Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

310.

Walter Eidlitz »Herbstvögel« Kammerspiele

Es ist eine alte Geschichte, daß zarte, blasse Lyriker sich mit aller Gewalt zum Drama hochputschen wollen. Hätte der sicherlich sehr schätzbare Herr Eidlitz etwa einen Roman geschrieben, so würde man diesen ohne Aufhebens unter die »stillen Bücher« reihen, und das Unglück wäre nicht groß. Nun ist aber ein »stilles« Drama ein Unding, und das hat ohne Zweifel das Publikum noch deutlicher empfunden als der Regisseur Heinz Herald, der die Stille noch überstillte; und in Anerkennung dieser Tatsache ging man am Ende, den Fall durch Schweigen ehrend, wispernd und auf Zehenspitzen hinaus, von innerlicher Bewunderung erfüllt für Herrn Eidlitz, der es verstanden hat, einer Primanerknutscherei so viel tragische Seiten abzugewinnen.

Herr Schweikart machte aus einem guten melancholischen Jungen eine sympathische und eindrucksvolle Figur. Der begabte Herr Brausewetter wandelte zwischen den Damen Roma Bahn, Denera und v. Thellmann wie ein überpummeliges Riesenbaby, das sich von Mädchenherzen nährt. In einer naturalistischen Rolle, ohne modischen Hokuspokus, wird er sich bewähren.

In den Zwischenakten stimmten ein paar unsichtbare Musiker die Instrumente, von den Geräuschen der Theaterarbeiter wohltätig übertönt. Aber auf dem Zettel stand: Begleitende Musik von Klaus Pringsheim.

Berliner Volks-Zeitung, 31. Januar 1922

311.

Der Himmelsleutnant

Aus Potsdam wurde kürzlich berichtet, daß die dortige Geistlichkeit beschlossen habe, den ehemaligen Kaiser ins offizielle Kirchengebet aufzunehmen; und dieser Parole folgten sogleich die dortigen Militärpfarrer. Da die Herren Geistlichen noch immer Beamteneigenschaft besitzen, können wir diese Angelegenheit nicht als private Torheit lächelnd beschweigen.

Die Trennung von Staat und Kirche ist ein Stück Papier. In der Praxis herrscht ein für beide Teile unerfreuliches Kompromiß, das Optimisten Übergangsstadium nennen. Das Wort stimmt insofern, als der Staat dabei übergangen wird. Wir wissen, daß wir diese Frage heute nicht grundsätzlich aufrollen können, ohne die schwersten inneren Kämpfe hervorzurufen. Ein Kulturkampf darf auf keinen Fall entfesselt werden. Wir bringen im Interesse des Vaterlandes ein großes Opfer. Das betonen wir. Aber wir betonen mit der gleichen Entschiedenheit, daß die Herren Geistlichen, die sich mit allen ihren Organen an den alten Kontrakt mit dem Staate klammern, damit auch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit haben, diesem Staat gehorsam zu sein. Wenn jemand Diener sein will, der Freier sein könnte, gut, das ist Geschmacksache; niemand hat etwas dagegen, wenn ers ehrlich tut. Aber Dienertum und Domestikendreistigkeit ist zweierlei. Die Geistlichen, die dem Staat, der sie besoldet, und von dem sie besoldet zu werden wünschen, eine lange Nase drehen, sehen ohne Zweifel nicht, was für eine jämmerliche Figur sie als Saboteure der verfassungsmäßigen Ordnung abgeben. Deshalb muß es ihnen gesagt werden.

