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Makowsky Atelier war bereitet, Kitty zu empfangen, wie ein heidnischer Tempel für die jugendlichen Opfer seiner Mysterien.

Weichliche Üppigkeit des Orients gesellte sich in dem von einem sanften blauen Lichte erfüllten hohen Raume mit altgermanischer Mystik. Schwellende Diwans, kunstvolle Wanddraperien in den bunten Farben persischer Teppichstickerei, wechselten mit starren Vertäfelungen, aus welchen in farbigen Reliefs verzerrte blutige Märtyrergestalten blickten.

In einer gerundeten Nische stand eine hölzerne Madonna aus der Zopfzeit in golden verschnörkeltem Rock und blauem Mantel, davor ein venezianischer Betstuhl. Ein Buch in Elfenbein gebunden lag aufgeschlagen auf dem grünen Samt der Lehne. Zwei hohe schmale Glasmalereien in Spitzbogenform sorgten für stimmungsvolle Beleuchtung, während dicht daneben auf dem Hintergrund eines verblichenen Damastvorhanges von tiefem Purpur die weißen Marmorglieder einer Huldgestalt sich abhoben. Hier lag eine Laute, dort ein aufgeschlagenes Buch, auf einem kostbaren Mosaikschrank florentinischer Arbeit lagen bunte Muscheln von grotesken Formen, in welchen tausend Lichter spielten, Durch eine halbgeöffnete Portiere blickte man in einen kleinen rotbeleuchteten Raum. Ein Lager, von einem Tigerfell bedeckt, war sichtbar, davor ein niederes maurisches Tischchen, ein Nargileh darauf. Die Auswahl der Bilder war für Kitty getroffen. Die Spuren seiner rein naturalistischen Periode waren sorgfältig entfernt. Die düstern Arbeitergestalten in stumpfen Farben, die sterbenden Elenden, die hungernden Kinder, die endlosen Kartoffeläcker mit dem fahlen Himmel darüber, die rohen Küsse und plumpen Berührungen Liebender in blauen Gradlhosen und zerlumpten Röcken. Dafür wurde die »Geburt des Lichtes« – der Titel Kittys war bereits gedruckt unter dem Bilde zu lesen – in die günstigste Beleuchtung gerückt, paradiesische Gefilde mit verschlungenen Paaren, unter Myrten und Zypressen, Verkündigungen und Verzückungen. Um so auffallender wirkte mitten darin das Grubenbild mit dem Liebespaar, ein Übergangswerk, welchem er sonst keine hohe Bedeutung beilegte. Drei Tage waren bereits vergangen seit seinem Zusammentreffen mit Kitty im Zirkus. Heute kam sie! Mußte sie kommen! Er hatte alle seine Gedanken auf sie konzentriert, wiederholt ihren Namen gerufen. Wenn er sich in dem venezianischen Spiegel sah, betrachtete er mit Wohlgefallen sein Bild. Sein Antlitz war bleich, abgespannt. Das dunkle Auge leuchtete wie ein Glühwurm aus tiefen Schatten. Seine weiße schmale Hand brachte das schwarze Haar noch mehr in Unordnung und der herbe leidende Zug um die Mundwinkel verstärkte sich. Das schwarze Samtwams in spanischem Schnitt wirkte stimmungsvoll. Er trat mit einem schweren Seufzer an die Staffelei. Ein sonderbarer Entwurf stand darauf. Auf einem dicht mit Lilien bewachsenen Hügel, in diese förmlich hineingebettet liegt ein junger Ritter, seine sehnigen Glieder umschmiegt ein Kettenpanzer aus blankem Stahl. Seine Lage ist die eines Gekreuzigten. Die bloßen Hände und Füße sind mit purpurnen Rosen in den weißen Grund geheftet. Sein jugendliches Antlitz verklärt ein wollüstiger Schmerz. Über ihn hin, über die milchweißen Lilien in tiefblauer Luft, schlingen duftige Frauenleiber bacchantische Reigen. Ihr rötlich blondes Haar fällt wie ein Goldregen auf ihn hernieder, dem die halbgeöffneten durstigen Lippen des Gefesselten entgegenschwellen.

Es war das eine Idee, welche sein absonderlicher Gemütszustand der letzten Zeit erzeugt, eine weichliche Liebessehnsucht, die ihm beständig verführerische Frauengestalten vorgaukelte. Nirgends fand er Ruhe davor. Sie peitschten ihn mit seidenen Haarsträhnen, hauchten ihm betäubende Düfte zu. Er kämpfte bis zu Ermattung gegen diesen Höllenspuk. Er sehnte sich zurück nach dem idyllischen Zustand der Unschuld und lauschte zugleich den lüsternen Lockungen. Dieser seelische Zustand nahm Gestalt an. Er sah das weiße Lilienfeld, dessen Duft mit dem wollüstigen Atem der Huldinnen rang, er erschien sich gekreuzigt darin als ritterlicher Märtyrer, die mystische Rose durchbohrte ihm Hände und Füße. Er war begeistert von seinem Werk, das an Orginalität alles übertreffen sollte, während er technisch streng nach moderner Anschauung durchgeführt war, die Idealität des Gegenstandes, die Darstellung nicht im geringsten beeinträchtigt.

Da er sein Modell in der Erwartung Kittys auf einige Tage entlassen hatte, war er in seiner Arbeit aufgehalten. Er wollte nur die Rose vollenden, die wie ein Wundmal brannte in der rechten Handfläche des Jünglings. Aber sein Pinsel zitterte, er war unruhig, und das Blut stieg ihm in den Kopf. Das muß enden, wenn er ihn nicht verzehren soll! Er muß ein Weib nehmen! Dieses wüste Leben, ist sein früher Tod. Ein Weib wie diese Gräfin Kitty! – Schön, gesund wie ein Bauernmädchen, empfänglich für seine Ideen und doch ein Spielzeug in seiner Hand. – Ein Weib – wie – warum denn nicht Gräfin Kitty selbst? – Aristokratin? – Ist er nicht auch Aristokrat, nicht nur in der Kunst, in seinem ganzen Fühlen und Denken! – Sie liebte ihn, das hieß in seiner Sprache: er reizte sie! Dieser alberne Georg von Prechting, der ihr als Gatte bestimmt erschien, war gewiß kein Hindernis, außerdem schmachtete er bereits in den Banden Arabellas! – Also nur noch der Vater? Da werden allerdings Worte nie etwas wirken – nur Taten. Doch das Mädchen war jung, trotz ihrer freien Erziehung ganz unerfahren, und vor allem es fühlte sich unglücklich in seiner jetzigen Sphäre. Wenn sie nur kommt! – Diese neue fremdartige Welt wird ihre Wirkung nicht verfehlen auf ihre ohnehin schon erregte Seele. Da meldete der Diener den Grafen Seefeld. Makowsky war trotz aller Vorbereitung verwirrt. Sollte er das Bild mit dem gekreuzigten Ritter verbergen oder stehen lassen? Dem alten Grafen war ja leicht eine beruhigende Erklärung zu geben – und der Gräfin Kitty? – Er rückte es in ein besseres Licht und ließ es stehen. Dann nahm er Pinsel und Palette – er wollte bei der Arbeit überrascht werden. Kitty trat zuerst ein. Er ging ihr mit der Palette in der Hand entgegen. Sie war sichtlich überrascht von dem mannigfachen Anblick, fand sich nicht zurecht. Selbst der Graf starrte mit offenem Munde die Wände entlang. Sie erwartete wohl, in ein ärmliches Stübchen zu kommen, mit einem Kochherde und einer Staffelei als Einrichtung.

»Ich erwarte Sie, Komtesse!«

Kitty hätte keine Ansprache in eine für die Umstände so passende Stimmung versetzt, als gerade diese, welche sie sofort an ihre noch unausgesprochene, aber trotzdem so enge Beziehung zu diesem Manne erinnerte.

