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Achtes Kapitel. Auf dem Kriegspfade

In dem Indianerlager kümmerte man sich wenig um Bob. Nur der Häuptling richtete bisweilen das Wort an ihn. Vor dessen Hütte saß jetzt das braune Reh, Hawahos Tochter, und besserte den Kriegsschmuck des Vaters aus. An einer kranzförmigen Schnur, die dann um den Kopf gelegt werden sollte, waren Adlerfedern dicht aneinander gereiht. Hinten herab hing ein langer Lederstreifen, an dem ebenfalls Adlerfedern befestigt waren. Emsig und geschickt bewegten sich bei der Arbeit des Mädchens Finger, denen man es trotz der rotbraunen Hautfarbe ansah, daß sie längere Zeit nichts mit Wasser zu tun gehabt hatten.

Das braune Reh trug eine bessere Kleidung als alle übrigen Mädchen und Frauen. Ihren schlanken Körper umschloß ein eng anliegendes, ledernes Gewand, an den Aermeln und am Saum mit Fransen besetzt. Den Hals schmückten blaue und rote Perlketten, während die andern Frauen und Mädchen keinerlei Schmuck trugen.

Von Zeit zu Zeit sandte die Tochter des Häuptlings einen Blick nach dem Knaben, der gelangweilt im Lager umherwanderte. Seine Haare erregten auch ihre größte Verwunderung. Kopfschüttelnd und lächelnd nahm sie dann jedesmal ihre Arbeit wieder auf.

Auf einer kleinen Anhöhe vor dem Dorfe trugen Frauen und Kinder einen mächtigen Haufen Reisig und Holz zusammen. Dort versammelten sich alle Männer nach Sonnenuntergang. Die Frauen und Kinder hockten weiter entfernt beieinander.

Neugierig schlich sich Bob in die Nähe des Hügels, wo er sich hinter einem Busch verbarg.

Jetzt erschien auch Hawaho, mit dem Kriegsschmuck angetan. Er trat dicht an den Reisighaufen und ließ ein lautes »Juha« ertönen, was von sämtlichen Männern wiederholt wurde. Dann war es für einen Augenblick still. Doch gleich darauf loderte unter dem lauten Jubel der Umstehenden eine Flamme empor. Auch die Frauen und Kinder schrien und kreischten. Die Männer rissen die Messer aus den Scheiden und ritzten sich mit den Spitzen die Brust auf. Dann pflückten sie Grashalme vom Boden, zogen sie durch die blutenden Wunden unter der Haut durch, erfaßten mit der rechten und linken Hand die Enden des Halmes, und indem sie diesen hin und her zogen, hüpften sie in gleichem Takte von einem Bein auf das andere. Aus ihren Kehlen erschallte dabei ein eigentümlicher Gesang, dann und wann von dem Kriegsgeschrei unterbrochen.

Die Knaben bewegten sich hinter den Frauen ebenfalls in einem Kreis um ein kleines Feuer. Lärmend ahmten sie den Kriegstanz ihrer Väter nach.

Auf einmal schwiegen die Männer und blickten nach Westen, wo man am dunkeln Himmel an zwei Stellen Feuerschein bemerkte, ein Zeichen, daß die fernen Brüder sich auch zum Kriege rüsteten. Wildes Geheul begrüßte diese Entdeckung, dann begann der Tanz von neuem, und je mehr das Feuer niederbrannte, desto geschwinder wurde der Takt.

Nach einer Weile erhoben sich die Frauen und eilten nach den Hütten.

Kleiner und kleiner züngelten die Flammen empor. Die Männer keuchten, doch ihr Gesang ertönte weiter, bis nur noch ein Haufen glühender Kohlen vor ihnen lag. Dann stießen alle zugleich den Kriegsschrei aus. Der Tanz endete, und schweigend wanderten die Indianer dem Dorfe zu.

Bob kam aus seinem Versteck hervor und schloß sich dem Häuptling an, der in seine Hütte trat. Nachdem ihm dort seine Tochter den Kriegsschmuck abgenommen hatte, setzte sich Hawaho vor das Feuer, an dem mehrere Frauen mit der Zubereitung der Mahlzeit beschäftigt waren.

Er winkte den Knaben zu sich heran und forderte ihn durch eine Handbewegung auf, an seiner Seite Platz zu nehmen. Bald darauf wurde gespeist. Und als Bob sah, daß der Häuptling gesättigt war, bat er um einige Büffelfelle, in die er sich an einer Seite in der Hütte einrollte.