Weiter: aus welchem Grunde wird überhaupt noch eine militärische Seelsorge unterhalten? Unter dem alten System war das durchaus begreiflich. Wer in den Heeresverband eintrat, hörte auf, Persönlichkeit zu sein, wurde Objekt einer vielgestaltigen, aber innerlich absolut gleichartigen Erziehungsmethode. Was an sechs Wochentagen der Drillkorporal mit Flüchen und Rippenstößen demonstrierte, das faßte am siebenten Tage der Bibelhusar auf der Kanzel in einem Sermon von quälender Langweiligkeit nochmals zusammen. Der Kirchgang wurde von Offizier und Mannschaft als widerwärtiges Brimborium empfunden. Die Garnisonkirche galt in ihrem Mangel alles dessen, was zu Phantasie und Gefühl spricht, als eine Stätte bohrenden Stumpfsinns, als Arrestlokal mit Orgelbegleitung. Jedenfalls hat unter den heutigen Verhältnissen die ganze Institution ihren Sinn verloren. Die Wehrpflicht ist durch das Berufssoldatentum abgetreten worden. Was früher mit einer etwas fragwürdigen Mystik umkleidet wurde, hat nunmehr einen ausgeprägt gewerblichen Charakter erhalten. Sogar die militärische Sondergerichtsbarkeit hat aufgehört, der Mann der Reichswehr ist Staatsbürger. Was kümmert man sich also um die Fasson, nach der er selig zu werden wünscht?

Die heillose Konfusion, die in dem Begriff einer militärischen Seelsorge sich tummelt, hat in der Kriegszeit der Volksmund selbst am besten gekennzeichnet, indem er den uniformierten Priester schlechtweg den »Himmelsleutnant« nannte. Im allgemeinen umwitterte den Gottesdiener mit Tressen und Portepee eine ärgerliche Komik. Es ist allerdings Sache der Gerechtigkeit, in diesem Zusammenhang auszusprechen, daß es die katholischen Geistlichen durchweg weit besser als die evangelischen verstanden, eine enge Fühlung mit den Mannschaften zu unterhalten. Sie teilten oft deren Gefahren und Dürftigkeit, waren ihrer kameradschaftlichen Umgangsformen halber manchmal sehr beliebt und fast immer geachtet. Von den evangelischen Kollegen läßt sich leider nicht dasselbe sagen. Man warf ihnen vor, daß sie eine geschworene Abneigung hegten gegen Frontabschnitte mit »dicker Luft«, auch um ihr Wohlleben besorgter waren, als es Situation und guter Geschmack erlaubten. Man darf natürlich keine Kollektivurteile fällen, aber jeder, der das Leben in Front und Etappe mitgemacht hat, wird bestätigen, daß der evangelische Geistliche stets unvolkstümlich blieb, daß er nicht verstand, einen schlichten Ton zu treffen und mit säuerlichem Gesicht und gefrorenen Mundwinkeln mehr als nötig dem einfachen Soldaten gegenüber sich als der Vorgesetzte gab.

Da kursiert eine kleine Geschichte, die sich in Lille abgespielt haben soll. Ein frisch aus dem Graben gekommener Landser begegnete auf der Straße einem Herrn in einer Montur, die er noch niemals gesehen. Wie er nun Anstalten machte, sich vorüberzudrücken, ohne die Hand an die Mütze zu legen, herrschte der seltsam kostümierte Herr ihn plötzlich an: »Warum machen Sie denn keine Ehrenbezeugung? Ich bin der Militär-Oberpfarrer!« – »Na ... dann grüß' Gott!« antwortete der Soldat treuherzig und ging weiter. Überflüssig, ein Wort diesem Histörchen beizufügen. Ein ganzes Problem ist darin ausgeschöpft.

Monistische Monatshefte, 1. Februar 1922

312.

Wotan mit Bäffchen

Als jüngst ein als Pazifist bekannter Pfarrer in Steglitz in einer Versammlung für die Friedensidee sprechen wollte, nahmen die dortigen evangelischen Geistlichen in einer geharnischten Erklärung gegen diese Entweihung ihres Territoriums Stellung; u.a. wurde zum Ausdruck gebracht, daß die christliche Moral Privatsache sei und nicht Staatsangelegenheit. Wir haben diese Anschauung in den letzten Jahren von dieser Seite ziemlich häufig gehört und uns immer gewundert, daß der Staat für eine Privatangelegenheit alljährlich eine stattliche Anzahl von Millionen zuschießt. Er ist doch sonst nicht so freigebig.

Da aber der Staat bisher scheinbar noch nicht auf diese Idee verfallen ist, dürfen auch weiterhin Geistliche im Genius des Hakenkreuzes ihres Amtes walten und über die Differenz zwischen Bibel und Edda ahnungslos hinwegstolpern.

