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Zehntes Kapitel. Treue Freunde

Während mehrere Soldaten die verwundeten Kameraden in das Krankenhaus trugen und andere sich bemühten, das noch in Wohnhäusern, Kasernen und Ställen wütende Feuer auf seinen Herd zu beschränken, beschäftigte sich eine größere Abteilung damit, außerhalb der Befestigung große Gruben zur Bestattung der in Massen gefallenen Sioux-Indianer herzustellen. Bei der Arbeit hörte man immer von neuem den Jubel der Leute über die unerwartete Rettung aus höchster Not, und begeistert erscholl aus aller Munde wieder und wieder der Name des Knaben, dem man die Erlösung verdankte.

Andrew Brown hatte recht geweissagt. Von Fort Phil. Kearny war wenig geblieben. Die Flammen verschonten nur das Hospital, die Kommandantur und einige danebenstehende Häuser. Alle übrigen Gebäude waren in rauchende, zum Teil noch brennende Trümmerhaufen verwandelt. Schauerlich umgaben sie den weiten Platz, auf dem jetzt ein buntbewegtes Leben herrschte.

Zwischen den toten und sterbenden Indianern hatten die Arapahoes ihr Lager aufgeschlagen. Eifrig wurde gebraten und gekocht. Die Whiskyflasche ging von Hand zu Hand. Die Gäule liefen in der Nähe umher und fraßen das hier spärlich wachsende Gras.

Vor der Kommandantur wurden große Kessel auf mächtige Feuer gestellt. Man kochte das späte Mittagsmahl für die Soldaten.

Jim hatte das Hospital verlassen. Aber es litt ihn nicht länger zwischen diesen lachenden, scherzenden, frohen Menschen. Er mußte allein mit seinen Gedanken sein. Bis in den Grund seiner Seele schämte er sich. Langsam wanderte er über den Platz.

Wohin der Trapper kam, lagen tote und röchelnde Indianer. Sie boten mit ihren blutroten, haarlosen Schädeln einen grauenerregenden Anblick. Die Arapahoes hatten allen den Skalp vom Kopfe getrennt. Unwillkürlich schaute Jim danach aus, ob sie wohl einen vergaßen. Da bemerkte er beinahe am Ende der Befestigung neben einem Haufen rauchender Balken einen halbverkohlten, menschlichen Körper. Die eine Hälfte des Kopfes hatten der Rauch und die Flammen schwarz und unkenntlich gemacht. Eine mit Wunden bedeckte Hand umklammerte ein langes Messer. Noch befand sich Leben in dem Bedauernswerten. Aechzend und stöhnend hob und senkte sich seine Brust, als der Trapper näher trat. Doch gleich darauf taumelte er entsetzt zurück. Er hatte den Menschen erkannt, der hier unter unsäglichen Qualen den Tod herbeisehnen mußte. Es war Andrew Brown der Fuchs.

Von Mitleid getrieben, näherte sich Jim dem Manne aufs neue, der sein schreckliches Ende selbst verschuldet hatte. »Kann ich Euch helfen?« fragte er, indem er sich bebend über den Halbindianer beugte.

Aus dem blutüberströmten, verstümmelten Gesicht schaute ein Auge zu ihm empor. »Lebt Ihr, und ich sterbe?« ächzte Andrew Brown. Den Haß, den die Mienen nicht mehr auszudrücken vermochten, verriet die Stimme. Vergeblich war der Fuchs bemüht, sich aufzurichten. »Warum behielt ich nicht so viel Kraft, um Euch dieses Messer in den Leib zu stoßen? Ich hatte mich durch die Erde gegraben, war noch einmal frei, um mich an Euch rächen zu können. Fluch den Sioux! Sie warfen Feuer in den Käfig, den ich glücklich verlassen hatte. Aber noch war ich dem sprühenden Pulver zu nahe. Nun liege ich hier verendend wie ein angeschossener Büffel. Warum tötete ich den Knaben nicht sofort, als ich ihn bei seinen Bärenhäuten überfiel? Nachher ist er mir zu früh entwischt, und jetzt wurde er Führer der Arapahoes. Sie allein wären niemals zu rechter Zeit eingetroffen. Ihm verdanken die Männer meines Volkes ihr Ende. Fluch Euch! Fluch allen Weißen! An den großen Geist glaube ich nicht und nicht an Euern Gott, wohl aber an den Teufel. Er mag mich holen. Hier auf Erden habe ich meine Rolle ausgespielt. Hört ihr es, ihr Teufel der Hölle?« Ein markerschütternder Schrei drängte die weiteren Worte zurück. Krampfhaft reckten sich die Glieder des Halbindianers. Dann streckte er die Arme weit von sich. Noch ein kurzes Röcheln, und Andrew Brown der Fuchs war tot.

Jim wandte sich schaudernd ab. An der nördlichen Seite der Befestigung ließ er sich auf einige verkohlte, übereinander liegende Balken nieder und stützte den Kopf in die Hand. Aus der Ferne drang der eintönige Gesang der zechenden Indianer zu ihm herüber. Dazwischen erschallten Trompetensignale. Aus allen Richtungen kamen, von den wohlbekannten Klängen angelockt, die Armeepferde herbei, die bei dem Brande wild und scheu in die Berge gelaufen waren.

