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Elftes Kapitel. Vater und Sohn

Zwei Monate sind seit dem soeben Erzählten vergangen. Noch liegen die Trümmerhaufen der niedergebrannten Häuser in weitem Bogen um den Platz von Fort Phil. Kearny, auf dem sich jetzt in der Mitte aus mehreren Haufen von Steinen und Felsblöcken drei große, schwarze Kreuze erheben. Hier hatte man die Soldaten begraben, die ihren bei dem Kampfe erhaltenen Wunden erlegen waren.

Vor der Kommandantur und dem Hospital steht eine Anzahl Zelte und Baracken. Sie dienen als Wohnungen für das Militär, da die Nächte bereits recht kalt geworden sind.

Die Arapahoes waren schon vor einem Monat wieder in ihre Dörfer gezogen, nachdem der Friede im Lande aufs neue hergestellt war.

Gleichzeitig mit Fort Phil. Kearny hatten die Sioux Fort Reno angegriffen und zum Teil niedergebrannt. Eine von Fort Fetterman ausgesandte, starke Abteilung Soldaten hatte die Befestigung vor der gänzlichen Zerstörung geschützt. In Fort Köster, auf das die Indianer ebenfalls einen Angriff beabsichtigt hatten, war man rechtzeitig gewarnt worden und dadurch dem Feinde zuvorgekommen. Dieser hatte sein Lager in einem von hohen Felsen umgebenen Talkessel aufgeschlagen, zwei Meilen vom Fort entfernt. Das Militär hatte in der Nacht die Ausgänge des Tales besetzt und die Indianer auf allen Seiten angegriffen, als diese am nächsten Morgen zum Kampfe hatten aufbrechen wollen. Keiner von ihnen war mit dem Leben davongekommen.

Nach all diesen Niederlagen waren die Sioux entmutigt in ihre Reservation zurückgezogen. Ihr Häuptling Sitting Bull hatte sieh nach Washington begeben, wo es ihm gelungen war, für sein Volk eine wildreichere Gegend in Dakota von der Regierung auszuwirken.

Charley saß im Hospital vor dem geöffneten Fenster, durch das die warme Herbstsonne hereinschien. Er sah noch etwas bleich aus, aber seine Wangen waren bedeutend voller geworden, und auch die Hände, mit denen er soeben eine wollene Decke über seine Knie breitete, konnte man nicht mehr mager nennen.

»Ja, mein Junge, was soll ich Unglücksmensch nun beginnen?« wandte er sich an Bob, der ihm gegenüber Platz genommen hatte, während Jim, an einen Bettpfosten gelehnt, behaglich seine Pfeife rauchte. »Wenn der Arzt sagt, mein linker Lungenflügel sei fort, und das Fallenstellen im Gebirge müsse mein Tod werden, muß es wohl wahr sein. Kann ich denn aber leben, ohne Biber zu fangen? Es wird schwer halten. Du, Bruder, bist ein beneidenswerter Mensch. Du kannst den Tieren lustig weiter deine Schlauheit beweisen, aber ich – – – –! Und ich hatte mir bei der langweiligen Liegerei auf dem Bette wieder eine neue, großartige Methode ausgesonnen. Mit ihr sollte mir kein Biber entgehen, und wenn er bereits allen Trappern der Welt eine Nase gedreht hätte. Weißt du denn nichts, mein Junge, was ich beginnen kann, um doch nicht ganz unnütz in der Welt umherzulaufen? Habe ich auch nur noch einen Lungenflügel, so bin ich mit meinen fünfundfünfzig Jahren doch eigentlich noch ein junger Kerl.«

»Wüßtet Ihr keine Beschäftigung, die Euch gefiele?« fragte der Knabe gespannt.

»Das ist das beste! Du mußt selbst etwas nennen,« meinte Jim und blies ein paar dichte Rauchwolken vor sich hin.

»Ja, ich wüßte schon etwas,« versetzte Charley mit schalkhaftem Lächeln.

»Nun?« riefen die beiden neugierig wie aus einem Munde.

»Ich möchte Trompeter werden. Ich kann nur nicht blasen.«

Jim und Bob lachten aus vollem Herzen. Sie hatten längst bemerkt, daß Charleys Humor noch da war, trotz des fehlenden Lungenflügels.

»Der Gedanke ist so schlecht nicht,« meinte Jim und stopfte von neuem seine Pfeife.

»Willst du das Offizierspatent wirklich nicht annehmen, mein Junge?« fragte Charley nach kurzem Schweigen.

