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Drittes Kapitel. Bei den Arapahoes-Indianern

Die Bighorn Mountains erheben sich in hügeliger, welliger Form von Osten nach Westen und werden von vielen »washouts« durchzogen. Das sind Auswaschungen, die das von den Höhen herabströmende Wasser in den steinigen Boden gegraben hat. Die Eintönigkeit dieses meilenweiten, schneebedeckten Hügelmeeres wird nur hier und da durch einige verkrüppelte Pechtannen unterbrochen. Im Osten bildet eine schroffe, vielgezackte, rote Felswand die Grenze. Sie steigt hoch zum Himmel empor und erweckt den Anschein eines riesigen Baues. Man meint, die gewaltigen Steinblöcke seien künstlich aufeinandergetürmt worden. Und wo sie in der Tiefe ein Gewirr von Schluchten und Höhlen bilden, kann man denken, sie seien aus schwindelnder Höhe herabgestürzt. Rudel von Wölfen finden hier unten ihr Versteck. Das beweisen die vielen in dem Schnee sichtbaren Fußspuren. Auch der gefürchtete Grizzlibär sucht hier seine Zuflucht.

Neben dieser ungeheuren Felsenmauer erschienen drei Reiter winzig klein, die langsam über den mit Geröll und größeren Steinen bedeckten Grund die Richtung nach Süden verfolgten.

Es waren Charley, Jim und Bob, die sich auf dem Wege nach dem von der Trapperhütte etwa fünfzehn englische Meilen entfernten Winterlager der Arapahoes-Indianer befanden.

Bob war jetzt beinahe vier Wochen bei den Brüdern. Charley hatte den Knaben, der alles tat, was er den Trappern nur an den Augen absehen konnte, herzlich lieb gewonnen. Im Stellen der Fallen bewies Bob bald eine solche Geschicklichkeit, daß schon eine große Anzahl Biberfelle in der Hütte lagerten, die er eigenhändig, ohne Unterstützung seines Lehrmeisters Charley, gewonnen, abgezogen und getrocknet hatte.

Die Brüder gedachten, in kurzer Zeit nach Cheyenne aufzubrechen, um dort den Ertrag der winterlichen Arbeit zu verkaufen. Da sich die Indianer in den letzten Wochen nicht hatten sehen lassen, wollten die Trapper heute zu ihnen, um Tauschgeschäfte zu versuchen. Jeder Reiter hatte zu diesem Zwecke hinter dem Sattel außer den Decken noch kleine Säcke mit Zucker, Reis, Kaffee und Bohnen geschnallt.

Mit Vergnügen hatte Bob gehört, wie nahe der Hütte die Indianer wohnten. Täglich hatte er bisher vergeblich nach ihnen ausgeschaut. Jetzt endlich sollte sein sehnlicher Wunsch, diese braunen Helden seiner Jugendbücher zu sehen, in Erfüllung gehen. Die Brüder hätten ihm kaum eine größere Freude bereiten können.

Der Knabe fühlte sich in seiner neuen Tätigkeit glücklich. An die Beschäftigung in dem eisigen Wasser gewöhnte man sich bald. Welches Vergnügen aber bereitete die Arbeit, wenn sie lohnend war, wenn die Biber in der Falle zappelten, und ein Fell nach dem anderen beiseite gelegt werden konnte! Und nach getaner Arbeit konnte er mit der Büchse auf dem Rücken die herrlichen Berge durchstreifen, um Wild zu erlegen, an dem die Gegend so überaus reich war. Vor Entzücken vermochte Bob oft nicht zu schießen, wenn die Tiere plötzlich in einer Vertiefung oder hinter einem Felsen vor ihm auftauchten und ihn verwundert und ohne Scheu mit ihren großen Augen anstarrten, als sähen sie zum ersten Male einen Menschen. Erst wenn sie sich endlich doch zur Flucht wandten, erinnerte er sich, daß die Trapper in der Hütte auf eine Zufuhr ihrer Hauptnahrung warteten. Dann erhob er die Büchse zum Anschlag und nahm rasch sein Ziel. Der Schuß krachte. Zwischen den hohen Felswänden pflanzte sich der Widerhall rollend von Berg zu Berg, einem Donner gleich, fort. Getroffen sank das Wild zur Erde. Mit geschickter Hand wurde es ausgeweidet. Dann schleifte Bob die Beute hinter sich her bis nach der Hütte, wo ihn die Trapper mit Lob empfingen.