In Gedanken versunken saß der Trapper eine lange Zeit. Da hörte er, wie jemand seinen Namen aussprach. – Er schaute auf. Eine dunkle Röte bedeckte sein Gesicht. Vor ihm stand Bob, der ihm beide Hände entgegenhielt.

»Jim, darf ich jetzt auch Euch begrüßen?« sagte der Knabe mit herzlichem Tone. »Charley schläft ruhig. Ueberall suchte ich Euch. Nun finde ich Euch endlich hier.«

Der Trapper schüttelte heftig den Kopf und blickte abermals vor sich hin. »Ich bin ein schlechter Kerl!« erwiderte er leise. »Gib mir die Hand nicht! Ich habe es nicht verdient. Einen niederträchtigen Verdacht wälzte ich auf dich. Ich nannte dich einen Verräter, weil ich überzeugt war, daß du von uns geflohen seiest, um dein Leben zu retten.«

»Das kann Euer Ernst nicht sein!« rief Bob lächelnd. »Habe ich Euch doch stets gezeigt, wie gern ich bei Euch weilte.«

»Alles das weiß ich jetzt,« fiel ihm Jim eifrig in die Rede. »Aber früher wollte ich nicht glauben, daß du uneigennützig handeltest. Ich sprach mir immer wieder vor, daß dir nur daran gelegen sei, mir den Bruder zu entfremden. Bevor du zu uns kamst, war ich ihm alles gewesen. Je mehr er sich dir dann anschloß, desto fester bildete ich mir ein, von ihm weniger beachtet zu werden. Das nagte mit jedem Tage stärker an meinem Herzen und machte mich ungerecht gegen dich. Als wir damals von Cheyenne fortzogen, glaubte ich die erste Gelegenheit gefunden zu haben, dich verdächtigen zu können. Wie wurde ich dafür bestraft! Trotzdem wühlte die Eifersucht bald stärker in mir und machte mich nach und nach vollkommen blind. Als du eines Abends nicht wiederkehrtest, da zweifelte ich keinen Augenblick mehr daran, daß du uns treulos und feige verlassen hattest. Wie sehr bemühte ich mich, auch Charley davon zu überzeugen! Ich vermochte es nicht, und anstatt mir seine Zuneigung zurückzugewinnen, wurde er mir von Tag zu Tag fremder. Jetzt habe ich eingesehen, daß er recht handelte, wenn er mir seine Liebe entzog. Seinetwegen freue ich mich, daß du wieder bei ihm sein und ihn pflegen kannst. Ich werde meine Fallen nehmen und allein in die Berge zu meinem Handwerk ziehen. Habe ich es doch nicht verdient, künftig noch bei euch zu bleiben.«

»Nein, nein, Jim, redet nicht davon!« rief Bob und umschlang den Trapper mit beiden Armen. »Ihr sollt nicht von uns gehen. Ich lasse Euch nicht fort. Ihr habt Euch nur in mir getäuscht. Ist das ein Verbrechen? Von heute ab wißt Ihr, daß ich es ehrlich meine. Damit wollen wir das Vergangene vergessen. Hier nehmt meine Hand, und schenkt mir künftig, was ich bis jetzt nicht besaß: Eure Freundschaft!«

»Bob, ist das wirklich dein Ernst? Stößt du mich, den schlechten Menschen, nicht verachtend zurück?« stammelte Jim und ergriff die Rechte des Knaben. »Sage mir, was ich tun soll, um dir zu beweisen, daß ich meine Niedertracht aufrichtig bereue!«

»Werdet mein Freund!« versetzte Bob, indem er den Trapper noch einmal umarmte. »Nun aber laßt das Vergangene ruhen! Erzählt mir, wie es mit Charley steht! Kaum erkannte ich den Armen wieder.«

Jim ließ sich nicht lange bitten. Er berichtete alles ausführlich von dem Tage an, wo der Knabe verschwunden war.

Aufmerksam hörte Bob ihm zu. Dann erzählte er seine Erlebnisse in gedrängter Kürze.

»Bald wären wir dennoch zu spät hier eingetroffen,« sagte er, nachdem er ein Bild von der Vertreibung der Sioux auf der Prärie entworfen hatte. »Anfangs folgten mir die Arapahoes willig. Vorwärts ging es in Eile vom Morgen bis an den Abend. Kaum gönnte ich ihnen Zeit für das kärgliche Mahl. Mit unwiderstehlicher Gewalt zog es mich hierher. Von Tag zu Tag wurden die Männer jedoch lässiger. Ihnen behagte die Hetzerei durchaus nicht. Ich bemerkte bald, wie sie jedesmal mit Murren ihre Pferde sattelten, wenn ich befahl, wieder aufzubrechen. Zuletzt weigerten sich mehrere laut, meinen Befehlen zu gehorchen. Besonders unter den Leuten Hawahos befanden sich viele Unzufriedene. Ich fragte täglich nach der noch vorhandenen Entfernung bis zu der Befestigung. Aber man gab sie mir stets viel weiter an, als sie in Wirklichkeit war.