»Diesmal war wohl kein Magie nötig,« erwiderte sie, »ich versprach es Ihnen ja und ich pflege mein Versprechen zu halten. Wie schön es bei Ihnen ist. Ich habe noch nie ein Atelier gesehen! Was es da alles zu fragen gäbe!«

»Sie können gar nicht genug fragen, Gräfin.« – Makowsky übte sein Hausrecht und küßte Kittys Hand.

Ihre Blicke begegneten sich und ruhten länger, als es die Sitte erlaubte, aufeinander.

Graf Seefeld war so überrascht von diesem unerwarteten Interieur, daß er von all dem nichts hörte und sah. »Donnerwetter! Wo leben Sie denn eigentlich? In einer Kirche? Einem Museum oder einem Harem?« begegnete er in seiner lauten Weise, an alle Gegenstände näher herantretend und dieselbe durch sein Monokel betrachtend.

Kitty trat vor das Bild, an dem Makowsky eben gearbeitet; sie wandte sich rasch ab.

»Haben Sie gar kein Mitleid mit dem armen Ritter?« fragte Makowsky, zu ihr tretend.

Da faßte sie Mut und betrachtete das Bild.

»Eine Vision,« erklärte der Maler. »Ein Sommernachtstraum!«

»Den ich nicht verstehe,« erwiderte Kitty.

»Was verstehst du nicht?« fragte Graf Seefeld und trat vor das Bild. »Das ist doch sehr einfach! Irgend eine alte Legende! Ein schwer verwundeter Kreuzfahrer, dem Kettenpanzer nach, der – der – nun der irgend einen verrückten Traum hat. Allerdings ein sehr unpassender Traum für einen Kreuzfahrer, von – von – nun, wie nennt man nur das heidnische Gesindel?«

»Von Houris, meinen Sie wohl, Herr Graf,« sagte Makowsky.

»Ja, ganz richtig! Die Houris! Die türkischen Engel! nämlich heißen so! – Nun, was sagen Sie jetzt zu meinem Kunstverständnis?« Er lachte lärmend.

»Allen Respekt, Herr Graf.«

»Wirklich? Ist es so, wie Papa sagt?« fragte Kitty.

»Ganz so. Eine uralte Legende. Vom Kreuzfahrer, dem der böse Feind verführerische Bilder vorgaukelt, um ihn abzulenken vom Wege des Heiles! Wir sind alle solche Kreuzfahrer, der Erlösung harrend.«

»Und war kann sie bringen, die Erlösung?«

»Eine schöne Jungfrau, irgend eine verwunschene Königstochter, die der Ritter erlöst,« bemerkte der Graf. »Das weißt du nicht einmal?«

Kitty errötete tief.

»Ich bewundere Sie immer mehr, Herr Graf,« entgegnete Makowsky. »Eine schöne Jungfrau, eine verwunschene Königstochter, die der Flitter erlöst! Ja so heißt es, Komtesse, in diesen Märchen, ganz so.«

Sein Blick senkte sich tief in das Antlitz Kittys.

»Ja, was weiß dieser Sausewind von Märchen. Da kommen Sie gut an! Ein Buch war ihr von jeher ein Greuel.«

»Lassen Sie es nur gut sein, Herr Makowsky, ich kenne das Märchen sehr wohl von der verwunschenen Prinzessin, die der Ritter erlöste,« bemerkte Kitty.

»Aber das muß ich Ihnen sagen,« fuhr der Graf unbehindert fort, »ich hätte dem jungen Eisenfresser da etwas Gescheiteres träumen lassen. So etwas von seiner heimatlichen Burg daheim. Ein Humpenstechen im Waffensaale oder meinetwegen auch von seiner Liebsten daheim, einem sittigen deutschen Fräulein. Aber natürlich, das zieht besser – das!« Dabei zog er mit seinem Finger einen Kreis um die Frauenleiber. »Das ist immer modern.«

Kitty trat zur Seite. Sie kannte Papa; um einen seiner »guten« Witze anzubringen, vergaß er jede Rücksicht auf ihre Gegenwart. Die Worte des Malers, deren Sinn nicht mißzuverstehen, hatten sie ohnehin so bewegt, daß sie der Fassung bedurfte. Aber sie kam nicht zur Ruhe. Sie stand jetzt vor der Nische der Madonna. Blaue und rote Lichter zitterten auf der in kindlicher Einfalt einer glücklichen Zeit geschnittenen Gestalt im blauen Mantel. Milde warnend hob sie den schlanken Zeigefinger der rechten Hand. Auf der gepreßten Lehne des Betstuhles lag das elfenbeinerne Büchlein aufgeschlagen, als ob sich eben jemand erhoben aus andächtigem Gebet.

Die Poesie ihres religiösen Kultus – die Seefelds waren ein altes katholisches Adelsgeschlecht – war ihr nie zum Bewußtsein gekommen in der rein formellen, nüchternen Ausübung desselben, welche sie, der Mutter frühzeitig beraubt, gewohnt war, und jetzt in dem Atelier eines Malers wurde sie plötzlich davon ergriffen. Es war ihr, als müsse sie hinknien und die hohe Himmelskönigin um Hilfe anflehen gegen den Sturm in ihrem Innern. Doch da schreckte sie schon die edle Nacktheit einer Göttin aus ihrer frommen Stimmung und trieb ihr Blut. Der Vater sprach mit Makowsky über die mannigfaltigen Waffen, die an den Wänden köstliche Gruppen bildeten. Sie mußte sich setzen. Vor ihr lag die Laute auf einem altertümlichen Stuhl, ein aufgeschlagenes Buch. Was war daran besonderes? Und doch wirkte es so wunderbar! Hier sitzen und träumen im Dämmerlichte! Er spielte die Laute, liest Legenden und Märchen aus dem vergilbten Buche, von der verwunschenen Prinzessin – die er – sie sprang plötzlich auf und trat zu den Herren. Sie standen eben vor dem Grubenbild, von dem Makowsky auf dem Ball erzählt hatte.

»Wie kann man denn nur solch ein Bild da hereinstellen? Mir verdirbt es den ganzen Tag, wenn ich es im Leben zu sehen bekomme!« bemerkte der Graf.

Kitty starrte regungslos auf das Bild. Ein ihr selbst unerklärlicher Schauer rieselte ihr durch alle Glieder bei dem Anblick des sich zärtlich umschlingenden Paares. In dem von dem Lichte der Lampe in des Mannes Hand grell beleuchteten weiblichen Antlitz las sie eine selige Hingebung, welche in dem die Mannesgestalt verschlingenden Düster der Umgebung doppelt erschütternd auf sie wirkte. Aus welchen Tiefen sie dieses Empfinden holte, war ihr selbst nicht klar.

»Wunderbar!« sprach sie gelassen in einem langen Tone, der das so oft mißbrauchte Wort für Makowsky zur begrenzten Huldigung machte.

»Was ist wunderbar,« fragte der Graf, »du große Kunstkennerin?«

»Nichts!« sagte Kitty mit einem Blick auf Makowsky, welcher diesem seinen völligen Sieg verbürgte.

»Nun, das meine ich eben auch,« meinte Graf Seefeld. »Aber diese Waffen sind wunderbar, die mußt du dir ansehen! Da kannst du wirklich etwas lernen. Aber ich habe es mir ja gleich gedacht! Es wird nicht so schlimm sein mit deinem Kunstenthusiasmus. Die Sprünge der Arabella interessieren sie mehr als alle Bilder und Waffen der Welt, glaube ich.«

»Und so ein albernes Persönchen lassen Sie ihr Allerheiligstes betreten!« spöttelte Kitty.

