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Unsere kleine Tafelrunde

Heute ist Maguy früher als sonst nach Hause gekommen, mit einem großen Strauß rosa Nelken und Asparagus im Arm, aus dem Blumenladen in der Rue Bonaparte.

Sie hat auf dem Küchentisch eine Menge kleiner weißer Päckchen abgelegt, auf denen ›Prunier‹ und ›Julien‹ zu lesen ist.

»ER hat mir versprochen, zum Abendessen zu kommen«, sagt sie, mit blitzenden Augen und süßer Erwartung im Gesicht. »Ich hatte nur noch fünfzig Franken, die hab ich ausgegeben. Mir bleiben vierundzwanzig Sous. Macht nichts. Er bekommt Gänseleberpastete, die er so sehr liebt, ganz feines Muschelragout, dann Crème und die ersten Erdbeeren des Jahres.«

Sie ordnet ihre Blumen in einer geflammten Schale.

»Hübsch, deine Nelken«, sagt Laure.

»Ach!« widerspricht Maguy geringschätzig, »sie sehen armselig aus. Nur in der Rue Royale gibt es schöne Blumen, aber mir blieben zehn Franken, kein Sou darüber.«

Sie hat im Salon den Tisch gedeckt und ihren kostbarsten Läufer aus feinem Filet und Spitzen aufgelegt. Reine hat ihre Silberbestecke hergegeben, dazu zwei geschliffene Kristallkelche. Im verschleierten Licht der Lampen wirkt der kleine, banale Salon ganz entzückend, bekommt etwas wie gedämpfte, intime Eleganz.

Maguy will keiner von uns die Aufgabe überlassen, den Gasofen anzuzünden, in dessen Bratrohr die Ragoutmuscheln überbacken werden. Sie richtet selbst den Salat an und geht sich dann anziehen, ungeduldig, mit klopfendem Herzen.

Wir sehen ihr zu, wie sie ein zartes, silberfarbenes Kleid überwirft, in dem sie, mehr noch als sonst, unirdisch wirkt.

»Maguy, das ist ›Die Erwählte‹, die Debussy besungen hat«, sagt Reine.

›Die Erwählte‹ legt mit größter Sorgfalt Schminke auf. Sie sagt nichts, der Spiegel aber zeigt uns den fiebrigen Glanz ihrer schwarzen Augen. Endlich setzt sie sich, erschöpft von der Erregung, mit dem Nagelpolierer in der Hand. Die Rolle dieses Werkzeugs, zu Zeiten der Erwartung, ist erstaunlich.

Von Saint-Sulpice schlägt es Viertel nach acht. Der dunkle Erzton klingt uns trüb in die Ohren wie Sterbegeläut.

»Nun bleibt er nicht mehr lange aus«, sagt Maguy. »Ich will nach meinen Muscheln sehen.«

Sie kehrt zurück und setzt sich wieder hin, ohne ein Wort zu sagen. Dies ist der Augenblick, wo auch für uns, die nicht unmittelbar Beteiligten, das Warten unerträglich wird. Der Straßenlärm dringt, kaum gedämpft, bis zu uns. Und so oft wir vor dem Hause den Schlag eines Autos zufallen hören, bleibt uns allen fast das Herz stehen.

Wir warten. Maguy wartet. Ihre Nägel strahlen jetzt förmlich; doch im gleichen Maße, wie sie rosiger blitzen, legt sich ein bleifarbener Ring, noch unter der Schminke kenntlich, um Maguys Lider und läßt die Augen größer erscheinen. Sie sieht nach der Uhr.

»Ich glaube, sie geht vor«, sagt Reine warmherzig. »Es ist nicht später als acht Uhr fünfundzwanzig .. .«

Auf der Straße sausen die Wagen vorbei, ohne anzuhalten, und wir fühlen: es ist nicht einer darunter, der nicht wahrhaft über das Herz unserer Freundin hinwegrollte. Sie steht auf und sagt mühsam:

»Jetzt muß er jeden Augenblick da sein. Ich will ihn im Salon erwarten.«

Fühlt sie unsere Unruhe? Sie entzieht sich unsern Blicken, unserm zärtlich bereiten Mitleid.

»Er kommt nicht«, murmelt Reine.

Bis neun Uhr abends haben wir uns nicht vom Fleck gerührt, zerstreut die letzten Mandarinen des Jahres geschält und Erinnerungen an ähnliche Wartezeiten aufgefrischt. Maguy ist ganz allein im Salon, weit weg von uns und wohl von Verzweiflung überwältigt. Von Zeit zu Zeit hören wir, wie sie in die Küche geht, um die eigene Angst zu betäuben und die Flamme unter den Ragoutmuscheln kleiner zu stellen, die nun wohl verbacken sein werden. Dann gibt es eine lange Pause. Ein langes Schweigen.

»Wir müssen hinübergehen«, sagt Laure leise.

Die Lampen erhellen den kleinen, geschmückten Raum, den unnützen Tisch, die rosa Nelken darauf, die matt in der bunten Schale hängen, die unberührten Gedecke, das geschliffene Kristall. Es ist unglaublich, wie sehr ein gedeckter Tisch einem Katafalk gleichen kann.

Aus der Küche kommt der Geruch gut knuspriger Muscheln. Tief in einen Lehnstuhl vergraben, ohne Laut, ohne Regung, gleicht Maguy, in ihrem zart dämmerfarbenen Kleid, einer abgerissenen Blume.

Die Augen starr, den Mund verkniffen, weint sie nicht, schreit nicht – sieht uns nur an, mit dem Blick eines Tieres, das sich empören will. Wir umringen sie.

»Liebste ... er konnte nicht. Es ist ihm etwas dazwischengekommen ... Du weißt doch, daß es nichts zu bedeuten hat ... er ist nicht ganz unabhängig ...«

Wir knien rings um sie, ziehen sie an uns, umarmen sie. Sie wirft den Kopf zurück, kämpft gegen ihren Schmerz, bis sie endlich in unseren Armen zusammenbricht und wie ein kleines Mädel schluchzt, ein ganz kleines, armes Mädel.


Am nächsten Morgen ist Maguy nicht ins Bureau gegangen, und zu Mittag wurden wir eingeladen, die Mahlzeit vom Abend vorher zu verzehren, aus Sparsamkeit, damit nichts umkomme. Maguy hat in die Gänseleber hineingeweint, und wir, mit gehemmten Bewegungen und Leichenbittermienen, wir wagten nicht, das Essen gut zu finden.


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