Heute morgen endlich brach ein offener Aufstand unter den Indianern aus, als ich gleich nach Sonnenaufgang weiterziehen wollte. Die meisten rührten sich nicht vom Feuer. Was sollte ich beginnen? Ich sprach mit dem Häuptling Tabinsch. Schließlich gab er meinen Bitten nach, und seiner Ueberredung gelang es, die Indianer nach einer langen Weile zum Aufbruch zu bewegen. Doch schon nach etwa vier Stunden verlangten alle stürmisch eine Rast. Wir konnten nicht mehr weit von dem Fort entfernt sein. Vergeblich stellte ich das den Männern vor. Sie zündeten ihr Feuer an und lagerten sich. Ich war der Verzweiflung nahe. Unaufhörlich war es mir, als flüsterte eine Stimme mir zu: »Du kommst zu spät. Du kommst zu spät.« Noch einmal versuchte ich, die Indianer zum Weiterziehen zu überreden. Alles war vergeblich. Da erzitterte plötzlich die Luft von einem donnergleichen Geräusch. Aus der Ferne waren wüstes Geschrei und Schüsse zu vernehmen. Da war ich im Nu im Sattel und schrie: »Die Sioux greifen Fort Phil. Kearny an. Wollt ihr eure Feinde ungehindert morden lassen? Jetzt zeigt, Arapahoes, daß ihr tapfere Krieger seid!« Das half. Alle stürzten zu den Pferden. Hastig ging es vorwärts, den immer näher klingenden Schüssen entgegen. Aber nun zwangen uns Berge und Felsen, langsamer zu reiten, wenn unsere Gäule nicht Hals und Beine brechen sollten. Mein Tier keuchte unter mir. Neue Angst befiel mich. Mit Schrecken dachte ich daran, daß meinem Pferde die Kräfte versagen könnten. Ich stieg ab und führte es her über den felsigen Boden und das Steingeröll. – Endlich teilten sich die Berge. Unsern Blicken bot sich ein schreckliches Bild. Tief im Tal wütete ein Flammenmeer. Graue Rauchwolken wirbelten daraus hervor und hüllten alles in einen dichten Nebel ein. Deutlich vernahm man rasch aufeinanderfolgende Schüsse und wüstes Getobe. Jetzt war es nicht mehr nötig, die Indianer zur Eile anzutreiben. Mit wildem Geheul jagten sie von der Höhe hinab. Immer stärker keuchte mein Pferd. Da schallten einzelne Trompetentöne zu uns herüber. Mit einem Ruck hielt das Tier, spitzte schnaubend die Ohren und raste unaufhörlich weiter bis in die Befestigung hinein. Das übrige wißt Ihr.«

Noch einmal reichte der Knabe dem Trapper die Hand, indem er sagte: »Nun laßt uns zu Euerm kranken Bruder gehen!«

Es begann zu dunkeln. Im Westen hoben sich die Berge scharf von dem rosigen Horizont ab. Blutrot leuchtete, von der untergehenden Sonne beschienen, das schneebedeckte Haupt des Cloud Peak.

Jim und Bob wanderten Arm in Arm über den Platz.

Bei den Lagerfeuern der Arapahoes herrschte laute Freude. Viele Männer waren bereits arg berauscht. Der Häuptling Tabinsch hockte an der Erde und rauchte aus einer Steinpfeife mit langem, geschnitztem, federgeschmücktem Stiele. Dabei war er in eine Decke gehüllt, auf der die eingedruckten Buchstaben U. S. J. D. zu sehen waren; United States Indian Department. Die Indianer erhalten eine gewisse Anzahl Kleider, Decken und Geld jährlich, wenn sie sich verpflichten, die Regierung im Kriege mit anderen Stämmen zu unterstützen. Von Zeit zu Zeit trank er mit sichtlichem Behagen aus der neben ihm stehenden Whiskyflasche. Dann fiel er wieder mit erneuerter Kraft in den Gesang seiner Brüder ein, der unaufhörlich erklang, und an dem sich nur die nicht beteiligen konnten, die, von dem Feuerwasser überwältigt, auf dem Boden ausgestreckt lagen und schliefen.

Als Bob bei den Indianern vorüberkam, erhob sich Tabinsch und lud den Knaben und seinen Begleiter ein, sich bei ihm niederzulassen und mit ihm zu rauchen und zu trinken. Doch Bob wies dankend das Anerbieten zurück, indem er dem Häuptling mitteilte, daß er zu dem kranken, weißen Bruder im Hospital gehen müsse. Diese Entschuldigung glättete die stark gerunzelte Stirn des Mannes, der sich durch die Abweisung verletzt gefühlt hatte. Ist es doch ein grober Verstoß gegen die Sitte, die Einladung eines Indianers auszuschlagen. Tabinsch wankte nach seinem Feuer zurück. Dort hockte er abermals nieder, nahm einen neuen Schluck aus der Flasche und sang weiter.

Die Freunde gingen quer durch das Lager der Arapahoes. Ueberall nickten die Männer dem Knaben freundlich zu. Einige zeigten ihm siegesfroh ihre erbeuteten Skalpe. Andere drückten und schüttelten ihm die Hände.

Plötzlich blieb Bob stehen. Er faßte Jim am Arme und wies nach einem etwas entfernteren Feuer. Dort saß auf seinen Fersen Woternichaza, der Crow-Indianer.