»Das haben Sie ja noch gar nicht betreten,« erwiderte Makowsky.

Kitty stutzte.

»Haben Sie denn gar nichts Sportliches? Pferd, Hund, Jägerei?« fragte in diesem Augenblick der Graf.

Makowsky zögerte, nachdenklich. »Doch,« sagte er dann, als ob ihm plötzlich ein vortrefflicher Gedanke gekommen wäre. »Bald hätte ich es vergessen. Das wird Sie sehr interessieren, zwar nicht von mir ...« Er kramte eilig in einem Haufen Wappen umher, welche in einer Ecke lehnten.

»Hier, sehen Sie einmal diese Sammlung an. Vortreffliche alte Kupfer! Sport und Jagd! Das beste, was Sie sehen können.«

Makowsky warf die Mappe heftig auf den Tisch, daß eine Staubwolke aufwirbelte, und hob den Deckel. Eine Sauhatz von Snyders fesselte sofort die Aufmerksamkeit des Grafen. Makowsky wollte wieder weiter blättern.

»O, nicht so rasch! Nicht so rasch! Das muß ich mir sehr genau ansehen! Davon verstehe ich etwas mehr. Donnerwetter! Pferde auch? Von Ridinger! Habe den Namen schon gehört. Bitte lassen Sie mich nur machen und vertreiben Sie meiner Kitty unterdessen die Zeit. Das geht mir alles zu rasch bei dem Mädel.«

Er nahm Platz und bereitete sich vor zu einer eingehenden Betrachtung.

»Sie sind mir ja noch den Namen schuldig zu dem Bilde, Komtesse,« sagte Makowsky.

Kitty folgte ihm.

»Ihre Kritik begeisterte mich,« flüsterte der Maler vor dem Grubenbild.

»Meine Kritik?«

»Es war nur ein Wort, aber es kam aus Ihrer tiefsten Seele.«

»Ja, das kam es auch! Und dort werden Sie auch den Namen finden.«

Makowsky hatte ihre Hand ergriffen. Beide blickten auf das Bild.

Kitty erzitterte in ihrem Innersten. Sie dachte an Franz! Grade so ruhte sie einen Augenblick an seiner Brust im Schein des Grubenlichtes, und dann kam die Ernüchterung, die kalten vernünftigen Worte aus seinem Munde. Sie empfand wieder dieselbe Erregung wie damals! Nein, das war nicht Liebe, nicht die Liebe, die sie dort auf dem Bilde erblickte, nicht die Liebe – da erlosch der Gedanke.

»Nein, ich finde ihn nicht,« sagte sie, wie ermattet vorn Ringen nach einem Ausdruck ihres Empfindens.

»So will ich ihn nennen,« flüsterte Makowsky leidenschaftlich, »die Erlösung!«

Kittys Hand zuckte in der seinen. »Auf die der Kreuzritter harrt, in den weißen Lilien,« setzte Kitty hinzu, ihr gerötetes Antlitz dem jungen Manne völlig zukehrend.

»Ausgezeichnet, Herr Makowsky! Bin Ihnen wirklich sehr verbunden!« rief der Graf, dem »die Vistion« die beiden völlig verdeckte. »Da steckt Rasse drin, das lasse ich mir gefallen.«

»Nicht wahr, Herr Graf!« erwiderte Makowsky.

»Und jetzt kommen Sie in mein Allerheiligsten,« flüsterte er Kitty zu, die ihm willenlos folgte.

Er schob die türkische Portiere zur Seite und trat in das kleine Gemach in rotem Lichte. Dieses fiel durch eine runde Kuppel im Mittelpunkt der gewölbten Decke und schien von einem glühenden Rubin auszugehen, der dort von Amoretten umflattert eingelassen war. Die Wände bedeckten Gobelins, Amor und Psyche sowie das Urteil des Paris darstellend, der Fuß sank in weiche Teppiche. Kitty zögerte, einzutreten. Dieser schwüle Raum ängstigte sie – als aber plötzlich wie durch Zauberkraft der eine Gobelin sich teilte, konnte sie einen lauten Ruf der Überraschung nicht unterdrücken. Sie erblickte eine Muschelgrotte, in überraschendem Kontraste von meergrünem Lichte durchflutet. Aus einem Wasserbecken, in dessen Wasserfläche der ganze Lichteffekt sich konzentrierte, erhob sich ein feiner grünschillernder Strahl, der sonderbarerweise zwischen den nach oben in grotesken Formen sich schließenden Wänden sich verlierend, nicht wiederkehrte, während ein, einer herrlich schillernden Tritonsmuschel entsprudelnder Quell das Bassin zu nähren schien. Marmorne Stufen führten aus demselben zu einem erhabenen Thronsitz, eine Muschelschale von Tritonen gehalten. Ein Purpurmantel quoll heraus in reichem Faltenwurf, als ob er des Trägers harrte.

»Das ist traumhaft schön!«

Kitty starrte auf das phantastische Bild. Auf der Bühne hatte sie ja derartiges oft gesehen, aber da störte sie immer in ihrem ausgesprochenen Wirklichkeitssinn der Gedanke an die Dekoration, an den maschinellen Apparat dahinter. Aber das war Wirklichkeit! Es gab noch mitten in dem langweiligen Leben solche Märchenwinkel! Die Grotte erweiterte sich für sie in das Unendliche. Sie ward ihr das Symbol der Phantasiewelt, nach der dieser Mann an ihrer Seite so heiße Sehnsucht erweckte in ihrer Brust! Jetzt war ihr alles klar! Darum fühlte sie sich stets so unbefriedigt trotz aller Genüsse des Reichtums. Darum konnte sie Franz nicht folgen in seine Welt, weil sie ein unstillbares Weh in sich trug nach einer ganz andern, ihr von Anfang an zur Heimat bestimmten. Da lag sie vor ihr in mystischem Lichte und unnennbares Glück wehte heraus. Wer sollte ihn einnehmen, den leeren Thron? Wer ihn umwerfen, den köstlichen Purpur? Makowsky las die Frage in ihren glänzenden Augen. Er nahm sie bei der Hand und führte sie die Stufe hinauf.

Sie folgte ihm wie im Traume.

Makowsky riß den Purpur weg und warf ihn ihr über die Schultern.

Sie wehrte sich nicht. »Nun bin ich wirklich die verwunschene Königstochter!« sagte sie lächelnd.

»Die ihren Ritter erlöst?« fragte Makowsky, auf den Marmorstufen vor ihr knieend und ihre Hand leidenschaftlich fassend.

»Der sie selbst befreit von niedern Gewalten,« ergänzte Kitty.

»Wahrheit, Gräfin? Wollen Sie wirklich Königin sein in diesem Reiche? Meine Königin? – oder nur Märchen?«

»Kitty! Kitty! Ja, wo steckst du denn? Das mußt du dir ansehen! Es ist ja wirklich eine Schande, daß man davon gar nichts weiß als Sportmann! – Verkäuflich, Herr Makowsky, die ganze Geschichte?« rief in diesem Augenblick der Graf mit einer Stentorstimme.

»Da haben Sie des Märchens Ende, den Ruf in das öde Land der Wirklichkeit,« sagte Kitty den Mantel abstreifend.

»Es soll nie ein Ende nehmen, wenn Sie nur wollen. Wollen Sie, Gräfin? Wollen Sie um jeden Preis?«

Er umfaßte stürmisch ihre Hüfte.

Ein Taumel ergriff sie, darin vibrierte noch immer des Vaters Stimme. »Ich komme gleich!« stammelte sie, ihm antwortend, während sie mit schwachen Kräften die entfesselte Leidenschaft Makowskys zurückwies.

