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Viertes Kapitel. In Cheyenne

Wieder verstrichen vier Wochen.

Der Frühling war ins Land gezogen. Auf den Bergen schmolz der Schnee. Brausend und schäumend stürzte das Wasser in den Flüssen und Bächen talwärts. Aus Busch und Baum sproßten die ersten Keime des neuen Laubes hervor. Und in den tiefer gelegenen Gegenden zeigte sich auf den Prärien zwischen den dürren, gelben Halmen grünes, saftiges Gras, für Wild und Vieh ein willkommenes Futter.

Die Trapper hatten ihre Sachen geordnet und auf die Pferde gepackt. Dann waren sie fortgezogen. Bobs Gaul mußte auch seinen Teil Felle und Fallen tragen.

Man hielt es für das beste, in Fort Reno das Tier abzuliefern, da die Brüder in dem eingebrannten Zeichen am Schenkel ebenfalls entdeckten, daß das Pferd der Armee gehörte.

In der Befestigung hatten die Trapper im Herbst ihren Wagen untergebracht. Auf ihm ließ sich alles bequem weiterschaffen. Und wenn man erst nach Südosten kam und die Rocky Mountains überschritten hatte, führte der Weg bis an die Black Hills über endlose Prärien. Dort war es für die zwei Pferde keine große Arbeit mehr, den Wagen auf dem glatten, wenig welligen Boden hinter sich her zu ziehen.

Auf Bobs Bitten hin brannten die Brüder die kleine Hütte in den Bergen diesmal nicht nieder, wie sie es sonst gewöhnlich beim Weiterziehen zu tun pflegten. Bob dachte daran, wie angenehm ihm auf seinem einsamen Marsch ein solches Unterkommen oft gewesen war. Vielleicht kam einmal ein müder Wanderer dort oben durch die Berge und begrüßte das sichere, warme Lager mit großer Freude.

Es war am fünften Tage nach dem Aufbruch. Man hatte eine etwa zehn Meilen weite Prärie überschritten, als in der Ferne, vom Winde herübergetragen, Trommelwirbel und Trompetensignale ertönten. Bobs Pferd spitzte die Ohren und wieherte laut.

Kaum eine halbe Stunde später lag in einem weiten Talkessel Fort Reno vor den Reisenden.

Am Ufer des Powder River, dessen angeschwollene Fluten brüllend und tobend über Felsblöcke in ihrem breiten Bette dahinbrausten, standen in einem Kreise etwa fünfzig größere und kleinere Blockhäuser dicht nebeneinander. In der Mitte des freien, beinahe kreisförmigen Platzes erhob sich ein hoher Pfahl, an dem das Banner der Vereinigten Staaten im Winde flatterte.

Auf dem Platz herrschte ein reges Leben. Ueberall sah man Militär zu Pferde und zu Fuß. Neben dem Banner stand eine Kolonne in Reih und Glied und exerzierte nach den Klängen der Trommel und Trompeten.

Ein sonderbares Gefühl beschlich den Knaben, als er auf einmal dieses geschäftige Treiben in der Befestigung vor sich erblickte. Welch großer Unterschied lag zwischen hier und der selbstgewählten Einsamkeit, in der er die übrige Menschheit um sich her vergessen hatte! In ihm erwachte wieder die Erinnerung an jene Zeit, wo er selbst einst unter vielen Menschen gelebt hatte.

Als die Trapper die ersten Häuser von Fort Reno erreichten, wurde Bobs Pferd abgepackt. Beide Männer sowie der Knabe bemühten sich, das Tier durch Bürsten und Striegeln zu reinigen. Der Gaul scharrte dabei unruhig mit den Vorderfüßen. Und wenn die Trompetensignale von neuem ertönten, war er kaum zu halten.

Endlich lag der Sattel regelrecht auf seinem Rücken, und Jim meinte lachend, die Regierung könne sich freuen, das Pferd in einem derartig vortrefflichem Zustande zurückzuerhalten.

»Laß dich gleich zum Kommandanten selbst bringen, mein Junge,« sagte Charley, und fügte aufmunternd hinzu, da er die Aufregung seines Schützlings wohl bemerkte: »Er ist ein Mensch wie wir – nichts mehr. Deshalb nimm kein Blatt vor den Mund und sprich offen und frei! Er wird es sofort erkennen, daß du ehrlich handelst, indem du den Gaul wieder ablieferst.« Noch einmal nickte er dem Knaben freundlich zu. Dann nahm dieser das Tier am Zügel und schritt durch die Häuser hindurch auf den Platz. Den ersten Soldaten, der ihm dort begegnete, fragte er nach dem Kommandanten der Befestigung.