Aber seltsam, die Stammgäste der nationalistischen Pastoren scheinen doch noch nicht so ganz verschlafen zu sein, wie man sich das gemeinhin vorstellt. Denn in einem deutschnationalen Bezirksverein wurde jüngst darüber Klage geführt, daß die »Völkischen« in Scharen die Landeskirche verließen. Die Schäflein scheinen also weitsichtiger zu sein als die Hirten, die bis heute noch nicht kapiert haben, wohin naturgemäß die Reise führt.

Die Herren Geistlichen schauen den Davoneilenden betrübt nach. Sie gleichen in der Tat – solche Bilder sind ja jetzt beliebt – dem blinden Hödur, der gegen den jungen Frühlingsgott den Todesspeer schleudert. Und dieser Baldur ist ihr Portemonnaie.

Berliner Volks-Zeitung, 1. Februar 1922

313.

Gänsefüßchen

In der »Kreuz-Zeitung« wird in einer kurzen, aber instruktiven Glosse mit außerordentlicher Klarheit dargelegt, warum der Streik der Eisenbahner und Kommunalarbeiter als natürlicher Sprößling der Novemberrevolution anzusehen sei. Die Beweisführung ist zwar außerordentlich anregend, ich erspare aber meinen Lesern die Wiedergabe, da etwas anderes in jenen Zeilen doch noch bemerkenswerter erscheint. Das ist der Umstand, daß darin von den Werktätigen gesprochen wird; und zwar in Gänsefüßchen.

Es gibt ein altes Wort, welches lautet: »Arbeit ist eine wunderschöne Sache: man kann stundenlang zusehen, ohne müde zu werden.« Etwas ähnliches mag auch dem Mann der »Kreuzzeitung« vorgeschwebt haben, als er einem Worte, das so peinlich nach Schweiß riecht, den ominösen Charakter raubte und es in die Klasse jener Worte einreihte, die etwas Halbglaubhaftes, etwas Nichtganzernstes ausdrücken.

Die Gänsefüßchen sind eine boshafte Erfindung. Sie sind immer dann am Platze, wenn eine Maske abzureißen ist, wenn ein Wort zur Vermummung wird. Wenn sich zum Beispiel die Herrschaften hinter der »Kreuz-Zeitung« mit Vorliebe die Edelsten und Besten der Nation nennen, oder die Industriebarone um Herrn Stinnes von ihrer Opferwilligkeit sprechen, wenn es gilt, bei wenig Entgegenkommen viel zu verdienen, so zögere man nicht, die stolzen Worte mit besagter kleiner Einfassung ihrer angemaßten Wichtigkeit zu berauben.

Aber wer im Schweiße seines Angesichts arbeitet, dem gönne man seinen Ehrentitel, den einzigen, den er führt und den nur das Leben selbst gibt und nicht irgendeine Instanz, die Blechmünzen und bunte Bänder verleiht. Der Werktätige ist und bleibt. Ihm, dem namenlosen, unbekannten Erhalter aller Gesittung, gebührt jede Huldigung. Jeden anderen Wert mag man bezweifeln, negieren, bewitzeln. Die Arbeit allein steht über jeder Diskussion, die Begriffen Platz und Rang anweist. Wer immerhin Neigung dazu verspürt, mag seinen Witz daran üben. Auf die Gefahr hin, daß die undankbare Welt ihm als Auszeichnung für seine Bemühungen ein paar Gänsefüßchen verleiht.

Berliner Volks-Zeitung, 8. Februar 1922

314.

Nummer Venedig und Naumburg

Der Dogenpalast zu Venedig, dieses herrliche Kunstwerk und unvergängliche Zeugnis eines stolzen Patriziergeistes, hatte zwei Partien, die aufs schlagendste beweisen, daß auch das hoheitsvollste Gebilde aus Menschenhand gewöhnlich einen krummen Schatten wirft. Das waren die »Brunnen« und die »Bleidächer«, die Gefängnisse der Staatsinquisition, die dem pompösen Gebäude jahrhundertelang einen etwas bedenklichen Ruf verschafften. Und zwar befanden die Brunnen sich im Keller; die unglücklichen Sträflinge standen bis über die Knöchel im Wasser und waren überglücklich, wenn sie nach geraumer Zeit einige Stockwerke höher transportiert wurden, und zwar in jene komfortablen Gemächer, die sich unmittelbar unter den bleigedeckten Dächern befanden und sich durch eine grausam dörrende Hitze auszeichneten.