»Aber komm doch hierher! – Hierher!« – Es klang jetzt wie ein Hilferuf. – So schön! So märchenhaft schön!«

Ein glühender Kuß verschloß ihre Lippen. Sie riß sich gewaltsam los und schwankte die Marmorstufen hinab, den Purpur nachschleppend, der sich an ihr Kleid geheftet.

»Sie müssen, Gräfin, um jeden Preis!« flüsterte Makowsky, ihr folgend. »Für uns beide gibt es keinen Willen mehr.«

Kitty wandte hastig dem Eingang den Rücken, unter welchem ihr Vater erschien.

»Nun, das gefällt mir wieder weniger,« sagte er, sich umsehend, ohne die Erregung seine Kindes und Makowsky zu bemerken. »Etwas theatralisch! Das müssen Sie selbst zugeben, Herr Makowsky. Aber das gehört wohl zum Geschäft. – Für die fahrenden Engländer und Kunstmäzene. Mir haben Sie mit dem Ridinger mehr Freude gemacht.«

»Das sind so kleine Privatliebhabereien von uns Künstlern,« bemerkte Makowsky, sich rasch fassend.

Der Graf drohte lachend mit dem Finger. »Herr Makowsky, ich glaube, Sie sind ein großer Schwerenöter. Wie oft haben Sie denn schon gekniet vor diesem Throne, als erlösungslustiger Ritter?«

Kitty wandte sich auffallend rasch.

»Herr Graf,« versetzte Makowsky, mit einem diesem unbegreiflichen Eifer, »ich muß mich gegen eine solche Auffassung meiner Liebhabereien entschieden wehren.«

»Na, na, man kennt euch Künstler schon! Aber für wen halten Sie mich denn eigentlich, lieber Makowsky? Ich bin doch kein Sittenprediger! Da müßte ich mich gut ausnehmen!«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Graf, daß diesen Platz, so lange er besteht, nur ein weibliches Wesen eingenommen,« sagte Makowsky mit einem für den Grafen geradezu komischen Ernst.

»Aha! Na ja! Aber ich bitte, regen Sie sich doch nicht auf, ich will gewiß der Glücklichen nicht zu nahe treten.«

»Die Glückliche – ist Ihre Tochter, Komtesse Kitty,« erwiderte Makowsky scharf; etwas Feindseliges leuchtete aus seinem Blick.

Graf Seefeld stutzte einen Augenblick. Jetzt erst fiel ihm die die Blässe und die Erregung Kittys auf.

»Höre, Kitty, was du in der letzten Zeit schon alles vorgestellt!« – Es klang mehr herber Spott als gute Laune aus den Worten des Grafen –, »an dir ist eine Komödiantin verloren gegangen.«

»Eine Künstlerin gewiß,« bemerkte Makowsky.

»Seien Sie so gut! Sie glaubt Ihnen sofort.«

»Glaube ich auch, weil ich es fühle! Bisher bot sich mir allerdings keine Gelegenheit dazu. Übrigens keine Sorge, Papa, ich bin zu gründlich verdorben für dieses Fach,« fügte sie gezwungen lachend hinzu.

»Gott sei Dank, Kitty,« erwiderte sichtlich erleichtert der Graf. »Eine Malerin! fürchterlich!«

»Nun, eine Dame kann Künstlerin sein, ohne eine bestimmte Kunst auszuüben. In ihrem ganzen Sehen, Denken, Fühlen.«

»Blaustrumpf, meinen Sie?« entgegnete der Graf. »Nun, dazu hat Kitty wirklich nicht die geringste Anlage. Aber jetzt wollen wir gehen, wir haben Herrn Makowsky lange genug aufgehalten und – es ist keine Luft für uns – es legt sich förmlich auf die Brust und verwirrt uns die Sinne. Offen gesagt, Herr Makowsky, Sie werden mich auslachen, für sehr ungebildet halten – aber für was diese Malereien gut sein sollen – ich begreife es nicht. Da lob' ich mir wieder den Sport, den Wald, die frische Heide! Das erhält frisch und gesund. Die denkt nämlich grade so! Alles andere sind nur Schrullen! Jeden Tag eine andere! Glauben Sie es mir, Herr Makowsky!« Er legte seine schwere Hand auf die Schulter des Malers und schüttelte sie so derb, daß der schwächliche Mann fast seinen Standpunkt verlor. Der Graf verließ rasch die Grotte, der Atem versagte ihm in dem engen, schwülen Räume.

»Lassen Sie nur Papa seine Meinung. Ich bleibe Ihnen doch treu,« sagte Kitty, dem Maler die Hand reichend.

Er ergriff sie und hielt sie fest, ohne Erwiderung, dann schlossen sie mit einem gegenseitigen Blick einen ewigen Bund inmitten dieser phantastischen Traumwelt, deren hohle Lüge Kitty im Rausche ihrer erregten Sinne nicht erkannte.

 

Auf Georg von Prechting hatte die offene Erklärung Kittys auf dem Wege nach dem Zirkus eine entscheidende Wirkung. War einerseits für ihn eine vorteilhafte Partie verloren, seine Eitelkeit verletzt, so fühlte er sich anderseits frei und, trotz allem, wie von einem schweren Druck erlöst. Er empfand nichts für Kitty. Sie war ein verwöhntes, schlecht erzogenes Kind in seinen Augen. Ihre Vorliebe für Franz von Kindheit auf war ihm ein Dorn im Auge. Ihr plötzlich erwachtes Interesse an dem Maler Makowsky war für ihn geradezu eine Beleidigung. Trotzdem wäre er, von Jugend auf gewohnt, rings um sich her derartige Herzensangelegenheiten den Familieninteressen untergeordnet zu sehen, vielleicht über all das hinweggekommen, wenn er nicht zu seiner eignen Überraschung selbst von einer starken Leidenschaft ergriffen worden wäre, von einer wirklichen Leidenschaft zu einem Weibe, über die er sich längst erhaben dünkte – zu Arabella, der Kunstreiterin! So sehr er sich auch Mühe gab, seinem Verhältnis zu ihr eine ihm geläufige Erklärung zu geben, alles umsonst! Er liebte sie mit dem ganzen Ungestüm eines reifen, erfahrenen Mannes, der viel erlebt, aber nie geliebt. Arabella hatte als Artistenkind, von Jugend auf zu ihrem Berufe bestimmt, eine reiche Lebensschule durchgemacht. Ihr ward strenge Arbeit, die ihren Körper und ihr Gemüt abhärtete und beide eher vor verderblichen Einflüssen bewahrte, als, wie vielseitig bei dem ungebundenen Wanderleben angenommen wird, solchen aussetzte. Ihr ganzes starkes Temperament ging in dem Ehrgeiz auf, in der Ruhmsucht ihres Standes. Aus dem Sattel, beim Tageslicht, war sie praktisch nüchternen Sinnes und ließ sich den Kopf nicht verrücken von abendlichen Erfolgen und nachfolgenden Huldigungen. Sie war stolz auf ihre Verdienstkraft, die ihr Selbständigkeit verlieh, und sah mit Verachtung auf ihre Kolleginnen herab, welche diese einem augenblicklichen, schmählichen Vorteile opferten und damit zugleich den Ruf ihres Standes gefährdeten. Kurz, eine echte Amazone, auch in ihrer Geringschätzung des männlichen Geschlechts. So legte sie auch der Umwerbung Prechtings keinen großen Wert bei, duldete sie aber, weil er ihr sympathisch war. Besaß er doch in ihren Augen schwer wiegende Vorzüge. Schöner Mann, verwegener Reiter, klingender Name – sie hatte nie Gelegenheit, über andere nachzudenken – dabei nicht aufdringlich, von einer gewissen Achtung für ihren Stand durchdrungen. Das genügte vollkommen für einen angenehmen Verkehr die Wintersaison hindurch. Weiter dachte sie nicht – bis Kitty ihr die Augen öffnete. Wenn er sie wirklich liebte, lag die Sache anders. Warum sollte sie nicht zugreifen, wenn sich ihr das Glück einer gesicherten Existenz bot? Warum nicht Baronin Prechting werden? Ja, sie war sich bewußt, diesen Mann recht glücklich machen zu können. Sie paßten ganz vortrefflich zusammen, eine Neigung, einen Sinn! Die Baronin spielen, davor war ihr nicht bange. Wem stand sie denn im Wege? Dieser Gräfin gewiß nicht, im Gegenteil! Ein paar Verwandte? Was kümmerten sie die! Also? Von diesem Augenblick an veränderte sie ihr Benehmen gegen Prechting. Warum sollte sie nicht ebenso wie ihre Geschlechtsgenossinnen in den Salons der Residenz berechtigt sein, von allen Waffen Gebrauch zu machen, die Natur und Kunst ihr verliehen, einem Manne zu gefallen. Der alte Kampf begann, nur mit ungleicher Kraft. Arabella stand über den Verhältnissen, leidenschaftslos, das Ziel beständig im Auge.