Wenn die drei abends am Lagerfeuer saßen, erzählten die Brüder von ihren Erlebnissen und glücklich überstandenen Gefahren aus längst vergangenen Jahren, bis die Zeit mahnte, das Lager aufzusuchen, um mit der aufsteigenden Sonne wieder frisch gestärkt das Tagewerk zu beginnen.

»Gibt es wohl ein schöneres Leben?« fragte sich der Knabe oft. Er konnte es sich nicht herrlicher ausdenken. Und sein sehnlicher Wunsch war, daß es ewig so bleiben möchte.

Die Reiter hatten soeben einen jener gewaltigen Bergeinschnitte hinter sich, die man vielfach in den höheren Gegenden der Bighorn Mountains antrifft. An beiden Seiten türmten sich riesenhafte, schroffe Felswände empor, die vorn überhingen und sich in schwindelnder Höhe an einzelnen Punkten zu vereinigen schienen. Es war, als habe die Natur einen Weg für die Menschen freilassen wollen, deren Händen und Füßen die Kraft fehlt, diese riesenhaften, steilen Steinmassen zu erklimmen.

Eine ungeheure Fernsicht bot sich jetzt bis weit in das Land hinein. Wellig fielen die Berge nach Südwesten ab Hügel reihten sich an Hügel, auf denen aus dem Schnee, kleinen schwarzen Punkten gleich, zerstreut umherstehende Pechtannen hervorsahen. Schimmernd glitzerten die Sonnenstrahlen auf dem silberweißen Grund.

Etwa eine englische Meile entfernt stiegen hinter einem Berge Rauchsäulen kerzengerade in die Luft.

Charley zeigte darauf hin. »Dort liegt das Indianerdorf!« sagte er zu dem Knaben, der, vor freudiger Erregung zitternd, kaum die Zeit erwarten konnte, wo er das ihm fremde Volk mit eigenen Augen sehen konnte.

Rasch ging es bergab, und als die Reiter nach einer Weile den Abhang eines Hügels erreichten, lag das Ziel ihrer Reise vor ihnen.

In einem Talkessel standen zwischen Bäumen und Gestrüpp etwa dreißig graue, spitze Hütten. Ein zum Teil mit Eis bedeckter Bach rieselte an der einen Seite des Indianerlagers unter einer abschüssigen Felswand dahin. Und weiter südlich grasten auf einer geräumigen Fläche gegen hundert Pferde.

Eine große Menge Hunde stürzte jetzt den Reitern entgegen. Gleichzeitig wurde es in der Niederlassung lebendig. Zwischen und aus den Hütten kamen allerlei menschliche Gestalten hervor und schauten, die Hand gegen die blendende Sonne über die Augen gelegt, nach der Richtung aus, woher die beiden Männer und der Knabe rasch näher kamen.

Die Indianer waren in dicke, wollene Decken und Büffelfelle gehüllt, die ein breiter Riemen zusammenhielt. An ihm hing ein großes Messer in bunter, perlengestickter Scheide.

Rote Bänder teilten das lang herabwallende Haar in einzelne Strähnen. Einige Indianer hatten es auf dem Hinterkopf zu einem Knoten vereinigt, in dem eine lange Adlerfeder steckte. Eigentümlich sah der durch Ausreißen der Haare erweiterte und rot oder gelb gefärbte Scheitel aus. Da sie keine Haare im Gesicht dulden, hatten sie sogar die Augenbrauen ausgerissen. Manche Gesichter waren gelb oder rot gefärbt.