Es hat wenig Menschen gegeben, die eine mehrjährige Haft an diesem gesegneten Orte lebendig überstanden haben, und noch wenigere, denen es zu entkommen gelang. Einer davon war der unsterbliche Casanova, der große Abenteurer und Liebeskünstler, der in seinen Memoiren eine äußerst anschauliche Schilderung seiner Flucht gegeben hat.

Dann gibt es noch aus jüngster Zeit eine andere berühmte Flucht. Die geschah aus dem Landgerichtsgefängnis von Naumburg, einem Gebäude, das sich mit dem Dogenpalast in keiner Weise vergleichen läßt, und ist bisher noch nicht von dem glücklichen Flüchtling selbst erzählt worden, sondern nur von deutschen Zeitungen. Und haben grämliche Historiker die ganze romantische Geschichte von Casanovas nächtlicher Expedition über die Dächer seines Kerkers einen aufgelegten Schwindel genannt, so hat der weit trockenere Bericht über den Ausbruch des Oberleutnants Dittmar mehr als anekdotischen Wert – er ist leider wahr.

Casanova, vorausgesetzt, daß er nicht allzu wild geschwindelt hat, befreite sich mit eigener Kraft aus dem Gefängnis; sein Complice, der Pater Balbi, ein äußerst unwürdiger Priester, bot eine nur recht mäßige Unterstützung. Herr Dittmar dagegen war lediglich ein Teilchen eines großen Apparates, der innerhalb und außerhalb des Naumburger Zwinguri mit bemerkenswerter Exaktheit funktionierte. Im Schatten der Mauern harrte ein milde gepolstertes Kraftfahrzeug; es fehlte nichts als der traditionelle Schlußruf: »Kellner zahlen!«, und die ganze Eskapade hätte aufs Haar dem Abschied von einem ländlichen Erholungsinstitut geglichen.

Aber der venetianische Abenteurer erzählt noch, wie er seine letzte Nacht auf dem Gebiete der Republik im Hause eines Gendarmerieoffiziers verlebte; denn der flüchtige Missetäter fühlt sich nirgends sicherer als am Busen der Polizei. Vielleicht wird auch Herr Dittmar noch einmal gesprächig werden und, in seinen Memoiren wenigstens, niederlegen, wo er seine erste Nacht in der sauer erworbenen Freiheit verbrachte. Vielleicht, daß sich dann doch noch wenigstens eine Parallele zwischen Naumburg und Venedig finden läßt.

Berliner Volks-Zeitung, 9. Februar 1922

315.

Jeßner am Scheidewege »Don Carlos« im Staatstheater

Ein Unstern waltete über diesem Abend.

Nicht das war das Ausschlaggebende, daß Kortner erkrankt war. Seinen Platz hatte Decarli eingenommen, der einen harten Philipp spielte, einen Doktrinär des Terrors, einen gekrönten Robespierre. Auch das Freundespaar Carlos und Posa ( Müthel und Deutsch) bot keine Enttäuschung. Beide ohne Hoftheatertraditionen, junge, biegsame Gestalten, verinnerlicht und dennoch bewegt von Schillers großem Pathos. Dann Johanna Hofer, milder Goldglanz, Rudolf Forster, der Kardinal-Inquisitor, roter Feuerschein auf schwarzem Grunde, Artur Kraußneck, der Alte, unvergeßlich in der kurzen Szene des Medina Sidonia.

Und dennoch, man wurde des Abends nicht froh.