Prechting ging es wie allen Männern, welche Jahre hindurch ihr leichtfertiges Spiel getrieben mit der Liebe, sie rächte sie an ihm durch doppelten Ansturm. Familien- und Standesrücksichten boten nur einen schwachen Widerstand, nachdem er einmal seinen Zukunftsplan betreffs Kittys aufgegeben. Er machte noch einmal den schwachen Versuch, Arabella der stattlichen Reihe seiner ebenso leicht gewonnenen als aufgegebenen Favoritinnen als weiteres Opfer zuzugesellen, in der frivolen Hoffnung, wieder zur Vernunft zu kommen, wenn er den Becher der Lust mit ihr geleert. Der energische Widerstand, auf welchen er stieß, erhöhte nur seine Leidenschaft, und wenn sie auch im Grunde genommen sich von der, welche ein tadelloses Rassepferd in ihm erregte, wenig Unterschied, so war sie doch wie diese – er ging noch vor kurzem beim Ankauf einer Orlow-Tochter, aus der berühmten Melitta des Graditzer Gestüts bis an die äußerste Grenze seiner Leistungsfähigkeit – zu jedem Opfer reif. Eines Abend, nachdem sie ihn in einem perlgrauen Reitkleide, auf einem Vollblut-Trakehner entzückt hatte, warb er in dem engen Bretterverschlag ihrer Garderobe mitten unter dem Wirrwarr ihrer Toilette um ihre Hand.

Kitty kam völlig verwirrt, fassungslos von ihrem Atelierbesuch nach Hause. Der alte Graf wirkte mit seinem Gepolter über diesen verrückten Schmierer und Phantasten, zu welchem man sich ein für allemal nicht herablassen solle, nichts weniger als heilsam. Sie schloß sich in ihr Zimmer ein, warf sich auf die Ottomane und starrte gegen die Decke. Wie war es denn möglich, daß es so kam! Daß er es wagen durfte! – Nein, so nicht, das ist Lüge! Sie wußte, daß es so kommen mußte, sie sehnte sich danach. – Er wagte nichts, er tat nur, was er tun mußte – seine glühende Liebe bekennen! Sie stieg nicht herab zu ihm, sondern er erhob sie auf diesen symbolischen Thron, von dem aus ihre jetzige Welt bedeutungslos, entsetzlich roh erschien. Es war keine Laune, wie Papa glaubte, sondern eine heilige Begeisterung über sie gekommen, eine höhere Einsicht – eine starke, zu allem entschlossene Liebe. Schon einmal hatte sie, alles vergessend, an der Brust eines Mannes gelegen, wonnetrunken ein Liebesbekenntnis gehört. Damals war es ein Taumel, die abenteuerliche Umgebung war daran schuld, sie war ihrer Sinne nicht mehr mächtig in der Stickluft der Grube. Und wenn es wieder so wäre? Die Umgebung war noch abenteuerlicher, noch sinnverwirrender – zum zweitenmal! Dann war sie einfach ein schlechtes, ehrvergessenes Mädchen, viel schlechter, viel niedriger als diese Arabella, die Kunstreiterin. – Nach dem, was vorgefallen, konnte sie keinem andern Manne angehören. – Aber dasselbe ist ja schon einmal vorgefallen! – Nein! Dasselbe nicht. Aus der Umarmung des Jugendfreundes in der Grube war sie ohne Makel hervorgegangen. Sie konnte ohne verletztes Schamgefühl daran denken – eben weil sie nicht wirklich liebte, sagte sie sich selbst – die des Malers entehrte sie auf immer, wenn ihr nicht als Rechtfertigung die Ehe folgte. Sie stand auf, entschlossen, dem Vater alles zu gestehen. Dann kam die Angst wieder über sie. Wenn sie Georg ins Vertrauen zöge? Er wird sie auslachen! Warum denn? Da stand er vor ihr in seiner blauen Husarenuniform, wie vor einer Woche auf dem Balle eine männliche, kraftstrotzende Erscheinung. Neben ihm ein kleiner, magerer Mensch mit hohlen, bleichen Wangen, fieberndem Blick, wirren Haaren! Aber so sah doch Makowskv nicht aus, und doch war es Makowsky, und sie begriff, daß Georg lachen mußte.

Sie verscheuchte rasch die häßliche Vision – Arabella? – Im ersten Augenblick stieß sie sich daran, eine Kunstreiterin zu ihrer Vertrauten in einer so intimen Angelegenheit zu machen. Aber sie war doch wenigstens ein weibliches Wesen, noch dazu ein sehr erfahrenes, kluges, das einzige weibliche Wesen, dem sie sich offenbaren konnte. Auch war sie die einzig mögliche Mittelsperson zwischen ihr und dem Geliebten. Da war ihr jetzt Makowsky, mußte er ihr jetzt sein. Vielleicht war es besser, wenn er selbst mit dem Vater sprach, oder wenn sie beide nicht sprächen und der Gewalt der Vorurteile eine andere Gewalt entgegensetzten – die Tat! Auf flüchtigen Pferden! Solche Entführung hatte sie immer mit Herzklopfen gelesen. Da kam ihr der Gedanke, daß Makowsky ja nicht einmal reiten könne! Ein unangenehmer, ihr peinlicher Gedanke! Wie schwer man sich doch von angeborenen Anschauungen loslöst!

Kitty hatte seit dem Zusammentreffen mit Makowsky in der Garderobe den Zirkus nicht besucht; absichtlich, um sich dieser Stallatmosphäre zu entwöhnen. Außerdem hatte das geringschätzende Urteil Makowsky über Arabella bewirkt, daß sie ihre Vertrautheit mit der Reiterin längst bereute. Doch all diese Bedenken mußten jetzt schwinden, sie fühlte sich zu hilf- und ratlos den Verhältnissen gegenüber. Zum Glück wußte sie den Gasthof auf dem Zirkusplatz, in welchem Arabella wohnte, nachmittags war sie dort sicher zu treffen. Sie schlich sich aus dem Hause mit dem bedrückenden Gefühl, als ob sie jetzt einen schlimmen Pfad beträte.

Der »Adler« war ein Gasthof niedern Ranges. Im Parterre eine Kneipe, aus der wüster Lärm und Biergeruch drang. Stallknechte aus dem Zirkus trieben sich vor dem Eingange umher, Pferdehändler mit Peitschen in der Hand, geschminkte Mädchen. Kitty lief förmlich Spießruten mitten durch dieses Volk, das die vornehme Dame in kostbarem Pelz mit frecher Neugierde betrachtete. Sie hatte noch nie in ihrem Leben ein solches Haus betreten. Vor der Treppe, die ein schmutziger, abgetretener Läufer bedeckte, zögerte sie. Wie konnte sie eine Person, die hier wohnt, zu solchem Zwecke aufsuchen! Eine Gräfin Seefeld! – Die ganze Ungehörigkeit ihres Beginnens war ihr plötzlich klar. Makowsky wäre gewiß empört darüber. Schon wollte sie umkehren. Ein junger Mann sprang die Treppe herauf, in auffallend derbfarbiger Toilette, eine Reitgerte schwingend.