»Nein, keinesfalls!« erwiderte Bob, und fuhr etwas zaghaft fort: »Von jeher ist es mein größter Wunsch gewesen, auf einer Farm tätig zu sein. Dort möchte ich Arbeit suchen. Aber da ich mich nicht von Euch trenne, müßtet Ihr mich schon dahin begleiten.« Erwartungsvoll ruhten die Augen des Knaben auf dem Gesichte seines Freundes.

Bedächtig wiegte Charley das Haupt. »Was sollte ich dort tun? Mich würde man nicht gebrauchen können,« sprach er abwehrend. Doch in seinem Blick war zu lesen, daß ihm der Vorschlag nicht so übel erschien.

»Auf einer großen Farm gibt es hundert kleine Arbeiten, die nur ein praktisch veranlagter Mann auszuführen vermag,« versetzte der Knabe rasch. »Eine solche Stellung findet sich schon. Dafür laßt mich nur sorgen!«

»In der frischen Luft muß ich bleiben, sonst bin ich verloren,« lenkte Charley ein. »Diese Bedingung wäre mit einer solchen Tätigkeit erfüllt.«

»Dann ist es allerdings mit dem Trompeter nichts,« rief der Bruder, während er sich lachend die Seiten rieb.

»Laßt uns über die Zukunft später beraten!« meinte der Knabe. »Der Arzt befiehlt, daß Ihr Euch noch mindestens vier Wochen pflegen sollt.«

Jim rauchte immer heftiger. Zuletzt sagte er: »Ich warte so lange nicht mehr. Mir brennt es unter dem Nagel, daß ich die Fallen in das Wasser bekomme. Die schönste Zeit vergeht, und –«

»Wenn du allein gehst, fürchte ich, bist du wie ein unmündiges Kind,« unterbrach ihn Charley mit besorgter Miene. »Bedenke doch, zwanzig Jahre habe ich gewissermaßen Mutterstelle bei dir vertreten, und nun –«

»Deshalb gräme dich nicht, Bruder! Ich bin mittlerweile doch ein ganz vernünftiger Mensch geworden und will schon allein fertig werden, wenn es auch recht einsam für mich sein wird,« fügte Jim gedehnt hinzu.

»Nimm dir einen Hund mit!« rief Charley eifrig. »Forester betreibt in den Black Hills jetzt über dreißig Jahre sein Handwerk. Mit seinem Jef redet er, als sei es sein Bruder, und das Tier versteht ihn auch, wie er behauptet, selbst wenn er ihm lange Geschichten erzählt. Er sagt, der Hund niese dann jedesmal und nicke mit dem Köpfe, wenn er ausgesprochen habe.«

»Ueberlegt Euch die Sache!« bat Bob. »Ich will nun zum Hauptmann gehen und die Zeitungen holen, die heute morgen mit der Post angekommen sind. Old Tex sehnt sich danach. Ich glaube, der Arme lebt nicht lange mehr. Mit jedem Tage sieht man, wie es bergab mit ihm geht. Es ist traurig.«

Der Knabe eilte fort. Vor der Kommandantur traf er mit dem Hauptmann zusammen, der ihm mit unverkennbarem Wohlwollen die Hand entgegenstreckte.

»Nun, mein lieber Leutnant? Ich weiß schon, weshalb ich das Vergnügen habe, Euch zu sehen,« rief jener lachend. »Euerm alten Freunde Tex möchtet Ihr eine Freude machen. Kommt mit mir in mein Zimmer! Einige Minuten werdet Ihr mir doch gönnen?«

Bob folgte dem Kommandanten in das Gebäude, wo sie in ein behaglich eingerichtetes Gemach traten.

»Aus dem Leutnant kann nichts werden, Hauptmann,« sagte der Knabe lächelnd, nachdem beide Platz genommen hatten. »Ich habe Euer freundliches Anerbieten schon mehrfach mit Dank abgelehnt.«

»Und dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß Ihr es zuletzt doch annehmt und bei mir bleibt. Ihr seid mir lieb und teuer geworden, und ich würde Euch nur sehr ungern ziehen lassen. In der letzten Zeit wäret Ihr mir ein Ersatz für meinen fernen Sohn, ist er doch so alt wie Ihr. Vor einer Woche erhielt ich die letzten Nachrichten über ihn. In wenigen Monaten werde ich ihn selbst umarmen können. Es ist wunderbar, daß Ihr ihn nicht gekannt habt.«

»Warum trenntet Ihr Euch von ihm?« fragte Bob rasch, der ein Gespräch peinlich zu vermeiden suchte, das in irgendeiner Weise mit seiner einstigen Flucht aus der Vaterstadt in Verbindung stand.