Die Behausung war äußerst stark gebaut. In einem Kreise standen, nach dessen Mittelpunkt übergebeugt, sechzehn lange Pfähle, welche an ihren Enden mit starken Lederstricken zusammengebunden waren. Straff umgaben aneinandergenähte Hirschhäute das Holzgestell bis auf eine Oeffnung in der Spitze zum Abzug für den sich ansammelnden Rauch. Als Eingang hatte man in die Umkleidung der Hütte ein beinahe mannshohes Loch geschnitten, das durch eine alte Decke verschlossen wurde.

Auch Hawaho und die Frauen begaben sich bald zur Ruhe, nachdem das Feuer noch einmal zu neuer Glut angefacht worden war.

Der Knabe schlief sehr schlecht. Mehrfach während der Nacht bellten die Hunde. Einige Male verließ der Häuptling sogar die Hütte, als sich die Tiere längere Zeit nicht beruhigen wollten. Außerdem aber waren es sehr unangenehme Plagegeister, die Bob mit ihren Bissen und Stichen immer von neuem weckten. Bei dem ersten Tagesgrauen erhob er sich. Sein Kopf schmerzte ihn heute stärker. Leise ging er zur Hütte hinaus an den Bach. Dort kühlte er die Wunde und wusch sich Hände und Gesicht. Dann band er das angefeuchtete Tuch wieder um seine Stirn.

»Ist der weiße Mann tot?« klang es plötzlich neben ihm.

Der Knabe wandte sich um und erbleichte. Vor sich erblickte er Woternichaza, den Crowindianer mit der verkrüppelten Hand, dessen schwarze Augen ihn durchbohrend anstarrten.

»Hat einen meiner Brüder nach dem Goldskalp gelüstet?« lachte der Indianer höhnisch.

»Geht Eurer Wege! Was kümmert Ihr Euch um mich?« entgegnete Bob mit erkünstelter Ruhe und schritt hastig nach der Hütte zurück, vor der der Häuptling stand und nach ihm ausschaute.

»Haltet Freundschaft mit jenem!« sagte Hawaho, als der Knabe zu ihm herantrat. »Der große Geist verwirrte den Sinn des Mannes. Will er einem andern schaden, genügt schon sein böser Blick. Wir dulden ihn deshalb unter uns, obgleich er nicht unseres Stammes ist. Ein jeder hütet sich und bleibt sein Freund. In der letzten Nacht kamen aus zwei Lagern unsere Brüder in unser Dorf. Er begleitete sie. Sobald das große Licht sich zeigt, brechen wir auf. Seid rechtzeitig mit Euerm Pferde zur Abreise bereit!«

Mit dem Aufbruch hatte es jedoch noch gute Weile. Zuerst wurde in allen Hütten reichlich gegessen. Ueberall roch es nach gebratenem Fleisch, als Bob nach eingenommenem Imbiß durch das Dorf wanderte, um seinen Gaul aufzusuchen, den er dann vor den Wigwam des Häuptlings führte. Seine Büchse befestigte er mit Schnüren am Sattel. Das Messer steckte er in den Gürtel, in dem auch ein Teil der Patronen Platz fand. Den Rest barg er in der Tasche.

Die Sonne stand bereits eine geraume Zeit am Himmel, da erschien endlich der Häuptling im Kriegsschmuck. Lächelnd befestigte er dem Knaben am Kopf einige Federn, dann kletterte er auf den hohen, aus Hirschgeweihen hergestellten Sattel seines Pferdes.

Gleich darauf kamen von allen Seiten die Indianer herbei. An ihren Sätteln hingen Blechtöpfe und Kannen, kleine eiserne Kessel und Säcke mit Lebensmitteln. Außerdem waren hinter dem Sattel noch Decken und Büffelfelle befestigt.

Nur wenige alte Indianer blieben in der Niederlassung bei den Weibern und Kindern, die ein lautes Geheul ausstießen, als der zweihundert Reiter lange Zug nun das Dorf verließ. Unter ihnen befanden sich auch Tabinsch und die anderen Männer, mit denen Bob bei seinem ersten Besuche des weiter südlich lagernden Stammes die Friedenspfeife geraucht hatte. Sie schüttelten dem Knaben freundschaftlich die Hand, und der Häuptling erkundigte sich nach den beiden Trappern. Gern erzählte Bob, was er in den letzten Monaten erlebt hatte, während er mit Tabinsch und Hawaho allen Indianern vorausritt.

