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Zwölftes Kapitel. Friede und Arbeit

Im Staate Dakota nimmt ein kleiner Strom, der Heart River, seinen Lauf von Westen nach Osten. Langsam wälzen sich seine klaren Fluten bis zum Missouri, in den sie sich bei Bismarck ergießen.

Etwa zwanzig Meilen von dieser immer mehr erblühenden und an Einwohnerzahl wachsenden Stadt liegen in der Nähe der zum Teil bewaldeten Ufer des Heart River fünf Blockhäuser. Eines derselben ist im Schweizer Stil auf einer Anhöhe erbaut und blickt weit hinweg über die Mais- und Kornfelder, die sich weit in das Land hinein erstrecken und deren Saat in üppiger Fülle emporschießt.

Eine feierliche, friedliche Ruhe liegt auf Wald und Flur. Nur die Vögel zwitschern in den Zweigen. Der Wind spielt leise mit den Blättern in Busch und Baum.

Die Strahlen der Sonne fallen warm zur Erde herab. Am blauen Himmel ziehen kleine, weiße Wölkchen.

An der einen Seite des Gebäudes sitzt auf einer Bank ein alter Mann mit stark ergrautem Haar. Das Lederhemd, das seinen Oberkörper umgibt, ist vielfach ausgebessert, und an den Aermeln hängen nur noch wenige, vereinzelte Fransen. Auch den in hohen Stiefeln steckenden Beinkleidern aus Leder sieht man die lange Dienstzeit an.

Der Alte ist emsig beschäftigt, die verschiedenen Teile einer Mähmaschine, die auseinandergenommen in seiner Nähe liegt, zu reinigen und einzufetten. Wenn seine geschickten Finger ein Rad oder eine Stange in Ordnung gebracht haben, prüft er zufrieden lächelnd den Gegenstand, bevor er mit einem neuen Stück in seiner Arbeit fortfährt.

Zuweilen schweifen die dunkeln, lebhaften Augen zum Fluß hinüber. Dann ruhen die Hände wohl eine kurze Weile, um gleich darauf emsiger als vorher ihre Beschäftigung wieder aufzunehmen. Jedesmal gleitet dabei ein beinahe ärgerlicher Zug über das wetterharte, mit weißem Bart umrahmte Gesicht. Zwar kehrt der frohe Ausdruck schnell wieder zurück, aber nur bis der Blick von neuem das Wasser sucht.

Jetzt öffnet sich die große Eingangstür unter dem Balkon des Hauses. Ein schlanker, kräftig gebauter Jüngling von etwa vierundzwanzig Jahren tritt heraus. Auf dem blondgelockten Haare sitzt ein gelber Strohhut, unter dessen breitem Rande ein Paar froher Augen lustig umherschaut. Ein schwarzes Tuch ist nachlässig um den Hals geschlungen. Eine graue Joppe schließt sich eng um den Oberkörper. Auf dem hübschen Gesicht, in dem ein blonder Schnurrbart keck nach den Seiten gestrichen ist, wird ein glückliches Lächeln sichtbar. Er beobachtet, selbst noch unbemerkt, wie der Alte ein blinkendes Rad prüfend vor sich hinhält.

»Du bist so eifrig bei der Arbeit, als müßte sie auf alle Fälle heute noch fertig werden,« sagte der Jüngling dann lächelnd. »Weshalb setztest du dich hier in die heiße Sonne, statt in den Schatten des Hauses?«

Der Alte wischte sich einige Schweißtropfen von der Stirn und schüttelte den Kopf. »Nein, Bob,« meinte er pfiffig. »Ich muß den Fluß sehen. Mein ganzes Leben fast habe ich am Wasser verbracht. Die Gewohnheit steckt im Blute. Mir kommt es manchmal vor, als träume ich, als könntest du gar nicht der Junge von damals sein, der mit mir Fallen stellte. Ich muß mir oft die Stirn reiben, um mich in der Wirklichkeit zurechtzufinden. Ach ja, der Fluß, die Biber, die Fallen!«

»Sehnst du dich gar so sehr nach deinem alten Tagewerk?« fragte Bob. »Gefällt es dir hier bei mir gar nicht?«

»Doch, mein Junge,« erwiderte Charley. »Und ich weiß ja, daß ich den Strapazen des Fallenstellers nicht mehr gewachsen bin. Mit halber Lunge, kann man nicht in die Berge steigen. Aber wenn ich an Jim denke, werde ich doch neidisch auf sein Glück, das ihn erlaubt, Biber zu fangen.«