Reinfels seufzte. »Leider war ich zu einer Trennung gezwungen. Wie ich Euch sagte, war ich bereits in Deutschland Offizier. Als mein Vater starb, hinterließ er wider Erwarten nur ein sehr geringes Vermögen. Meine Mutter war auf ihr Witwengehalt angewiesen. Ich war mit einem Mädchen aus vornehmer, aber armer Familie verlobt. Aber ohne Unterstützung reichte mein geringer Sold kaum für mich aus, Aussicht auf eine raschere Beförderung war auch nicht vorhanden. Daher nahm ich meinen Abschied und ging nach Amerika. Hier begünstigte mich das Glück. Ich trat in die Armee, und war bald in der Lage, mich verheiraten zu können. Aber die glückliche Ehe dauerte nur ein Jahr; da starb meine liebe Frau plötzlich und hinterließ mir einen Knaben. Wenige Tage später erhielt ich aus der Heimat die Nachricht vom Tode meiner Mutter. Zugleich würde mir der ehrenvolle Auftrag zuteil, mich sofort nach dem südlichen Texas zu begeben, um dort Vermessungen für die Regierung vorzunehmen. Meine wenigen Verwandten, die sich vielleicht des Knaben angenommen hätten, lebten in Deutschland. Aber wie sollte ich das wenige Monate alte Kind dorthin schaffen? Mir blieb keine Wahl. Ich brachte den Knaben in einer mir empfohlenen Familie unter und reiste ab. Mein Aufenthalt in Texas zog sich in die Länge. Vierzehn Jahre war ich dort beschäftigt. Dann wurde ich nach Fort Reno und vor acht Monaten nach hier versetzt. Auf diese Weise habe ich meinen Sohn niemals wiedergesehen. Die neue Befestigung Fort Mc. Kinney wird ganz in der Nähe von Fort Reno erbaut. Ich werde dorthin als Kommandant versetzt, habe aber vorher um einen längeren Urlaub gebeten, damit es mir möglich ist, endlich zu meinem Kinde zu eilen. Wie freue ich mich jetzt auf dieses Wiedersehen! Ich denke mir meinen Sohn etwa von Eurer Größe. Und wenn sein Haar dasselbe geblieben ist, hat er ebenfalls einen blonden Lockenkopf wie Ihr. Auch Eure großen, blauen Augen besitzt er. Oft dachte ich mir, wenn Ihr während meiner Krankheit neben meinem Bette saßet und mir durch Euer munteres Geplauder so manche Stunde erheitertet, Ihr wäret mein Sohn. Der Gedanke machte mir die Trennung von meinem Kinde leicht.«

Ein Soldat brachte eine Meldung, die den Hauptmann eilig abrief.

»Der Dienst erfordert meine Gegenwart, lieber Freund,« sprach Reinfels weiter, indem er sich erhob. »Hier, nehmt Eure Zeitungen, und – nicht wahr, wegen der Leutnantsstelle erhielt ich noch nicht Euer letztes Wort?«

Bob zuckte lächelnd die Achseln. Vor dem Hause schüttelte der Kommandant ihm noch einmal die Hand und ging dann rasch über den Platz, wo in der Nähe der Kreuze eine Abteilung Militär in Reih und Glied stand.

Der Knabe eilte in das Hospital zu seinem Freunde Old Tex.

In den vergangenen zwei Monaten war aus dem Indiantrader ein schwacher, hinfälliger Greis geworden. Zusammengesunken saß er in einem großen, bequemen Sessel nicht weit von dem Fenster des einfachen Gemaches. Ein freundliches Lächeln glitt über das von vielen Furchen durchzogene, lederfarbige Gesicht, als Bob in das Zimmer trat und den Alten begrüßte.

»Ich bringe Euch ein mächtiges Paket Blätter. Ihr werdet viel zu tun haben, bis Ihr den Inhalt durchgelesen habt.«

»Ich danke Euch,« lallte Old Tex und glättete mit zitternden, unsicheren Händen die Zeitungen auf seinen Knien. »Ihr seid so gut mit mir, wie es vorher noch niemand war. Ihr pflegtet mich und wachtet an meinem Lager, obwohl ich für Euch ein Fremder bin. Daß ich es Euch nicht vergelten kann, läßt mir keine Ruhe bei Tag und bei Nacht,« fügte er seufzend hinzu.

