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Siebentes Kapitel. Old Tex der Indiantrader

Unterhändler mit Indianern.

Auf einer weiten Prärie, die in der Ferne von blauviolett erscheinenden Bergen eingefaßt war, brannten auf einem grasfreien Platze etwa fünfzig Feuer. Um diese saßen und lagen, Tabak kauend und rauchend, dunkle Indianergestalten, alle von kräftigem, jugendlichem Wuchs. Auf den Wangen prangten, einem Fragezeichen gleich, blaue, gelbe, vereinzelt auch rote, geschwungene Linien. Einige Männer hatten auch die Stirn bemalt, über die das ebenholzschwarze Haar in langen Strähnen nach beiden Seiten des breiten Kopfes bis weit über die Schultern hinabhing. Hinten war es zu einem Knoten vereinigt, in dem drei und mehr Adlerfedern bei der leisesten Bewegung des Windes hin und her flatterten. Bekleidet waren die meisten Indianer mit Lederanzügen. Nur wenige hatten mehrfarbige, wollene Decken nachlässig um den Körper geschlagen. Die Füße steckten in vielfach reich mit Perlen gestickten Mokassins.

Rund um das Lager weidete in dem hohen Grase eine große Anzahl Pferde. Hüpfend bewegten sie sich Ton Zeit zu Zeit weiter. Man hatte den Tieren die Vorderbeine zusammengebunden, um sie am Fortlaufen zu hindern.

Es war nach Mittag, und die Männer genossen ihre gewohnte Ruhe nach dem eingenommenen, reichlichen Mahle. Tiefes Schweigen herrschte unter ihnen, das kaum hier und dort durch eine halblaute Bemerkung unterbrochen wurde.

Etwa in der Mitte des Lagers lag an einem Feuer ein Knabe. Er hatte den blonden Lockenkopf in die Hand gestützt und schaute sinnend in die Flammen.

Ihm gegenüber saß Andrew Brown der Fuchs auf seinen Fersen. Er rauchte aus einer kurzen Steinpfeife, während er den Knaben scharf beobachtete. Schließlich sagte er: »Bob, weshalb stierst du in das Feuer mit deinen Himmelaugen, als könntest du mit dem Wasser, das in ihnen schwimmt, die Glut löschen?«

Der Knabe schien die Welt um sich her vergessen zu haben, denn er schreckte zusammen, als er seinen Namen nennen hörte. Seine Stirn zog sich in finstere Falten, und ein zorniger Blick traf den Halbindianer.

Dieser lächelte und fuhr schmeichelnd fort: »Ich verstehe nicht, wie du mir grollen kannst. Zeige ich dir nicht, daß ich dein Freund und dir wohlgeneigt bin? Ein Wort von mir genügte, und dein blutiger Skalp färbte die Kleider meiner Brüder. Behieltest du nicht dein Pferd, trotzdem es das beste in unserer Herde ist? Fehlt es dir an Speise oder Trank? Alles tat ich für dich. Ich verstehe nicht, wie du mir grollen kannst.«

»Warum ließt Ihr mich nicht bei meinen Freunden?« erwiderte Bob kurz. »Sie hatten recht. Ihr seid falsch wie eine Schlange. Niemals werde ich es mir verzeihen, daß ich Euch nicht in jener Nacht über den Haufen schoß, als Ihr die Patronen stehlen wolltet.«

Andrew Brown zuckte die Achseln. »Dann nagten die Geier jetzt an Euern Knochen, denn meine Brüder wußten, wohin ich in jener Nacht ging.«

»Das lügt Ihr.« rief der Knabe und richtete sich halb empor. »Weshalb kamen sie nicht selbst, um sich den Raub zu holen?«

»Weil zur Nachtzeit kein Indianer einen Angriff wagt. Tötet man ihn dann, ist er der Meinung, – daß ihn auch Nacht in den ewigen Jagdgründen umgibt. Ein Indianer stirbt am Tage, und selbst die Kranken müssen vor Sonnenuntergang sterben, wenn man vermutet, daß sie die Nacht nicht mehr durchleben.«

»Und Ihr? Denkt Ihr vielleicht nicht wie Euer Volk?«

Andrew Brown blickte eine Weile sinnend vor sich hin, dann sagte er: »Ich verehre den großen Geist, doch manches, was meine Brüder glauben, glaube ich nicht. Ich bin kein Jäger wie sie, deren größte Lust darin besteht, den Büffel zu erlegen. Ihnen ist das Fleisch vom Rind zuwider. Sie lassen das Vieh, das man jetzt in immer größeren Herden in das Land treibt, ungehindert seines Weges ziehen.«

»Wann werde ich meine Freunde wiedersehen?« fragte Bob dringend, nachdem er abermals eine längere Zeit in Gedanken versunken war.

Die halbgeschlossenen Augen des Halbindianers leuchteten teuflisch. »Den einen vielleicht, den anderen kaum,« entgegnete er langsam, jedes Wort betonend.

