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Eine Galeere

»Wirklich,« sagt Maguy bitter, »wir bleiben zu zweit. Ich finde Sophies Ausspruch herrlich: ›Ein Mann – das heißt immer etwas gewonnen.‹ Gesteh doch ein, daß du aus Berechnung heiratest.«

»Aus Vernunft.«

»Es ist genau so, als ließest du dich aushalten.«

»Wenn du willst, und wessen Schuld ist das? Wäre die Unabhängigkeit der Frau nicht im wahrsten Sinne ein Gefängnis schlimmer als eine Galeere, dann wäre ich mit Freuden dabei geblieben. Aber ich bin nicht für den Kampf geschaffen, noch auch für dieses künstliche Leben, so nackt, ganz voll Einsamkeit, Arbeit, vergeblicher Erwartung und unfruchtbarer Mühen. Schließlich werde ich ja nicht nur empfangen, sondern auch geben, scheint mir.«

»Das sage ich ja – es ist ein Handel.«

»Oh, Liebste,« sagt Laure, »ist nicht alles ein Handel, selbst auf dem Gebiet des Gefühls?«

»Und ein schlechter Handel«, beharrt Regine, die an Frédéric denkt.

»Und dann, was wollt ihr, es ist immer dieselbe Geschichte. Ihr seid noch nicht Fünfundzwanzig, und ich gehe auf die Dreißig los. Ich fühle keine Kraft mehr in mir. Oh, durchaus nicht. Im Gegenteil, eine große Müdigkeit.

Höre, Maguy, weißt du, woran ich das Schwinden meiner Widerstandskraft merke? Weil ich nicht mehr weinen kann, ohne daß etwas nachbleibt. Gott weiß, daß ich habe Tränen vergießen können. Sie machten mir nicht mehr aus wie ein Frühlingsregen den Blättern eines Strauchs. Jetzt muß ich für eine Stunde Schluchzen mit einer Nacht voll Migräne zahlen, und meine Augen verweigern den Dienst.

Ihr wißt noch nicht, was die Entdeckung bedeutet: das erste Fältchen zwischen Wange und Lippen auf einer bis dahin makellosen Haut.

Und der erste Schreck, der erste verzehrende Drang: anfangen, sich zu überwachen.

Die Sorge, der Kummer, die Entmutigung, die habe ich satt, ich habe mein Teil davon gehabt, ich kann nicht mehr. – Ich will schön sein, ausgeglichen, will das Leben genießen, seine Freuden, seine Feste, seine Himmel. Ich will geschmückt sein.«

Sie zögert und schließt dann:

»Ich will leben, nicht vegetieren.«

Maguy drückt in einem verbitterten Schweigen ihren Tadel aus. Ihr kleines eigenwilliges Gesicht ist hart geworden, und von diesem Augenblick an verschließt sich wohl ihr edelmütiges Herz der lebensgierigen Regine.

Regine hebt nachdenklich wieder an:

»O ja, ich weiß schon, es gibt die Freiheit. Die Freiheit! Ausgehen – heimkommen – keine festen Stunden, wie? Niemandem Rechenschaft schuldig, jeder Laune folgen können. Unwahrscheinliche Mahlzeiten. Drei Anchovis und ein Kilo Mandarinen und dann die Sonntage, die einem gehören und die man damit hinbringen kann, sich im Bett an Tränen zu betrinken. Das ist doch etwas. Aber in noch zehn Jahren, Maguy, wirst auch du dich dagegen wehren zu weinen, aus Rücksicht auf deine Augen. Dein Magen wird streiken, und du wirst in dir den Wunsch fühlen nach geregelter Heimkehr und nach alledem, was seit Jahrhunderten das nötige Gleichgewicht für ein Frauenleben ausmacht.

Wir wollten aus tausendjährigen Gesetzen heraus. Wahnsinn! Es war lustig, man spielte mit der Unabhängigkeit und zeigte dabei alles, was man an Krallen hatte, um sich ein Stückchen abzureißen.

Nun gut, – der Anteil einer alleinstehenden Frau, der wiegt nicht schwer, weiß Gott! Die Wage schlägt bedenklich nach der Seite der Enttäuschungen aus, nach dem herzbrechenden Elend. Und wie die andere Schale so leicht oben schwebt, ganz oben mit ihren jämmerlich umstrittenen Freuden, dem elenden bißchen Genugtuung.