Der Knabe ließ sich bei ihm nieder und legte seine Hand auf den Arm des Alten. »Sagte ich Euch nicht schon oft, daß Ihr viel mehr für mich tatet, indem Ihr mich mit Euch nahmt, als ich einsam und verlassen in den Bergen umherirrte? Was wäre damals wohl aus mir geworden, wenn Ihr Euch nicht meiner erbarmt hättet!« Euch verdanke ich vielleicht mein Leben. Das ist doch wohl tausendmal mehr als meine geringe Pflege für Euch.«

Der Indiantrader schüttelte den Kopf. Dann schaute er in die Blätter. Plötzlich krallten seine Finger das Papier krampfhaft zusammen. »Heiliger Gott!« stöhnte er, während er mit stieren Augen vor sich hinstarrte. Keuchend ging sein Atem, und ein heftiges Zittern durchlief seinen ganzen Körper.

Besorgt legte Bob seinen Arm um den Nacken des Alten. »Was ist Euch?« rief er ängstlich.

»Heiliger Gott! Jetzt ist das Maß meiner Strafe voll,« stotterte Old Tex. Er faltete die bebenden Hände, und den Blick erhoben, fuhr er hastig fort: »Also nicht früher sollte es sein! Härter konntest du mich, o Gott, nicht strafen, indem du mir jetzt noch einmal die Möglichkeit zeigst, mein liebes Heimatland wiederzusehen, nachdem es für mich zu spät geworden ist. Nun zürne mir nicht mehr! Nimm mich armen Sünder gnädig in dein Himmelreich auf, nachdem du mich auf Erden ein Leben voll Kummer und Leid hast erdulden lassen!«

»Tex, was redet Ihr?« rief der Knabe immer ängstlicher. Wie verändert war der Alte plötzlich. Hoch aufgerichtet saß er in seinem Sessel. Seine Zunge hatte mehr und mehr ihre Lähmung verloren. Bei den letzten Worten klang die Stimme wieder klar und deutlich.

Old Tex hatte die Zeitung aufgenommen und las laut: »Franz von Traunstein wird hierdurch nochmals, nachdem vor zehn Jahren bereits ein Aufruf erfolgte, von seiner die Eltern überlebenden Schwester Margarete aufgefordert, seinen Aufenthalt behufs Auszahlung des für ihn bestimmten Erbteiles anzugeben.« Der Greis ließ die Hände sinken und sagte schwer seufzend: »Ihr habt wohl nicht nötig zu fragen, wer jener Franz von Traunstein ist? Ich bin es selbst.«

Bob nahm das Zeitungsblatt und las es ebenfalls begierig. »Sprecht nicht davon, daß es für Euch zu spät ist, lieber Freund,« tröstete er dann. »Der Hauptmann wird alles für Euch tun. Er wird Euch das nötige Geld für die Reise vorschießen. Ihr seht Euer Vaterland wieder. Schöne Tage werden Euch dort beschieden sein.«

Wehmütig lächelte der Alte. »Nein, mein Lieber! Aus Enttäuschungen war mein ganzes Leben zusammengesetzt. Die letzte will ich mir ersparen. Früher fehlten mir die Mittel, und jetzt – nein, nein! Mein Oesterreich sehe ich niemals wieder!«

»Jetzt habt Ihr greifbar Euer Ziel vor Augen,« sagte der Knabe rasch. »Jetzt redet nicht mehr von Enttäuschungen! Eure langgehegte Hoffnung erfüllt sich. Der Gedanke wird Euch kräftigen und Eure Gesundheit stärken.«

Old Tex schüttelte immer von neuem das Haupt. »Nein nein! Seid still, schweigt und erweckt nicht noch einmal in mir den Herzenswunsch, der mich mein Leben lang begleitete!« rief er mit beinahe schroffem Ton. Dann sprach er freundlicher weiter: »Reicht mir die Hand und seht mir in das Auge! Wie ich, so seid auch Ihr von Haus und Heimat fortgelaufen. Wie ich, irrtet Ihr bis jetzt fern von der Welt im Lande umher. Wie ich, verleugnetet Ihr Euern Namen. Selbst den Freunden nanntet Ihr ihn nicht. Den meinigen wißt Ihr jetzt. Nennt mir auch nun den Eurigen. Darin will ich den ersten Schritt erkennen, den Ihr, wie Ihr mir sagtet, zu tun beabsichtigt: in die Welt, unter die Menschen zurückzukehren. Keinen Tag zaudert länger damit! Höret auf den Rat eines alten. Mannes, der mit seiner Heimkehr so lange zögerte, bis es zu spät war! Nennt mir Euren Namen!«

»Ich heiße Gabert,« antwortete Bob leise.