»Wohin, mein schönes Fräulein?« fragte er keck, Kitty den Weg versperrend.

Sie floh die Treppe hinauf, von dem rohen Gelächter des Menschen verfolgt. Jetzt mußte sie zu ihr, nimmer hätte sie allein gewagt, dieses Haus zu verlassen. Sie fragte einen schmierigen Kellner, der ein Glas Bier heraufbrachte, nach Miß Arabella.

»Kommen Sie nur mit!« sagte er.

Dann ging er noch eine Treppe höher. Der Kellner riß eine Tür auf.

»Nun, Kerl, kannst du nicht klopfen?« rief eine Stimme darin.

Kitty stand vor der erstaunten Arabella, die eben im Begriff schien, einen großen, vor ihr stehenden Korb zu packen. Das geräumige Zimmer mit den gemeinen, verwetzten Möbeln, auf welchen sich die ganze aufgestapelte Garderobe der Kunstreiterin in chaotischem Durcheinander umhertrieb, das Überbleibsel eines unsauber gedeckten Mittagstisches, das noch ungemachte Bett, Arabella selbst in einer nicht sehr reinen Morgenjacke und rotseidenem Unterrock – das alles entsetzte Kitty. Der Nimbus war zerstört, der für sie Arabella umgab. Wenn das im ganzen Reiche der Kunst so wäre! Ein blendender Schein und dahinter die gewöhnlichste Wirklichkeit! Blitzartig zuckte der Gedanke in ihr auf, die blaue Grotte ... Aber was hat denn diese Person mit der Kunst zu tun? – Sie war entschlossen, kein Wort über Makowsky zu sprechen.

»Ja, wie kommen Sie denn hier herauf?« fragte Arabella, eben einige Trikots zusammenfaltend. »Und wie ich aussehe! Aber Sie sehen ja ...«

»Daß Sie packen,« ergänzte Kitty, »um in einen andern Gasthof zu ziehen! Aber wie konnten Sie es nur hier so lange aushaken?«

»O, der Gasthof ist ganz gut! Warum?« meinte Arabella. »Deshalb packe ich nicht ein.« – Sie lächelte so verschmitzt.

»Sie verreisen also?«

Arabelle nickte mit dem Kopfe.

»Aber die Saison ist ja lange noch nicht zu Ende im Zirkus! Ein anderes Engagement angenommen?«

Arabella nickte wieder. Eine eigentümliche Bewegung ging durch ihr Antlitz, ein lächelndes Weinen. Sie streckte Kitty mit einer raschen Bewegung die Hand hin. »Haben Sie mich noch ein bißchen lieb, Komtesse?«

Die Worte klangen so treuherzig, die feuchten Augen Arabellas ruhten mit so innigem Ausdruck auf Kitty, daß diese ihre beabsichtigte Zurückhaltung völlig vergaß und die dargereichte Hand ergriff.

»Das tut mir herzlich leid und ich glaube immer, es wird einem gewissen Jemand noch mehr leid tun.«

Arabella lachte jetzt unter Tränen, die ihr über die gepuderten Wangen herunterkollerten. »Nein, Sie verraten mich nicht, Liebe, das weiß ich, und Sie haben ja auch gleich zu mir, den ersten Tag, Vertrauen gefaßt. Ich kann Sie nicht anlügen. Eben wegen dieses gewissen Jemand reise ich ...«

»Wegen meines Vetters? Haben Sie sich mit ihm überwerfen?«

Arabella schüttelte verneinend das Haupt. »Im Gegenteil, wir reisen zusammen.«

Kitty wurde feuerrot.

»Denken Sie nichts Schlimmes – das heißt, vielleicht ist das für Sie grade das Schlimmste. – Ich werde Ihre Cousine.«

Kitty versagte die Stimme vor Erstaunen. Unzählige Gedanken kreuzten ihr Gehirn. Sie suchte den Zusammenhang, die Folgen dieser Nachricht für ihr Verhältnis. – Dieser nüchterne Georg! Was die Liebe alles vermag. – Auch ein bitteres Gefühl mischte sich hinein. – Sie gab er auf für diese Kunstreiterin! Aber rasch wich es einem andern. »Jedem das Seine!« sagte Makowsky. Beinahe wäre sie die Gattin dieses Mannes geworden – sie mußte ja Arabella dankbar sein. Er wies ihr den Weg, den wahre Liebe geht...

»Sie können es nicht fassen, nicht wahr?« begann Arabella. »Eine Kunstreiterin die Cousine von Gräfin Seefeld. Aber Sie werden sehen, ich mache Ihnen keine Schande. – Ich bin ein gutes Ding, glauben Sie mir, ich kann mich in alle Verhältnisse fügen.«

Kitty war verlegen, sie wollte Arabella nicht kränken.

»Davon bin ich überzeugt,« erwiderte sie verwirrt. »Aber Sie werden mein Erstaunen begreifen, so plötzlich ... War denn mein Vetter schon hier? In diesem Zimmer?« fügte sie dann in sonderbarer Verbindung hinzu, indem sie sich scheu umsah.

»Ich verstehe Sie,« erwiderte Arabella, ihrem Blick folgend. »Sie wollen sagen, dieser Anblick hätte ihm wohl den Geschmack an mir verdorben! – Aber sehen Sie, man wird so ohne Heimat, immer auf der Reise ... Das wird alles anders. Übrigens kann ich Ihnen schwören, daß er nicht hier war. Ich empfange keine Herrenbesuche.«

»O, ich wollte Sie nicht kränken, es war eine dumme Frage! Ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen, Fräulein Arabella, von ganzem Herzen! Jetzt müssen wir ja Freundinnen sein und – und Vertrauen haben zueinander, als so nahe Verwandte ...« Kitty sprach das alles wie geistesabwesend, mit einem ganz andern Gedanken beschäftigt.

»Müssen ist ein schlimmes Wort,« meinte Arabella, »wenn es Ihnen nicht von Herzen kommt...«

»Aber es kommt mir ja von Herzen. – Ich stehe ja so allein – ich habe ja niemand ...«

»Dem Sie vertrauen können, wollen Sie sagen? – Und Sie brauchen jemand – grade jetzt, nicht wahr?«

Kitty schwieg.

»Sie sind deshalb gekommen? – Ja, warum sind Sie denn gekommen, hierher? Jetzt müssen Sie auch offen sein! Soll ich Ihnen darauf helfen? Sie haben einen Herzenskummer? – Doch nicht – heiliger Gott – doch nicht...«

Kitty brach in helles Schluchzen aus und warf sich in ihrer qualvollen Hilflosigkeit an Arabellas Brust.

Die Arme der Kunstreiterin umschlossen sie zärtlich. »Sprechen Sie, Komtesse, sprechen Sie! Ich bin keine Plaudertasche und vom Leben verstehe ich gerade genug, um raten zu können – solange guter Rat hilft.«

»Ach, Sie wissen ja schon alles!« schluchzte Kitty.