»Hauptmann Reinfels meint Ihr? Kommt! Wir treffen ihn in seiner Wohnung,« versetzte der Bursche. Er winkte dem Knaben, ihm zu folgen, und geleitete ihn an den Behausungen entlang vor eines der größeren Blockhäuser.

Als sie dort anlangten, trat eben ein hochgewachsener Herr mit blondem Vollbart in das Freie. Die Uniform umschloß knapp seinen kräftigen Körper. Mit wohlwollender Miene nahm er die Meldung des Soldaten in Empfang, der ihm in strammer Haltung, die Hand an der Mütze, den Wunsch des Knaben mitteilte.

Verwundert schaute der Hauptmann auf das Tier, dann musterte er auch den Ueberbringer desselben.

»Vor zwei Monaten fand ich dieses Pferd in den Bergen«, begann Bob, indem er seinen ganzen Mut sammelte, um ein Beben in seiner Stimme zu verhindern. »An dem Zeichen am Schenkel ersah ich, daß das Tier der Armee gehört. Ich komme daher, dasselbe seinem Eigentümer zurückzugeben.«

Der Kommandant antwortete nicht gleich. Sein Blick ruhte scharf auf dem Knaben. »Sollte ich dich nicht schon irgendwo gesehen haben? Du erscheinst mir merkwürdig bekannt«, meinte er dann sinnend. Auf einmal leuchtete es in seinem Gesichte auf, und lebhaft rief er: »Ich glaube mich nicht zu täuschen. Richtig! Bei einer der kleinen, südlich gelegenen Poststationen war es. Dort traf ich dich.«

Jetzt erinnerte sich Bob ebenfalls des Passagiers, durch den er die peinliche Nachricht von. dem Aufruf in den Zeitungen erfahren hatte. »Zehn oder zwölf Tage darauf fand ich das Pferd hoch oben in den Bergen«, sprach er rasch und fürchtete, abermals ausgefragt zu werden.

Der Hauptmann sagte nach kurzem Nachdenken: »Binde den Gaul dort an den Fensterverschlag und komm! Ich möchte doch etwas mehr von dir erfahren.«

Zögernd tat Bob, wie ihm geheißen wurde, und folgte mit klopfendem Herzen in das Haus, wo ihn der Kommandant in ein Zimmer führte, das einen einfachen, aber behaglichen Eindruck machte.

Der Knabe wagte kaum den weichen Teppich mit seinen Füßen zu berühren. Erst nach wiederholter Aufforderung ließ er sich schüchtern auf einen Polstersessel nieder, während der Hauptmann ihm gegenüber vor einem Schreibtisch Platz nahm und freundlich sagte: »Du hast recht. Das Pferd gehört uns. Ich kenne das Tier, habe ich es doch selbst in früheren Jahren oft genug geritten. Vor Monaten überfiel der Wegelagerer Bill mit seiner Bande die Post und raubte verschiedene Briefschaften. Um ihn dingfest zu machen, rückte eine Abteilung Militär nach ihm aus. Man hoffte, den Spitzbuben in einem Talkessel umzingeln zu können. Der Anführer ließ seine Soldaten daher absitzen, und alle schlichen auf versteckten Wegen weiter. Doch Bill entwischte rechtzeitig. Und als man an die Stelle zurückkam, wo man die Pferde untergebracht hatte, war eins von ihnen verschwunden und nirgends aufzufinden. Aber nun sage mir, warum brachtest du mir das Tier nicht früher wieder, da du doch wußtest, daß es ein Armeepferd war? Aengstige dich nicht, mein Junge! Strafbar bist du auf keinen Fall, denn hier kann wohl von einem Diebstahl nicht die Rede sein. Mich interessiert es nur zu wissen, wo du dich so lange aufhieltest und was du jetzt anzufangen gedenkst.« Er erklärte auch, über die abermalige Begegnung mit dem Knaben sehr erfreut zu sein.