Der Irre starrte auf eine blutige Hand, welche er einem Feinde abgetrennt hatte. Dann versuchte er, sich dieselbe anstatt seiner verkrüppelten Rechten anzupassen. Unwillig schüttelte er mit dem Kopfe, wenn das tote Glied nicht haften blieb und immer wieder zu Boden fiel. Dabei schaute er einmal auf, und nun bemerkte er die Weißen, die sich langsam entfernten. Rasch sprang er auf und lief hinter den beiden her. Er packte den Knaben an der Schulter, und indem er ihm die abgeschlagene Hand hinhielt, rief er aus: »Du kannst mehr als alle anderen. Hier nimm und heile mich!«

Die Arapahoes sahen scheu zur Seite. Sie fürchteten den Irrsinnigen.

Bob wußte nicht sofort, was er antworten sollte. Doch jetzt kam ihm ein Gedanke. Freundlich versetzte er:

»Kommt mit mir, dann will ich Euch helfen.«

»Wie wirst du es tun?« fragte Jim neugierig.

»Vielleicht gelingt es, den Armen zu täuschen,« erwiderte der Knabe leise und zog den Trapper mit sich fort.

Mit merkbarer Unruhe folgte ihnen Woternichaza.

Vor der Kommandantur lagerten die Soldaten. Ermüdet hatten sie für heute ihre Arbeit eingestellt, obgleich noch mancher Sioux-Indianer unbeerdigt war. Die Offiziere hatten Bier, ein seltenes und daher doppelt hochgeschätztes Getränk in den Bergen, und Whisky unter die Leute verteilt. Auch hier ertönte Gesang. Einige deutsche Lieder hörte man ebenfalls, befanden sich doch viele Deutsche unter dem Militär, dessen Laufbahn zwar gefahrvoll, aber dafür lohnend war.

Bob bat Jim, mit dem Indianer einen Augenblick zu warten. Er wandte sich an einige Soldaten, mit denen er zum Hospital ging, von wo er bald darauf mit einem braunledernen Handschuh zurückkehrte, in dem er die Finger, die dem Irrsinnigen fehlten, mit Zeug ausgestopft hatte.

Nach vieler Mühe gelang es Bob, dem Crow-Indianer, auf dessen Gesicht sich ein unverkennbares Erstaunen malte, den Handschuh über die Finger zu streifen.

Woternichaza schleuderte nun verächtlich die abgetrennte Hand fort, und betrachtete mit Bewunderung seine Rechte von allen Seiten. Wiederholt betastete er die ausgestopften Finger daran. Endlich nickte er zufrieden mit dem Kopfe, und ohne ein Wort zu äußern, schritt er nach dem Lager der Indianer. Die nach seiner Meinung neugeheilte Hand beschäftigte ihn so, daß er alles um sich her vergessen zu haben schien. Vom Feuer, wo er vorhin gesessen hatte, nahm er seinen Sattel auf und wandte sich nach den Pferden, die weiter entfernt grasten. Nach einer Weile hatte er das seinige gefunden.

Der Gesang der Arapahoes verstummte. Wer es noch vermochte, reckte den Hals und schaute nach dem Irrsinnigen, der sich zum Aufbruch rüstete. Einige hatten dessen rechte, nun wieder vollständige Hand bemerkt. Sie glaubten an ein Wunder, und Bob stieg noch höher in ihrer Verehrung.

Jetzt schwang sich Woternichaza in den Sattel und ritt langsam nach Nordwesten zur Befestigung hinaus. Er schaute weder rechts noch links. Unverwandt waren die Augen auf seine Hand gerichtet.

Die Arapahoes fühlten sich erleichtert und froh, von der Gegenwart des Irren befreit zu sein, und stimmten ihren Gesang lauter als vorher aufs neue an.

Jim und der Knabe stiegen im Hospital die Treppe hinauf und begaben sich in das Krankenzimmer. Charley schlief fest. Als sich der Soldat, der bei ihm Wache hielt, entfernt hatte, traten beide an das Lager des Schlummernden. Stumm standen sie dort eine lange Zeit beieinander.

»So sind wir denn endlich alle drei wieder vereint,« brach Bob zuerst das Schweigen. »Möge Gott geben, daß Euer Bruder uns erhalten bleibt!«

Jim nickte. Er schloß den Knaben in seine Arme und bat leise: »Vergiß, was ich dir tat! Trage es mir nicht nach! Niemals!«

»Ich habe nichts zu vergessen, Jim!« unterbrach ihn Bob rasch. »Früher glaubte ich, Ihr wäret mein Freund. Heute weiß ich, daß Ihr es sein wollt. Das ist für mich der einzige Unterschied zwischen sonst und jetzt.«

»Du bist ein guter Junge, Bob, und daher drückt es mich immer schwerer, daß ich dich so verkannt habe,« sprach Jim, dessen Stimme vor Rührung bebte. »Hier, nimm meine Hand! Was Freundschaft heißt, hat mich mein armer Bruder gelehrt. Ich will ihm darin nacheifern.« Noch einmal drückte er mit beiden Händen die Rechte des Knaben.