Gegen Mittag wurde gerastet. Hätten die Männer nicht die vielen Federn in der Skalplocke getragen, so würde man nicht gewußt haben, daß sie sich auf dem Kriegspfade befänden. Mit der größten Muße bereiteten sie die Speisen, und nachher ruhten sie eine geraume Zeit, um das genossene, reichliche Mahl zu verdauen, bevor sie sich langsam wieder auf den Weg machten.

Mit fieberhafter Aufregung sehnte sich Bob, so rasch wie möglich an den Goose Creek zu gelangen, hoffte er doch seine Freunde dort wiederzusehen. Old Tex hatte gemeint, daß man den Talkessel etwa in drei Tagen erreichen würde. Bei diesem Schneckengang war das jedoch ausgeschlossen. Schon früh am Abend schlugen die Indianer das Nachtlager auf. Am nächsten Morgen ging es mehrere Stunden nach Sonnenaufgang weiter, und mittags mußte man vor dem allgemeinen Aufbruch erst eine Anzahl Männer zurückerwarten, die der Lockung nicht hatten widerstehen können, einer Büffelspur nachzureiten. Voller Ungeduld bewies der Knabe den beiden Häuptlingen, daß ihre Hilfe nur von einem baldigen Erscheinen in Fort Phil. Kearny abhinge, und bewirkte nach wiederholtem Drängen endlich, daß seine Begleiter ihre Leute zu etwas größerer Eile antrieben.

Geschickt und sicher überwanden die Indianergäule die schwierigsten Pfade. Mochte der Weg dicht und schmal an schwindelnden Abgründen vorbei oder steil bergab fuhren, ohne Zögern schritten die Tiere unaufhaltsam vorwärts. Oft wagte Bob kaum, auf seinem Pferde zu folgen.

Schon verging der vierte Tag, ohne daß der Knabe seine Sehnsucht befriedigt sah. Auf seine Fragen, wie lange man noch bis zum Bach zu reiten habe, erhielt er unbestimmte Antworten.

Der Himmel hatte sich bezogen. Nur bisweilen warf die Sonne einen Strahl durch die schwarzen Wolken.

Es war am Nachmittage, nachdem man abermals endlos gerastet hatte und sich nun seit etwa einer Stunde wieder auf dem Wege befand, da hörte Bob ein fernes Rauschen. Das mußte das Ziel sein, das er Tag und Nacht mit immer größerem Verlangen herbeigewünscht hatte. Jetzt hielt es ihn nicht länger bei seinen Begleitern. Er gab seinem Pferde die Zügel und sprengte allen voran dem Geräusch entgegen. Immer näher ertönte das Rauschen. Nur wenige Felsen trennten ihn davon, Der Knabe zitterte am ganzen Körper vor heftiger Erregung. Endlich lag der Talkessel vor ihm. Von der Höhe fiel brausend und schäumend der Goose Creek in die Tiefe. Bob glitt vom Pferde, das ihm nicht schnell genug durch die wüst durcheinander liegenden Steinmassen des abschüssigen Pfades schritt. Taumelnd stürzte der Knabe hinab.

Jetzt erreichte er den Platz, wo er vor Monatsfrist mit den Freunden lagerte. »Charley! Jim!« rief er aus pochender Brust. Keine Antwort erfolgte. »Charley! – Jim!« rief er ängstlicher noch einmal, daß es laut von den Felswänden widerhallte. Nichts regte sich. »Hier brannte das Feuer!« stammelte er. Noch lagen Kohlenreste am Boden. Er wankte nach der Stelle, wo die Trapper sich abends zur Ruhe legten. Der Platz war leer. Keine Decken sah er dort. Nun zweifelte er nicht mehr daran, daß die Brüder fortgezogen waren. Tränen rollten über seine Wangen, und jammernd flüsterte er: »Wohin soll ich mich wenden, um euch wiederzufinden?«

Was war das? Unter dem überhängenden Felsen lag ausgebreitet ein Zeitungsblatt. Es war mit Steinen an den Ecken beschwert, damit es der Wind nicht fortwehen konnte. Deutlich stand mit breiten, rotbraunen Strichen darauf geschrieben: »Nach Fort Phil. Kearny!«

Bob riß das Papier an sich. Schreckensbleich starrte er auf die Buchstaben. Ein Schauder durchrieselte ihn. »Das ist Blut!« ächzte er, und in seinem Geiste stand plötzlich der Halbindianer Andrew Brown der Fuchs vor ihm. Er glaubte dessen höhnisches Lachen zu hören. Die Worte, die jener damals am Lagerfeuer der Sioux aussprach, klangen ihm noch in den Ohren: »Mehr weiß ich nicht, als daß der eine deiner Freunde meinen Brüdern nicht mehr schädlich ist.«

Mit einem gellenden Schrei sank der Knabe zu Boden und barg laut schluchzend das Antlitz in beide Hände.