Doch Bob hörte nur halb, was der Hauptmann sprach. Vor ihm an der Wand hing ein großes Bild, auf das zufällig seine Augen fielen, dann aber wie gebannt daran haften blieben. Zwischen grünen, hohen Ufern sah er den gewaltigen Missouri mit seinen Dampfern und Schiffen. In weiter Ferne an der anderen Seite des breiten Stromes lag Council Bluffs, von wo die Passagiere herüberkamen, um von Omaha aus ihre Reise nach dem Westen fortzusetzen. Wie oft hatte er alles das, was er hier auf dem Bilde erblickte, in Wirklichkeit geschaut, wenn er in der Heimat nur zu gern seine freie Zeit in der Nähe der rauschenden Wellen verträumte! Und seine Gedanken verweilten bei jenen längst vergangenen Tagen. Wie erinnerte ihn auch hier das trauliche Gemach an die geregelten Verhältnisse daheim! Erst hatte er es mit Widerstreben betreten, jetzt aber fühlte er sich so wohl und behaglich zwischen diesen Wänden, als seien sie ihm gar nicht fremd. Der freundliche Herr, dessen wohltönende Stimme ihm wunderbar zu Herzen ging, erschien ihm wie ein guter Freund, dem er ohne Scheu ruhig vertrauen konnte. Und als der Hauptmann ihn jetzt fragte, ob er nicht der Knabe sei, den man damals in den Blättern als verloren bezeichnet habe, da schlug er seine Augen frei zu dem Herrn auf, und versetzte ohne Zagen: »Ja, der bin ich! Nur meinen Namen erspart mir zu nennen, dann will ich Euch gern alles bekennen.«

Und Bob berichtete in kurzen Worten, wie die Behandlung seines Vaters ihn aus dem Hause getrieben habe, wie er dann zu Fuß in dem öden, menschenleeren Lande umhergeirrt sei und das Pferd wie ein Geschenk vom Himmel betrachtet habe. Auch von der freundlichen Aufnahme bei den Brüdern erzählte er und von seinem Trapperleben. »Jetzt bin ich zufrieden«, schloß er. »Laßt mich in meinem Beruf und verratet mich nicht! Lieber will ich mir ein Leid antun, als zu meinem Vater zurückkehren.«

»Kennst du in Omaha einen Knaben in deinem Alter, der sich wie ich Reinfels nennt?« fragte der Kommandant nach einer geraumen Weile, in der er sinnend vor sich hingeschaut hatte.

»Reinfels?« wiederholte Bob nachdenkend. »Nein! Von dem hörte ich niemals.«

»Dann ist dir auch wohl ein Gerichtsbeamter Gabert nicht bekannt?« fragte der Hauptmann weiter.

Der Knabe erschrak heftig, als er den Namen seines Vaters vernahm. »Oberflächlich! Nicht genau«, stotterte er.

»Kannst du mir sagen, ob es ein ehrlicher, pflichttreuer Mann ist?«

Bob wurde immer verlegener. »Ehrlich und pflichttreu? – Soviel ich weiß – ja – das ist er.«

Hauptmann Reinfels trat an das Fenster, öffnete es und rief einen Soldaten zu sich heran, dem er leise einen Auftrag gab. Dann wandte er sich von neuem an den Knaben. »Wann wirst du mit deinen Freunden weiter reisen, und wohin führt euer Weg?«

»Sobald der Wagen bepackt und hier einige Einkäufe an Lebensmitteln gemacht sind, werden wir unverzüglich aufbrechen«, entgegnete Bob und war froh, der peinlichen Antworten überhoben zu sein. »Von hier geht es geradeswegs nach Cheyenne, wo die Felle verkauft werden sollen. Von dort ziehen wir voraussichtlich westlich von Fort Phil. Kearny an den Goose Creek.«

Der Kommandant stützte den Kopf und blickte zum Fenster hinaus. So stand er schweigend mehrere Minuten, bis der Knabe sich zuletzt vom Sessel erhob und schüchtern sagte: »Erlaubt Ihr, daß ich mich entferne? Ich möchte meine Freunde nicht gern warten lassen.«

Hastig drehte sich der Hauptmann um. Er schien, in Gedanken versunken, die Anwesenheit des Knaben ganz vergessen zu haben. Jetzt legte er die Hand auf das lockige Haar Bobs und schaute lange in dessen frisches, blühendes Gesicht.

»Du hast dir einen Beruf erwählt, der wohl ein freies, ungebundenes Leben in der herrlichen Natur mit all ihren wunderbaren Reizen in sich schließt, bei dem sich jedoch ein Umgang mit rohen, verwilderten Menschen nicht vermeiden läßt, die von der Furcht vor dem Gesetze in die Wildnis getrieben wurden«, sprach er ernst. »Bleibe du ehrlich und brav! Bewahre dir ein ruhiges Gewissen, damit du stets einem jeden frei und offen in das Auge zu sehen vermagst! Möge dir Gott auf deinem zukünftigen Lebenswege allzu schwere Prüfungen ersparen!« Rasch trat der Kommandant an den Schreibtisch, warf einige Zeilen auf Papier und fügte einen Stempel hinzu. Dann führte er den Knaben vor das Haus. »Nimm das Pferd als ein Geschenk von mir! Den Sattel ließ ich mit einem anderen vertauschen, da er Nummer und Zeichen des Regiments trug. Und hier bewahre den Schein! Er bezeichnet dich als Eigentümer des Tieres.« Mit diesen Worten drückte er Bob, der vor Ueberraschung keiner Silbe mächtig war} das soeben aufgesetzte Schriftstück in die Hand.