Arabella nickte bedenklich mit dem Kopfe. »Also wirklich? Ich hoffe noch immer, daß ich mich täuschte das ist schlimm, sehr schlimm!«

Kitty erhob jäh ihr verweintes Antlitz. »Schlimm? – Sehen Sie, bei mir sagen Sie schlimm! Was ist denn daran schlimm? Weiß Gott, was Sie meinen!«

»Sie lieben den Maler Makowsky, mit dem Sie neulich in meiner Garderobe waren.«

»Nun ja, und was ist denn daran Schlimmes?«

»Weil dieser Maler nicht für Sie paßt, weil es ein Unglück ist, wenn Sie sich mit ihm einlassen,« erklärte Arabella in festem Tone.

Das hatte Kitty nicht erwartet. Dieses Urteil war eine Anmaßung im Munde Arabellas.

»Wie können Sie das beurteilen? Was wissen Sie von Herrn Makowsky?« erwiderte sie in herrischem Tone.

Arabella ließ sich nicht beirren. »Da haben Sie recht, ich weiß gar nichts von ihm. Aber ich habe ihn gesehen, und das genügt mir.«

»O, ich verstehe Sie! Er hat Ihnen nicht gefallen. Ja, allerdings, daß er Ihr Ideal nicht sein kann, das begreife ich. Wie töricht von mir, bei Ihnen auf ein Verständnis zu hoffen. Da ich aber einmal die Ungeschicklichkeit begangen, mich zu verraten, möchte ich Sie doch bitten, sich etwas näher zu erklären.«

Kitty glaubte durch ein plötzlich angenommenes hochfahrendes Wesen ihre so leichtsinnig gefährdete Stellung wahren zu müssen.

»Gerne, Gräfin, so ehrlich als ich es vermag. Herr Makowsky mag ja ein ausgezeichneter Mensch und ein noch ausgezeichneterer Künstler sein. Davon will ich ihm gewiß nichts nehmen. Aber er ist nervös, krankhaft überreizt, ein Phantast! Er bringt Sie in eine Welt, die für Ihr kerngesundes, frisches Wesen ein Verderben ist.«

Kitty lachte hell auf.

»Sprechen Sie nur deutlich! Die für solch ein unwissendes Landkonfekt, das nichts als reiten und jagen kann, nicht paßt. – Sie würden mir wohl irgend einen Landjunker zum Gatten aussuchen.«

»Das nicht, aber einen braven, wackern Mann Ihres Standes. Gesund und unverdorben wie Sie, der Ihren unruhigen Geist heilsam zu beschäftigen und mit seinem treuen Herzen den köstlichen Schatz zu heben weiß, der sich in Ihrem Innern birgt, ohne daß Sie es selbst wissen. – Eine tüchtige Gutsherrin sollen Sie werden.«

Kitty hatte die Lippen in der Erregung eingezogen und klopfte zornig mit den kleinen Füßen auf die Diele.

»So! Und das sagen sie mir alles, eben im Begriffe, mit einem Manne sich zu verheiraten, der gewiß noch weniger zu Ihnen paßt? – Warum haben Sie sich das nicht besser überlegt? Allerdings, Sie setzten mir bereits Ihre Theorie auseinander. Sie wollen sich sicher stellen. Das scheint Ihnen wohl eine Entschuldigung zu sein.«

Arabellas Stirne zog sich in Falten, heftiger Unmut malte sich in ihrem Gesichte. »O, pfui, Gräfin, wie können Sie mir so etwas zumuten! Weil ich ein armes Mädchen bin? – Glauben Sie, ich würde Ihren Vetter heiraten, wenn ich nicht genau wüßte, daß wir vortrefflich zueinander passen. – Jawohl das tun wir auch! Da ändert der Stand nichts daran. Er kann keine andere Frau brauchen, Ihr Vetter, als so ein derbes Ding wie ich bin. Das wird Ihnen schon noch klar werden. Aber wenn ich so sehe, wie ein so liebes herrliches Geschöpf, geschaffen zum Glück und glücklich zu machen, kopfüber in sein Verderben springt. Gräfin Kitty, ich meine es ja so gut. Wenn ich auch nicht so fein erzogen bin wie Sie, ein ganz ungebildetes Ding, das Leben kenne ich doch ein bißchen besser und vor allem, das Herz habe ich am rechten Fleck.«

»Ja, das haben Sie, Arabella,« sagte Kitty, beschämt von der Offenheit des Mädchens. »Und darum sollen Sie auch nicht so hart urteilen und mir raten und helfen, – Wir lieben uns! Damit sind alle Ihre Einwände, so vernünftig sie auch klingen mögen, vernichtet. Wir lieben uns und lassen nicht mehr voneinander. Wir müssen uns angehören. Daran ist nichts mehr zu ändern. – Und jetzt raten Sie!«

Arabella war außer sich. »Da gibt es nur einen Rat. Herr Makowsky hält bei Ihrem Vater um Ihre Hand an.«

»Und wenn er ihn abweist? Er weist ihn ab.«

»Dann – ja dann –« Arabella ging mit Reiterschritten im Zimmer umher.

»Dann geht es einfach nicht.«

»Wirklich? Und wenn Georg noch einen Vater hätte und er sagte ›nein‹ zu eurer Verbindung, würden Sie dann morgen nicht in die weite Welt fliehen?«

»Das würde ich wahrscheinlich nicht, weil es dann auch ein Unglück gäbe. Aber er hat keinen Vater mehr und wir fliehen nicht, wir weichen einfach der müßigen Neugierde der Leute aus und lassen uns im Auslande trauen. Außerdem setzt Georg nicht seine Existenz aufs Spiel, seine Ehre!«

»Sie sprechen von allem, nur nicht von der Liebe.«

»Das ist keine Liebe, ein garstiges Fieber ist's! Das packt einen so auf einmal. Schwingen Sie sich in den Sattel und reiten Sie sich's weg.«

Kitty fuhr sich mit der Hand über die glühende Stirne, atmete tief auf und schlug plötzlich einen völlig veränderten Ton an.

»Ich glaube selbst, Sie haben recht. – Ich will Ihr Mittel versuchen. Aber jetzt muß ich gehen. – Also!« Sie legte den Finger auf den Mund. »Gegenseitig, nicht wahr! Und auf Wiedersehen in Vales als Cousine! Papa nehme ich auf mich! Lassen Sie sich nur gleich sehen nach Ihrer Rückkehr. Und ich danke Ihnen!«

Sie reichte Arabella die Hand.

Ihr unsicherer Blick, die Glut Ihrer Wangen ließen diese nichts Gutes ahnen.

»Wollen Sie mir versprechen, daß Sie nichts unternehmen, bis wir zurück sind? In einem Monat längstens! Sie müssen es mir versprechen!« bat Arabella.

»Ja, das verspreche ich! Ein Monat ist ja rasch vorbei. Viel Glück auf den Weg. Grüßen Sie mir Georg! Wohin flieht – wollt' ich sagen, geht ihr denn?«

»Nach Wien, Komtesse,« erwiderte Arabella ängstlich in Kittys Antlitz forschend. »Und in einem Monat sind wir Nachbarn – dann wollen wir zusammen reiten und jagen. Also auf Wiedersehen, Cousine.«

Sie eilte mit einer ängstlichen Hast aus dem Zimmer, Arabella verblüfft über den unerklärlichen Umschwung ihrer Stimmung zurücklassend.

Jetzt kümmerte sie sich nicht mehr um die gaffenden Männer auf den Gängen und ihre zudringlichen Blicke. Sie floh aus dem Hotel mit glühendem Antlitz.

Sie rechnete auf die lockere Moral der Kunstreiterin und mußte sich nun von dieser an ihre Ehre mahnen lassen! Das war eine bittere, aber wohlverdiente Schmach. Wie konnte sie denn nur von diesem Wesen Verständnis hoffen! Krankhaft, nervös nannte sie ihn! So erscheint jedes Genie dem gewöhnlichen Menschen. – Ein braver wackerer Mann ihres Standes! – Eine tüchtige Gutsherrin« Das war eine Anspielung auf Franz! Georg hatte geplaudert. – Ja wenn sie das noch könnte. Wenn er ein Feuergeist gewesen wäre, ein Makowsky, von seiner heißen, alle Schranken durchbrechenden Liebe erfüllt, dann wäre sie als seine Braut emporgestiegen aus Schwarzacker.