Es lag nicht allein daran, daß die Rolle der Eboli hanebüchen unzulänglich besetzt war. Das Bildhafte war, wie immer bei Jeßner, karg, aber nachdrücklich herausgeholt. Die Grundlage der Szene bleibt im neutralen Raum die dreigliedrige rote Treppe mit goldumsäumten Stufen. Von oben, aus dem blauen Äther, kommen der Infant und sein idealischer Freund, dort steht die schimmernde Königin; aus der Tiefe steigen Domingo und die höfischen Kanaillen. Und wenn Don Philipp oben erscheint, von seinen Schranzen wie von einem bösen schwarzen Käferschwarm umgeben, verliert der weite Horizont den Glanz, und dünne, kühle Atmosphäre umwittert den einsamen Monarchen. Das macht sich im ersten Akt sehr wirkungsvoll, aber Wiederholungen ermüden und verwirren und die Symbolisiererei wird billig. Wenn Posa als Anwalt der Menschenrechte unter ein transparentes Kreuz tritt, weiß man, was kommen wird, und richtig, pünktlich wie des Redners Pointe funktioniert auch der Elektriker: – der heilige Gral beginnt zu glühen. Posa nimmt Abschied von der Königin, die Gardine fliegt zurück, blauer Himmel ringsum, und laut ertönt des Ritters Wehgeschrei: »O Königin, das Leben ist doch schön!« So etwas ist peinvolle Absichtlichkeit. Die Andeutungsbühne, um ihren Sinn betrogen, überkitscht den Makartpomp der Illusionsbühne.

Jeßner ist ein großer Arbeiter, der mehr kann, als in jeder Inszenierung seine heute bereits von sanfter Heiterkeit umflossene Treppe neu zu bauen. Vielleicht wird er es an diesem Abend selbst empfunden haben, daß Galopp nicht Intensität bedeutet, und daß in einer Hetzjagd abrupter Szenen Geist und Poesie eines Dramas verpuffen und nichts in Erinnerung bleibt als eine Reihe krampfhafter Versuche, mit den Mitteln der Theatertechnik jene Stimmung zu erzeugen, die sich aus dem Stil des Ganzen nicht ergeben will.

Jeßner steht am Scheidewege. Der Mann ist unverbraucht, aber sein System weist bereits hippokratische Züge auf. Wird er zu sich selber zurückfinden oder seinem System folgen und mit ihm zerbrechen?

Berliner Volks-Zeitung. 14. Februar 1922

316.

Kammerspiele »Kanzlist Krehler«

Ein neuer Georg Kaiser

Kanzlist Krehler, verschrumpftes, saftloses Männchen, »graurockverknöpfter Bureaupygmäe«, Pantoffelheld, Sklave des Alltags, erhält am Tage nach der Hochzeit der Tochter einen Urlaubstag, der sein Schicksal wird. Er macht die unerhörte Entdeckung, daß diese armseligen Bureauwände, seine Welt, nicht eben die Welt sind. Er will der Tretmühle entrinnen; die Frau, das beleibte, stumpfe Haustier, tritt rebellierend in den Weg. Er will die Welt finden und kauft sich zu diesem Zwecke mit seinen letzten Groschen – einen Globus, den er mit der Glückseligkeit eines unvermutet reichbeschenkten Kindes immer wieder rotieren läßt. »... um den Globus gehts. Er ist in jedem Menschen erschaffen. Weh ihm, der ihn zertrümmert.« Und sein Globus, d.h. seine jäh erweckte Seele, die sich mit schwachen Flügelschlägen über den Erdboden erhebt, wird zertrümmert. Durch den Haß des Weibes, durch die gutgemeinte, aber frostige Vernünftelei des Herrn Vorgesetzten. Und Krehler zertritt, ein Auftritt von hoher Symbolik, seine neu erschaffene Welt mit den Füßen.

Bis dahin schreitet das Drama mit unerhörter Folgerichtigkeit vorwärts. Dann aber kommt der kritische dritte Akt, die Klippe aller deutscher Dramatiker. Und auch Kaiser kommt nicht darüber hinweg, wenngleich ihm zugestanden werden muß, daß er mit außerordentlich guter Haltung scheitert, mit besserer als alle die meisten der Herren Kollegen. Aber ein Schiffbruch bleibt es doch.

Und dennoch: man vergißt es. Kaiser hat sich wieder einmal als unerhörtes theatralisches Genie bewiesen; er fordert und findet Gefolgschaft. Wer kann das heute? Und diese Sprache, im Ausdruck oft verschroben, im Ganzen genommen mit fabelhafter Virtuosität dem Zweck angepaßt, – wer kann heute so konzentriert schreiben?!