Es waren lauter kräftige Gestalten, die den Reitern jetzt entgegentraten, als diese vor einer der größten Hütten anhielten. Ein Haufen schreiender Kinder, ebenfalls in Decken und Felle gehüllt, schlug so lange auf die Hunde ein, bis diese nur noch knurrend die Fremden in einem weiten Kreise umschlichen.

»Nononichases (guten Tag, gute Freunde)!« rief Charley laut und lüftete grüßend den Hut.

»Nononichases!« klang es von allen Seiten.

Ein großer Indianer, der zwischen dem Münzen- und Plättchenbehang seiner Haarzöpfe einen Otterschwanz, das Zeichen des Häuptlings, trug, schüttelte den Trappern kräftig die Hand. Dann reichte er seine Rechte auch Bob und bat seine Freunde in gebrochenem Englisch abzusteigen, welcher Aufforderung man sofort nachkam. Einige Indianer führten die Pferde hinweg, nachdem die Brüder und der Knabe Sattel und Zaumzeug abgenommen hatten.

Charley erzählte nun dem Häuptling, der sich Tabinsch (schwarzer Wolf) nannte, was ihn hergeführt habe. Kaum wurde seine Absicht unter den Indianern bekannt, als diese auch schon wegliefen, um nach kurzer Zeit, mit Fellen und allerlei gestickten Sachen beladen, zurückzukehren.

Der Trapper begann seinen Tauschhandel. Dabei entstand ein wüstes Schreien und Drängen. Jeder wollte der erste sein. Und wenn Charley die Blechtasse, in der er Kaffee, Zucker, Reis oder Bohnen verteilte, nicht übermäßig füllte, so schrie alles noch toller durcheinander. Die Kinder bemühten sich, durch Pfeifen und Kreischen den Lärm zu vergrößern.

Bald war der Warenvorrat des Trappers erschöpft. Dafür lag aber ein Haufen Büffel- und Wolfsfelle zu seinen Füßen, und aus seiner lächelnden Miene konnte man schließen, daß er mit dem Geschäft zufrieden war.

Die Indianer wollten nun auch noch die Büchsen, Revolver, Messer, genug alles, was die Brüder bei sich trugen, gegen weitere Felle eintauschen, von denen sie einen großen Vorrat besaßen. Charley aber trieb sie entschlossen auseinander. Er hatte die Behandlung des zur dringlichen Volkes in den langen Jahren, in denen er mit Ihm verkehrte, zur Genüge gelernt.

Jim und Bob schnürten die eingehandelten Felle in ein Bündel zusammen und trugen dieses sowie Sattel- und Zaumzeug in eine große Hütte, die Tabinsch seinen Gästen während ihres Aufenthaltes im Lager als Wohnung angewiesen hatte.

Bob war es dabei heiß geworden. Er nahm seinen Hut ab und trocknete sich den Schweiß von der Stirn. In demselben Augenblick brachen die Kinder in schallendes Gelächter und Geschrei aus. Alle zeigten nach dem Kopfe des Knaben. »Jotihebbesihis!« Jottihebbesihis! Ausdruck der höchsten Verwunderung. klang es gellend aus ihren Kehlen.

»Die Haare sind es, über die sie sich wundern,« wandte sich Charley lächelnd an Bob, der erstaunt mit der Hand durch seine blonden Locken fuhr, um die die Sonne einen goldigen Schein wob.

Immer dichter umzingelte die schreiende Schar der Kinder den Knaben. Eins drängte das andere, bis Bob endlich die Geduld verlor, einen der Burschen ergriff, ihn mit seinen starken Armen hoch in die Luft hob und nicht früher wieder auf den Boden setzte, bis der Junge ein jämmerliches Geheul ausstieß. Als Bob dann bei anderen dasselbe wiederholen wollte, floh die Gesellschaft kreischend auseinander und hielt sich von jetzt ab stets in achtungsvoller Entfernung.