Ueber den weiten Platz riefen auch heute wie allabendlich langgezogene Trompetentöne die Soldaten zur Ruhe, freilich heute nicht in die Kasernen. Den Männern war ein hartes Lager unter freiem Himmel beschieden. Aber die überstandenen Anstrengungen des Tages machten es zum weichsten Bette. Lauwarm strich ein leichter Wind über die Schläfer. Er sorgte dafür, daß manche den Mangel an Decken nicht fühlten. Wolkenlos wölbte sich über ihnen der klare, nächtliche Himmel. Die unzähligen Sterne beleuchteten matt das niedergebrannte Fort Phil. Kearny.

Ein drittes Bett hatte man in das Gemach der Brüder gebracht. Darauf legte sich Bob bald nieder. Glücklich und zufrieden schloß er die Augen. Wie war es hier schon so ganz anders als da draußen in den wilden Bergen am knisternden Lagerfeuer! Und doch befand man sich noch, umgeben von Gefahren, weit entfernt von dem emsigen Schaffen und Treiben der gebildeten Welt. Dort durfte man sich ganz sicher und behaglich nach des Tages Mühen der nächtlichen Ruhe hingeben.

Die Gedanken des Knaben wanderten weit fort. Und als der Schlaf sich auf ihn herabsenkte, führte ihn der Traum in seine Heimat an den mächtigen Missouristrom. Er sah Haus an Haus in seiner Vaterstadt, die riesigen, rauchenden Schornsteine der Fabriken, wo die Menschen im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienten und doch heiter und lebensfroh blieben. Er sah die Dampfer den gewaltigen Strom hinauf und herab brausen, das geschäftige Leben am Ufer und an der Eisenbahn. Er sah den Schmied mit seinen markigen Armen den gewichtigen Hammer schwingen, den Arbeiter seine schweren Lasten tragen. Er sah draußen vor der Stadt den Farmer hinter dem Pfluge einhergehen, die Erde vorzubereiten für die neue Saat. Und in einer kleinen Straße, durch die er so oft gewandert war, saß auch heute das dürre, schmächtige Schneiderlein am Fenster und führte mit rührigem Fleiß die leichte Nadel. Und in der Nähe wohnte der Kaufmann. Er ließ die Feder über das Papier gleiten und reihte Zahlen an Zahlen. Alle arbeiteten sie, ob mit der Kraft der Arme, ob mit geschickten Händen oder mit dem Geiste, es blieb sich gleich. Ein jeder schaffte und wirkte in seinem Berufe für sich, und damit zugleich für das Wohl seiner Mitmenschen. Alle achteten das Gesetz und hielten Ordnung und Sitte aufrecht. Dafür schützte das Gesetz auch sie ohne Unterschied, den Armen wie den Reichen, den Schwachen wie den Starken. Und wie behaglich sah es in den Wohnungen aus! Reinlich und sauber waren die Räume. Dort schalteten die sorglichen Hände der Frauen. Im kleinen Garten wuchsen und blühten gehegte und gepflegte Bäume, Blumen und Sträucher. Scharen lachender Kinder tummelten sich sorgenlos in heiterem Spiel.

Als Bob am nächsten Morgen erwachte, wurde er recht traurig gestimmt, das alles nur geträumt zu haben. Und die Sehnsucht, welche die tägliche Unruhe und Hast der letzten Wochen in ihm verdrängt hatte, flammte von neuem in seinem Herzen empor. Mit wachsender Gewalt fühlte er das Verlangen nach einem geregelten, tatkräftigen Leben mit festen Zwecken und Zielen.

Freundlich lächelte die Sonne zum Fenster herein. Jim saß neben dem Krankenlager. Sein Kopf war ihm auf die Schulter hinabgesunken. Er schlief.

Draußen auf dem Platz waren die Soldaten bereits beschäftigt, .die noch vorhandenen Toten zu begraben. Bei den Arapahoes brannten lustige Feuer. Das ewig hungrige Volk sorgte für den Magen.

Der Knabe trat leise zu seinem Freunde heran und weckte ihn.

Hastig fuhr der Trapper auf und rieb sich die Augen.

»By Jossy, jetzt hat mich die Müdigkeit dennoch überwältigt!« sagte er ärgerlich, indem er einen ängstlichen Blick auf den Bruder warf, der ruhig schlummerte. »Das war eine böse Nacht. Aber es ließ sich erwarten nach den Aufregungen des vergangenen Tages. Charley hat geschrien und irre geredet, schlimmer als je zuvor. Er befand sich fortwährend mitten im Kampfgewühl, um dich zu erretten. Bisweilen schien er dich verloren zu haben, denn oft rief er jammernd deinen Namen, daß es hätte einen Stein erbarmen können. Dreimal war der Doktor hier. Du hast einen gesunden Schlaf, mein Junge, hörtest du doch von alledem nichts. Der Wärter konnte mich nicht ablösen, denn man brauchte seine Hilfe anderweitig. Einige vierzig Soldaten sind mehr oder weniger schwer verwundet.«

»Wie geht es dem Hauptmann?« fragte Bob eifrig. Erst jetzt dachte er wieder an ihn.

»Der Arzt meinte, daß ihn keine Gefahr bedrohe. Edle Teile seien nicht verletzt, nur der starke Blutverlust habe den Kommandanten geschwächt. Er wünscht dich zu sprechen.«

Der Knabe bestand nun darauf, daß Jim sich zu Bett lege. Erst nach vielen Einwendungen folgte der Trapper, dem man es anmerkte, wie todmüde er war. Es verging auch kaum eine Minute, nachdem Jim sich auf das Lager gestreckt hatte, da schnarchte er bereits friedlich.