Die Aufführung unter Heinz Heralds Regie blieb nichts schuldig. Paul Graetz lieh dem armen kraftlosen Helden eine hektische Energie, die in die innersten Bezirke der Tragödie führte; daneben ebenbürtig Marg. Kupfer, stumpf, robust, feige; Liselotte Denera, wie immer von herzlicher Einfachheit; Erich Pabst, loyaler und korrekter Herr Rat; Brausewetter nur schien auch diesmal nicht recht am Platze.

Berliner Volks-Zeitung, 15. Februar 1922

317.

»Es liegt eine Krone ...«

Monarchistenflaute

Die Diskussionen, die sich in der Rechtspresse an die Publikation des Kronprinzenbriefes knüpften, haben wieder einmal gezeigt, wie prekär letzten Endes die Situation der deutschen Monarchisten ist. Der Monarchismus als programmatische Forderung ist da. Aber es fehlt nur das eine, und zwar ziemlich wichtige: – der Prätendent! Daß etwa im Falle einer erfolgreich durchgeführten Gegenrevolution Wilhelm zurückgerufen werden könnte, gilt auch in diesen Kreisen als ausgeschlossen, wurde selbst von Ernst Reventlow lebhaft bestritten; dem Kronprinzen scheint die Lust vergangen zu sein, auch ist er den Ganzradikalen durch manche Äußerungen suspekt geworden. Rupprecht, der Wittelsbacher, ist eine innerbayerische Angelegenheit und persönlich vielleicht gar nicht Freund der Desperadopolitik der dunklen Persönlichkeiten, die sich an seinen Namen klammern; fast scheint es, als hätte er mehr als einmal die Absichten der Kahr und Xylander im letzten Augenblick durchkreuzt. Die Monarchisten befinden sich tatsächlich in einer argen Verlegenheit. Es ist ein Fehler der Republikaner, nicht öfter und eindringlicher auf diese leere Stelle in der Rechnung der Gegner hinzuweisen.

Natürlich sind sich die Politiker unter den Reaktionären dieses Mankos wohl bewußt. Sie suchen deshalb durch einen rücksichtslosen agitatorischen Lärm darüber hinwegzutäuschen, und da sie aus mehr als einem Grunde die Frage fürchten, überschwemmen sie die Republik mit einer Sintflut von Anklagen. Wir aber haben keine Veranlassung, den Herren Deutschnationalen und dem rechten Flügel der Volkspartei diese Verlegenheit zu ersparen.

Monarchisten, die in einer Republik gegen diese Staatsform Sturm trommeln, stehen und fallen mit der Persönlichkeit des Mannes, den sie als Herrscher der Zukunft auf den Schild heben. Der Mann muß zugkräftig sein. Die breiten Massen müssen die Zuversicht gewinnen, daß er es besser machen wird. Rührende Legendenkränze umgaben einst in Frankreich und England jene Bourbonen und Stuarts, die im Exil, von opferwilligen Damen über ihr Elend hinweggetröstet, auf den großen Augenblick warteten. Legendenkränze, deren Blüten rettungslos abfielen, wenn der Prätendent endlich gekrönt war. Aber einerlei, ob er die Erwartungen erfüllt oder sich als Versager erweist: – er muß wenigstens da sein. Wo haben die Monarchisten den Mann, dessen Name wie eine Standarte wirkt?

Sie haben ihn nicht. Und wenn sie weiter in Presse und Versammlungen von dem Kaisertum schwätzen, das allein imstande sei, Deutschland zu retten, so muß es ihnen rückhaltlos gesagt werden, daß der Monarchismus, der doch mit Vorliebe damit prunkt, die eigentliche Idee der Persönlichkeit im Staatsleben zu sein, nicht mehr wert ist als ein Windei, wenn eben eine zentrale Persönlichkeit, um die sich die Phalanxen des Königsgedankens gruppieren, nicht vorhanden ist. Heute nennen sich allerhand »nationale« Bünde und Klüngel demonstrativ »kaisertreu« oder »königstreu«. Ja, meine Herren, wenn das der Fall ist, müssen sie schon verraten, wem sie eigentlich treu sind, wenn sie nicht als Phantasten und Kindsköpfe angesehen werden wollen.