»Habt Ihr Euer Wort nicht gehalten?« rief der Knabe auffahrend. »Redet! Ist bereits der eine durch Mörderhand gefallen?«

»Weshalb soll ich schuld an seinem Tode sein? Du vergißt, daß der Krieg im Lande tobt,« versetzte Andrew Brown ausweichend. Mit listigem Lächeln fügte er hinzu: »Ob deine Freunde beide leben? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer weiß?«

»Alle Eure Worte sind Lügen,« stieß Bob zornig hervor. Dann aber streckte er dem Halbindianer seine gefalteten Hände flehend entgegen und bat mit Tränen in den Augen: »Sagt alles, was Euch von meinen Freunden bekannt ist! Sprecht! Ihr kennt keine Freundschaft. Ihr wißt nicht, was es heißt, von Menschen getrennt sein, die man liebt; sie in Gefahr zu wissen, ohne ihnen helfen zu können. Wenn Ihr es wirklich gut mit mir meint, wie Ihr mir oft versichert, sagt mir die Wahrheit!«

Andrew erhob sich. Ihm schien die Unterhaltung lästig zu werden. »Mehr weiß ich nicht, als daß der eine deiner Freunde meinen Brüdern nicht mehr gefährlich ist.« Rasch ging er nach einem Feuer, wo ein großer, stämmiger Indianer schon seit längerer Zeit wie eine Bildsäule unbeweglich aufrecht stand und unverwandt nach den fernen Bergen schaute.

Andrew Brown trat vor ihn hin und legte seine flache, rechte Hand über die geballte Linke. Das war das Zeichen zum Aufbruch.

Der Indianer nickte und ließ den Schrei einer Elster ertönen, der gleich darauf von allen Seiten wiederholt wurde.

Die Männer sprangen vom Boden auf. Sie reckten und streckten die Glieder, nahmen ihre Sättel und Waffen zur Hand und eilten zu den Pferden.

Bob befand sich in verzweifelter Stimmung. Wenn der Halbindianer die Wahrheit sprach, war das Schlimmste zu vermuten. Wo befanden sich die Freunde? Der Knabe wollte es nicht glauben, daß einer von ihnen wirklich getötet worden war. »Warum war ich nicht aufrichtig gegen sie?« murmelte er jammernd vor sich hin. Wie oft hatte er sich schon diesen bitteren Vorwurf gemacht, seitdem er von den Trappern getrennt war!

»He, Blaßgesicht, spute dich! Sehen deine Augen nicht, daß wir uns zur Reise rüsten?« rief ein langer Indianer und packte Bob im Nacken. Mit einem Ruck riß er ihn vom Boden auf. »Rasch! Sattele dein Pferd! Wir sind nicht gewöhnt, auf einen Weißen zu warten.« Dabei gab er dem Knaben einen Stoß in den Rücken, daß dieser vorwärts taumelte.

Wenige Minuten später machten sich die Männer auf den Weg nach Norden. Das Präriegras war oft so hoch, daß hin und wieder nur die Köpfe und Schultern der Reiter daraus hervorragten.

Der Indianer, dem Andrew Brown vorhin das Zeichen zum Aufbruch gegeben hatte, ritt auf einem schwarzen Pferde an der Spitze des Zuges. Man hatte ihn erst kürzlich zum Häuptling gewählt, nachdem der frühere Anführer nicht zurückgekehrt war. Der alte Häuptling war eines Morgens mit einer großen Anzahl Männer davongeritten. Auch der Halbindianer befand sich unter ihnen. Gegen Abend – man rastete damals ebenfalls auf einer ausgedehnten Prärie – stellte sich nur etwa die Hälfte der Indianer wieder ein. Langsam kamen sie heran, den Kopf tief gebeugt. Da erhob sich im Lager wüstes Geschrei, und aus allen Anzeichen merkte der Knabe, daß die Krieger geschlagen waren und einen großen Verlust erlitten hatten.

Damals versuchte Bob zu entfliehen, als er sich einen Augenblick ohne Aufsicht sah. Aber der Versuch mißglückte, der Knabe wurde nun noch schärfer bewacht, besonders wenn Andrew Brown abwesend war. Dieser blieb oft mehrere Tage aus. Von einem dieser Ausflüge kam er eines Abends zur Verwunderung des Knaben ohne Hut wieder in das Lager.

Jetzt ritt hinter dem Zuge der Halbindianer neben Bob. Nach einiger Zeit hielt derselbe sein Pferd mehr und mehr zurück und nötigte den Knaben, ein Gleiches zu tun.

»Gib acht, was ich dir sagen werde!« sagte Andrew leise, als sich die Indianer eine kurze Strecke voraus befanden. »Siehst du dort drüben die Berge? Eine tiefe, lange Schlucht führt hinein. Sind wir in ihrer Mitte, so erschrick nicht, wenn es plötzlich um uns her blitzt und kracht! Deine Brüder, die Blauröcke, sitzen versteckt hinter Fels und Stein. Beginnen sie es recht, reiten alle dort vor uns bald in den ewigen Jagdgründen umher.«

»Elender Verräter!« brauste Bob auf. »Ihr schämt Euch nicht, Eure – –«

Hastig drückte der Halbindianer dem Knaben die Hand auf den Mund. »Schweig, Kröte!« unterbrach er ihn voll Wut. »Soll ich dir für immer das Maul stopfen? Wagst du es von jetzt ab, dich eine Pferdelänge von meiner Seite zu entfernen oder durch einen Laut jene Männer zu warnen, so gilt die erste Kugel aus meinem Revolver dir.«

Bob war aufs äußerste empört. Die dort vor ihm hinritten, waren seine Feinde, die Feinde der Regierung, und dennoch hätte er sie gern vor der Niedertracht dieses Teufels in Menschengestalt geschützt. Das war kein Krieg mehr. Das war ein hinterlistiger Massenmord, der an den Armen begangen wurde, die ahnungslos in ihr Verderben eilten.

»Dir erscheint mein Handeln nicht recht. Ich sehe es an deinen Mienen,« begann Andrew Brown mit hämischem Lächeln nach einer Weile von neuem. »Ich vermag es jenen nicht zu vergessen, daß sie nicht mich, sondern einen anderen zum Führer erwählten. Ritte ich jetzt dort an der Spitze, trügen in einer Stunde alle wenigstens einen Skalp am Gürtel.«

Der Knabe schwieg. Der Mensch an seiner Seite erschien ihm zu verabscheuungswürdig, um ein Wort zu erwidern.