Nach einer Weile kam der Wärter, um die Wache zu übernehmen, doch Bob schickte ihn wieder fort.

Charley rührte sich auch während der übrigen Stunden des Tages nicht. Würde sich nicht seine Brust kaum merkbar bewegt haben, so hätte man glauben können, er sei gestorben.

Gegen Mittag erschien der Arzt. Der arme Mann hatte seit gestern ebenfalls keinen Augenblick Ruhe genossen. Von den Soldaten waren in der Nacht zehn ihren Wunden erlegen. Mehrere Minuten beobachtete der Doktor den Kranken. Dann untersuchte er auch die Kopfwunde des Knaben. »Laßt das Tuch nur fort!« sagte er. »Ich werde Euch eine Salbe verschreiben. Gegen Abend kommt zum Hauptmann! Er trug mir auf, Euch zu ihm zu bitten. Doch ersuche ich Euch, die Unterredung möglichst abzukürzen. Der Kommandant muß sich schonen, damit kein Fieber bei ihm eintritt, wodurch eine große Gefahr für seine Wiederherstellung entstehen würde.«

»Wie steht es hier mit meinem Freunde?« fragte Bob ängstlich.

»Ich fand selten einen Menschen, der eine so kräftige, zähe Natur besitzt wie er,« entgegnete der Arzt, indem er Charley einen neuen Verband anlegte. »Von hundert anderen wären neunundneunzig gestorben. Deshalb fehlt mir auch die Hoffnung nicht, sein Leben zu erhalten, obgleich es augenblicklich nur an einem dünnen Faden hängt. Die nächsten Tage müssen alles entscheiden. Wir wollen das beste wünschen. Daß Ihr jetzt bei ihm seid, ist mir eine große Beruhigung. Die Sorge um Euch hat ihn täglich kränker gemacht.«

Als der Doktor gegangen war, stand der Knabe lange vor seinem Freunde und schaute mit Tränen in den Augen auf ihn nieder. Er konnte es sich nicht denken, daß er diesen Menschen verlieren könne, der ihm vom ersten Tage an seine ganze Liebe geschenkt hatte. Vermochte er das wohl jemals zu vergelten? Wie ein Stern in dunkler Nacht war die Hoffnung in ihm aufgeleuchtet, seine Sehnsucht, wieder unter Menschen leben zu dürfen, könne sich erfüllen. Mußte er dann aber nicht Charley verlassen? »Nein, niemals!« seufzte er und sprach leise vor sich hin: »Uns kettet die Freundschaft wie ein eisernes, festes Band ewig zusammen. Von deinen Bibern trennst du dich doch nicht. Ich trenne mich nicht von dir, deshalb muß ich bleiben, was mich der Zufall werden ließ, ein Fallensteller.«

Bob öffnete ein Fenster. Eine frische, erquickende Luft strömte in das Gemach. Mehrere Offiziere schritten an dem Hospital vorüber. Sie grüßten achtungsvoll herauf. Darüber wurde der Knabe ganz verlegen. Er fühlte, wie ihm das Blut in das Gesicht schoß. Auch die Soldaten winkten ihm freundlich lächelnd zu und erkundigten sich nach seinem Befinden. Sie kamen soeben von der Bestattung des letzten Toten zurück. Das war Andrew Brown der Fuchs gewesen. Das große Messer hatte man ihm mit in die Grube geben müssen, da es die krampfhaft zusammengekrallten Finger nicht freigeben wollten.

Bei den Arapahoes war es still. Die Männer ruhten nach dem genossenen, überreichlichen Mahle.

Gegen Abend erwachte Jim. Frisch gestärkt erhob er sich vom Lager.

Charley schlief ohne Unterbrechung. Jetzt beängstigten ihn keine schreckhaften Träume mehr, wie sein Lächeln bewies, das von Zeit zu Zeit über sein bleiches Antlitz huschte.

Bob wurde zu dem Kommandanten gerufen. Jim nahm seine Stelle neben dem Bruder ein.

Hauptmann Reinfels war in einem Zimmer zu ebener Erde untergebracht. Durch das verhängte Fenster drang nur wenig Licht. Und der Knabe mußte sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, bevor er an das Bett des Verwundeten treten konnte.

»Ihr befahlt mich zu Euch. Ich bin gern zu Euern Diensten,« sprach er schüchtern.

Reinfels lächelte und reichte ihm die Hand.

»Setzt Euch, junger Mann!« sagte er mit zuvorkommender Freundlichkeit. Und als Bob an seiner Seite Platz genommen hatte, fuhr er fort, indem er des Knaben Rechte in der seinen behielt: »Ich ließ Euch bitten, mich zu besuchen, da ich mich leider nicht zu Euch begeben kann.