»Das hat er nun auch am längsten getan, wie du weißt,« entgegnete der junge Mann und setzte sich neben seinem alten Freunde auf die Bank. »In diesen Tagen kehrt er von Cheyenne zurück, um ganz bei uns zu bleiben.«

»Rechne nur nicht zu fest darauf und warte lieber den Herbst ab! Dann erst werden wir sehen, ob er seine Fallen am Nagel hängen läßt.«

»Ich glaube es doch. Obwohl Jim mit Leib und Seele Fallensteller ist, liebt er doch auch das Stadtleben,« sagt«: Bob pfiffig.

»Auf kurze Zeit allerdings, doch warum sagst du das, Bob?«

»Weil hier auf diesem Platze eine Stadt entstehen wird.«

Charley sah den jungen Freund kopfschüttelnd an und erwiderte: »Das kann wohl einmal werden, aber Jim und ich werden es nicht erleben.«

»So will ich dir mein Geheimnis offenbaren. In kurzem wird eine Eisenbahn gebaut werden. Ich hoffe, daß sie hier vorüber geht. Dann ist unser Land das Zehnfache wert, und hier liegen nicht mehr fünf Häuser, sondern fünfzig und noch mehr. Ein kleiner Flecken entsteht rasch. Aber will man eine Stadt gründen, muß man mit Ausdauer, langsam, aber sicher beginnen und sich keine Mühe verdrießen lassen.«

Sprachlos blickte Charley den Jüngling eine Weile an. Dann rief er im höchsten Erstaunen: »Eine Stadt sagst du? Eine richtige Stadt mit Straßen, steinernen Häusern, Beer-Saloons und dergleichen?«

»Allerdings!« erwiderte Bob, während er sich schmunzelnd die Spitzen seines Schnurrbartes drehte. »Anstatt der Bier- und Whiskyhäuser möchte ich hier jedoch lieber Fabriken sehen. Meine Pläne gehen sehr weit, alter Freund. Doch, wie gesagt, langsam aber sicher muß alles gemacht werden.«

»Einen unternehmenden Kopf hast du immer besessen,« meinte der Alte nachdenklich. »Das habe ich damals bereits erkannt, als du hinter unserem Rücken in Cheyenne zu unserer altgewohnten Anzahl noch zehn neue Fallen gekauft hattest.«

»Traurig war es doch, als ich sie nicht mehr brauchen konnte, nicht wahr?« versetzte der Jüngling, indem er sich erhob. »Doch nun will ich zu unseren Leuten reiten. Sie arbeiten zwei Meilen von hier an der Umzäunung. Dem Wilde wird es auch nicht behagen, daß wir ihm einen Teil seiner Weide nehmen. Gestern abend bemerkte ich hier im Mondschein, nicht weit vom Hause entfernt, drei prächtige Hirsche. Leider warteten sie nicht, bis ich meine Büchse geholt hatte. Erhole dich, Charley, und laß die Arbeit ruhen! Auf Wiedersehen!« Freundlich winkte er seinem Freunde zu, und schritt rasch nach einem der kleineren Blockhäuser. Gleich darauf sah man ihn auf einem mutigen Pferde durch die Felder davongaloppieren.

Kopfschüttelnd schaute der Alte seinem früheren Schützling nach. »Und das ist nun wirklich derselbe Bob, der mit mir geduldig im Wasser umherwatete und Biber fing?« murmelte er vor sich hin. »Dieser selbe Bob geht mit dem Gedanken um, eine Stadt zu gründen? Was doch aus einem Menschen alles werden kann!« Charley wandte sich der Mähmaschine wieder zu. »Soll ich das Ding heute noch wieder zusammenschrauben?« fuhr er in seinem Selbstgespräch fort. Seine Augen blickten abermals nach dem Fluß, in dessen sich leicht kräuselnden Wellen die Sonnenstrahlen blitzten und funkelten. Hastig sagte er: »Es hat Zeit bis morgen. Die Maggy ist doch ein sehr verständiges Mädchen. Sie hat ihn sofort richtig erkannt. Es hätte doch auch ein anderes Tier sein können. Eine große Freude wäre es für mich, wenn ich trotz des einen fehlenden Lungenflügels –« Er beendete den Satz nicht, fügte aber mit pfiffiger Miene hinzu: »Charley, ob du allen anderen wohl überlegen bist?« Er ergriff einen Krückstock, der an der Bank lehnte, und auf ihn gestützt wanderte er langsam nach dem Ufer des Heart River.