Immer näher kam man den Bergen. Schon ließen sich deutlich die schwarzen Einschnitte darin erkennen.

Bob erschien sich wie ein Henkersknecht, der die armen Sünder zum Galgen führt.

Noch eine peinliche halbe Stunde verging, und die große Schlucht war erreicht.

Der Häuptling wandte sein Pferd und hob beide Hände in die Höhe. Sofort hielten alle Indianer ihre Gäule an und folgten dem Beispiele ihres Anführers, der behend aus dem Sattel sprang. Nach einer leisen Unterredung stiegen fünf Männer von neuem auf und näherten sich behutsam, indem sie die Büchse schußbereit vor sich hielten, der Schlucht. Langsam ritten sie hinein.

Ein höhnisches Lächeln zuckte um die Mundwinkel Andrew Browns. »Die Vorsicht nützt euch wenig,« zischte es zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor.

Nach einer langen Weile kamen die ausgesandten Reiter zurück. Die Indianer schwangen sich wieder auf den Rücken ihrer Pferde, und schweigend wurde der Weg fortgesetzt.

Bobs Herz pochte zum Zerspringen.

Abermals veranlaßte der Halbindianer seinen Gaul zu langsamerem Schritt. Immer größer wurde die Entfernung zwischen den beiden Nachzüglern und den voraufziehenden Männern.

Jetzt nestelte Andrew eifrig an seinem Hemde und holte daraus zwei rote Tücher hervor. »Sobald der erste Schuß fällt, schwenke dieses Zeichen,« sprach er leise, indem er dem Knaben ein Tuch in die Hand drückte. »Dann gehen wir frei aus.«

Die Schlucht erweiterte sich. Ueberall wuchs Gestrüpp und hohes Buschwerk, aus dem hier und dort eine Pechtanne hervorragte. Einzelne größere Felsblöcke lagen auf dem mit Steingeröll bedeckten Boden.

Je weiter man kam; desto ungeduldiger wurde Andrew Brown, als noch immer alles still blieb. Seine umherirrenden Augen glühten unheimlich. »Sollten die Halunken die rechte Stelle verfehlt – –«

Er sprach nicht zu Ende. Hinter einem Felsen in der Höhe krachte ein Schuß. Ein zweiter, dritter und mehr folgten. Die Indianer stießen ein markerschütterndes Geheul aus, das jedoch von den jetzt in rasender Eile aufeinander folgenden Schüssen übertönt wurde. In wilder, verzweifelter Hast und Angst wandte sich alles zur Flucht. Doch wohin die Reiter auch zu entkommen versuchten, überall flogen ihnen pfeifend die feindlichen Kugeln entgegen. Selbst bis zu dem Knaben und dem Halbindianer sausten sie, der hoch im Sattel aufgerichtet, sich mit gellendem Hohnlachen an der Todesnot seiner Brüder ergötzte.

»Zurück! Rasch!« rief Andrew Brown. Er wollte sein Pferd wenden, aber es konnte dem Zügel nicht mehr gehorchen. Mit den Vorderbeinen knickte es ein, dann brach es vollends zusammen. Eine Kugel war dem Tiere unter dem Halse in die Brust eingedrungen.

Behend sprang der Halbindianer, den der fallende Gaul niedergerissen hatte, von der Erde auf und stieß einen lauten Fluch aus. »Mach Platz, Milchgesicht, und laß mich aufsitzen!« schrie er hastig.

Da erscholl ein Trompetensignal auf den Bergen. Bobs Pferd spitzte die Ohren. Dann setzte es in langen Sprüngen mitten in das wüste Getümmel der durcheinander drängenden Indianer hinein. Der Knabe hielt sich mit der linken Hand am Sattelknopf fest. In seiner Rechten flatterte das rote Tuch.

Der Gaul stürmte immer weiter. Die pfeifenden Kugeln, das Aechzen, Stöhnen und Geheul der Indianer, die sich wiederholenden Trompetentöne, alles das machte ihn rasend.

Bob sah nichts mehr. Er hörte nur das wilde Getobe um sich her. Jetzt verhallte es mehr und mehr. Unaufhörlich jagte das schnaubende Pferd weiter, wie von Furien gepeitscht.

Plötzlich ein Ruck! Das Tier stürzte. Der Knabe wurde zu Boden geschleudert. Hart schlug sein Kopf auf einen Stein. Die Sinne schwanden ihm.

Aus weiter Ferne schallten nach und nach vereinzelter die Schüsse herüber. Zuletzt verstummten sie ganz. Dann wurde es still ringsumher. Kein Laut regte sich. Nur der Wind spielte säuselnd mit den Blättern von Busch und Baum.

Die Sonne neigte sich zum Untergang. Zwischen den Felswänden dunkelte es mehr und mehr. Die Kuppen der Berge erglänzten in rosigem Schimmer. Dann erblaßten auch sie. Im blauen Aether zeigte sich ein Stern nach dem andern, Nacht bedeckte die schlummernde Erde.

Im Osten wurde es jetzt hell und heller. Der Mond tauchte mit seinem silberweißen Schein empor. Er stieg höher und höher. Zuletzt warf er sein bleiches Licht zwischen die wilden, verworrenen Steinmassen.

Ein einsam irrender Wolf ließ sein melancholisch klagendes Geheul ertönen.