»Nur vorwärts, mein Junge! Steig auf und starre mich nicht so ungläubig an!« fuhr Hauptmann Reinfels lächelnd fort. »Dir gehört der Gaul. Möge er, solange du ihn reitest, immer einen ehrlichen Menschen tragen!«

»So wahr ein Gott im Himmel lebt, ich will mein Leben lang ehrlich bleiben. Tausend Dank!« stammelte der Knabe.

»Bringt dich aber einst das Schicksal in eine Lage, in der du einen aufrichtig denkenden Freund brauchst, so komm getrost zu mir! Solange du frei und offen deine Augen zu mir aufschlagen kannst, findest du bei mir ein Heim. Und nun steige auf! Sieh! Dort hinten nahen zwei Männer. Ich vermute, daß es deine Freunde sind.«

Noch einmal drückte Bob seinem Wohltäter die Hände. Dann band er den Gaul los, schwang sich in den Sattel und sprengte den beiden Brüdern entgegen. Schon von weitem rief er ihnen zu: »Das Pferd ist mein. Das Pferd ist mein. Der Hauptmann Reinfels hat es mir geschenkt!«

Noch lange stand der Kommandant in der Tür seiner Behausung und blickte dem Knaben nach, der sich mit seinen Freunden rasch über den Platz entfernte. Endlich wandte er sich kopfschüttelnd ab.

Als eine halbe Stunde später die Trapper mit ihrem Wagen, begleitet von Bob auf seinem Pferde, Fort Reno verließen, brachte der Hauptmann einen Brief nach dem einzigen Verkaufsladen der Befestigung, in dem sich auch zugleich die Posthalterei befand; das Schreiben trug die Aufschrift: »An den Gerichtsbeamten Davis Gabert in Omaha.«

Die Trapper beeilten sich auf ihrer Reise nicht allzusehr. Manches Mal wurde schon mittags Halt gemacht, wenn sich ein passender Lagerplatz fand. Man sattelte und schirrte die Pferde ab und ließ sie frei laufen. Das reichliche Futter hielt sie stets in der Nähe. Die Tiere hatten sich auch so an ihre Herren gewöhnt, von denen sie schonend behandelt wurden, daß sie sich deshalb schon nicht weit entfernten und auf einen Ruf willig herbeikamen. Neben dem Wagen wurde Feuer angezündet und nach Herzenslust gekocht und gebraten. Wild gab es überall, und man führte stets einen reichlichen Vorrat davon auf dem Gefährt mit sich. Vom Wetter war die Reise ebenfalls begünstigt. Nur selten regnete es. Dann wurde ein altes Zelt vom Wagen ausgespannt, daß alle trocken und bequem darunter Platz fanden.

Charley und Jim freuten sieh schon im voraus auf die Zerstreuung, die ihnen die Stadt bieten sollte. Bob scherzte, lachte und sang vom Morgen bis zum Abend, da ihm dieses Reiseleben nun einmal gefiel. Sobald man das Lager aufgeschlagen hatte, durften seine Freunde die Hände nicht mehr rühren. Hier schaltete und waltete er allein.

Aber nicht immer war der Boden glatt. Oft mußte der Wagen zum Teil abgepackt werden, um den Tieren das Ziehen zu erleichtern. Hatte man die schlechte Stelle glücklich passiert, wurde das Gefährt von neuem beladen. Dabei gab es auch für die Brüder hinreichende Arbeit.

Zuletzt kam Bob auf den Einfall, sein Pferd als Vorspann zu benutzen, da ja die Trapper ein drittes Geschirr besaßen. Der Versuch glückte über Erwarten gut und erwies sich besonders von großem Nutzen, als man die Black Hills erreichte, in denen die Wege schlechter waren, als man gedacht hatte.

Die Reise dauerte bereits fünf Wochen, da sagte Charley dem Knaben eines Abends, daß sie voraussichtlich am folgenden Tage in Cheyenne ankommen würden.