Still und verlassen war jetzt das Anwesen. Einer hielt jedoch treue Wacht. Das war der große Wolfshund Tiras. Er lag an der anderen Seite des Gebäudes und schnappte Fliegen, die ihn in ihrer unverschämten Weise immer von neuem umschwärmten. Tiras war es gewohnt, daß man ihm hier allein die Obhut überließ, während sich alle bei der Arbeit befanden. Nur Charley leistete ihm mitunter dabei Gesellschaft.

Dem Hunde schien es zuletzt auf seinem Platze langweilig zu werden. Er stand auf, reckte und streckte die Glieder und sah sich um. Er mußte etwas Ungewöhnliches bemerkt haben, denn plötzlich spitzte er knurrend die Ohren und blickte unverwandt nach Osten. Von dort nahte sich zwischen Buschwerk und Gestrüpp ein Mensch, der auf der Schulter ein Bündel an einem Stecken trug und rüstig ausschritt. Je näher er kam, desto unruhiger wurde Tiras. Und als der Mann nach einer längeren Weile nicht weit vom Hause aus dem Gebüsch hervortrat, stürzte ihm der Hund mit wütendem Gebell entgegen.

Die Kleidung des Fremden bestand aus Lederhemd mit Fransen an den Aermeln und grauen Beinkleidern, die in hohen Stiefeln steckten. Um den Leib war ein Riemen mit großem Revolver und Messer geschnallt. Ein breitrandiger, schwarzer Filzhut beschattete zum Teil das graubärtige, sonnenverbrannte Gesicht.

»Hallo, old boy! Kennst du mich nicht mehr?« rief der Mann lachend dem Hunde zu, der sich ihm, noch immer laut bellend, mit gefletschten Zähnen in den Weg stellte. »Tiras, Tiras, schlage doch einmal in deinem Gedächtnisregister nach, und wenn du mich darin gefunden hast, schäme dich, soweit dir das als Hund möglich ist!«

Das Tier stutzte. Es knurrte nur noch leise. Der buschige Schwanz begann sich langsam hin und her zu bewegen. Behutsam, die Nase vorgestreckt, trat Tiras an den Fremden heran.

»So ist es recht!« lachte dieser. »Die Vorsicht lobe ich.«

Jetzt mußte der Hund den Menschen wirklich erkannt haben, denn auf einmal sprang er, vor Freude heulend, an ihm empor und ließ sich dann willig streicheln und klopfen^

»Siehst du, altes Tier, nun sind wir wieder die guten Freunde vom letzten Jahre!« fuhr der Mann fort. »Etwas manierlicher bist du mittlerweile geworden. Früher warfst du die Leute sofort zu Boden, besonders die Rotbraunen. Die Besuche der Indianer hörten wohl auf, seitdem die Reservation der Sioux abermals weiter westlich gelegt ist, he?«

Dieses vertrauliche Gespräch wurde durch Charley unterbrochen. Er hatte das Gebell des Hundes vernommen und kam nun herbeigelaufen, so rasch es seine steifen Beine und die halbe Lunge ihm erlaubten.

»Was wollt Ihr hier? Wer seid Ihr?« keuchte er bereits von weitem.

Ein schallendes Gelächter des Fremden war die Antwort.

Erstaunt blickte der Alte auf. »Jim, Bruderherz, bist du es denn wirklich?« rief er dann voll Freude.

»Ja, alte Seele, ich bin es, und jetzt bleibe ich bei dir für alle Zeit.«

Fest hielten sich die Brüder umschlungen.

Schwanzwedelnd stand Tiras daneben und schaute mit seinen klugen Augen zu den Männern empor.

Auf einmal machte sich Charley von Jims Armen frei, und mit wichtiger Miene sagte er halb flüsternd, als handele es sich um ein Geheimnis: »Die braune Maggy hat recht. Er ist da.«

Jim wußte offenbar nicht, was der Bruder meinte; wie man seinem verwundert fragenden Gesichte ansah. »Wer ist da? Wer ist die braune Maggy?«

»Sie ist ein sehr verständiges, äußerst kluges Mädchen, denn sie brachte mich zuerst auf die Spur,« erwiderte Charley, indem er sich vergnügt die Hände rieb.

»Ich verstehe dich nicht. So rede doch vernünftig!« rief Jim ungeduldig.

