu...«

»Das ist der Morgen, die Geburt des Lichtes!« erwiderte Kitty, welche das phantastische Bild in dem glänzenden Auge, in dem sich verklärenden Antlitz des Sprechers zu erblicken glaubte, selbstzufrieden.

»Sehen Sie! Sehen Sie!« rief Makowsky so laut, daß einige Vorübergehende erstaunt sich unwandten und Kitty leise, warnend, seine Schulter berührte.

»Das ist aber einfach verrückt von diesem Herrn von Prechting, oder ... Waren Sie schon in einem Bergwerk?«

Kitty zuckte zusammen, die Frage erschreckte sie und regte aber zugleich die heftigste Neugierde.

»Gewiß! Papa besitzt selbst eines in Vals,« erwiderte sie heftig.

»Ach ja, ich vergaß! Nun dann! Es ist Dämmerung, Nacht beinahe. Alle Formen lösen sich. Die dampfenden Halden, die gespenstischen Schlote und langgestreckten Gebäude. Da und dort ein Lichtblitz, die Purpurglut einer Esse. Auf einsamem Wege ein Paar. Ein Arbeiter hält sein Mädchen dicht umschlungen, das intensive Licht der Grubenlampe am Gürtel, wirft seinen Schein über ihr seliges Gesicht, das seine tief beschattet. Wie würden Sie dieses Bild nennen, Komtesse?«

Die Stimme des alten Grafen erlöste Kitty von der Antwort, welche dieser unheimliche Mensch, das fühlte Kitty, sich erzwungen hätte.

»Ja, wo steckst du denn nur immer, Kitty?« – Der alte Herr war sichtlich ärgerlich über das Verhalten seiner Tochter. Er beachtete kaum die Verbeugung des jungen Mannes.

Kitty fühlte sich verpflichtet, ihn darüber aufzuklären, wen er vor sich habe.

»Herr Makowsky!« stellte sie den jungen Mann vor. »Eine unserer ersten künstlerischen Notabilitäten.«

»Das nicht, Komtesse. Ihr Herr Papa würde sich gewiß sehr wundern, in diesem Falle meinen Namen noch nicht gehört zu haben,« bemerkte Makowsky.

»Na, deshalb, weil ich Ihren Namen noch nicht kenne, können Sie getrost eine künstlerische Notabilität sein. Ich bin, offen gesagt, auf diesem Gebiete gar nicht au fait. Ich weiß nicht – ich komme wirklich nicht dazu – und dann fehlt mir auch wirklich jegliches Verständnis.«

Kitty schämte sich über die Offenheit des Vaters, die ihr vor einer Stunde gewiß nicht aufgefallen wäre.

»Um so mehr muß ich das hohe Interesse und den feinen Sinn bei Ihrem Fräulein Tochter bewundern!« meinte Makowsky.

»Bei der!« sagte der Graf, lachend auf Kitty zeigend, »feinen Sinn für die Kunst? Na, das ist mir ja das Allerneueste! Wenn ein wildes Pferd oder eine neue Flinte mit Ihrer Kunst was zu tun hat, dann gebe ich es zu.«

Kitty war mit Glut Übergossen. Noch nie in ihrem Leben fühlte sie sich so beschämt. »Du gehst denn doch zu weit in deinem Scherz, Papa,« erwiderte sie. »Wenn ich auch in dieser Beziehung viel versäumt habe, was ja am Ende nicht meine, sondern die Schuld meiner Erzieher wäre – so hat es mir doch nie an warmer Empfindung gefehlt für alles Gute und Schöne. Herr Makowsky muß mich geradezu für ungebildet halten, deiner Schilderung nach ...«

»Beruhigen Sie sich, Komtesse, das ist nicht mehr möglich,« entgegnete galant der Maler.

Kitty warf ihm einen dankerfüllten Blick zu.

»Für ungebildet? Weil du nichts von der Kunst verstehst? Das wäre nicht übel! Nicht wahr, Herr Makowsky, das glauben Sie ja selbst nicht. Aber sehen Sie, so ist meine Tochter! Jede Woche für etwas anderes begeistert! Einmal ist es die Jagd, dann sind es Pferde, auch die Kohlengrube war schon an der Reihe. Morgen kommt der Zirkus daran und dann wahrscheinlich – Ihr Atelier.«

Graf Seefeld lachte in seiner gewohnten lärmenden Weise.