Sie hatten soeben ihr Mahl verzehrt, und Jim rauchte behaglich seine Pfeife. »Hast recht, Bruder!« sagte er schmunzelnd. »Gegen Mittag werden wir dort eintreffen. Bis zum Abend kann dann schon alles verkauft sein, wenn unser alter Händler Newman wie in den letzten Jahren die Felle übernimmt.«

»Dich möchte ich bitten, uns bei dem Handel etwas auf die Finger zu sehen«, wandte sich Charley an Bob. »Den Wert der Felle kennst du, ich habe ihn dir oft genannt. Der alte Newman ist sehr freigebig mit Getränken, und nachher wird im Handumdrehen das Geschäft abgeschlossen. Ich glaube, der Kerl betrügt uns.«

Der Knabe hatte aus den Reden der Brüder längst erfahren, daß sie gewöhnt waren, sich in Cheyenne dem lang entbehrten Whiskygenusse hinzugeben. Sie hatten hier stets in Saus und Braus gelebt und die Stadt sehr oft ohne einen Cent in der Tasche verlassen. Seit der Abreise dachte er nun schon vergeblich nach, wie er diesmal seinen beiden Wohltätern den Ertrag für die monatelange, beschwerliche Arbeit erhalten könne. »Ich will euch gern dabei behilflich sein«, sprach er nach einer Weile und fuhr bittend fort: »Gebt mir das Versprechen, überhaupt auf meinen Rat zu hören, wenn es nötig ist, während wir uns in der Stadt befinden! Es wird doch Zeit, daß ihr für eure alten Tage etwas zurücklegt.«

»Daran hätten wir schon lange denken können«, versetzte Jim und kratzte sich hinter dem Ohr. »Wenn nur das Teufelsgetränk nicht auf der Welt wäre! Unsere Felle sind unter Brüdern mindestens zweitausend Dollars wert. Mehr als achthundert Dollars erhalten wir niemals dafür, weil uns beim Handel schon der Verstand verloren geht. Daß wir uns nach den vielen Monaten der Einsamkeit vergnügen und zerstreuen, kann uns wohl niemand verargen. Man vergißt dann nur zu leicht, wo der Durst wirklich ein Ende hat.«

»Wenn uns der Verstand abhanden gekommen ist, wie Jim sagt, wollen wir gern deinem Rate folgen, mein Junge«, meinte Charley. »Handle dann, wie du es für gut befindest! Sind die Felle verkauft, so sorge für neuen Mundvorrat, Patronen und dergleichen! Auch magst du dir ein Paar neue Stiefel anschaffen! Die deinigen haben ausgedient. Doch jetzt laß uns zur Ruhe gehen. Morgen, fürchte ich, wird es nicht so früh sein, wenn wir unser Lager aufsuchen.«

Am nächsten Tage zogen die Trapper in Cheyenne ein.

Die Stadt war von Menschen überfüllt. Hauptsächlich waren es die abgelohnten Cowboys, Cowboys (Viehknechte) sind eine Klasse verwegener Gesellen des Westens, die im Reiten eine ungewöhnliche Geschicklichkeit und Ausdauer besitzen. die hier für ihre Herren das frei im Lande umherlaufende Vieh zusammengetrieben hatten und nun ein lustiges Leben führten. Aber auch viele Viehzüchter, Trapper, Vieh-, Pferde- und Pelzhändler hielten sich hier auf, wie jedes Jahr um die Zeit; dazu aber auch Gesindel, dessen Handwerk im Territorium aus Pferdediebstahl und Wegelagerei bestand.

Das Lederhemd mit den Fransen an den Aermeln oder ein farbiges Wollhemd; die Beinkleider in den hohen, zum Teil mit mächtigen Sporen versehenen Stiefeln; der breitrandige Hut mit der vorn aufgeklappten Krempe; den patronengespickten Gürtel mit großem Revolver und Messer um die Hüften geschnallt, das war die Tracht der meisten Männer, die in den Straßen singend und lärmend von einem Beersaloon (Bierhalle) in den anderen zogen. Aus diesen Trinkstuben erscholl überall wildes Geschrei. Hier und da fiel ein Schuß. Abends erreichte das wüste Leben seinen Höhepunkt. Dann waren die Gemüter durch die heißen Getränke bis zur Raserei gereizt, und Mord und Totschlag gehörten dann nicht zu den Seltenheiten. Doch von alledem machte man nicht viel Aufsehen in der Stadt. Man war es nie anders gewohnt gewesen.

Einen vollen Einblick in dieses wilde Treiben erhielt Bob erst in den kommenden Tagen. Bei seiner Ankunft hatte er vollauf zu tun, um alles zu ordnen. Zu seiner großen Freude war Belford, bei dem er einst mehrere Monate im Fieber gelegen hatte, einer der ersten Menschen gewesen, denen er in der Stadt begegnete. Gern begleitete der Rancher den Knaben nach der Herberge, wo die Trapper von den Pelzhändlern in Empfang genommen wurden.