Der Alte zog seinen Bruder nach der anderen Seite des Hauses. »Siehst du den Fluß dort? Du weißt nicht, Jim, wie sehr es mich freut. Ganz dieselben Spuren, wie früher in den Bergen, habe ich am Ufer im Sande entdeckt. Er ist wirklich da, ein regelrechter, echter Biber!«

»Ist es möglich?« meinte Jim, indem er seinem Gesichte einen Ausdruck des größten Erstaunens gab. Er konnte sich die Freude des Bruders, der so lange von seinem früheren, mit Leidenschaft betriebenen Handwerk getrennt war, wohl erklären. »Ich werde versuchen, ihn zu fangen.«

Charley lächelte pfiffig. »Es ist bereits geschehen,« versetzte er. »Heute morgen habe ich eine meiner alten Fallen in Ordnung gebracht und in das Wasser gelegt. Bibermoschus besaß ich auch noch gut verkorkt in einer Flasche. Ich nahm sie damals mit mir, um später von Zeit zu Zeit daran zu riechen und mir dadurch die Vergangenheit recht lebhaft in das Gedächtnis zurückrufen zu können. Vorhin befand ich mich auf dem Wege zum Fluß, da bellte der Hund. Glaubst du nicht, Jim, daß dich die Sehnsucht dennoch wieder zu den Bibern treibt?« fragte er gespannt.

»Nein, Bruderherz! Jetzt habe ich damit für immer abgeschlossen. Seitdem mein Flick gestorben ist, fühle ich mich in der Wildnis zu einsam. Es war ein treues, anhängliches Tier, das mich vergessen ließ, daß ich allein war. Alles ist verkauft, Fallen und Fanggerät. Nun will ich mich den Rest meiner Tage bemühen, hier nach Kräften zu nützen.«

»Vermagst du dir auszudenken, was Bob beabsichtigt? Eine Stadt will er hier gründen!« sprach Charley mit zweifelnder Miene.

»Weshalb nicht?« lachte Jim. »Der Junge ist zu allem fähig. Viehzucht will er ebenfalls betreiben. Mr. Belford kommt mit einer Herde von Osten. Er muß bald hier eintreffen. Etwa zwei Meilen von hier hatte er Halt gemacht, um den Tieren eine kurze Rast zu gönnen.«

»Hast du Wort gehalten, Jim? Das gefällt mir!« rief jetzt eine volltönende Stimme, und Bob sprengte auf seinem schnaubenden Pferde zu den Brüdern heran. Ihm folgten zwei Reiter. Erfreut schüttelte er dem Trapper die Hand. »Nun bist du doch beruhigt, alter Freund?« wandte er sich an Charley, der zufrieden mit dem Kopfe nickte.

»Seht! Da ist Mr. Belford bereits!« sagte Jim. Während er diesen begrüßte, betrachtete er zugleich überrascht den anderen Reiter. »Täusche ich mich? Oder seid Ihr –«

»Bill, der einst den Knaben zu Euch brachte, früher Weggeldeinnehmer der nicht sehr freiwillig zahlenden Reisenden im Territorium Wyoming, jetzt wohlbestallter Pferdezüchter, Haushofmeister und cook, dish and bottlewasher (Koch, Schüssel- und Flaschenwäscher, übertragene Bedeutung: Mann für alles, beliebte Redensart im Westen) auf dem Besitztum von Mr. Robert Reinfels,« stellte sich der Mann dem erstaunten Trapper vor und reichte ihm seine schwielige Rechte, in die dieser kräftig einschlug.

»Ihr habt also Euer gefährliches Leben aufgegeben, Bill? Und fürchtet Ihr Euch jetzt nicht vor dem Gesetze?«

»Oho, das habe ich nicht nötig!« entgegnete der frühere Wegelagerer stolz und strich seinen starken, schwarzen Schnurrbart nach beiden Seiten. »Bei meinem allerdings etwas zweifelhaftem Handwerk bin ich immer noch ein halbwegs anständiger Kerl geblieben. Mord und Totschlag habe ich zu verhindern gesucht, mich selbst aber niemals damit befaßt. Als mir nun vor einem Jahre der Prozeß gemacht wurde, ließ man mich gern laufen, nachdem ich versprochen hatte, eine andere, gebildetere Laufbahn einzuschlagen.«

»Und behagt Euch nun Euer jetziger Beruf?« fragte Belford.