In Bobs Schädel summte ein Dröhnen und Brausen, in den Ohren ein Singen und Klingen. Kalt strich der Wind über die heiße Stirn. Des Knaben Hände griffen umher. Seine Linke hielt, fest geschlossen, etwas Hartes. Er öffnete die Augen. Was war mit ihm geschehen? Hastig richtete er sich halb auf. Befand er sich im Himmel, wie er geträumt hatte? Wo waren die vielen Menschen geblieben, die er soeben noch sah? Auch hatte strahlend die Sonne geschienen. Verwundert erblickte er vor sich, vom Monde geisterhaft beleuchtet, einen Felsen bei dem anderen. Und als er aufschaute, stand neben ihm mit gesenktem Kopf ein Pferd, dessen Zügel er in der Hand hielt. Langsam kam ihm die Erinnerung an das Vorgefallene zurück. Bob ließ die Zügel frei und faßte sich an die schmerzende Stirn. Sie war feucht und klebrig. Und als er sich die Finger besah, bemerkte er in dem fahlen Mondlicht, daß Blut daran haftete. Seine rechte Hand umklammerte ein Tuch. Das hatte ihm der feige Verräter gegeben, der um gemeiner Rache willen seine eigenen Brüder in den sicheren Tod geführt hatte, dieser Teufel, der ihn auf Schritt und Tritt bewachte. Aengstlich blickte der Knabe nach allen Seiten. Nichts regte sich. Er war allein. Da wurde es ihm klar, daß er wieder frei und glücklich der Gewalt der Indianer entronnen war. Das hatte er seinem Pferde zu verdanken, das ihn mit Gottes Hilfe aus seiner Gefangenschaft errettete. Er erhob sich mit Mühe von der Erde und klopfte liebkosend den schlanken Hals des Tieres. Dann band er sich das Tuch um die schmerzende Stirn. Sein Hut war ihm während des wilden Rittes vom Kopfe geflogen.

Bob sann darüber nach, was er nun beginnen sollte. War es nicht möglich, daß ihm hier von neuem eine Gefahr drohte? Nur fort von hier nach Norden! Rasch legte er den Sattel zurecht, der sich bei dem Sturz verschoben hatte. Dann brach er auf, indem er den Gaul am Zügel hinter sich herführte.

Doch bald merkte der Knabe, daß seine Kräfte schnell erlahmten. Es war hell genug, um die Unebenheiten des Bodens zu erkennen. Deshalb bestieg Bob den Rücken des Tieres, das behutsam vorwärts schritt.

Wenn der Weg zu steil bergan ging oder zu abschüssig war, mußte der Knabe seinen Sitz wieder verlassen. Doch zuletzt gelangte er auf eine größere Prärie, wo er ungefährdet im Sattel bleiben konnte. Er fühlte sich todesmatt. Am liebsten hätte er sich hier in das hohe Gras niedergelegt. Aber der Gedanke an die vielleicht in der Nähe befindlichen Indianer trieb ihn weiter und weiter.

Nach mehreren Stunden wurde der Boden abermals steinig und felsig. Vom Osten her strich eine frische Brise über das Land. Und als der Grund abermals steil bergan stieg, graute der Morgen.

Erschöpft machte Bob Halt. Auch dem Pferde mußte er eine Erholung gönnen. Er nahm dem Tiere den Zügel ab, damit es bequemer grasen konnte. Der Gaul fiel gierig über das spärliche Futter her.

Bald war es Tag. In dem kristallklaren Wasser einer Quelle, die aus einem Felsen hervorsprudelte, wusch sich der Knabe den blutigen Kopf. Das erfrischte ihn ungemein. Dann band er das durchnäßte Tuch um die Stirn. Ein Weilchen konnte er sich immerhin niederlegen. Die Sonne schien so warm. Er zog die Jacke aus und schob sie unter den Kopf. Welche Wonne, sich behaglich ausstrecken und die Augen schließen zu können, wenn auch nur für kurze Zeit! Zu lange durfte er sich hier nicht aufhalten. Gewiß hatte er schon in der Nacht ein großes Stück Weges zurückgelegt. Das Pferd lief wohl eine weite Strecke, bevor es zu Fall kam.

Wieder empfand der Knabe das Dröhnen und Brausen in seinem Schädel. Jetzt schien wirklich die Sonne. Es war kein Traum, und doch – auch die vielen Menschen sah er abermals. Soweit das Auge reichte, drängte sich Kopf an Kopf. Langsam wanderten die Gestalten auf grüner, blumiger Flur dahin. In den blauen Lüften sangen und zwitscherten die Vögel. Und wie von Engelsstimmen ertönte leise süße, rauschende Musik. Gewiß hatte ihn der Himmel aufgenommen. War einer der Freunde tot, so mußte er doch ebenfalls hier zu finden sein. Immer mehr Menschen strömten in langem, unabsehbarem Zuge vorbei, doch die Trapper befanden sich nicht darunter.

Das Pferd verzehrte hungrig die hier und dort zwischen den Steinen hervorsprießenden Grasbüschel. Bisweilen wandte es den Kopf nach dem jugendlichen Herrn, der dort unbeweglich neben dem Felsblock lag.

Die Sonne stieg höher und höher. Bob regte sich nicht. Aber seine regelmäßigen, lauten Atemzüge verrieten, daß er fest schlief.

Endlich war der Gaul gesättigt. Mit Behagen schlürfte er das kühle Quellwasser, dann schritt er langsam nach dem Knaben und blieb neben ihm stehen. Mehr und mehr senkte sich sein Kopf zur Erde. Auch das Tier war eingeschlafen.