Was tat sie denn? Was wollte sie denn Böses? Nachdem Georg Sie verschmäht, einer Zirkusdame zuliebe, Franz aus kleinlichem Eigensinn, war sie bereit, dem Manne alles zu opfern, der wahre, große Liebe für sie empfand, der sie in eine ihr bisher unbekannte Welt führte, gegen welche die Georgs und die seines Bruders eine öde Wüste war.

In der Größe des Opfers, das sie bereit war, zu bringen, sah sie die Größe ihrer Liebe. – Die elementare Entwicklung derselben flößte ihr kein Bedenken ein. Bei allen außergewöhnlichen Menschen trifft das ein.

Wenn sie noch eine Mutter hätte, sie würde sie gewiß verstehen – aber der Vater!? Das einzige Kind, die Erbin. – Doch er liebte sie ja über alles! Er wird wüten, sie verhöhnen, und zuletzt – doch nachgeben. – Sie erinnerte sich einiger ähnlicher Fälle, von denen sie schon gehört. Ja, sogar der gewaltsamen Entführung, einer Prinzessin aus dem königlichen Hause und der erfolgten Versöhnung der hohen Eltern mit dem bürgerlichen Gatten.

Man bewunderte damals selbst in ihren Kreisen die Standhaftigkeit der Liebenden und ergötzte sich an der Romantik des Ereignisses. Niemand sprach von verletzter Ehre, und die verzweifelten Eltern lebten jetzt in innigem Verkehre mit dem kühnen Schwiegersohn.

Georg selbst, dieser mit allen Vorurteilen seines Standes behaftete Kavalier gab ihr das Beispiel, wie alle Rücksichten weichen müssen der Liebe.

Es dunkelte schon, als sie den kleinen Park betrat vor dem Seefeldschen Palais.

Ein kalter Nebel lagerte sich um die schwarzen Akazienstämme und ließ das Licht der großen Kandelaber vor dem Eingange kaum durchdringen.

Ein Mann kam ihr entgegen vom Hause her. Er war nicht zu erkennen im dichten Nebel.

Sie wollte nicht gesehen werden und trat hinter einen Baum. – Makowsky – das Herz stand ihr still. Er kam vom Vater, er hatte um ihre Hand angehalten. Er ging langsam, in Gedanken versunken, düstere Gedanken. – Sie sah ihn nie mehr wieder! – Das durfte nicht sein!

Plötzlich stand sie dicht vor ihm. Er prallte jäh zurück.

»Sie kommen von meinem Vater?«

»Ich war so töricht. – Er hat mich ausgelacht – die giftigen Farben hätten mich wohl toll gemacht. – Vielleicht hat er recht! Ich fühle, daß man's werden kann.«

»Und Sie sprachen nicht von mir? Von dem was sich in der Grotte zwischen uns ereignet?«

»Haben Sie keine Sorge, Komtesse – kein Wort! Ich bin sehr diskret, obwohl ich manches nicht begreife.«

Eine höhnische Gereiztheit ihr gegenüber klang aus den Worten, welche Kitty heftig beunruhigte.

»Nicht begreifen, sagen Sie?«

»O, ich begreife am Ende alles, ich bin erfahren genug, aber doch, eine Dame Ihres Standes – Braut – und so unternehmend!«

Makowskys herbes Lächeln schnitt Kitty durch die Seele.

»Braut? Von welcher Braut sprechen Sie?«

»Von der Braut Baron Prechtings.«

»Die Braut Baron Prechtings ist eben mit ihrem Bräutigam auf dem Wege nach Wien, um sich trauen zu lassen.«

»Arabella?« fragte Makowsky.

»Und mein Vater sagte Ihnen, daß ich –?«

»Daß morgen schon Ihre Verlobung offiziell bekannt gemacht werde.«

»O, Arabella, wie danke ich dir! das gibt eine süße Vergeltung!« frohlockte Kitty, empört über das rücksichtslose Vorgehen des Vaters.

»Frohlocken Sie nicht zu frühe, Gräfin! Man wird rasch einen andern Freier finden.«

»Und wenn dieser mir untreu wird, wieder einen, nicht wahr! Und wieder einen! – und Sie glauben wirklich, daß ich mich einlassen würde in diesen eklen Handel? – Sie würden ruhig zusehen –?«

»Ich würde nur auf ein Zeichen warten – zur Befreiung, Gräfin.«

Makowsky trat dicht zu ihr und flüsterte die Worte in ihr Ohr. »Zögern Sie nicht lange! jeder Tag erschwert sie.«

Kitty erschrak vor dem Antrag, den sie doch erwartet. »So meint' ich nicht, so nicht.«

»Und doch gibt es keinen andern Ausweg. Ihr Vater wird sich nur der Notwendigkeit fügen.«

»Und meine Ehre?« Kitty klang die Stimme Arabellas in das Ohr.

»Verhandelt werden wie eine Sklavin, das ist ehrlos, nicht – dem Geliebten folgend, allem trotzen. Oder glauben Sie, ich könnte mir diese Liebe aus dem Herzen reißen, auch wenn Sie dem Gesetze nach einem andern angehören? Glauben Sie, daß Sie es könnten? Daß ein verbrecherischer Befehl eines lieblosen Vaters die geheimnisvolle Kette lösen könne, die uns verbindet? Was dann? Können Sie überhaupt, einem anderen Manne angehören, nach dem was sich zwischen uns ereignet? Gerade die Ehre ruft Ihnen tausendfach zu, was Ihnen allein noch zukommt, wenn es die Liebe nicht tut.«

Kitty sträubte sich gegen die verführerischen Worte und sog sie so gierig ein. Die Nähe des Geliebten wirkte wieder so betäubend, erschlaffend auf sie, während der Gedanke an die Härte des Vaters, an die Zukunft, sie völlig in seine Arme trieb.

Makowsky sah ihre Schwäche und verstärkte den Angriff durch neue glutvolle Erklärung.

Jetzt galt es für Kitty, dieselbe für immer abzuweisen, oder mit rücksichtsloser Entschlossenheit das Äußerste zu wagen.

Sie klang so wahr, so innig, in so lockenden Tönen, das verheißene Land wirkte so verführerisch, während der kalte, häßliche Nebel zwischen den schwarzen Stämmen, ihr das Abbild der Zukunft schien. – Die Wahl konnte nicht zweifelhaft sein.

»Was auch geschehen mag – dein auf immer!«

»Und wir fliehen!«

»Wenn es sein muß – ja!«

»Und das Zeichen, Kitty? Ich kann das Haus nicht mehr betreten.«

Kitty schwieg. – Der Verrat im eigenen Hause, an dem Vater trat schwarz vor ihre Seele.

»Ein rotes Licht im Zimmer, um diese Stunde – einfach ein Schirm über der Lampe – bedeutet den Entschluß. Zur selben Stunde des nächsten Tages die Ausführung. Ich harre deiner in einem Wagen, hier um die Ecke« – drängte Makowsky.

Kitty rang nach einem Entschluß. Plötzlich riß sie sich ohne Antwort los und eilte im Nebel rasch verschwindend dem Hause zu.

»Hätte dieser alberne Graf mich nicht verhöhnt – ich glaube, ich hätte es nicht getan. Es ist doch so eine Sache,« murmelte Makowsky, auf die Straße tretend, die Spuren der wilden Leidenschaft noch auf den Wangen, im feuchtglänzenden Auge, die eben alle seine Nerven durchzitterte.

*


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