»Gewiß, ausgezeichnet! Wenn ich nur im Sattel sitzen und durch das freie Land dahinjagen darf, dann bin ich ganz zufrieden. Sperrt mich in ein Zimmer oder auf die Dauer in eine Stadt, so bin ich in wenigen Monaten reif für das Tollhaus oder ein toter Mann.«

Charley, nickte zustimmend. »Ihr habt recht, Bill. Das erträgt keiner, der sein Leben lang als Dach nur den Himmel über sich gesehen hat.«

Während sich die vier Männer in dieser Weise unterhielten, ritt Bob langsam nach einem kleinen Hügel unweit des Hauses. Hier begegnete ihm ein schlankes, braunes Mulattenmädchen, das auf dem wolligen Kopfe einen schwer lastenden Korb trug.

»Die schönsten Kartoffeln, Master, fand ich im Felde,« sagte sie schmunzelnd. »Wer hätte gedacht, daß die Frucht so rasch und gut gedeihen würde?«

»Doppelt freut es mich für dich, weil wir sie auf deinen Rat pflanzten, Maggy,« erwiderte der Jüngling freundlich lächelnd. »Nun bereite die Abendmahlzeit und vergiß auch nicht, den Punsch rechtzeitig zu brauen! Mein Vater muß jeden Augenblick zurückkehren. Er bleibt heute ungewöhnlich lange aus.«

»Soll alles geschehen, Master,« lachte das Mädchen, wobei ihre schneeweißen Zähne zwischen den aufgeworfenen Lippen hervorblitzten, und trat eilig in das Gebäude.

Von der Anhöhe schaute Bob, die Hand über die Augen gelegt, nach Nordosten ausspähend. Nach einer längeren Weile bemerkte er einen Reiter, der in scharfem Trabe rasch näher kam. »Das ist mein Vater!« sprach er erfreut, und galoppierte dem Erwarteten hastig entgegen.

An dem Hauptmann waren die Jahre auch nicht spurlos vorübergegangen. Manches weiße Haar schimmerte in dem blonden Vollbarte. Und als er jetzt den Strohhut vom Kopfe nahm, um sich den Schweiß von der Stirn zu trocknen, sah man, daß sein Haupthaar ebenfalls stark ergraut war.

»Alles ist zur vollsten Zufriedenheit abgelaufen,« rief Reinfels, während er seinen Sohn herzlich begrüßte und mit diesem wieder nach der Anhöhe ritt.

»Also gehört das Land uns,« sagte der Jüngling mit freudig glänzenden Augen. Dann fragte er eifrig weiter: »Wie weit ist es mit den Einwanderern? Dürfen wir hoffen, einige schon im nächsten Sommer hier zu sehen?«

Der Hauptmann lächelte und zeigte nach einem sich von Norden bis an den Fluß erstreckenden Waldstreifen. »Dort, mein Sohn, folgen sie mir bereits auf dem Fuße,« versetzte er und ergötzte sich an der Ueberraschung des Jünglings, der ihn sprachlos mit offenem Munde anstarrte.

Aus dem Walde hervor kam ein langer Zug Karren und Wagen. Daneben wanderte eine große Anzahl Männer, Frauen und Kinder einher.

»So rasch sollen meine kühnsten Wünsche in Erfüllung gehen?« jauchzte Bob. Er drängte sein Pferd dicht an die Seite des Vaters und umarmte diesen im Uebermaße seiner Freude.

»Ich traf die Leute schon, als ich gestern zur Stadt ritt. Damit hat dein einstiger Pflegevater Gabert seine alte Schuld getilgt, und ich bereue nun doch nicht, ihm auf deine Bitten verziehen und die Stellung in Bismarck verschafft zu haben. Er ist ein ganz anderer Mensch geworden. Mit ungemeinem Fleiß hat er sich unserer Sache angenommen und dieselbe mit viel Umsicht so eifrig betrieben, daß du mit der Ausführung deines Planes jetzt nicht mehr zu warten nötig hast, Unter den Einwanderern befinden sieht nur wenige Amerikaner. Meistens sind es Deutsche, ein gesunder Menschenschlag, wie du weißt. Mit ihm werden wir getrost unser Werk beginnen können.«

»Und wie weit ist der Bau der Eisenbahn fortgeschritten?« fragte der Jüngling immer begieriger.