Der Häuptling forderte seine Gäste auf, ihm zu folgen. Mit ihnen und sechs anderen Indianern trat er in einen großen, mit allerlei bunten Figuren bemalten Wigwam, in dem ein helles Feuer brannte. Vor diesem war ein altes, schmutziges Weib eifrig mit der Zubereitung einer Mahlzeit in einem großen eisernen Kessel beschäftigt.

Die Indianer ließen sich in einem Kreise um das Feuer nieder. Charley, Jim und Bob nahmen zwischen ihnen Platz.

»Hitschah, nitschah (Pfeife, rauchen)!« sagte der Häuptling, indem er eine Pfeife hervorholte, deren Rohr mit Federn und Perlen reich geschmückt war. In den roten, steinernen Kopf preßte er mit einem runden Stabe kleingeschnittenen Kautabak, vermischt mit Kilikinick, einem Tabackersatze, den sich die Indianer aus der getrockneten, unter der Rinde der Rotbuschzweige befindlichen Haut bereiten. Bedächtig entzündete er dann die Pfeife, tat ein paar lange Züge daraus und reichte sie Charley, der seinem Beispiel folgte und die Pfeife dann dem zunächstsitzenden Indianer gab. In dieser Weise machte sie die Runde, bis sie leergebrannt war.

Noch einmal schüttelte Tabinsch seinen Gästen die Hand. Auch die übrigen Indianer taten desgleichen. Damit war das Zeichen der Freundschaft und des Friedens ausgetauscht.

Jetzt stellte das Weib den Kessel, in dem große Stücke Fleisch in einer fettigen Brühe schwammen, vom Feuer. Ein jeder nahm sein Messer zur Hand und fischte damit in dem Topf umher, bis er ein Stück erhascht hatte.

Charley und Jim aßen nicht ohne Widerstreben. Bob hingegen verzehrte das zweifelhafte Gericht mit Behagen; hatte er doch noch keine Ahnung von der grenzenlosen Unreinlichkeit, die bei dem indianischen Volke herrscht.

Bei den Indianern dauerte es ziemlich lange, bis sie gesättigt waren. Sie würgten das Fleisch mit einer Gier hinunter, als hätten sie tagelang gefastet. Endlich ging man wieder vor die Hütte. Dort bat der Knabe Charley, ihn auf einem Gang durch das Lager zu begleiten. Langsam wanderten die beiden zwischen den Wigwams hindurch bis an den Bach.

Mehrere Frauen bearbeiteten hier die Büffelfelle, die man mit den Haaren nach unten durch Pflöcke auf der Erde ausgespannt hatte. Tief darüber gebeugt, kratzten und schabten die Weiber mit einem Stück abgebrochener Säge oder einem Messer die Haut, um sie so nach und nach geschmeidig zu machen.

»Die haben sich auch eine lange Zeit nicht gewaschen,« meinte Bob, nachdem er den Frauen neugierig eine Weile zugeschaut hatte.

»Waschen?« lachte Charley. »Diesen Luxus kennt der Indianer überhaupt nicht. Wasser ist ihm ein Greuel! Wenn der Regen ihn nicht durchnäßt, oder wenn er im Sommer nicht gezwungen wird, auf seinem Pferde einen Fluß zu durchschwimmen, berührt Wasser niemals seine Haut.«

»Das ist ja abscheulich!« rief der Knabe entrüstet.

»Sieh nur die Weiber!« fuhr der Trapper ruhig fort und zeigte auf die Frauen, deren Hände fortwährend hier und dort an ihrem Körper beschäftigt waren. »Wirst dir unter solchen Umständen wohl denken können, daß allerlei lebende Wesen sich unter dem Zeuge einquartiert haben.«

Bob schüttelte sich vor Ekel und wandte sich ab.