Jetzt wurde es lebendig im Talkessel. Hinter Felsen und Gestrüpp regte es sich. Braune Gesichter schauten dahinter hervor. Hier und dort blitzte ein Messer oder der Lauf einer Büchse. Näher und näher krochen die Gestalten bis zu der Stelle, wo Bob in seiner Verzweiflung niedergesunken war.

Langsam erhob sich der Knabe nach einer Weile auf die Knie. Immer von neuem blickten seine tränenüberfluteten Augen auf die schauerliche Schrift.

Dicht neben ihm teilte sich das Buschwerk. Der Kopf des Häuptlings Tabinsch wurde dahinter sichtbar.

»Mihasa (weißer Mann), wo sind die Feinde? Wir hörten deinen Schrei,« flüsterte der Indianer neugierig.

Bob sprang von der Erde auf. Er faßte den Häuptling am Arm und nötigte ihn, sich ebenfalls zu erheben. Unfähig zu sprechen, deutete er auf das Papier

»Wasanachée (Schrift)!« sagte Tabinsch erstaunt.

»Mit Blut ist es geschrieben, mit dem Blut meiner Freunde,« stotterte der Knabe.

Ueberall tauchten die Arapahoes jetzt aus ihren Verstecken hervor, und kamen eilig heran. Sie hatten den Feind in der Nähe vermutet und ihre Pferde in den schmalen Schluchten gelassen, die zum Talkessel hinabführten.

Von allen Seiten wurde Bob von den Männern umdrängt. Er sah ihre langgereckten Hälse und neugierigen Gesichter. Er hörte ihre Fragen nach der Ursache seines Schreies. Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß er es jetzt vielleicht in seiner Macht habe, dieses abergläubische Volk zur Eile anzustacheln. Mit einem Satz schwang er sich auf einen hohen, flachen Stein.

»Arapahoes! Tapfere Krieger!« rief er laut.

Alle Indianer schauten zu ihm auf. Es wurde still in der Runde.

»Ihr seid nicht vergeblich ausgezogen. Jetzt weiß ich, wo wir die Feinde finden. In den vergangenen Tagen flehte ich zu dem großen Geist, daß er mir ein Zeichen geben möge, wohin wir uns wenden sollten.« Mit beiden Händen hielt er das Zeitungsblatt in die Höhe. »Seht ihr die blutige Schrift? Nach Fort Phil. Kearny steht hier zu lesen. Wollt ihr eure Feinde treffen, dann säumt nicht länger! Laßt eure Pferde laufen, solange das große Licht euch den Weg beleuchtet! Denkt nicht mehr an Speise und Rast! Vorwärts, Arapahoes! Zeigt, daß ihr würdig seid, den Krieg zu führen! Der Krieger aber pflegt seinen Leib nicht wie während des Friedens daheim in den Hütten. Der große Geist ist mit jedem, dem der Mut und die Ausdauer nicht fehlt. Darum vorwärts! Nicht wie eine Herde wandernder Büffel, die vom Sommer- in den Winterstand schleicht, sondern wie der Wind fliegt von den Bergen hinab in das Tal! So führet den Krieg, dann gehört euch auch der Sieg!«

Noch einmal hielt der Knabe das Papier hoch in die Luft. So stand er einen Augenblick begeistert da. Das Tuch um seinen Kopf hatte sich gelöst. Zwischen den rasch dahinziehenden Wolken am Himmel fiel ein Sonnenstrahl auf ihn herab und wob um die blonden Locken einen goldigen Schein.

Ein Gemurmel der Bewunderung lief durch die Menge. Wohl verstanden die meisten Indianer die Rede selbst nicht, aber deren Sinn hatten sie begriffen und der Knabe mit dem goldig glänzenden Feuerhaar erschien ihnen wie vom großen Geiste niedergesandt.