Es wurde Mittag. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht. Ihre Strahlen brannten heiß vom wolkenlosen Himmel hernieder.

Plötzlich zuckte das Pferd zusammen, hob den Hals und blickte unverwandt nach Norden.

Zwischen den Steinblöcken trat jetzt ein Mann hervor, nachdem er eine längere Zeit dort umherspähend gestanden hatte. Hinter sich her zog er vier Gäule, von denen einer Sattel und Decken trug, während die anderen drei mit allerlei eingeschnürten Bündeln beladen waren. Er kam behutsam näher, die Büchse in der Linken.

Es war eine kleine, gedrungene Gestalt mit faltenreichem, wetterhartem Gesicht, aus dem unter buschigen Augenbrauen ein Paar hellblauer Augen lebhaft hervorschaute. Ein grauer, struppiger Schnurrbart saß unter der leicht geröteten, etwas gebogenen Nase, und das kurzgeschorene Haupthaar war beinahe weiß. Auf diesem saß ein kleiner Hut, der einmal schwarz gewesen sein mochte, die Krempe hing zerfetzt herunter. Den Oberkörper umhüllte ein Lederhemd. Die vielfach geflickten Beinkleider steckten in hohen Stiefeln. An dem einen war ein mächtiger Sporn befestigt, in dem jedoch das Rad fehlte. Um den Hals des Mannes schlang sich trotz der augenblicklichen Wärme ein wollener, schmutziggrauer Schal.

Bobs Pferd blähte die Nüstern und schnaubte wild. Es stampfte heftig mit den Vorderfüßen, ohne von der Seite seines Herrn zu weichen.

»Heda! Bursche! Schlaft Ihr, oder seid Ihr tot?« rief der Mann, indem er stehen blieb.

Der Knabe erwachte. Er richtete sich auf und rieb sich schlaftrunken die Augen.

»Habt Euch einen wunderbaren Platz zum Rasten ausgesucht!« fuhr der Alte lächelnd fort.

»Wißt Ihr nicht, daß das Land von kriegführenden Indianern angefüllt ist?«

Indianer! Dieses Wort machte Bob vollständig wach. Er sprang von der Erde auf. »Wer seid Ihr?« fragte er gespannt.

»Diese Frage möchte ich Euch zuerst vorlegen, bevor ich sie selbst beantworte.«

Der gutmütige Ausdruck in dem Gesichte des Alten flößte dem Knaben Vertrauen ein, und ohne Zögern erzählte er, daß er von den Indianern geflohen und hier vor Erschöpfung ohne seinen Willen eingeschlafen sei.

»Wo seid Ihr zu Haus, und wohin wollt Ihr jetzt?« fragte der Mann.

»Ich gehöre zweien Trappern an, die oben am Goose Creek lagern. Dorthin möchte ich ziehen. Doch ich kenne den Weg nicht,« erwiderte Bob seufzend.

Der Alte blickte eine Weile sinnend vor sich hin. »Ich will Euch einen Vorschlag machen,« sagte er dann und schaute den Knaben mitleidig an. »Ihr dauert mich. Reitet Ihr, unbekannt mit dem Lande, weiter, so ist es leicht möglich, daß Ihr den Indianern noch einmal in die Hände fallt. Ich bin Indiantrader. Old Tex nennt man mich allgemein. Jetzt hat mich die Regierung mit einem wichtigen Auftrag betraut. Ich befinde mich auf dem Wege zu den Arapahoes, um sie zur Hilfe gegen die auch diesem Stamme feindlichen Sioux-Indianer herbeizuholen. Begleitet mich dorthin! Mit den Arapahoes dürft Ihr es schon wagen weiterzuziehen. Vorsichtshalber werden sie den Weg durch die Berge bis an den Goose Creek wählen, wo er von beträchtlicher Höhe in einen Talkessel stürzt.«

»Dort finde ich meine Freunde,« unterbrach ihn der Knabe mit lebhafter Freude, indem er dem Manne seine Hand reichte. »Ich nehme Euer Anerbieten dankend an.«

»Wie steht es mit Euerm Kopf?« fragte der Alte freundlich. Er entfernte das Tuch, und während Bob ihm Näheres über den Vorfall in der Schlucht berichtete, wusch Old Tex an der Quelle die Wunde aus. Dann schnitt er Bobs Locken kurz und holte aus einer Ledertasche allerlei Verbandzeug hervor. An einer Stelle hatte ein scharfkantiger Stein die Haut aufgerissen. Der Alte nähte den Riß geschickt zusammen, legte einen Verband an und schlang über diesen von neuem das nasse Tuch.

»Jetzt wird es schon wieder heilen,« meinte er lächelnd und wehrte den Dank des Knaben ab. »Doch nun laßt uns keine Zeit mehr versäumen und aufbrechen!«

Rasch legte Bob seinem Gaule die Zügel an und schwang sich in den Sattel. Der Indiantrader stieg ebenfalls auf. In kurzem Trabe ritten die beiden bergab über die weite Prärie nach Westen. Die Packpferde trotteten hinterher.

Bereitwillig erzählte der Knabe von seinem Aufenthalt bei den Indianern. Die Augen seines Begleiters schweiften unaufhörlich umher. Einige Male hielt er plötzlich sein und Bobs Pferd an. Doch gleich darauf ging es weiter. Stets war es Wild, das der Alte in der weiten Entfernung für den gefürchteten Feind angesehen hatte.

Der Schlaf hatte den Knaben wunderbar gestärkt. Nun aber begann sein Magen mit jeder Minute bedenklicher zu knurren. Bob besann sich, daß er seit dem Mittage des vorherigen Tages nichts genossen hatte, und wünschte sehnsüchtig den Hunger stillen zu können.