Die Männer schienen sich nach eingenommenem Mittagsmahl in ihren Hütten der Ruhe hingegeben zu haben. Außer den arbeitenden Frauen am Bach ließ sich nur bisweilen ein Weib blicken, das ihr Kind in einer um den Oberkörper geschlungenen Decke auf dem Rücken trug. Auch die zahlreichen Kinder und Hunde waren verschwunden.

So kamen Charley und Bob, beinahe ohne jemandem zu begegnen, durch das Dorf, hinter dem die Pferde der Indianer weideten.

Die Gäule sahen jämmerlich aus. Zum Teil waren sie durchgeritten und wund. Kaum haftete noch Fleisch an ihren Schenkeln und Rippen.

»Wie ist es anders möglich, mein Junge!« sagte Charley, als Bob die armen Tiere bedauerte. »Die Gäule müssen im Winter hart arbeiten. Tag für Tag werden sie auf den Büffeljagden abgehetzt. Und nachher müssen sie mit dem wenigen Futter vorlieb nehmen, das sie hier bei dem Lager finden. Sie weiter von der Niederlassung fortzubringen, wo genügend Präriegras vorhanden ist, kostet dem Indianer zuviel Mühe. Er vermeidet alles, was nur im geringsten Zusammenhang mit der Arbeit steht. Er ißt, trinkt, raucht, schläft und jagt. Alles andere überläßt er den Weibern. Diese erbauen die Hütten, richten die Büffelfelle zu, kochen, verfertigen die Kleider, weben Decken, spalten Holz, versorgen die Kinder und müssen außerdem noch die Zeit finden, ihre Stickereien herzustellen, um ihre Lederarbeiten auszuschmücken. Diese vertauschen die Männer dann gegen ihre Liebhabereien.«

»Aber im Kriege ist der Indianer doch tapfer und mutig?« fragte der Knabe schüchtern.

»Es gibt wohl einige kühne, tapfere Männer unter ihnen. Das will ich nicht bestreiten,« versetzte Charley. »Im allgemeinen sind sie jedoch feige und hinterlistig und wagen nur dann einen Angriff, wenn sie genau wissen, daß sie die Uebermacht besitzen. Eine große Untugend aber haben sie, die mir am wenigsten gefällt. Sie stehlen alle wie die Elstern!«

»Dann werden sie uns auch unsere Sachen nehmen,« rief Bob rasch und machte eine Bewegung, als wollte er nach der Hütte eilen, um zu sehen, ob noch alles vorhanden sei.

Der Trapper hielt ihn zurück. »Aengstige dich nicht! Hier im Lager sind wir vor ihren Diebereien sicher. Ein Indianer wird niemals die Gastfreundschaft verletzen, die er einem Weißen zubilligt. Hat er mit ihm die Friedenspfeife geraucht, so steht der Fremde unter seinem Schutz. Lägen unsere Sachen jedoch eine halbe Stunde von hier entfernt, dann gehörte uns allerdings kein Stück mehr. Sie würden alles beiseite geschafft haben, sobald wir den Rücken gekehrt hätten. Eins möchte ich dir raten, mein Junge. Hüte dich, hier ein& schlechte Bemerkung gegen mich oder Jim über die Indianer in deren Gegenwart zu machen. Alle verstehen mehr oder weniger vortrefflich Englisch, obgleich sie sich gebärden, als verständen sie kein Wort. Auf diese Weise nutzen sie bei vielen Gelegenheiten ihren Vorteil aus.« Langsam wanderten sie wieder dem Dorfe zu.