Die Brüder feierten das erste Wiedersehen mit Whisky, und als sie nach einiger Zeit, schon halb berauscht, zu handeln begannen bemerkte Bob mit Schrecken, daß sie weit unter dem Preis verkauften. Entschlossen drängte er die beiden Trapper fort, rief Belford zu seiner Hilfe herbei, und begann das Geschäft mit genauer Berechnung und klarem Verstand.

Wohl waren die Händler anfangs über diesen Wechsel erzürnt, hauptsächlich Mr. Newman, der die Brüder vorher am meisten zum Trinken genötigt hatte; aber alle wußten, wie sorgfältig die Ware der schon seit so vielen Jahren in Cheyenne bekannten Trapper behandelt war und jeder kaufte die Felle gern. Daher überbot jetzt einer den andern. Und als der Knabe endlich das letzte Stück fortgegeben und mit seinem Freunde einen Ueberschlag des erlösten Geldes machte, hatte er 2550 Dollars eingenommen.

Bob wollte freudestrahlend damit zu den Brüdern eilen, die sich mittlerweile an einem Tisch niedergelassen hatten und mit mehreren wüsten Gesellen Karten spielten. Doch Belford hielt ihn rasch zurück.

»Komm, mein Junge!« lachte er und zog den Knaben mit sich. »Ich weiß einen Platz, wo das Geld besser aufgehoben ist. Wir bringen es, wenigstens den größten Teil, nach der Bank, sonst ist die ganze schöne Summe in kurzer Zeit verjubelt. Ich kenne das!«

Der Rat leuchtete dem Knaben ein, und beide begaben sich nach der Filiale eines Chikagoer Bankhauses, wo sie zweitausend Dollars einzahlten. Dann ging Bob zu den Trappern zurück, denen er auf ihr Verlangen fünfzig Dollars gab. Voll Ekel wandte er sich ab, als sie ihm ein großes Glas Whisky hinhielten und ihn aufforderten, mit ihnen zu trinken.

Unter des Ranchers Aufsicht kaufte der Knabe nun Lebensmittel und alles für den Aufenthalt in den Bergen Nötige. Er unterließ es auch nicht, noch einige neue Biberfallen anzuschaffen, da er die frühere Zahl jetzt nicht mehr für ausreichend hielt. Den Abend verbrachte er in der Gesellschaft Belfords auf dessen Zimmer in einem größeren Hotel. Als er dann in die Herberge zurückkehrte, waren seine Freunde fort. Erst spät in der Nacht kamen sie heim.

Am nächsten Tage sprach keiner der Brüder ein Wort mit Bob. Sie wichen ihm scheu aus. Vergeblich sann er darüber nach, ob er sich irgend etwas habe zuschulden kommen lassen.

Das scheue Wesen der Trapper hatte seinen guten Grund. Sie hatten die fünfzig Dollars in der vergangenen Nacht verpraßt und schämten sich nun, mehr zu fordern.

Am Nachmittage rückte Jim endlich mit der Sprache heraus und bat für sich und seinen Bruder nochmals um die gleiche Summe.

Freundlich machte Bob den Männern Vorwürfe über ihre Verschwendung und bat sie. Maß und Ziel im Trinken und Spielen zu halten.

»Jetzt werden wir uns in acht nehmen und vorsichtiger mit der Münze umgehen«, versprachen beide. Aber schon abends forderte Jim abermals Geld, und nach kurzer Zeit stellte sich auch sein Bruder mit demselben Verlangen ein.

Das wiederholte sich jetzt beinahe jeden Tag. Der Knabe wurde nicht müde, die Brüder immer von neuem zu bitten, daß sie dieses wüste Leben aufgeben möchten. Doch alles blieb beim alten, bis Bob keinen Cent mehr von dem Gelde besaß, das er von der erlösten Summe zurückbehalten hatte. Das Benehmen der Freunde gegen ihn wurde ebenfalls fremder. Mit Kummer sah er, daß sie immer mehr Gefallen an den rohen Gesellen fanden. Belford war abgereist, nachdem er seinem jugendlichen Freunde eine prächtige Büchse zum Andenken geschenkt hatte. Wer sollte nun guten Rat erteilen? Da faßte der Knabe einen kurzen Entschluß. Er hob noch dreihundert Dollars bei der Bank ab, und als die Trapper am anderen Tage wieder Geld von ihm forderten, gab er ihnen diese Summe mit dem Bemerken, daß das nach Abzug der gemachten Einkäufe und der täglich bezahlten Zeche in der Herberge der letzte Rest sei. Für die auf der Bank niedergelegten tausend siebenhundert Dollars hatte er sich ein Scheckbuch geben lassen, dessen Vorhandensein er den Brüdern wohlweislich verschwieg.