»Juha!« stieß Bob mit der ganzen Kraft seiner Stimme hervor. Dann sprang er von dem Stein herab. Er drängte sich durch die Männer und eilte nach seinem Pferde, welches am Ufer des Baches ruhig graste. Hastig schwang er sich in den Sattel. Hoch emporgerichtet rief er laut, daß es vielfach widerhallte: »Vorwärts! Nach Fort Phil. Kearny!«

»Nach Fort Phil. Kearny!« wiederholten auch die Häuptlinge.

Ueberall ertönte der Kriegsschrei. Rasch wurden die Gäule von den Höhen herabgeholt.

Wenige Minuten später saßen die Indianer wieder im Sattel. Weiter ging es eilig bergab durch die große Schlucht am Ufer des Goose Creek entlang. Allen voran ritt jetzt Bob mit neuer Hoffnung im Herzen. Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, daß er die Freunde wiedersehen werde. Auch tröstete er sich, daß die Verwundung des einen nicht lebensgefährlich sein könne, würde doch sonst der andere mit ihm nicht den weiten und beschwerlichen Weg nach der Befestigung unternommen haben. Der Knabe hatte wohl bemerkt, daß seine Worte auf die Indianer einen günstigen Eindruck gemacht hatten.

Mit den Männern war eine plötzliche Veränderung vorgegangen. Während des Tages gönnten sie sich nur einigemal eine kurze Rast. Kaum sahen sie den Knaben das Pferd besteigen, so folgten sie ohne Murren seinem Beispiel. Unaufhaltsam ging die Reise weiter vom frühen Morgen, wenn die Sonne erschienen war, bis diese wieder im Westen niedersank. Dann aber wurde sofort Halt gemacht. Mit dem großen Licht verschwand auch die Ausdauer der Indianer. Ihr größter Feind war die Nacht, denn wurden sie in ihr vom Leben abgerufen, so hüllten sich nach ihrem Glauben für sie die ewigen Jagdgründe ebenfalls in tiefe Finsternis.

Schon am dritten Tage nach dem Aufbruch aus dem Talkessel bemerkte man überall Spuren von der Anwesenheit der Feinde. Kohlenreste zeigten, wo sie gelagert hatten. Niedergetretenes Gras auf den Prärien ließ erkennen, wohin sie gezogen waren. Auch fanden sich verschiedentlich Federn mit der Oese an der Pose zur Befestigung im Haar. Dicht unter einer Felswand lagen zerstreut eine Menge Patronenhülsen. Einige Indianer stiegen dort vom Pferde und betrachteten lange den steinigen Boden. Er war an einigen Stellen rotbraun gefärbt. Hier war Blut geflossen.

Immer vorsichtiger setzte der Zug seinen Weg fort. Oft schickten die Häuptlinge eine Anzahl Männer zu Fuß voraus, um die Gegend zu durchsuchen, bevor man weiter ritt. Wie Katzen schlichen die Indianer dann durch das hohe Gras oder von Fels zu Fels, die Büchse in der Faust, jeden Augenblick zum Schießen bereit.

Wieder war man mehrere Stunden über eine Bergkette gezogen. Jetzt dehnte sich von neuem eine viele Meilen große Prärie vor den Reitern aus.

Plötzlich hielt Tabinsch Bob zurück, der hier auf dem flacheren Boden seinen Gaul zu rascherem Lauf antrieb. Zugleich sprang der Häuptling aus dem Sattel und zeigte ängstlich nach der weiten Fläche. Alle Indianer stiegen ab und zogen ihre Pferde hastig hinter Felsen und Buschwerk.

»Dort liegt der Feind,« sprach Tabinsch. »Wir können nicht hindurch. Warten wir, bis er von dannen zieht!«

Etwa auf der Mitte der Prärie wirbelten einige Rauchsäulen zum Himmel empor.

»Warten?« versetzte der Knabe mit spöttischem Lächeln, ohne seinen Sitz zu verlassen. »Fünf Feuer brennen dort. Mithin zählt der Feind kaum dreißig Köpfe. Fürchten sich zweihundert Arapahoes vor dieser Anzahl?«

Ein Gemurmel entstand unter den Männern, die unentschlossen dreinschauten. Einige nahmen wohl ihre Waffen zur Hand, doch rührten sie sich nicht vom Platz.