Als Karl von Habsburg in sein angestammtes Ungarland zurückkehrte, empfing ihn sein Paladin, der »Reichsverweser«, mit Maschinengewehren und arretierte ihn. Herr Horthy ist trotzdem noch heute der Musterknabe aller Monarchisten in Wien, München und Berlin. Denn auch unsern Kaiseristen ist zwar die monarchische Idee genug gut als Lockente für die Bataillone der Mißvergnügten und Unzulänglichen, aber in Wahrheit bedanken sich diese glühenden Monarchisten für jeden Monarchen, der ihre Kreise stören könnte, denn sie wollen nur die Militärdiktatur, die Säbelherrschaft des Mannes mit den Eigenschaften des berühmten Kröcherschen Rezeptes: dumm aber stark. Denn der Monarchismus ist ihnen Vorwand. Sie wollen nur die Macht. Sie wollen den Mann ihres Vertrauens, den Mann, der an ihren Bändern zappelt.

Es ist ein Doppelspiel ohnegleichen, das mit leichtgläubigen Volksmassen getrieben wird. Wir Republikaner aber können nichts Besseres tun, als ohne Unterlaß und bei jeder Gelegenheit die Männer, deren Propaganda von der Kaiseridee lebt, zu nötigen, endlich Farbe zu bekennen. Entweder sie haben ihn, den kommenden Kaiser, oder ihr ganzes Treiben ist unerhörter Volksbetrug.

»Es liegt eine Krone im tiefen Rhein«, so sang man in Tagen alter Kaisersehnsucht. Heute hätte man zur Not die Krone, aber wo ist der Mann, sie zu tragen? U.a.w.g.

Berliner Volks-Zeitung, 21. Februar 1922

318.

Die Flammenschrift

Vieles Gewaltige gibt's. Doch nichts
ist gewaltiger als der Mensch.
– – – – – –
Der Toten künftigen Ort nur
zu fliehen weiß er nicht.

Sophokles

Im Buche Daniel wird von jenem frevelhaften Babylonierkönige erzählt, der im Taumel einer Orgie die heiligen Tempelgefäße entweihte. Da löste sich aus tiefem Schatten plötzlich eine gespenstische weiße Hand, die schrieb ein paar Worte an die Wand, die keiner der Magier dem entsetzten Könige zu enträtseln wußte. Bis endlich der herbeigerufene Daniel, ein Fremdstämmiger und subversives Element unter Babylons ruhigen Bürgern, die Deutung gab: »Du bist gewogen und zu leicht gefunden.« Auch für den Nachfolger des großen Nebukadnezar wurde das jüdische Gastvolk verhängnisvoll. Denn Belsazar wurde noch in selbiger Nacht von seinen betörten Knechten erdolcht.

Kürzlich war im »New York Herald« von äußerst interessanten Experimenten einer Gesellschaft zu lesen, die es sich zum Ziele gesetzt hat, den Himmel zu Reklamezwecken zu verwenden. Es wird nämlich versucht, mit Scheinwerfern von einer Million Kerzenstärke Figuren auf die Wolken zu werfen. Bis jetzt soll es gelungen sein, die Umrisse eines hohen Turmes sichtbar zu machen.

Die Perspektiven, die sich daraus für die Zukunft ergeben, sind überaus erfreulich. Wenn die Sonne untergegangen ist und des Dichters rollende Pupillen den Abendstern suchen, steigt es in Riesenlettern auf: »Urbin« oder »Ilse-Briketts«; und wenn Julia ihren Romeo bittet, nicht beim Mond, dem Bleichen, zu schwören, verschwindet dieser geduldige Trabant hinter den gigantischen Umrissen einer wohl bekannten ältlichen Dame, die mit funkelnden Brillengläsern an die Menschheit die kategorische Mahnung richtet: »Sind's die Augen, geh' zu Ruhnke!«

Die Technik triumphiert. Sie ist längst das Maß aller Dinge und macht uns, nach ihrem Belieben, klüger oder dümmer.