Verlegen schlichen diese hinweg, und von jetzt ab sah Bob sie kaum noch.

Sechs Tage nachher erhoben sich die Trapper morgens später als gewöhnlich vom Lager und befahlen dem Knaben kurz, den Wagen zu packen und die Gäule vorzuspannen. Eine Stunde darauf fuhren sie schweigend zur Stadt hinaus. Bob folgte hinterher auf seinem Pferde. Seine Fragen beantworteten die Freunde kaum. Sie sprachen auch selbst miteinander nur, was unbedingt nötig war.

Nach einem kurzen Halt am Mittage ging es weiter, und abends rollten sich die Brüder in ihre Decken, ohne etwas von dem zu genießen, was der Knabe heute mit doppelter Sorgfalt hergerichtet hatte. Traurig saß er allein am Feuer.

Am kommenden Nachmittage machte Bob, nachdem das Lager aufgeschlagen war, einen Ritt in die Berge. Mit seiner Büchse, die er am Sattel in einer Lederscheide mit sich führte, erlegte er ein Reh. Als er damit zu den Brüdern zurückgekehrt war, bemerkte er mit Schrecken, daß sich beide betrunken hatten. Am meisten war Jim berauscht, aber auch Charley hatte des Guten zu viel. Man erkannte es deutlich an seinen unsicheren Bewegungen. Voll Abscheu begann Bob die Abendmahlzeit zu bereiten.

»Die neue Waffe hast du wohl in Cheyenne gekauft, he?« unterbrach Jim nach einer Weile das Schweigen mit lallender Zunge. Schwankend lehnte er sich gegen den Wagen.

»Gekauft? O nein! Woher hätte ich wohl das Geld nehmen sollen? Herr Belford schenkte sie mir beim Abschiede«, erwiderte der Knabe.

Jim tat, als überhöre er die letzten Worte.

»Geld hernehmen? Pah! Hattest doch unser ganzes Kapital in Händen.«

»Ich habe Charley stets gewarnt, dir alles anzuvertrauen, aber du warst ihm ja mehr als ich«, fügte er mit einem unwilligen Blick auf den Bruder hinzu, der auf seinem Sattel neben dem Feuer saß und, den Kopf in die Hand gestützt, vor sich hinschaute.

Bob fühlte natürlich die Anschuldigung, die in der Rede des Trappers lag, bemühte sich aber, ruhig zu bleiben, und entgegnete gelassen: »Hätte ich die Büchse von euerm Gelde gekauft, ohne euch zu fragen, so wäre das ein Unrecht gewesen, und ich trüge sie dann nicht am Sattel als mein Eigentum. Dann gehörte sie euch, nicht mir.«

»So wird es auch wohl sein. Wer kann bezeugen, wieviel du für die Felle einnahmst? Dein Freund Belford vielleicht? Der steckt mit dir unter einer Decke!« rief Jim höhnisch und taumelte einige Schritte vor.

»Habt ihr in früheren Jahren mehr erzielt?« fragte der Knabe mit wachsender Erregung.

»Davon ist nicht die Rede!« versetzte Jim barsch. »Wir stellten dich zum Handeln hin, weil du – – – nüchtern warst. Was hat es uns gebracht? Die schlauen Händler haben dich wahrscheinlich doppelt übervorteilt.«

»Ihr wißt nicht, wieviel Geld ihr von mir empfingt, weil ihr leider oft nicht mehr zählen konntet, was ich euch gab«, sagte Bob mit bebender Stimme.

»Bruder! Hörst du nicht, was er spricht?«spottete Jim. »Der hergelaufene Galgenvogel will uns Vorschriften machen.«

»Wenn ihr mich anklagt – allerdings! Dazu habt ihr kein Recht. Ihr waret unzurechnungsfähig!« erwiderte Bob, am ganzen Körper zitternd.

»Schweig, Junge!« sagte Charley unwillig, indem er sich mühsam von seinem Sitze erhob und wankend zu seinem Bruder trat. »Wir können tun und lassen, was wir wollen, und wenn dir das nicht behagt, dann geh! Deine Sache ist es nicht, uns Gesetze vorzuschreiben. Jim hat recht. Jim und ich sind zwanzig Jahre miteinander fertig geworden. Du möchtest dich jetzt wohl zwischen uns drängen und Unfriede säen? Daraus wird nichts, Junge. Glaubst du, wir sind Narren, die sich von dir lenken und leiten lassen? Oho! So haben wir nicht gewettet. Jim hat mir oft in den vergangenen Tagen in den Ohren gelegen, daß du nicht ehrlich seist. Ich wollte nichts davon hören, aber jetzt glaube ich es auch beinahe. Ich will gleich ...«

»Haltet ein! Es ist genug!« unterbrach ihn der Knabe rasch. Jedes Wort seines alten Freundes schnitt ihm in das Herz. Von Jim, der ihm nie sehr freundlich gesinnt war, konnte er sich die in der Trunkenheit geführten Reden erklären, daß ihn aber Charley ebenfalls verdächtigte, hätte er nicht erwartet.