Daß Charley nicht unrecht hatte, sollte Bob sofort erfahren. Als er jetzt mit seinem Begleiter in die Nähe der ersten Hütten kam, hörten sie eine Anzahl Kinder in geläufigem Englisch heftig streiten. Gleich darauf erblickten sie mehrere Indianerknaben und Mädchen, die sich gegenseitig bei den langen Haaren gefaßt hatten und tapfer aufeinander losschlugen. Beim Anblick der Weißen verstummten alle sofort. Doch nach kurzer Pause setzten sie ihre Zänkereien in ihrer eigenen Sprache fort.

In dem Wigwam angekommen, den der Häuptling seinen Gästen überwiesen hatte, legte sich Charley neben Jim, der gemächlich, auf einigen Büffelfellen ausgestreckt, seine Pfeife rauchte.

Bob ging noch einmal durch das Dorf. Jetzt betrachtete er alles mit ganz anderen Augen als bei seiner Ankunft. Die Niederlassung mit ihren grauen, rauchgeschwärzten Hütten zwischen den schneebedeckten Bergen, die wie flimmerndes Silber in der Sonne erglänzten, wollte ihm gar nicht mehr gefallen. Und für die trägen, schmutzigen Menschen, von denen sich seine Einbildung ein ganz anderes Bild gemalt hatte, verlor er alle Teilnahme.

In Gedanken vertieft, gönnte er seiner Umgebung kaum noch einen Blick. Plötzlich wurde er an der Hand gefaßt. Erstaunt schaute er auf. Vor ihm stand ein großer Indianer mit abschreckend häßlichem Gesicht, aus dem ein Paar kleine Augen unter der breiten Stirn unheimlich hervorblitzten. Scheu sah der Mann sich nach allen Seiten um. Dann zog er den Knaben mit sich fort an den Bach in das Gestrüpp.

Bob war im ersten Augenblick zu überrascht, um irgendwelchen Widerstand zu leisten; auch wurde sein Handgelenk so fest umklammert, daß er willenlos folgen mußte.

»Ist der Weiße mit der Narbe auf der Stirn dein Vater?« fragte der Indianer hastig.

»Nein,« stotterte der Knabe.

»Desto besser! Sieh her!« flüsterte der Mann und zeigte seine rechte Hand, an der zwei Finger fehlten. »Das habe ich ihm zu verdanken. Sterben muß er, um diese Schande, die er mir angetan hat, zu sühnen. Hier auf Erden vermag ich mir zu helfen. Ich gebrauche das Feuerrohr auf der Jagd. Dort oben aber in den ewigen Jagdgründen ist die Krüppelhand nicht fähig, den Bogen zu spannen. Der große Geist hat mir im Traume gesagt, ein Knabe würde mir hilfreich sein. Rede! Wie beginne ich mein Werk sicher und gut? Nur wenn das Blut des Weißen fließt, wird meine Hand geheilt.«

Bob war kreidebleich geworden. Er wußte nicht, was er erwidern sollte. Ihm graute vor diesem Menschen.

»Sprich, Milchgesicht!« schrie der Indianer laut und zornig. »Wünschest du, daß dein goldener Skalp an meinem Gürtel hängt?« Voll Wut riß er sein Messer aus der Scheide und schwang es in der Luft. Doch ebenso rasch steckte er es zurück, und sagte kopfschüttelnd: »Ich vergaß. Der große Geist zürnt, wenn ich eines Mannes Blut vergieße, der als Gast in unseren Hütten weilt.«

»Bob!« klang jetzt Charleys Stimme durch das Lager.

Der Indianer kauerte sich auf dem Boden nieder. Dann kroch er behend wie eine Schlange durch das Gestrüpp davon.

Der Knabe atmete erleichtert auf. So rasch ihn seine Beine trugen, lief er auf Charley zu, der überall nach ihm ausschaute.

»Jim und ich überlegten soeben, daß es gut sei, heute noch heimzureiten,« sagte er, als Bob näher kam. »Hier ist doch nichts mehr zu verdienen, und – – Himmel, du bist doch nicht krank?« unterbrach er sich. Erst jetzt bemerkte er das bleiche, verstörte Antlitz des Knaben.