Ihr schütztet mich, so daß man mir nicht vollends das Leben nahm. Dafür möchte ich Euch meinen herzlichen Dank aussprechen. Zugleich aber nehmt auch von mir den Dank im Namen meiner sämtlichen Soldaten, im Namen der Offiziere und der Frauen, die Ihr alle durch Eure unerwartete Hilfe, die man Euch allein verdanken muß, vom qualvollen Tode errettet habt.«

Bob wollte reden, doch der Kommandant sprach rasch weiter: »Wir erfuhren durch den Häuptling Tabinsch, wie Ihr die Indianer Tag für Tag zu größerer Eile antriebet. Das allein war unser Glück, denn kämet ihr wenige Minuten später, so war es mit uns vorbei. Wie soll ich nun belohnen, was Ihr nicht nur für uns, sondern auch für die Regierung getan habt?«

»Das Bewußtsein, geholfen zu haben, ist für mich Belohnung genug, Hauptmann,« versetzte der Knabe bescheiden. »Ihr beschämt mich, wenn Ihr von großem Dank redet. Ich. wußte meine beiden Freunde in der Befestigung. Das trieb mich mit Hast hierher. Seit langer Zeit sind es die einzigen Menschen, mit denen ich einsam, fern von der Welt lebe. Aufrichtig gesagt, an andere Menschen dachte ich kaum. Ihr seht daraus, daß es kein Verdienst für mich war, auch andere gerettet zu haben. Wollt Ihr es dennoch als ein solches benennen, so denkt, ich hätte die Belohnung dafür schon in dem Pferde im voraus erhalten, mit welchem Ihr mich einst in Fort Reno so glücklich machtet. Habe ich Euch diese mir bereitete Freude vergolten, soll es mich freuen Ein weiterer Dank gebührt mir nicht.«

»Ihr seid ein braver, junger Mann,« sagte der Kommandant gerührt. Eine Weile schaute er schweigend vor sich hin. Dann fragte er: »Gefällt Euch auch heute noch das freie Leben in den Bergen?«

Bob zuckte zusammen und antwortete zögernd: »Der Mensch kann, was er will. Er gewöhnt sich an alles, wenn er muß.«

»So behagt es Euch nicht mehr?« fragte der Hauptmann dringend weiter.

Es verging ein Augenblick, bevor der Knabe abermals zögernd erwiderte: »Wohl reißt mich die herrliche, unbezwungene Natur immer zu neuer Bewunderung hin. Die riesenhaften Berge, die schroffen Felsen, die weiten Fernsichten aus schwindelnder Höhe, die unabsehbaren Prärien; das alles entzückt mein trunkenes Auge, aber es bleiben doch nur Bilder, mit deren Anblick man das Leben nicht ausfüllen kann. Unser Beruf verlangt Arbeit und Mühe genug. Freilich bringt er auch guten Nutzen, doch man vergißt mit der Zeit dabei, daß es noch Menschen in der Welt gibt. Begegnet uns wirklich ein Mensch, so faßt die Hand nach dem Revolver. Man setzt voraus, daß man gezwungen wird, Habe und Gut zu verteidigen.«

Der Kommandant nickte. »So ist es, Wohl nennt man euch Fallensteller Könige der Berge, aber in euerm Reiche gibt es leider nur Könige und keine Untertanen, die sich beherrschen lassen. Ich will Euch einen Vorschlag machen. Ob Ihr es nun zugebt oder nicht, verpflichtet sind wir Euch alle und die Regierung ebenfalls. Entsagt Eurer jetzigen Tätigkeit, die Euch nicht zu behagen scheint! Ich wirke Euch ein Offizierspatent aus, was mir unter den obwaltenden Umständen nicht schwer wird, und Ihr tretet in die Armee ein. Wünscht Ihr eine Anstellung im Osten, in der Ihr Euer gutes Auskommen findet, so werde ich auch dafür sorgen.«

»Euer Anerbieten ehrt mich, Hauptmann,« stotterte Bob in der größten Verwirrung. »Doch ich kann es nicht annehmen.«

»Ueberlegt es Euch, jünger Mann,« sprach Reinfels freundlich. »Wenn Ihr mir eine große Freude bereiten wollt, besucht mich recht häufig. Wir reden dann weiter darüber. Wochen werden vergehen, bevor ich mein Lager verlassen darf, und wie ich höre, steht es mit Euerm Freunde auch nicht zum besten. Ohne ihn aber werdet Ihr doch nicht in die Berge zu Euern Bibern ziehen.«

Der Knabe erhob sich. Er dachte an die Mahnung des Arztes. Seine Hand zitterte, als er sie dem Kommandanten reichte, der sich von ihm mit herzlichen Worten verabschiedete.

Vor der Tür seufzte Bob schwer auf. Wie Zentnerlast lag es auf seiner Brust. Bot sich ihm wirklich eine Gelegenheit, sein bisheriges Leben aufgeben und seine Sehnsucht erfüllt sehen zu können? Langsam näherte er sich der Treppe. Langsam stieg er die Stufen hinauf. Da stand auf einmal Charley vor seiner Seele und all die Liebe und Güte, die dieser ihm bewiesen hatte. Er fuhr, sich mit der Hand über die Stirn, als könne er damit jeden Gedanken an sich selbst und seine Wünsche forttreiben. Heftig schüttelte er den Kopf. »Nein, nein!« sprach er beinahe laut vor sich hin. »Ich muß bleiben, was er ist, Fallensteller.« Rasch betrat er das Krankenzimmer.