Hoch aufgerichtet stellte er sich den Brüdern gegenüber, die unwillkürlich einen Schritt zurücktraten. Er schien plötzlich um einige Jahre älter geworden zu sein. Mit fester Stimme sprach er: »Als wir vor wenigen Wochen nicht weit von Cheyenne lagerten, gabt ihr mir das Versprechen, auf meinen Rat zu hören, sobald ihr in der Stadt den Verstand verloren hättet. In diesem Falle erteiltet ihr mir die Erlaubnis, für euch nach bestem Ermessen zu handeln. Wir redeten damals auch davon, daß es Zeit sei, für eure alten Tage einen Notcent zurückzulegen. Ihr hieltet euer Versprechen nicht; deshalb war es meine Pflicht, für euch zu tun, was ihr versäumtet. Mit Güte erreichte ich meinen Zweck niemals. Das sah ich bald ein. Da blieb mir nur noch ein Weg. Ihn habe ich eingeschlagen.« Hastig griff er in sein Hemd und holte das Scheckbuch hervor, das er den erstaunten Trappern übergab. »Hier nehmt und überzeugt euch, ob der Knabe unrecht tat, während ihr vergaßet, Männer zu sein.«

Stumm standen die Brüder nebeneinander und blickten unverwandt in das Buch. Charley rieb sich die Stirn. Jim fuhr sich wiederholt mit der Hand über das Gesicht. Beide trauten ihren Augen nicht. Die Ueberraschung schien sie plötzlich nüchtern gemacht zu haben.

»Lebt wohl!« fuhr Bob bebend fort: »Habt Dank für alles, was ihr mir tatet! Ich suche mir einen anderen Platz, wo – ich – – –« Er vermochte nicht weiter zu reden. Tränen erstickten seine Stimme. Er nahm seinen Sattel von der Erde auf und ging nach seinem Pferde, das in der Nähe graste.

Aber er kam nicht bis zu seinem Tiere. Zwei muskulöse Arme legten sich um seinen Nacken und zogen ihn nach dem Feuer zurück. Es war Charley, der jetzt den Kopf des Knaben in seine beiden schwieligen Hände nahm und einen Kuß auf dessen Mund preßte.

»Junge! Mein Herzens junge, was hast du für uns getan, die wir nicht wert sind, daß uns die Sonne bescheint?« stammelte er, und eine dicke Träne rollte über seine wetterharte Wange.

Jim ergriff Bobs beide Hände und stotterte: »Wir sind schlechte Kerle, und dort drinnen in der Sündenstadt verhärtete unser Herz gänzlich. Ich bin hauptsächlich der Schuldige. Ich klagte dich zuerst gehässig an, weil es mich kränkte, daß der Bruder mir nicht mehr allein gehört, seitdem du bei uns weilst.«

Charley nahm den Knaben immer von neuem in den Arm, und in fliegender Hast kam es über seine zuckenden Lippen: »Verzeihe mir, mein Junge! Das Teufelsgetränk ist an allem schuld. Einst hast du uns erzählt, du habest dir vorgenommen, nie wieder einen Tropfen Whisky auf deine Zunge zu nehmen, als dich Bill mit seiner Bande berauschte. Damals habe ich im stillen gelacht. Heute gelobe ich feierlich dasselbe, und will sterben, wenn ich jetzt mein Wort nicht halte!«

Jim schritt hastig an den Wagen. Unter dem Gepäck holte er eine große, gefüllte Flasche hervor und schleuderte sie mit Wucht gegen einen Stein, daß die Scherben weit umherflogen. »Zum Teufel mit dem Getränk!« rief er laut. »Was Charley gelobte, gelobe ich ebenfalls. Du sollst nicht vergeblich für uns gesorgt haben, Bob. Von jetzt ab wird für unsere alten Tage gearbeitet.« Und nun umarmte auch er den Knaben, der freudestrahlend zu den Trappern aufschaute.

Gerührt drückte Bob beiden die Hand, und aus vollem Herzen sagte er: »Das Versprechen, um das ich euch bat, hieltet ihr nicht, und ich habe an euerm Manneswort gezweifelt. Jetzt habt ihr es mir freiwillig gegeben. Heute glaube ich euch!«


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