Oh, Maguy, – Not kennt kein Gebot: da hast du in vier Worten die ganze Frauenbewegung. Wir wollten jede fröhlich die Eva der neuen Zeit sein. Wir alle haben die Arbeit geliebt; welche von uns hätte nicht sogar den Ehrgeiz nach einer höheren, größeren Aufgabe gehabt, an der sie sich ganz hätte entfalten können. Und nun stehen wir da, jede eine doppelt verwundete Eva, deren Wille, mag er noch so leidenschaftlich gewesen sein, an den harten Gesetzen des Lebens zerbrochen ist. Nachdem wir gesagt haben: ›O nein, kein Mann soll uns ernähren – wir wollen uns selbst genügen‹, haben wir die andere Torheit ersonnen: ein ganzes Leben auf einem Gefühl aufbauen zu wollen.

Pfui über die Ehe! und doch in der freien Liebe (denn diese Häufung von Zwang, Entbehrung, ewigen Opfern nennt sich ›freie Liebe‹) was haben wir darin gesucht, wenn nicht den Abglanz der Ehefreuden? Worauf haben unsere Anstrengungen gezielt, wenn nicht darauf, uns selbst und dem geliebten Mann die eheliche Gemeinschaft vorzutäuschen ?

Worunter haben wir am meisten gelitten? Daß uns diese Täuschung nicht gelungen ist.

Maguy, denkst du noch, wie glücklich du warst, für deinen kranken Freund ein Eigelb in einem Glas Portwein abquirlen zu können? Wie überglücklich du warst, als er sich herbeiließ, es in einem Winkel des Kontors, wo du es liebevoll zubereitet hattest, auch zu trinken? Du unbußfähige Freigelassene hast pathetisch gesagt: ›Ich habe das Gefühl, seine Frau zu sein.‹

Und die Mahlzeiten, zu denen er übrigens nie kam? Und der Knopf, den du ihm an den Mantel nähen durftest, kümmerliche Quellen tiefster Freuden!

Das kam daher, wirst du sagen, daß all das nicht zur Regel wurde. Aber nein, wir haben es alle erlebt: Für einen Mann, den man liebt, ist kein Dienst unwürdig oder verhaßt. Und dann werden die Dienste auch zur Gewohnheit, für die unsere starre Unerbittlichkeit nicht Verachtung genug hatte und die doch in einer Ehe ein unzerreißbares Band bildet. Es ist noch nicht lange her, da lehnte ich es mit der ganzen Kraft meines unwissenden Glaubens, mit all meiner lebendigen Hoffnung ab, wenn mir jemand die Weisheit entgegenhielt: ›Die Liebe ist im Leben eine Sache von kurzer Dauer. Eine Frau kann nicht auf dieser unsicheren Grundlage ihr Leben aufbauen.‹

Ich habe es lernen müssen, die ewige Wahrheit darin zu erkennen.«

Reine ist seit einigen Augenblicken eingetreten und hat schweigend zugehört, ihr nachdenkliches, leidenschaftliches Gesicht unserer Freundin zugewandt. Nun unterbricht sie:

»Denkst du noch an Raymonde, für die du, Maguy, nicht Tadel genug hattest? Von uns allen armen Freiheitsdurstigen ist sie allein auf dem rechten Wege. Der Instinkt des Weibchens hat ihr eines Tages die Worte eingegeben: ›Ich werde ihn wenigstens für mich allein haben!‹«

»Ich werde ihn haben«, fährt Regine fort. »Sie hat ihn. Sie hat ihn, versteht ihr? Ihren Mann und hält ihn. Und wir ... wir sind da, allein, zerschlagen, jämmerlich. Der, den wir liebten, auf den wir unseren unerbittlichen Hunger nach Zärtlichkeit gerichtet hatten, der Mann hat uns eines Tages, an dem wir zu sterben meinten, gesagt: ›Es könnte nur ein Abenteuer sein. Ich kann nicht sagen, daß ich meine Frau nicht liebe ...‹

O nein, versuchen wir doch nicht mit Hilfe hohler Theorien diese traurigen Verbindungen zu verteidigen. Unsere Freiheit ist nichts als eine grenzenlose Einsamkeit, ein langsames Verkommen. Ich mache ihr wohlüberlegt ein Ende, tausche mit der engsten Abhängigkeit.

Der Kampf ist zu hart, ich habe das Gefühl, als hätte ich mich meine ganze Jugend hindurch daran verblutet.

»Laß nur,« sagt Gilberte, »die Freiheit, meine Lieben, ist ein teures Gut.«

Laure hebt ihr Gesicht, das viele Monate erschöpft und seines Kerns beraubt haben.

»Ja,« sagt sie nachdenklich, »wir müssen den Göttern den Preis dafür zahlen.«

Ende


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