»Eigentlich wollte ich mir diese zweite Ueberraschung für eine spätere Gelegenheit ersparen,« erwiderte Reinfels, während er mit väterlichem Stolz in das leuchtende Antlitz seines Sohnes sah. »Alles hast du bis jetzt ausgeschlagen, womit die Regierung sich dir erkenntlich zeigen wollte. Ich glaube, jetzt fand man etwas, was du mit Dank annehmen wirst. Die Bahn soll durch dein Besitztum am Heart River entlang führen, und die Ortschaft, die du hier gründen willst, wird die erste Station nach der Stadt Bismarck. Bist du damit einverstanden?«

Laut jubelnd schloß Bob seinen Vater abermals in die Arme.

»Endlich sehe ich das Ziel vor Augen, das mich seit meiner frühesten Kindheit als schöner Traum umgaukelt hat,« rief er begeistert, indem er seine feuchtglänzenden Augen über die von der Abendsonne in purpurnem Schimmer getauchte Gegend schweifen ließ. »Es wird nicht mehr lange dauern, dann braust hier, wo noch vor wenigen Jahren die Büffel hausten und Indianer ihre Wigwams erbauten, das keuchende Dampfroß durch das Land. Haus reiht sich an Haus, und in den Straßen drängen sich die Menschen bei ihrem Tagewerk. Fleißige Hände regen sich, wohin man schaut. Ist das erreicht, mein Vater, dann ist auch des alten Tex Vermächtnis gut angewandt, und ihm gegenüber genieße ich das befriedigende Gefühl, meine Pflicht getan zu haben.«

Der Zug der Einwanderer war jetzt ganz nahe gekommen. Bob ritt den Hügel hinauf ihnen entgegen. Die Männer schwenkten ihre Hüte und begrüßten ihn mit einem lauten »Hurra!« Dann traten sie zu ihm heran und schüttelten ihm die Hände. Es waren alles kräftige, markige Gestalten.

Der Jüngling forderte sie auf, ihm zu folgen. Er führte sie an den Häusern vorüber auf eine weite, unbebaute Strecke Land in der Nähe des Flusses. Dort wies er ihnen den Platz an für die Nacht.

Unter Lachen und Scherzen spannte man die Pferde aus und schlug das Lager auf. Geschäftig lief alles durcheinander. Die Männer brachten die Gäule fort und schlugen Holz oder luden die Sachen von ihrem Gefährt. Einer war dem andern behilflich, und selbst die Kinder eiferten mit den Aelteren darin um die Wette. Sie trugen den Frauen und Mädchen Kannen und Töpfe zu, daß jene die erste Mahlzeit in der neuen Heimat herrichten konnten.

Die Sonne verschwand, in einen violetten Dunstschleier gehüllt, wie ein glühender Ball dem Gesichtskreise. Hier und da flackerten die Feuer in dem Lager der Einwanderer auf, deren Freude über die glückliebe Ankunft am Ziel ihrer weiten Reise sich in lautem, fröhlichem Gesang äußerte.

Auf der Anhöhe schienen in das Dunkel der hereinbrechenden Nacht hinaus die erhellten Fenster des großen Gebäudes. Dorthin ritt jetzt Bob langsam, in selige Gedanken vertieft.

Die Eingangstür des Hauses führte in eine große Vorhalle, um die im ersten Stock eine Galerie lief. Ueberall hingen an den Wänden Reh- und Hirschgeweihe, Wolfs- und Bärenfelle, und dem Eingange gegenüber war ein mächtiger Büffelkopf befestigt, der mit seinen gläsernen Augen recht natürlich von da oben herabsah. In der Mitte des Raumes stand, von mehreren Kerzen beleuchtet, eine lange, gedeckte Tafel, an der Reinfels, Jim, Belford, Bill und zehn Männer Platz genommen hatten, die als Arbeiter auf dem Besitztum beschäftigt waren.

Gerade trug Maggy ein dampfendes Gefäß voll Punsch auf den Tisch, als Bob in die Halle trat und sich bei seinem Vater niederließ, dem er mitteilte, daß die Einwanderer untergebracht seien und bereits ihr Lager aufgeschlagen hätten. Dann übersah er die Tafeln runde und fragte verwundert: »Wo ist Charley? Sonst pflegt er bei den Mahlzeiten der Pünktlichste zu sein.«

»Als vorhin das Volk heranrückte und ich Tiras an die Kette legte, um ihn an etwaigem Unfug zu verhindern, war der Alte schon fortgegangen,« erwiderte Bill.

»Ich sah ihn nach dem Fluß wandern,« berichtete einer der Arbeiter.