»Nein nein! Nur fort! So rasch wie möglich!« stammelte dieser und blickte ängstlich zurück.

»Hast du Furcht, mein Junge, daß man dir hier etwas zuleide tut?« lachte der Trapper und legte scherzend seinen Arm um den Nacken seines Schützlings.

»Nein! Keine Furcht meinetwegen. Euch will man töten!« stieß der Knabe hastig hervor.

Charley lachte noch lauter. »Das sind Hirngespinste, mein Junge. Komm nur, und hilf die Pferde satteln! Wenn auch der Mond heute nacht scheint, möchte ich doch gern vor Dunkelwerden durch die große Schlucht auf den Gipfel der Berge. Von hier aus geht es nicht so rasch und bequem hinauf wie diesen Mittag bergab. Nachher magst du erzählen, was dir begegnet ist.« Eilig zog er den Knaben mit sich hinweg.

Die Nachricht, daß die Weißen wieder abzureiten gedächten, hatte alle Indianer, Kinder und Hunde von neuem versammelt. Und als Charley, Jim und Bob nun nach einer Weile im Sattel saßen, hinter sich die eingetauschten Felle, traten der Häuptling Tabinsch und die sechs Männer, die beim Rauchen der Friedenspfeife zugegen gewesen waren, heran und schüttelten den Reitern freundschaftlich die Hände.

»Hatnatzéna (lebt wohl, gute Freunde)!« klang es von allen Seiten.

Die Trapper wiederholten das Wort einige Male. Dann wandten sie die Pferde und ritten in leichtem Trabe davon, mehrere hundert Schritte von den wütend bellenden Hunden begleitet.

Bob hatte noch einmal. alle Umstehenden scharf gemustert. Der Indianer mit der verkrüppelten Hand befand sich nicht darunter. Rasch folgte er seinen väterlichen Freunden, und als sie eine Strecke von dem Dorfe entfernt waren, erzählte er mit vor Erregung bebender Stimme, was er am Bach im Gestrüpp erlebt hatte.

Charleys Stirn umwölkte sich. »Ist der verdammte Crow-Indianer wieder da?« murmelte er unwillig vor sich hin.

»Er macht seine Drohung noch einmal wahr,« meinte Jim besorgt. »Warum hast du ihn nicht schon lange beiseite geschafft? Gelegenheit wurde dir dazu oft genug geboten. Dreimal trachtete er dir nun schon nach dem Leben. Stets rettete dich ein Zufall. Aber das vierte Mal kann dir das Glück auch einmal ungünstig sein.«

Der Bruder schüttelte den Kopf. »Der Mann hat seine fünf Sinne nicht beieinander. Dürfte ich ihn für zurechnungsfähig halten, so hätte ich ihm längst das Handwerk gelegt.«

»Wie verlor er die Finger?« fragte Bob neugierig.

»Es war vor sechs Jahren. Jim und ich lagerten damals am Salt Creek unweit einer Crow-Niederlassung. Beinahe in jeder Woche kamen Indianer zu uns herüber und stahlen, was nicht niet- und nagelfest war. Da erhielten wir wieder eines Tages Besuch, unter dem sich jener Mann befand. Er nahm uns schon manches. Auch diesmal konnte er seine Diebereien nicht unterlassen. Ich besaß eine Schrotflinte für die Entenjagd, die ich stets hinter unserer Hütte unter einem Haufen Reisig verbarg. Der Indianer hatte sie entdeckt. Als er sich einen Augenblick unbeobachtet glaubte, schlich er sich hin und versuchte, die Waffe unter dem Gestrüpp hervorzuziehen. Dabei mag der Abzug an einem Zweige hängen geblieben sein. Die Flinte entlud sich, und der Schuß nahm von des Indianers Hand Zeige- und Mittelfinger hinweg.«

»Daran wäret Ihr doch nicht schuld?« rief der Knabe eifrig.