Wir aber leben und sterben wie bisher. Mit Hunger und Liebe setzt die Menschheit jene vielbändige Anekdotensammlung fort, die sie anspruchsvoll Geschichte nennt, phantasiert sich in eine Allgewalt hinein, und ahnt es höchstens in schnell vorüberhuschenden lichten Momenten, daß der schwarze feierliche Trott eines simplen Leichenzuges ihre ganze banale Genugtuung, es so herrlich weit gebracht zu haben, schweigend aber unwiderleglich demoliert.

»Du bist gewogen und zu leicht gefunden!« Wer Augen hat, wird das auch aus den feurigen Lettern lesen, die aus dem Wolkenkleid unserer Erde eine vermietbare Fläche für Reklamezwecke machen.

Berliner Volks-Zeitung. 23. Februar 1922

319.

»Die Erziehung durch Kolibri«.

Kammerspiele

Dem Regierungsrat Hagedorn, fünfzig Jahre alt geworden bei kargem Brot und spartanischen Grundsätzen, droht ein plötzlich eintretender Glücksfall das Weltbild zu zerstören. Durch ein Vermächtnis des guten Onkel Leberecht, des schwarzen Schafs der Familie, fällt dem Hagedorn ein beträchtliches Vermögen in den Schoß, das leider geknüpft ist an die Übernahme eines lockeren Hauses. Hagedorn widersteht, aber die Sippe rebelliert; sogar die treue Gattin kommt ins Wanken. Denn Geld stinkt nicht. Die Familienkatastrophe wird im letzten Augenblick verhindert durch das Erscheinen des »abgeschiedenen« Onkels, der sich mit seinen lieben Verwandten diesen etwas drastischen Scherz erlaubt hat. Als blamierte Europäer stehen sie da, besonders als es sich noch herausstellt, daß das vermeintliche Freudenhaus »Kolibri« in Wahrheit ein – Modenatelier ist. Der Spartaner Hagedorn kehrt mit geläutertem Menschentum zu seinen Grundsätzen zurück, nachdem er einen kurzen, aber schrecklichen Blick in den Abgrund des Lebens getan hat.

Das Stück zeichnet sich durch geschickte Verwendung und neue witzige Beleuchtung von Typen aus, die von Kotzebue bis l'Arronge immerhin einige Ehrwürdigkeit erlangt haben. Aber was sehen meine Augen – als Verfasser zeichnet Hans J. Rehfisch, der vor zwei Jahren noch in seinem »Chauffeur Martin« Toller-Töne anschlug, überhaupt ganz im jüngsten Pathos schwelgte?! Nun, keinen Gram deshalb. Diese Familienkomödie mit leichter tragischer Schattierung, frei von krampfiger Problematik und kaltschnäuziger Sternheimelei, beweist, daß auch unter den Jungen wieder der Sinn für die komische Linie erwacht und Liebe zur Kreatur nicht durch Deklamation, sondern durch Gestaltung erstrebt wird. Rehfisch, der als erster den Mut dazu aufbrachte, sei gegrüßt. Für das deutsche Lustspiel bedeutet er nach dieser Probe eine große Hoffnung.

Die Regie führte ein Herr aus Wien, der den ersten Akt schleppte und den letzten mit Virtuosität am Erfolg vorbeihetzte. Aber den Schauspielern hat er nichts anhaben können. Gülstorff als Hagedorn war herrlich in seinem unerwartet seelisch-dienstlichen Konflikt; wie da der gute Kerl mit der zähen Geheimratshaut kämpfte, das war eine jener tief menschlichen Leistungen, wie sie heute immer seltener werden. Ihm gewachsen war Herr Erich Pabst, der wieder den Causeur spielen mußte, wenn auch einen, der die Bürgerlichkeit ziemlich weit hinter sich gelassen hat; er malte das mit einem entzückend weinseligen Lächeln. Die Hagenbruch war schlicht und sympathisch wie immer; Roma Bahn, als ihre ungleiche Schwester, lieferte eine betrübend echte Studie eines Bürgermädchens von »freien« Grundsätzen. Die Russin Arbanina hatte auch diesmal nicht mehr zu tun, als gut auszusehen. Das gelang ihr spielend. Aber sollte man sie nicht wertvoller verwenden können?

Berliner Volks-Zeitung, 26. Februar 1922


 << zurück weiter >>