Der Alte nickte zufrieden, »Bob Gabert, gelobt es mir mit Eurem Ehrenwort, daß Ihr Euer bisheriges Leben aufgeben und nach Kräften bemüht sein wollt, ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu werden!«

»Das ist mein höchster Wunsch,« rief der Knabe begeistert und drückte die Rechte seines alten Freundes. »Gern gelobe ich es, sehne ich mich doch von ganzem Herzen unter die Menschen zurück.«

Nachdem Old Tex eine kurze Weile sinnend vor sich hingeschaut hatte, sagte er: »Geht rasch und holt mir Hauptmann Reinfels, zwei Offiziere und Euern Freund Jim. Bittet sie, unverzüglich hierher zu kommen!« Als der Knabe erstaunt zögerte, fuhr er hastig fort: »Beeilt Euch, damit es mir möglich ist, wenigstens noch eins zu tun, bevor es zu spät ist. Auch Feder, Tinte und Papier ersuche ich Euch mitzubringen.«

Verwundert verließ Bob das Gemach und kehrte bald mit den Offizieren und Jim zurück, die er flüchtig von der Entdeckung des Indiantraders in Kenntnis gesetzt hatte. Der Kommandant versprach zu folgen. Augenblicklich war er durch eine dienstliche Angelegenheit verhindert zu erscheinen.

»Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Euch her bemühte,« begann Old Tex, der sich abermals in seinem Sessel hoch aufgerichtet hatte und die Männer durch ein leichtes Neigen des Kopfes begrüßte. »Ich möchte einen der Herren bitten niederzuschreiben, was ich diktiere. Es handelt sich um ein Vermächtnis. Deshalb bedurfte ich der Zeugen. Der Herr Hauptmann mag seinen Namen später hinzufügen.«

Einer der Offiziere rückte einen Tisch in die Nähe des Alten und ließ sich vor demselben nieder. »Sprecht, guter Mann! Ich bin bereit,« sagte er, indem das Papier vor sich hinlegte und die Feder zur Hand nahm.

»Ich, Franz von Traunstein,« sprach der Indiantrader mit fester Stimme, während der Offizier schrieb, »geboren im Jahre 18.. zu Aspern bei Wien, verfüge hiermit über mein mir von meinen Eltern nachgelassenes Erbteil zugunsten von Bob Gabert und bitte meine Schwester Margarete von Traunstein, indem ich ihr meinen letzten Gruß sende, die in Frage kommende Summe an den Besitzer dieses Testamentes, Bob Gabert, genannt Bob der Fallensteller, auszuzahlen, – Habt Ihr das niedergeschrieben?« fragte der Alte. »Dann setzt Ort und Datum darunter und reicht mir das Papier, damit ich es mit meiner Unterschrift versehe!«

Der Offizier tat, wie ihm geheißen wurde.

Aufmerksam las Old Tex nun das Schriftstück durch, dann ergriff er die Feder und schrieb mit fester Hand: »Daß dieses mein ausdrücklicher, wohlüberlegter Wille ist, bekunde ich durch meinen Namen. Franz von Traunstein.« Er übergab das Testament an die Männer und bat: »Nun setzt Eure Unterschrift auch darauf und gebt dem Knaben das Papier. Es ist sein Eigentum.«

Bob war keines Wortes mächtig. Mit namenlosem Erstaunen hatte er den Vorgang verfolgt. Jetzt warf er sich vor dem Alten auf die Knie. »Was habt Ihr getan? Womit habe ich das verdient?« schluchzte er.

Old Tex legte seine Hand auf das lockige Haupt des Knaben. »Gott schütze dich!« sprach er leise. »Mögen dir die Mittel, die du empfängst, zum Segen werden! Glaubst du mir Dank schuldig zu sein, kannst du ihn damit abtragen, daß du ehrlich arbeitest, schaffst und wirkst nach besten Kräften zum Wohle deiner Mitmenschen, auf daß sie dich lieben, achten und stolz sind, dich in ihrer Mitte zu sehen. Dann ist das Vermächtnis des alten Tex gut angewandt, und er hat ganz gesühnt, was er einst verbrach. – Herr Gott, gib diesem Menschen deinen Segen und führe ihn zurück in die weite Welt auf den rechten Weg!«

Im Uebermaß seiner Gefühle umklammerte Bob die Knie des Alten.

Dieser faltete die Hände, und seine Lippen flüsterten leise, unverständliche Worte.

Eine feierliche Stille herrschte in dem kleinen Gemach, die nur einen Augenblick durch das Kratzen der Feder unterbrochen wurde, als Jim mit seiner im Schreiben ungeschickten Hand seinen Namen auf das Papier setzte.