Sorgenvoll dachte Bob an einen längeren Aufenthalt. Ihn drängte es weiter mit unbezwinglicher Macht.

»Seid ihr in den Krieg oder auf die Jagd gezogen?« fragte er höhnisch. »Drei und mehr Federn tragt ihr auf eurem Haupte. Schmückt ihr es damit, wenn ihr beabsichtigt, nur Büffel zu töten? Loderten die Flammen bei euerm Dorfe zum Spaße gen Himmel? War euer Kriegstanz nur ein Schauspiel für eure Weiber und Kinder? Ließet ihr euer Blut für nichts strömen?« Der Knabe ergriff seine Büchse und schwang sie in der Luft. »Wohlan!« rief er laut. »Ziehet heim in eure Hütten und erzählt euerm Volk, daß alles nur ein Scherz war! Ich aber will euch zeigen, daß euer Feind dort vor uns mich nicht schreckt wie euch. Lebt wohl! Ich reite ihm allein entgegen!« Seinem Pferde drückte er die Hacken in die Weichen, und sprengte auf die Prärie hinaus.

Tabinsch bestieg seinen Gaul. Etwa fünfzig Männer taten ein gleiches und folgten rasch dem Knaben.

Diesem klopfte das Herz gewaltig. Doch ohne Zögern galoppierte er weiter. Sollte er sich verrechnet haben? Ließen die Indianer ihn wirklich allein ziehen? Zurück konnte er nicht mehr, darum vorwärts! Und wenn er getötet wurde? »Dann hat das Elend auf einmal ein Ende!« seufzte Bob. Aber er erschrak doch über diesen plötzlich aufgetauchten Gedanken. Den Lagerfeuern war er bis auf etwa siebenhundert Schritte nahe gekommen. Noch regte sich dort nichts. Aber wenige Augenblicke später sah er, wie mehrere Gestalten vom Boden aufsprangen. Gleichzeitig reckte eine Anzahl Gäule ihre Köpfe über das hohe Gras.

Der Knabe wußte selbst nicht, wie er dazu kam, den Kriegsschrei der Arapahoes auszustoßen. Dann riß er seine Büchse an die Schulter, und krachend entlud sich der Schuß. Bei den Pferdeköpfen bewegten sich federgeschmückte Häupter. Nun quollen auch dort kleine weiße Rauchwolken auf. Bob hörte die Kugeln unheimlich pfeifend an sich vorübersausen. Gleich darauf drang der Schall der Schüsse an sein Ohr.

Da ertönte in weiter Ferne hinter ihm ein wildes Geheul. »Sie kommen mir nach,« dachte der Knabe erleichtert aufatmend. Ganz nahe hinter ihm erscholl ein zweites Geheul. Mit Freude bemerkte er jetzt Tabinsch mit seinen Leuten, welche ihm hastig folgten. Aufjauchzend gab er seinem Tiere vollends die Zügel und raste vorwärts durch die dichten Halme in mächtigen Sätzen über die flache Ebene.

Die Feinde sandten noch einige Schüsse ihren Angreifern entgegen. Dann schwangen sie sich auf ihre Pferde und hetzten in eiliger Flucht von dannen.

Heulend und schreiend jagten ihnen die Arapahoes nach. Weiter hinten kam jetzt der übrige Haufen daher.

Doch die Fliehenden waren schneller und wandten sich in einem weiten Bogen nach Süden, wo sie in bergiger Gegend hinter Felsen und Gestein verschwanden. Dorthin dem Feinde zu folgen, war nicht ratsam. Das mochten auch die beiden Häuptlinge wohl einsehen, denn sie riefen bald ihre Leute zurück.

Auf dem verlassenen Lagerplatz fand man Kessel, Blechkannen und etwas Mundvorrat. Unter jubelndem Getobe wurde diese erste Kriegsbeute verteilt.

Dabei verging die Zeit. Mit spöttischen Blicken betrachtete Bob das gierige Volk. Zuletzt rief er ungeduldig: »Des Gerätes wegen haben wir den Feind nicht verjagt. Wir wollten nur das Warten vermeiden. Der Weg ist frei. Vorwärts! Nach Norden.«

Schweigend folgten ihm die Männer. Sie bewunderten den Knaben, der sie durch seinen Mut beschämt hatte. Kleinlaut fühlten aber auch alle zugleich die Macht, die er über sie ausübte. Er hatte ihnen bewiesen, daß er sie zu lenken verstand.


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