Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Bewohner des Arbeiterviertels waren nicht wenig erstaunt, eines Tages das Schloßfräulein, dessen Besuch in der Grube schon alle Gemüter erregt, von einem mit zwei schweren Körben bepackten Bedienten gefolgt, mitten in ihrem engen Gemeinwesen zu sehen.

Scharen von Kindern und Frauen sammelten sich vor den Häusern, in welche sie eintrat.

»Was ist denn der in den Kopf gefahren?«

»Druckt's doch einmal das Gewissen, die Schloßleut'! Angst haben's! 's Maul wollen's uns stopfen? Was will's denn eigentlich da drinnen? Daß er no mehr sauft der Petri! Wenn's mal was geben, geben sie's g'wiß den falsch'n! Das is halt wieder was Neues, uns in Topf 'nein schaun, nachher schmeckt's wieder besser daheim!«

Das ging so von Munde zu Munde. Der Boden war nicht im geringsten vorbereitet für eine Liebessaat.

Kam dann Kitty heraus, deren vornehme Erscheinung und geschmackvolle Toilette in dieser Umgebung doppelt zur Geltung kam, dann machte den trotzigen harten Reden ein hündisch kriechendes Wesen Platz, vor dem Kitty, von Widerwillen erfüllt, die Augen niederschlug. Sie ging völlig wahl- und planlos umher, bis ihre Taschen und die Körbe geleert waren.

Sie überhäufte den kinderlosen Trunkenbold ebenso mit ihren Wohltaten, wie den schwer bedrängten fleißigen Familienvater.

Sie kam in die ärmlichen, übelriechenden Stuben mit zurückgehaltenem Atem, das parfümierte Taschentuch in der Hand, drängte den erstaunten Leuten ihre Gaben förmlich auf und eilte wieder hinaus.

Sie gab den Gesunden kostbaren Wein aus dem Schloßkeller, den Kranken für sie unbrauchbare Kleidungsstücke, wie es ihr gerade in die Finger kam.

Sie verstand nicht die ungefügen Dankesworte der Leute, die gepreßten Tränen und kummervollen Händeküsse. Die Leute hinwiederum nicht ihre hastigen Fragen, ihre fremdartigen Ausdrücke.

Hatte sie ihren sonderbaren Rundgang beendet, schüttelte sie den garstigen Staub aus ihren Kleidern und eilte, ohne umzusehen, dem Schlosse zu.

Sie hinterließ keine Spur von Wärme und empfand selbst keine.

Das sollte ein Paradies sein! Wie kindisch war doch ihr Traum. Wenn sich Franz auch so enttäuscht fühlt von seiner neuen Welt – dann, armer Franz!

Das einzige Motiv ihrer wiederholten Gänge war das ihm gegebene Versprechen. Das wollte sie wenigstens halten.

Bald wurden dieselben immer seltener und in wenigen Wochen überließ sie dem Direktor des Werkes eine Summe zur freien Verwendung für die Bedürftigen.

Georg und der Vater errieten leicht, woher dieser plötzliche Wohltätigkeitstrieb stammte. Ersterer war klug genug, Kitty vorderhand mit keinem Antrag zu belästigen, er wußte nur zu gut, daß diese Gemütsstimmung eine rasch vorübergehende sein werde.

Kitty, welche fürchten mußte, daß die Abreise des Bruders das Zeichen für ihn sein werde, um ihre Hand zu werben, war ihm dankbar für diese Zurückhaltung.

Die in Schwarzacker verbrachten Stunden zitterten doch heftig in ihr nach und des jungen Mannes Bild wollte nicht weichen.

Da half auch der nervöse Eifer nichts, mit dem sie sich von neuem dem Sport hingab, nicht die aufgeregteste Jagd, nicht der kühnste Ritt.

Was Franz während seiner Fahrt zur Bahn geträumt, war jetzt schon teilweise eingetroffen. – Der Anblick des Werkes, die tausend Stimmen, die von dort herüberdrangen, weckten von neuem die Erinnerung. Und doch mußte sie sich sagen, daß sie recht gehandelt. Sie war keine Frau für den ernsten, ihr an Charakter – sie machte sich kein Hehl daraus – weit überlegenen Mann, hier nicht und dort nicht, wo er sich jetzt befand. Das Gefühl, welches sie zu ihm zog und dort in der Grube so ganz übermannte, war nur eine schnell aufflackernde Leidenschaft, bedingt durch den langjährigen intimen Verkehr, zum Ausbruch gekommen, unter ganz abnormen Umständen. Das ganz begreifliche Abschiedsweh, das Mitleid mit seiner Lage hatten den Hauptanteil daran.

Diese Überzeugung, welche sie sich selbst aufdrängte, brachte sie jedoch nicht im geringsten dem Gedanken an eine eheliche Verbindung mit Georg näher.

Er war ihr sympathisch. Sie bewunderte seine körperliche Gewandtheit, seinen Mut, sein chevalereskes Auftreten. So äußerlich betrachtet, paßten sie ja vortrefflich zusammen, aber nicht die leiseste Stimme in ihrem Innern sprach für ihn. – Er jagte mit ihr, ritt mit ihr, machte ihr den Hof, unterhielt sie. Wozu dieses Verhältnis ändern? Wenn sie einmal, in der ihre Ruhe immer wieder störenden Szene von Schwarzacker, Georg an die Stelle des Bruders setzte, da stieg ihr eine Blutwelle in das Gesicht.

Das Opfer einer kühlen Familienabmachung zu sein, dagegen sträubte sich ihr selbständiger Sinn.

Sie war froh, als sie mit dem Vater Schloß Vals verließ, um wie alljährlich die Wintersaison mit ihrer vielgestaltigen Zerstreuung in der Großstadt zuzubringen. Es war eine Flucht vor sich selbst.

*


 << zurück weiter >>