Plötzlich breitete Old Tex beide Arme aus. Ein Lächeln umspielte den Mund, und in seinen nach oben gerichteten Augen leuchtete ein eigentümlicher Glanz. »Mein Heimatland, wie schön bist du!« rief er mit bebender Stimme. »Freundlich liegt Flur und Wald im sonnigen Schein. In der Ferne umhüllt dichter Nebel eine gewaltige Stadt. Dort hasten und jagen die Menschen nach Glück. Unendlich viele wissen nicht, wie glücklich sie sind. Ein großes Gebäude sehe ich, beschattet von alten Bäumen im lauschigen Park. Felder mit gelben, wogenden Aehren ziehen sich weithin über das wellige Land. Die Sense klingt. Heiter lachen Knechte und Mägde bei der von Gott gesegneten Ernte. Hochbeladen nahen sich die Wagen. Mit bunten Kränzen geschmückt, schwanken sie zum Tore herein. Es wird Abend. Die hinabtauchende Sonne sendet ihren Abschiedsgruß mit rosigem Schein. Vom nahen Kirchturm her tönen die Glocken zum Gebet. Der Himmel öffnet sich.

»– Vater! – Vater! – Sehe ich dich wirklich? – Du streckst die Arme nach mir aus? – Du hast mir verziehen? – Es wird dunkel. – Wo sind die Pferde? – Wo ist meine Habe, mein Geld? – Vater! Ich möchte dir wiederbringen, was dir gehört, was ich dir nahm! – Sie nehmen es mir immer von neuem fort, – Vater – ich – komme. – Herr Gott im Himmel – nimm – mich – in Gnaden – auf –!.«

Mit gefalteten Händen umstanden die Männer den sterbenden Old Tex. Der Knabe lag zu seinen Füßen und blickte zu ihm empor.

Immer langsamer hob sich die Brust des Alten. Noch einmal seufzte er schwer auf, dann senkte sich sein Haupt seitwärts auf die Schulter.

Bob ergriff die Hand seines Wohltäters und bedeckte sie mit Küssen. Sie erkaltete schon.

Old Tex hatte ausgelitten.

Leise schlichen sich die Offiziere und Jim hinaus. Draußen begegneten sie dem Hauptmann. Ihm berichteten sie, was vorgefallen war, und überreichten ihm das Testament mit dem Ersuchen, es dem Willen des Verstorbenen gemäß ebenfalls zu unterschreiben.

Reinfels durchflog das Papier. Plötzlich zuckte er zusammen. »Wo ist der Knabe?« stotterte er erbleichend.

»Bei dem Toten im Gemach,« versetzten die Offiziere und eilten bereitwillig voraus, dem Kommandanten die Tür zu öffnen.

Dieser hielt sie auf. »Nein, bleibt! Laßt midi mit ihm allein!« rief er rasch und begab sich hastig in das Zimmer.

Bob erhob sich, als er den Hauptmann eintreten sah

»Bei diesem Toten sprecht die Wahrheit!« stammelte Reinfels mit zitternder Stimme, indem er den erstaunten Knaben dicht vor das Fenster zog. »Was habt Ihr mit dem Gerichtsbeamten Davis Gabert in Omaha gemein? Ist Euch derselbe verwandt? Sprecht die Wahrheit!«

Bob wurde kreidebleich. »Er ist mein Vater,« erwiderte er kaum hörbar.

»Euer Vater? Nein, nein, das ist unmöglich. Der Mann hat niemals einen Sohn besessen,« rief der Kommandant heftig. »War außer Euch ein gleichaltriger Knabe im Hause, der sich Reinfels nannte wie ich?«

»Nein, ich war stets allein.« entgegnete Bob mit wachsender Verwunderung. Er vermochte sich die Aufregung des Hauptmanns nicht zu erklären, und doch war ihm so wunderbar zumute, als könne der nächste Augenblick ihm eine ganze Zukunft enthüllen.

»Tragt Ihr an der linken Seite Eures Körpers unter dem Herzen ein braunes Mal von der Größe einer Büchsenkugel?« fragte Reinfels mit atemloser Spannung.

»Ja. Von wem könnt Ihr das wissen?« stotterte der Knabe und legte unwillkürlich die Hand auf die Stelle, wo sich das Mal befand.

Der Hauptmann wankte. Bob sprang hinzu, um ihn zu stützen. Da legten sich des Mannes Arme um seinen Hals.

»Nicht Bob Gabert heißt Ihr,« jubelte der Kommandant auf. »Robert Reinfels ist dein Name. Du bist mein geliebter Sohn, von dem ich mich so lange trennen mußte. O der Schändliche! Dieser Mensch sandte mir, trotzdem du nicht mehr bei ihm warst, in diesen zwei Jahren noch immer günstige Berichte über dein Gedeihen, nur um den schnöden Gewinn weiter einzuziehen. Hättest du mir doch damals deinen Namen genannt, als du mir zum ersten Male begegnetest! Dann wäre dir, mein Sohn, manche trübe Stunde erspart geblieben. Und doch, ist es nicht, als hätte es so sein sollen? Vielleicht lebte ich nicht mehr, wärest du nicht in die Lage gekommen, Fort Phil. Kearny mit seinen Menschen vor dem vollständigen Verderben zu retten. Zürnst du mir, daß ich dich so lange fern von mir hielt? Jetzt willst du vielleicht gar nichts von mir wissen? Du sprichst kein Wort zu mir,« rief der Hauptmann scherzend im Uebermaß seiner Freude, und doch lag ein besorgter Ton in seiner Stimme.