Aber erst lange nach Sonnenuntergang machte Old Tex, nachdem man abermals die Berge erreicht hatte, zwischen wildem Gestein in einer tiefen Höhle Halt. Mit Hast verschlang Bob das Brot und das geräucherte Fleisch, das der Alte ihm gab.

»Wenn Ihr derartigen Appetit besitzt, wird mein Vorrat zur Neige gehen, bevor wir zu den Arapahoes kommen,« meinte der Indiantrader verlegen lächelnd. »Feuer dürfen wir nicht anzünden, und ein Büchsenschuß ist auch ein unangenehmer Verräter für uns, sonst könnten wir uns leicht ein Reh erlegen.«

Der Knabe berichtete, wie lange er gehungert habe, und beruhigte damit den Alten, der nun mitleidig dafür sorgte, daß Bob sich vollkommen sättigte.

Bevor die beiden sich zur Ruhe begaben, schnitten sie hinreichend Gras für die Pferde, die während der Nacht ebenfalls in der Höhle untergebracht wurden.

Bei Tagesgrauen setzte man die Reise fort. Von jetzt ab verließ man die Berge kaum noch. Old Tex schien hier jeden Stein zu kennen. Ohne sich zu besinnen, schlug er den Weg ein, und immer führte er aus dem Felsengewirr wieder heraus. Bob sprach seine Verwunderung ob dieser Ortskenntnis aus.

»Ich lebe nun dreißig Jahre hier im Lande,« sprach der Alte vor sich hin. »Da wird einem die Gegend schon bekannt.«

»Ihr seid wohl gar hier geboren?« sagte der Knabe neugierig, um mehr von dem schweigsamen Manne zu hören.

Der Indiantrader rückte unruhig auf seinem Sattel hin und her. »Eure Eltern leben wohl nicht mehr?« fragte er statt einer Antwort.

Bob blickte errötend vor sich nieder, und verlegen stotterte er: »Nein. – Das – heißt – meine Mutter ist tot – mein Vater –«

»Hm hm!« machte der Alte, und fuhr rasch fort: »Laßt nur! Ich will nichts wissen.« Stumm ritt er weiter, doch nach einer Weile begann er von neuem: »Ihr seid noch jung. Euch will ich sagen, woher ich stamme. Vielleicht zieht Ihr eine Lehre daraus für Euer zukünftiges Leben.« Er nahm aus der Tasche eine kleine Tonpfeife, stopfte sie mit Tabak, schlug Feuer, und nachdem er ein paar kleine Rauchwolken in die Luft geblasen hatte, hub er an zu erzählen.

»Tex nennt man mich, weil ich einige Jahre in Texas war, bevor ich hier in das Land kam. Das Old habe ich meinem früh ergrauten Haare zu verdanken. Geboren bin ich in Oesterreich als der Sohn reicher Eltern. Mir fehlte in der Jugend nur eins, Prügel, dann wäre ich wahrscheinlich nicht der Taugenichts geworden, der ich wurde. Die Schule besuchte ich wenig. Ich war zu faul. Lieber lief ich in den Wald oder auf das Feld hinaus. Am liebsten saß ich dort und las Geschichten, Abenteuer zu Wasser und zu Lande. Die verdrehten meinen von dummen Streichen hinreichend angefüllten Kopf gänzlich. Eines Tages war ich auf und davon, nachdem ich vorher die Kasse meines Vaters um eine beträchtliche Anzahl Gulden erleichtert hatte. Ich kam nach New York und von da nach Texas und suchte dort Abenteuer.« Old Tex wiegte bedächtig das Haupt von einer Seite zur anderen. »Ich habe genügend davon erlebt, aber keine Freude, sondern nur Kummer und Sorge. Schon bald nach meiner Ankunft in Texas ging mein Geld zu Ende. Ich mußte viel arbeiten für wenig Lohn, um nicht zu verhungern. Rohes Volk umgab mich. Meine Schlafstätte war eine elende Spelunke, in der ich zwischen wüsten Gesellen lag, die in ihrer Zügellosigkeit kein Gesetz achteten. Sie waren mein einziger Verkehr.

In der Hoffnung, aus dieser Versumpfung zu entfliehen, wanderte ich von Ort zu Ort. Ueberall blieb es dasselbe. Wie unendlich hoch erkannte ich da die Wohltat eines sicher umfriedeten Menschendaseins, als es zu spät war. Und mit dieser Erkenntnis erwachte in mir ein anderes qualvolles Gefühl, die Sehnsucht nach meinem Elternhause, nach meiner schönen, fernen Heimat. Doch obgleich der Gedanke an mein Vaterland mich oft schier verzweifeln ließ, dahin zurückzutreiben vermochte er mich nicht. Eins war mächtiger in mir als das Heimweh mit all seinem Leid: die Scham, meinen Eltern wieder vor die Augen zu treten. Zwar schrieb ich ihnen einen Brief voll aufrichtiger Reue, auch einen zweiten und dritten, erhielt aber keine Antwort.