»Allerdings nicht! Aber der Indianer glaubt es in seinem Wahnsinn. Nun, laßt nur! Kommt er noch einmal mit Mordgedanken in meine Nähe, soll meine Geduld ihr Ende erreicht haben.«

»Drei Jahre leistete die Flinte uns nachher noch gute Dienste,« sagte Jim.

»Ja! Und dann hat sie uns der verwünschte Halbindianer Andrew Brown gestohlen!« rief der Bruder ärgerlich. »Das ist auch so ein nichtswürdiger Geselle, bei dem man sich freut, wenn er den Rücken wendet!«

Schweigend verfolgten die Reiter von jetzt ab ihren Weg. Ein jeder hatte seine eigenen Gedanken.

Als man die Schlucht erreichte, dunkelte es bereits stark, und zwischen überhängenden Felswänden herrschte vollkommene Finsternis. Es war daher ratsam, abzusteigen und das Pferd am Zügel zu führen. Der mit Geröll und Steinen bedeckte Boden machte ein Stürzen der Tiere leicht möglich.

Es ging nur sehr langsam vorwärts, Als man endlich an das Ende der Schlucht kam, war es mittlerweile Nacht geworden. Hell warf der Mond sein silbernes Licht vom Himmel herab.

Noch etwa dreißig Schritte von dem Ausgange des Bergeinschnittes entfernt hielt Bob, der jetzt voranging, sein Pferd plötzlich zurück. Er hatte vor sich das Brechen eines trocknen Astes deutlich gehört. Und nun sah er auch, daß sich hinter einem Haufen Präriegras und Buschwerk etwas bewegte. Die beiden Trapper, durch den Knaben darauf aufmerksam gemacht, bemerkten es ebenfalls. Rasch nahmen sie ihre Büchsen zur Hand. Bob ergriff Charleys großen Revolver.

Ein Augenblick atemloser Spannung folgte. Alles war wieder unheimlich still ringsumher. Kein Laut regte sich.

»Wer da?« rief Jim.

Hinter dem Busch bewegte es sich abermals. Wieder knackten die Zweige. Gleich darauf trat ein großer Hirsch in das helle Mondlicht.

Er wandte den Kopf mit dem vielzackigen Geweih nach dem Eingange der Schlucht. Dann sprang er in langen Sätzen eilig davon.

Charley lachte laut. »Da seht ihr, wie man sich narren lassen kann! Hätte der Junge nicht die Geschichte von dem verrückten Indianer Woterniehaza (schwarzer Mann) erzählt, würde wohl keiner von uns soeben an eine Gefahr gedacht haben.«

Die Pferde wurden nun wieder bestiegen, und so rasch es der Boden erlaubte, setzte man den Weg fort.

Ueberall zeigten sich kleine, graue Wölfe in Scharen und vereinzelt. Erstaunt über die nächtlichen Reiter, ließen die Tiere diese oft ganz nahe herankommen. Leuchtend funkelten ihre Augen, bevor sie zur Seite wichen und hinter dem Gestein verschwanden.

Mitternacht war vorüber, als man glücklich die Hütte erreichte, wo ein Feuer angezündet und ein großes Stück Fleisch gebraten wurde.

Aber der Hunger plagte nur die Brüder. Bob aß wenig. Er vermochte noch immer die Aufregung nicht zu überwinden. Ihm war es, als könne der grausige Mensch jeden Augenblick aus dem Dunkel hervortreten und über Charley herfallen, dessen sorglose, heitere Miene verriet, daß er den Vorfall längst vergessen hatte.

In der Nacht erwachte der Knabe zweimal mit einem lauten Schrei. Ihm träumte, Woternichaza, der Crow-Indianer, habe zuerst den beiden Trappern, dann ihm selbst den Skalp vom Kopfe gerissen.


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