»Vater, mein Vater! Ja, ist es denn möglich?« stammelte Bob. Schluchzend warf er sich an des Vaters Brust. »Ich kann mich noch nicht in mein Glück finden. Laßt mir Zeit! Meine Gedanken wirbeln mir wüst durcheinander. Alles stürmte so plötzlich auf mich ein. Ist es denn kein Traum, der meine Sinne umfangen hält? Vater, mein Vater!«

»Der bin ich, mein Sohn. Von jetzt ab sollst du dich nicht mehr über mich zu beklagen haben. Komm zu deinen Freunden! Sie stehen dir vorläufig doch noch am nächsten, bis ich dir bewiesen habe, daß ich es auch verdiene, dein Vater zu sein. Hier, nimm das Testament, das dir vielleicht mehr Reichtum bringt, als ich dir je zu bieten vermag!« fügte der Kommandant hinzu und reichte das Schriftstück dem Knaben, der noch einmal zu dem toten Old Tex trat und ihm mit dankbarem Blick die erkalteten Hände drückte.

Eng umschlungen verließen dann Vater und Sohn das Gemach und begaben sich die Treppe hinauf zu den Trappern.

Die Brüder waren anfangs beide stumm vor Ueberraschung über die neue Nachricht. Erst nach längerer Weile fanden sie die Worte wieder. Nun beglückwünschten sie den Knaben und dessen Vater aufs herzlichste. In Charleys Mienen spiegelte sich jedoch dabei neben der Freude über das unverhoffte Glück seines Schützlings ein leiser Zug der Trauer.

Der Knabe bemerkte das sofort, und als sich alle ausgesprochen hatten und der Hauptmann gegangen war, um seinen Offizieren die frohe Botschaft von der Auffindung seines Sohnes zu überbringen, sagte er lachend: »Ihr seid wohl gar nicht besonders erfreut darüber, daß der Kommandant mein Vater ist?«

Charley wurde sichtlich verlegen. Er schlug die Augen nieder, zupfte mit den Fingern an seiner Decke und versetzte: »Glaube nur das nicht, mein Junge! Es will mir nur noch nicht so recht in den Kopf. Dein Vorschlag mit der Beschäftigung auf einer Farm war sehr vernünftig. Ich hatte mich auch schon ganz vertraut damit gemacht, aber nun wird doch nichts daraus. Und ich habe doch gewissermaßen stets Vaterstelle bei dir vertreten. Die muß ich jetzt auch plötzlich aufgeben.«

»Das habt Ihr gar nicht nötig!« fiel ihm Bob lebhaft in die Rede und klopfte seinem alten Freunde glückstrahlend auf die Schulter. »Bei meinem Vater kann ich auf die Dauer nicht bleiben, denn auch jetzt nehme ich das Offizierspatent nicht an. Durch das Vermächtnis des guten Old Tex erhalte ich wahrscheinlich einige Mittel. Dafür erwerbe ich mir ein kleines Grundstück, das ich besiedele und bebaue. Dabei bedarf ich eines Beraters, und den finde ich wohl nicht besser als in Euch. Doch das sind alles Pläne, die der Augenblick mir eingibt. Vorläufig weiß ich noch gar nicht, ob ich wache oder träume. Laßt mich hinaus in die freie, stille Natur! Ich muß eine Weile allein mit meinen Gedanken sein. Nachher werden wir weiter beraten.« Er winkte den Brüdern lächelnd zu, dann eilte er fort, die Treppe hinab vor das Hospital.

Von dort wollte der Knabe seinen Weg nach der Schlucht einschlagen. Aber wie ein Lauffeuer hatte sich die Neuigkeit unter dem Militär verbreitet, daß der von allen geehrte Bob der Fallensteller der Sohn des allgemein beliebten Hauptmanns Reinfels sei. Von allen Seiten drängten sich Offiziere und Soldaten heran, um dem Knaben die Hände zu schütteln Und ihm zu zeigen, welch großen Anteil man an seinem und seines Vaters Glück nehme. So verging eine geraume Zeit, bis sich Bob endlich frei machen konnte. Aufatmend wanderte er nach dem mächtigen Bergeinschnitte. Dort ließ er sich auf einen Baumstumpf nieder, und nun zog alles, was er seit der Flucht aus seiner Heimat erlebt hatte, noch einmal an seinem Geiste vorüber. Wie wunderbar lenkte ihn das Schicksal! Eins ergab sich aus dem anderen bis zu dem heutigen Tage, der das ganze Füllhorn seines Segens über ihn ausschüttete.