Möglich ist es, daß meine Zeilen niemals ihr Ziel erreichten. Damals gab es noch wenig Eisenbahnen in Amerika, und die Postverbindungen waren mangelhaft. Immer gewaltiger wühlte das Heimweh in meinem Herzen. Es hat mich früh zum Manne gereift. Mit Lust begann ich zu arbeiten. Nach und nach hoffte ich soviel zu erwerben, um zurückkehren und meinem Vater das Geld wiedergeben zu können, das ich ihm – stahl. Ja, ein Diebstahl war es, und meine Strafe dafür ist nicht ausgeblieben. Die Mittel für die Heimfahrt habe ich mehr als einmal in der langen Zeit besessen, die meinem Vater schuldige Summe vermochte ich aber nicht zu erübrigen. Darüber sind die Jahre hingegangen. Mit einem Viehtransport zog ich nach Norden. In Fort Sherman begann ich anfangs einen kleinen Handel mit den Soldaten und den Indianern, welche die Befestigung aufsuchten, um ihre Büffelfelle zu verwerten. Nachher wurde ich Indiantrader. Ich zog mit meinen Waren von Stamm zu Stamm. Bald war ich bei mehreren Völkern bekannt und gern gesehen, weil ich sie nicht betrog und nicht zu sehr übervorteilte. Ich machte gute Geschäfte, doch mein Verdienst reichte für die gestohlene Summe nicht aus. Jetzt bin ich ein alter Mann geworden. Alles ist in mir gestorben, nur ein Gefühl lebt noch gleich frisch wie vor Jahren in meinem Herzen: die Sehnsucht nach meiner Heimat, nach meinem Oesterreich. Freilich ist anzunehmen, daß ich sie niemals wiedersehen werde, und dennoch verliere ich die Hoffnung nicht. Sie allein erhält mich noch am Leben, und unermüdlich strebe und arbeite ich weiter meinem Ziele entgegen. Vielleicht reicht die Summe doch noch einmal aus. Wer weiß?«

Der Alte schwieg. Bob war seiner Erzählung mit Spannung gefolgt und bemerkte jetzt, wie sich der Mann verstohlen mit dem Rücken der Hand eine Träne aus dem Auge rieb.

»Mein Geld und meine Waren liegen gut aufgehoben im Fort Phil. Kearny,« fuhr Old Tex fort, doch mochten seine Worte jetzt wohl weniger für seinen Begleiter bestimmt sein. »Der Auftrag, den ich auszuführen habe, kann von großer Wichtigkeit werden. Kehre ich zurück, so gibt es dafür angemessenen Lohn. Dann noch ein Geschäft nach Wunsch, und –« Der Alte schüttelte den Kopf. »Ich will mich nicht in Hoffnungen wiegen. Enttäuschungen habe ich zur Genüge kennen gelernt.« Er spornte sein Pferd zu rascherer Gangart an und ritt stumm weiter. Er blieb auch während der übrigen Reise wortkarg. Es schien, als bereue er es, dem Knaben seine Vergangenheit offenbart zu haben.

Sie aber gab Bob viel zu denken. War er nicht, wie einst jener Mann, vom Vaterhause fortgelaufen! War auch die Ursache bei ihm eine andere, so hatte er sich doch ebenfalls einen Aufenthalt erwählt, wo rohe, unwirtliche Verhältnisse ihn umgaben. Solange er bei seinen Freunden weilte, war ihm der Gedanke daran wenig gekommen. Nur als er damals nach der langen Zeit der Einsamkeit plötzlich in Fort Reno das geschäftige Treiben vor sich gesehen und nachher in dem wohnlichen Gemache des Kommandanten das Bild seiner Heimat erblickt, hatte ihn ein eigentümliches Gefühl erfaßt. Jetzt wußte er auf einmal, daß es ein Verlangen nach einem Dasein unter Menschen gewesen war, denen der Segen ihrer Arbeit unter dem Schutze der Gesetze zuteil wird. Wie ganz anders hatte er sich einst das freie, ungebundene Leben hier im Lande gedacht! Freiheit herrschte wohl, doch sie wurde von den Menschen durch die rohe Gewalt allein, unbekümmert um das Verderben der Mitmenschen, erkauft.

Leise schlich sich dem Knaben das Heimweh in das Herz. Aber er wünschte sich nicht nach seinem väterlichen Hause zurück. Ihn zog es nur mit wachsender Sehnsucht nach einem friedlichen, sicheren Dasein voll segenspendender Arbeit, wie es daheim die Menschen in seinem Vaterlande an den geschäftig belebten Ufern des Missouristromes führten.

Am sechsten Tage, nachdem Bob von dem Indiantrader aufgefunden worden war, erreichte man die erste Niederlassung der Arapahoes-Indianer.

In einer Vertiefung des stark hügeligen, mit Pechtannen und Gestrüpp bewachsenen Landes standen, von pappelartigen Bäumen beschattet, etwa sechzig Hütten. Ein breiter, jetzt nur wenig Wasser führender Bach strömte träge an der einen Seite des Dorfes dahin.

Wie bei Bobs früherem Besuch, so bellte auch hier eine große Schar von Hunden den beiden Reitern schon von weitem entgegen. Dann wurde es zwischen den Hütten lebendig. Die Mienen der herbeieilenden Indianer drückten eine unverkennbare Freude aus, als sie den befreundeten Unterhändler erkannten, und alle schüttelten ihm freundschaftlich die Hände. Die Männer warfen gierige Blicke nach den Packpferden. Gewiß trugen diese wieder die begehrtesten Sachen, besonders Whisky, das beliebte Feuerwasser. In Gedanken schwebten manche bereits in trunkener Glückseligkeit. Der Knabe mit dem verbundenen Kopf, dessen goldblonde Locken unter dem roten Tuch hervorschauten, wurde mit sichtlichem Erstaunen betrachtet.

»Ruft mir alle Männer Eures Volks herbei, die hier bei Euch wohnen, Hawaho (Kleiner Bär)!« wandte sich Old Tex an einen breitschultrigen Indianer von mittlerer Gestalt, zwischen dessen rotumwickelten Haarsträhnen ein Otterschwanz befestigt war.