Kitty standen die hellen Tränen in den Augen.

»Das finde ich ganz begreiflich, Herr Graf, so geht es allen Phantasiemenschen, und ich würde es mir zur größten Ehre schätzen, wenn mein Atelier Ihrem Fräulein Tochter auf dieser wechselvollen Reise vielleicht einen kurzen Ruhepunkt bieten darf,« entgegnete Makowsky, im Begriffe sich zu empfehlen.

»Nach all den müßigen Spielereien? Dazu dürfte Ihnen ihr Atelier doch zu gut sein,« sagte Kitty bitter.

»Im Gegenteil, Komtesse, ich bitte so sogar nach all den durchaus nicht müßigen Spielereien. Es wirkt dann besser, ja, Sie müssen kommen! Sie sind mir noch den Namen schuldig unter dem Bilde.«

Sie reichte ihm die Hand. Er hielt sie länger als nötig in der seinen.

»Ich komme!« sagte sie bestimmt.

Makowsky empfahl sich.

Kitty kehrte mit dem Grafen in den Saal zurück.

»Du machst aber sonderbare Bekanntschaften,« bemerkte dieser. »Man geht doch nicht auf das Generalstabspicknick, um sich eine Stunde lang mit einem Herrn Makowsky zu unterhalten! Wie so ein Mensch nur dahin kommt!«

»Das begreife ich allerdings auch nicht,« sagte Kitty in einem spöttischen Tone.

»Hast du den Maler endlich angebracht?« sprach Georg sie an. »Das Volk kenne ich! Alles Reklame! Morgen wird in allen Zeitungen stehen, daß der ›berühmte‹ Makowsky mit der Gräfin Seefeld einen Walzer getanzt.«

»Da irrst du dich wohl! Sein Ehrgeiz ist in dieser Beziehung nicht sehr groß.«

»Aber seine Einbildung, willst du sagen.«

»Na, so lassen wir den Leuten ihr unschuldiges Vergnügen.«

Kitty konnte dem Kotillon nicht ausweichen. Sie wurde überschüttet mit Buketts und schönen Worten. Vergebens sah sie sich nach Makowsky um, er war nicht mehr im Saale und sie empfand ein freudiges Gefühl darüber.

Kaum war der Tanz zu Ende, drängte sie nach Hause, sie sei ermüdet, habe Kopfweh.

Graf Seefeld war aus zwei Gründen sehr unzufrieden mit dem Abend.

Georg zögerte ganz unbegreiflicherweise mit einer Werbung. Das heutige Benehmen Kittys, ihr Interesse an dem Maler, so bedeutungslos es auch an und für sich war, ließ ihn fürchten, daß seine Erziehung doch nicht ganz fehlerfrei und ohne Bedenken war. Zur Weltdame besaß Kitty unbedingt keine Anlagen.

Georg gab sich schon der Hoffnung hin, seine Cousine habe über den Makowsky und sein Geschwätz das Zirkusprojekt vergessen; dann wollte er dem Maler ja noch dankbar sein.

Er begleitete die Seefelds bis zur Equipage in der Einfahrt.

Kitty war in der besten Laune. Sie hatte ihr Kopfweh längst wieder vergessen. Grade jetzt wollte sie das Zirkusleben kennen lernen. So geht es allen Phantasiemenschen! sagte Makowsky. Sie wird das jetzt alles in anderm Lichte sehen, in künstlerischem Lichte, dem dieser Mann erst ihre Augen geöffnet.

»Also morgen zu Cinelli! Ich erwarte dich, Georg!« rief sie dem Verblüfften noch aus dem abfahrenden Wagen zu.

In Kittys glühendem Haupte jagten sich die Gedanken: Es gibt also noch eine andere Welt, eine dritte, die auch Franz nicht kennt, in die man sich retten könnte im Notfalle. Die Welt der Kunst, der Phantasie – des Übersinnlichen, wie er sagte. Und der von ihm nur leise gelüftete Vorhang, der diese jedem profanen Auge verschloß, ließ sie ein phantastisches Bild schauen in leuchtenden Farben, gegen welches alles um sie her welk erschien, grau in grau.

*


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