»Wahrscheinlich will er sich die Angekommenen beschauen,« beruhigte sich der Jüngling. »Für ihn ist es ein hübscher Weg bis dorthin und zurück. Er braucht mit seinen steifen Beinen Zeit dazu. Wohl bekomms, Leute! Laßt uns essen!«

Die Männer begannen zu speisen, und eine längere Weile wurde die Stille nur durch das Klappern der Teller, Messer und Gabeln unterbrochen.

Bob sah von Zeit zu Zeit nach der Tür. Man merkte ihm seine wachsende Unruhe an. Als nun einer nach dem anderen gesättigt war und sich Charley immer noch nicht hatte blicken lassen, sprang er ungeduldig auf und rief: »Dem Alten wird doch nicht etwa ein Unglück zugestoßen sein?«

Auch Jim erhob sich sichtlich besorgt, indem er sagte: »Ich werde mich nach ihm umsehen.«

Schon wandte sich der Trapper zum Gehen, da öffnete sich die Tür, und Charley erschien auf der Schwelle. Sein altes Gesicht strahlte vor Freude, und den Krückstock in der zitternden Hand vorgestreckt, stammelte er atemlos: »Ich habe ihn. – Sagte ich es nicht, ich verstünde mehr als alle anderen? Ganz regelrecht – wie es sich gehört. – Genau so wie früher. – Ich habe ihn. – Ich habe ihn.«

Bob meinte einen Augenblick, sein alter Freund habe den Verstand verloren. Aengstlich ging er auf ihn zu und sagte mitleidig: »Beruhige dich, Charley! Komm, setze dich an den Tisch und iß!«

»Glaubst es wohl nicht, mein Junge? Aber ich habe ihn doch,« fuhr der Alte eifrig fort. »Der Weg hierher ist mir etwas sauer geworden. Hauptsächlich bergan arbeitet die Maschine in mir nicht sonderlich mehr.«

»Was hast du, Charley?« fragte der Jüngling freundlich und nahm den Freund unter den Arm. »Komm, laß dich nieder und erzähle uns, was dir begegnet ist!«

»Was ich habe, Bob?« versetzte der Alte mit verschmitztem Lächeln. »Gebt alle acht!« Er beugte sich hustend und stöhnend bei der Tür nieder und zerrte dann einen grauschwarzen Gegenstand hinter sich her in die Halle. »Das habe ich,« sagte er triumphierend und stützte sich mit beiden Händen auf seinen Stock.

Die Männer ergriffen die Kerzen und hielten sie hoch.

Vor den Füßen Charleys lag ein großer Biber.

»Charley, Alter, woher kommt der?« rief Bob erstaunt.

»Ja, mein Junge! – Wir sind noch ganz brauchbar – trotz des fehlenden Lungenflügels. – Brauchbarer – als man glaubt. – Gefangen habe ich das Tier, regelrecht in der Falle gefangen. – Genau wie früher. Wir haben es noch nicht verlernt. Mit den Hinterfüßen saß er fest. Bald wäre es doch zu spät gewesen. Ein Bein hatte er sich bereits abgenagt. – Mit diesem Stock erhielt er den regelrechten Schlag auf die Schnauze. Dann fiel er um – sagte gar nichts mehr – und ich hatte ihn. Allen ist er zu schlau gewesen – nur mir nicht. – Ich verstehe doch mehr als die andern. – Er ist mächtig fett, mein Junge, aber steinalt!«

So plauderte der aufgeregte Alte unaufhörlich weiter. Mit vieler Mühe wurde er an den Tisch genötigt. Doch während er aß, warf er zwischendurch immer wieder einen Blick nach seiner Beute. Bald schob er den Teller beiseite und wandte sich von neuem lächelnd nach seiner Beute. »Ich verzichte. – Die Freude hat mich ganz satt gemacht,« meinte er, und wieder begann er zu erzählen, wie ihm der Fang geglückt sei.

Bob füllte nun die Gläser mit Punsch. Mittlerweile deckte Maggy den Tisch ab.

Als sie dabei in die Nähe Charleys kam, hielt dieser sie am Kleide fest, und während er mit dankbarem Blick zu ihr emporschaute, sprach er gerührt: »Du bist ein kluges Mädchen, Maggy. Du sollst dafür belohnt werden. Du hast ihn beim Waschen im Wasser gesehen. Jetzt liegt er hier. Einen Pelzkragen mache ich dir von dem Fell. Es taugt zwar jetzt im Sommer nicht viel. Aber für die Wildnis ist der Kragen gut genug. Wenn du einmal nach der Stadt reitest, zwingt dich keiner, ihn umzubinden.«

»Hier, lieber Freund, trinke! Das tut dir gut,« rief Bob und stellte vor den Alten ein gefülltes Glas.