In der Nacht erwachte Charley. Er erkannte den Knaben neben seinem Lager. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seinen Mund, doch er war zu schwach, um reden zu können.

So blieb es auch mit ihm in den nächsten Tagen. Sein Bruder und Bob teilten sich redlich in die Nachtwachen, nur war Jim stets darauf bedacht, daß er selbst den größten Teil erhielt, auch bemühte er sich, durch allerlei Aufmerksamkeiten dem Knaben zu zeigen, daß er es mit seiner Freundschaft jetzt wirklich ernst meinte.

Eine volle Woche nach dem Brande von Fort Phil. Kearny kamen eines Mittags die übrigen Arapahoes an. Das war eine jubelnde Begrüßung von seiten ihrer triumphierenden Brüder. Trotzdem man bereits das Hauptmahl eingenommen hatte, wurde noch einmal für alle gebraten und gekocht. An Fleisch mangelte es nicht. Beinahe jeden Morgen zog ein Teil der Indianer auf die Jagd und kehrte mit Beute beladen zurück.

Von dem Feinde hatte man nichts wieder gesehen. Täglich erwartete man Nachricht von dem nördlich gelegenen Fort Köster. Kam dieselbe in den nächsten Tagen nicht, so sollte eine Abteilung Militär, begleitet von etwa hundert Arapahoes, nach dort abrücken.

Bob war bei der Ankunft der Indianer auf den Platz geeilt. Ihn verlangte es, Old Tex zu begrüßen. Doch soviel er auch umherschaute, nirgends war der Indiantrader zu finden. Von den Indianern vernahm er, daß der Alte hastig vorausgeritten sei, als man Fort Phil. Kearny von den Bergen aus in Trümmern vor sich habe liegen sehen. Auch die Leute in der Kommandantur, im Hospital und die Soldaten befragte Bob nach Old Tex. Aber niemand konnte ihm Auskunft geben. So lief er überall suchend umher, als er an der nördlichen Seite der Befestigung, wo die Wohnhäuser gestanden hatten, plötzlich zwischen mehreren Haufen verkohlter Balken den Alten bemerkte, der regungslos dasaß, das entblößte Haupt mit den schneeweißen Haaren in beide Hände gestützt.

»Old Tex!« rief der Knabe erfreut und überrascht zugleich, indem er eilig auf den Indiantrader zutrat. »Weshalb weilt Ihr hier unter den Trümmern? Kommt zum Hospital zu meinen Freunden!«

Der Alte blickte langsam wie geistesabwesend auf. Auf seinem wetterharten Gesicht lag eine unendliche Wehmut und Trauer. Nach kurzem Nachdenken schien er sich erst zu entsinnen, wen er vor sich hatte. »Aha! Ihr seid es, den ich zu den Arapahoes brachte,« sagte er mit tonloser Stimme.

»Euch drückt Kummer? Was fehlt Euch?« fragte Bob teilnehmend.

Gezwungen lächelnd schüttelte der Alte den Kopf. »Ich war ein Narr. Soeben ist es mir abermals klar geworden.« Er versuchte sich zu erheben, doch gelang es ihm nicht.

Der Knabe sprang hinzu und unterstützte ihn. »Ich verstehe Euch nicht! Darf ich nicht wissen, was Euch quält!«

Old Tex seufzte. »Es lohnt sich kaum der Mühe. Andere verloren noch mehr als ich. Mein bißchen Habe und Gut ist hier verbrannt. Nun fange ich, wie schon oft, wieder von vorn an. Es ist lächerlich und töricht, sich einzubilden, am Ziele zu sein, wenn man es nicht wirklich greifbar vor sich hat!«

Jetzt erinnerte sich Bob, was der Indiantrader ihm einst auf dem Wege zu den Arapahoes erzählt hatte. »Kommt mit mir! Ich verschaffe Euch ein Unterkommen, wo Ihr Euch von der Reise erholen könnt,« sagte er mitleidig.

Der Alte ließ sich willenlos fortführen, doch zitterten seine Beine so heftig, daß der Knabe seine ganze Kraft anwenden mußte, um ihn aufrecht zu erhalten.

Vor dem Hospital angelangt, klammerte sich Old Tex plötzlich an seinen Begleiter. Gleich darauf faßte er sich an die Brust. Ein ächzender, gurgelnder Ton entrang sich seiner Kehle, dann fielen die Arme schlaff an seinem Körper nieder.

Ein paar Soldaten eilten herbei. Sie und Bob hoben den Ohnmächtigen empor und trugen ihn in das Gebäude. Dort wurde er in ein Zimmer gebracht und auf ein Lager gebettet. Ein Soldat war hier am Morgen seinen Wunden erlegen.

Bald erschien der gerufene Arzt. Er wandte alle Mittel an, um den Alten wieder zum Bewußtsein zurückzubringen.

Endlich nach einer Stunde öffnete Old Tex die Augen. Er schaute eine Weile fragend umher, dann blieb sein Blick an dem Knaben haften, und während die Tränen ihm über die sonnenverbrannte Wange rollten, lallte er mit gelähmter, schwerer Zunge: »Jetzt habe ich auch das letzte verloren, die Hoffnung! – Oesterreich – mein schönes Heimatland – dich – sehe – ich – niemals – wieder.«


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