Ein gellendes Gelächter schreckte den Knaben aus seinen Gedanken auf. Hastig schaute er umher. Da tauchte hinter einem Felsblock, keine fünf Schritte von ihm entfernt, eine braune Gestalt empor. Ein haßerfülltes Gesicht mit zornfunkelnden Augen starrte ihn an. »Woternichaza!« stammelte Bob erbleichend.

»Kennst du mich?« schrie der Indianer hohnlachend, daß es von den Felswänden schauerlich widerhallte. Hoch hielt er seine verkrüppelte Hand in die Höhe. »Betrogen hast du mich, Blaßgesicht! Waren die Finger von Fleisch und Knochen? Mit den Zähnen habe ich sie in meiner Wut zerrissen.« Bevor der Knabe sich zur Wehr setzen konnte, war Woternichaza auf ihn zugesprungen, hatte ihn gepackt und zu Boden geschleudert. Behend kniete der Indianer auf ihn, und mit wahnsinnigem, triumphierendem Lachen riß er sein großes Messer aus der Scheide am Gürtel. »Ich habe es dem großen Geist geschworen,« keuchte der Irre, indem er sich tief zu dem Ohre des machtlos Daliegenden herabbeugte. »Entweder sterbe ich, oder ich bringe ihm deinen goldenen Skalp zum Opfer. Für ihn löse ich die mir fehlenden Finger ein.«

Schon fühlte Bob das kalte Messer an seiner Stirn, schon griff des Indianers Hand in seine Locken, da krachte eine Schuß. Woternichaza wankte, und ohne einen Laut brach er tot zusammen.

Schreckensbleich und kaum seiner Sinne mächtig kroch der Knabe unter der grauenerregenden Last hervor. Als er sich schwankend erhob, stand Jim vor ihm mit der rauchenden Büchse in der Faust. Schweigend schloß Bob seinen Lebensretter in die Arme.

Langsam hinkte jetzt auch Charley, auf einen Stock gestützt, herbei.

Die Brüder hatte eine plötzliche Unruhe erfaßt, nachdem Bob sie verlassen hatte. Einige Soldaten sahen ihn nach der Schlucht wandern. Die Trapper eilten ihm nach und kamen so gerade noch zur rechten Zeit, um den Tod ihres Schützlings zu verhindern.

»Ihr seht,« sagte der Knabe, nachdem er sich von dem Schrecken etwas erholt hatte, »ohne euch bin ich verraten und verkauft. Nur wenn ihr mir zur Seite steht, bin ich geborgen.«

Charley stützte sich mit beiden Händen auf seinen Stock und meinte zögernd: »Du wirst auch ohne uns fertig werden. Ich will es dir nur aufrichtig eingestehen, was ich dachte, als ich von deiner Herkunft vernahm. Als Sohn des Hauptmanns Reinfels gehst du in Zukunft einen anderen Weg als bisher. Dabei ist der alte Trapper nur das fünfte Rad am Wagen. Ich habe es mir überlegt. Ich suche wieder meine Biber auf. Was schadet es, ob mein Lebenslicht etwas früher ausgeblasen wird. Bob Reinfels kann doch niemals mein – unser Bob mehr sein.«

»Charley hat recht!« stimmte Jim bei. »Das ist nun alles ganz anders geworden.«

»Weshalb?« fragte der Knabe eifrig. »Weil ich jetzt einen anderen Namen trage?

Nein, nein!« rief er lebhaft und legte den Brüdern seine Arme um den Nacken. »Mit meinem Namen hat sich mein Herz nicht geändert. Das ist dasselbe geblieben und bleibt es auch, solange ich lebe. Darinnen aber seid ihr eingeschlossen für alle Zeit als meine besten Freunde auf dieser Welt. Kummer und Leid habt ihr mit mir durchkostet, jetzt sollt ihr mein Glück ebenfalls mit mir genießen. Hier nehmt meine Hände, ihr beiden guten Menschen! Für die Welt bin ich von jetzt an wohl Robert Reinfels, Sohn des Kommandanten von Fort Phil. Kearny und Fort Mc. Kinney, aber für euch bleibe ich mein Leben lang, was ich von ganzem Herzen war, euer alter Bob, Bob der Fallensteller.«


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