Charley brachte seinen Mund an den Rand, fuhr aber sofort wieder zurück und sah den Jüngling beinahe erschrocken an. »Der Punsch ist von Whisky gebraut,« sprach er gedehnt, indem er das Glas weit von sich fortschob.

»Trinke nur, Alter!« lachte Bob. »Der Punsch ist nicht allzu stark.«

»Glaubst du, ich will mir dadurch den Tod holen, wo ich die Möglichkeit sehe, noch Biber fangen zu können? Nein, mein Junge, ich habe es geschworen, daß ich eher sterben will, als Whisky wieder auf die Zunge nehmen. Und meineidig werde ich nicht!«

Das Mulattenmädchen kannte bereits die Abneigung des alten Trappers gegen jenes geistige Getränk. Sie stellte daher eine Flasche Bier vor Charley hin.

»Maggy, du bist ein verständiges Mädchen!« sprach dieser schmunzelnd. Er füllte sich ein neues Glas, trank und rückte seinen Stuhl derartig, daß er seinen Fang fortwährend vor Augen hatte.

»Der Biber erinnert mich wieder lebhaft an die Vergangenheit, an unser Leben in den wilden Bergen,« sagte Bill und schaute vor sich hin. »Es war doch eine schöne Zeit. Frei wie der Vogel in der Luft durch das weite, herrliche Land zu jagen, heute hier, morgen dort; ohne Ziel weiter und immer weiter zu ziehen über Berg und Tal mit dem königlichen Bewußtsein: So weit der Blick reicht, gehört alles dir, und wer dir nicht gutwillig weicht, weicht deiner Gewalt. Dort in der Wildnis bildet sich die ungeknickte Menschennatur heraus, und selbstvertrauend auf seine Kraft erkennt der Mann mit sicherem Auge den Weg, den er einzuschlagen hat. Auch Ihr, Bob, habt dieses göttliche Leben genossen. Ihr habt ebenfalls Eurer eigenen Kraft vertraut, als Ihr die Arapahoes zum Siege führtet. Zwar wäret Ihr damals nur ein Knabe, aber schon brach sich die Natur in Euch Bahn, und mit sicherem Auge erkanntet auch Ihr den Weg. – Euer Wohl! Ich trinke auf den Bob der vergangenen Zeit. Dieses Glas gilt Bob dem Fallensteller.«

Die Männer verließen ihre Sitze und stießen mit dem Jüngling an. Laut erklangen die Gläser.

Nur Charley rührte sich nicht. Sein graues Haupt hing nach einer Seite auf die Schulter herab.

Jim sprang ängstlich zu dem Bruder. – Ein allgemeines Schweigen trat ein. Doch gleich darauf wich die erschrockene Miene von dem Gesichte des Trappers, und lächelnd sagte er: »Es ist ihm zu viel geworden. Er schläft.«

Alle nahmen ihre Plätze wieder ein, und Bob füllte die Gläser von neuem.

Jetzt erhob sich Hauptmann Reinfels. »Werte Männer,« begann er mit seiner klaren, vollen Stimme, »meinem Sohne ist heute ein neues Ziel eröffnet. Die ersten Bewohner einer künftigen Ortschaft sind hier angelangt, und nun heißt es, mit aller Kraft an das Werk gehen, um ihnen eine neue Heimat zu schaffen, in der sie sich glücklich fühlen und vergessen lernen, daß sie fern von der alten Heimat weilen. Wohl erkenne ich an, daß ein Leben, wie es uns Bill soeben entworfen hat, einen ganzen Mann erfordert und auch zu bilden vermag. In diesem Leben außerhalb der Gesellschaft aber liegt gewiß der Beruf des Menschen nicht. Seine höchste Aufgabe ist und bleibt es, als dienendes Glied der Gesamtheit zum Wohle seiner Brüder zu wirken und mit Verzicht auf einen Teil seiner natürlichen Neigungen sich in die Arbeit des öffentlichen Lebens einzufügen. Darin wird auch mein Sohn seinen Segen suchen und finden, und darum möchte ich mein Glas leeren mit dem Wahlspruch: Es lebe, wirke und schaffe Bob der Bürger, der Städtegründer!«

 

Ende.


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