Einige Knaben eilten fort, und bald darauf bildete ein großer Haufe Indianer einen Kreis um die Reiter. Auch die Frauen und Kinder drängten sich herbei.

Old Tex nahm den Hut von seinem Haupt, auf dem das Haar in der Sonne silberweiß erglänzte.

»Arapahoes!« begann er mit lauter Stimme, indem er sich im Sattel emporrichtete. »Heute bringe ich nicht wie bisher meine Waren zum Tausch. Meine Pferde tragen heute eine andere Last. Es sind Patronen und Waffen. Der große weiße Mann Präsident der Vereinigten Staaten. schickt sie euch zum Geschenk mit seinem Gruß und fordert euch auf, eilig die Streitaxt zu ergreifen und gegen eure ärgsten Feinde aufzubrechen. Sie haben den Kriegspfad betreten. Fragt ihr mich noch, wie sie sich nennen? Die Sioux sind es!«

Die Menge brach in ein weithinschallendes Geheul aus. Alles rannte, schrie und lärmte wüst durcheinander, bis der Häuptling Schweigen gebot.

Er trat an die Seite des Alten, und die Männer bildeten von neuem einen Kreis um ihn und die Reiter.

»Brüder!« sprach Hawaho leuchtenden Auges. »Schon lange roch ich Blut in der Luft. Viele Sommer vergingen, ohne daß ein Skalp unseren Gürtel schmückte. Wenn das große Licht dort oben aufs neue hinter den Bergen emportaucht, haltet die Pferde bereit! Der große weiße Mann rief uns. Wir folgen seinem Ruf. Juha!«

Ueberall wiederholte sich der Kriegsschrei. Die Indianer liefen in ihre Hütte, und wenige Augenblicke später trugen sie drei und mehr Federn in der Skalplocke.

Old Tex packte mit Bob die Pferde ab. Die Patronen und Waffen wurden in den Wigwam des Häuptlings gebracht. Mit Hawaho hatte der Indiantrader eine lange Unterredung. Mittlerweile führte der Knabe die Gäule zur Tränke und dann nach einem geeigneten Futterplatz. Heute fand sich niemand ein, um diese Arbeit den Gästen abzunehmen, wie es sonst bei den Besuchen in den Indianerlagern üblich ist. Alle hatten genug mit ihren eigenen Angelegenheiten zu tun. Büchsen und Revolver wurden gereinigt und die Sättel ausgebessert. Die Männer waren durch die Kriegsnachricht aus ihrer Trägheit aufgerüttelt, und manchem lief jetzt bei der ungewohnten Arbeit der Schweiß von der Stirn.

Als Bob zurückkehrte, rief ihn Old Tex ebenfalls in die Hütte. Dort mußte er die Friedenspfeife mit dem Häuptling rauchen und das übliche Mahl einnehmen. Das am Feuer geröstete Rippstück vom Büffel sah recht lecker aus, und der Knabe speiste mit Appetit.

»Auch Ihr dürft nicht ohne Waffen bleiben,« meinte der Alte nach der Mahlzeit, indem er Bob ein großes Messer, eine kurze Büchse und Patronen überreichte. »Kommt Ihr später in eine der Befestigungen, so liefert die Sachen dort wieder ab. Sie bleiben Eigentum der Regierung. Ich mache mich jetzt wieder auf den Weg. Noch ein größeres Dorf der Arapahoes, welches ich besuchen werde, liegt weiter östlich von hier. Die übrigen kleineren Niederlassungen beschickt Hawaho, der Häuptling. Morgen in der Frühe brecht Ihr mit ihm und seinen Leuten unverzüglich auf. Ihr werdet den Weg einschlagen, den ich Euch nannte, bis zu dem Gefälle des Goose Creek. Trefft Ihr dort Eure Freunde, so rate ich Euch, die Gelegenheit zu benutzen und mit den Indianern zu ziehen, die sich von da nordwestlich nach Fort Phil. Kearny wenden. Und nun lebt wohl! Vielleicht sehen wir uns noch einmal wieder. Es sollte mich freuen.«

Der Knabe ergriff beide Hände des Indiantraders und dankte ihm mit herzlichen Worten für alle Wohltaten sowie für die Waffen, in deren Besitz er sich jetzt um vieles sicherer fühlte.

Bob half die Pferde satteln und sie mit dem beladen, was Old Tex nach der nächsten Niederlassung bringen wollte.

Mehrere Indianer ritten nach verschiedenen Richtungen davon, gleichfalls mit Patronen und Waffen bepackt. Sie hatten sich mit allerlei Ketten, Perlenschnüren und blinkenden Metallstücken herausgeputzt. Drei Federn saßen in ihren flatternden Haaren am Hinterkopf.

Auch der Alte bestieg jetzt seinen Gaul und band die Packpferde an seinem Sattel fest. Noch einmal reichte er dann dem Knaben zum Abschiede die Hand. »Euch erzählte ich, was ich noch keinem erzählte,« kam es dabei zögernd über seine Lippen. »Behaltet alles für Euch! Andere möchten es spöttisch bekritteln. Mir aber schnitte es in das Herz, wenn man über den alten Tex lachte.«

Lange schaute Bob ihm sinnend nach. Er lachte gewiß nicht über den bedauernswerten Mann. In ihm hatte der Arme durch die Erzählung seines vergangenen Lebens das Heimweh erweckt, das jener selbst bis heute nicht zu überwinden vermocht hatte. Der Knabe hatte das Gefühl, als müsse er dem Alten auch dafür dankbar sein.


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