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Ein Mann wie alle andern

Das weiße Schiff schwebt im Licht zwischen zwei blauen Schalen.

An die Reling gelehnt blickt Regine langgliedrig, geschmeidig, von Flammen gekrönt zur französischen Küste hinüber, die nun besser zu übersehen ist.

Vom üppigen Grün umkränzt, unter die Dent du Midi hingezeichnet wie die gespannte Sehne eines Bogens, liegt der See und trägt an der Flanke wie eine leichte Wunde die sandige Rhonemündung.

Territet weiß und rosig im Schmuck der Weiden, deren zarter Schatten auf dem Wasser tanzt; dann Montreux, ein Opfer seiner Baukünste, das aber glückselig aus dem Grün seine von Kandelabern umstandenen Terrassen breitet; diese Kandelaber sind es, die des Abends Sternnester am Berghang vortäuschen.

Das Schiff gleitet langsamer, legt an. Regine denkt an die Landungsstege der französischen Küste, die übermoost sind, grau, vernachlässigt. Dieser hier ist so sauber, daß man sich entmutigt fühlt. Er scheint ein Blumenbeet, eine Rabatte, ein Garten. Geranium rahmt ihn ein, so rot, so sauber, so regelmäßig: man könnte meinen, die Blumen wären aus Leinen oder Samt; und ist der Kai nicht mit Marmorseife gewaschen? und das Wasser des Bachs chemisch gereinigt ?

Man träumt von einer Spinnwebe.

Schon ehe das Schiff richtig festgemacht ist, hat Regine Madame Clère erkannt, deren Erscheinung ein wenig schwerfällig wirkt und dabei doch so entzückend anmutig und lebhaft.

Die junge Frau lächelt, hebt die Hand. Im Augenblick darauf überschreitet sie den Landungssteg.

»Da ist sie ja, die kleine Wilde.«

»Mein Gott«, sagt Regine kleinlaut und doch strahlend glücklich, weil sie mit einem jähen Schlag von Daseinsfreude erfüllt ist. »Mein Gott, wie habe ich wegfahren können, ohne Sie wiederzusehen?«

»Wir werden uns gleich aussprechen«, setzt Madame Clère hinzu, mit einem leisen, listigen Lächeln.

»Wollen wir ein wenig gehen?«

Das Gespräch dreht sich zunächst um harmlose Dinge.

»Ich sollte in die Bretagne fahren, dann haben mich Freunde gebeten, hierherzukommen. Ich liebe den Genfer See, darum habe ich zugesagt.«

Sie sagt nichts davon, daß die Anwesenheit Regines am andern Ufer vielleicht recht viel zu ihrem Entschluß beigetragen hat.

Julies ruheloser Schatten ist um Clarens nicht mehr zu spüren, und die sonnige Straße, aller Geheimnisse bar, zieht sich zwischen zwei Reihen von Villen hin, Ausgeburten zügelloser Architektenphantasie.

Die Gärten buschig, blühend, schweigend, umhüllen das wenig vorbedachte Menschenwerk mit Eintagsfrieden. Ein Windhauch vom See her läßt einen Ast schaukeln, bewegt einen Zweig, blaue Wasser glänzen auf.

»Ich komme mir ein wenig vor wie in meinem Haus in Saint-Raphael.«

»Der Genfer See ist das Mittelländische Meer im kleinen, nur daß er stumm ist«, widerspricht Regine im Gedanken an das tiefe Murmeln der Brandung an den Felsen von Saint-Tropez.

Auf der Terrasse einer Konditorei am See fragt Madame Clère bei einem Pistazien-Sorbet:

»Nun sagen Sie mir doch, Kleine, warum sind Sie denn eigentlich so ausgerissen?«

»Ich habe Angst gehabt,« gesteht Regine, »eine wilde, unbezwingliche Angst.«

»Aber wovor denn, du lieber Gott?«

»Ja zu sagen und es nachher zu bereuen und mehr noch, mehr noch, Angst vor allem, was das Wort Ehe an Unabänderlichem einschließt. Wäre Deferny als Liebhaber aufgetreten, dann hätte ich, glaube ich, mehr Kaltblütigkeit bewahrt.«

Vor Madame Clères Augen, vor diesen beweglichen, nachdenklichen Augen ersteht wohl, hinter Regines strahlendem Antlitz, das Bild von Defernys schwerem, müdem Gesicht und der Angst in seinem Blick, als sie ihm gesagt hatte:

»Die Kleine verlangt Bedenkzeit.

Sie ist vernünftig, seien Sie es auch ... und warten Sie.«

Aber sie ist entschlossen, kein Wort zu sagen, das den Entschluß der jungen Frau beeinflussen könnte. Sie wünscht von Herzen, daß Deferny sein Glück finde. Doch niemals auf Kosten Regines.

Sie fühlt, wie schlecht Regine im Leben gefahren ist mit der armseligen Unabhängigkeit, die so viel Lasten mit sich bringt und doch keinerlei Gewähr oder Sicherheit bietet.

»Das wird zwei, drei Jahre so gehen können«, denkt sie. »Und schließlich wird sie in dem unmenschlichen Kampf ihre Schönheit, ihre junge Kraft einbüßen. Ein Leben braucht andere Grundlagen als Verlagsarbeiten dieser Art. Dennoch – sie deshalb in Defernys Arme führen ...«

»Sie sind zu jung, zu schön, um nicht auf die Liebe hoffen zu müssen«, fährt sie laut fort.

»Oh,« sagt Regine, »wenn Frauen unserer Zeit einen Mann lieben, dann ist er nie frei.«

Madame Clère lächelt – ein Lächeln, in dem sich Mitleid und Belustigung mengen.

»Und Sie mit Ihrer Lebenserfahrung, Ihrer Weisheit – was raten Sie mir, was denken Sie?«

»Ich werde mich hüten, Ihnen einen Rat zu geben, und was ich denke ...

Ich denke, daß man Ihnen Deferny nicht durch die Wunderbrille zeigen darf. Er ist nur ein Mann, ein Mann wie die andern mit seinen Schwächen, seiner Selbstsucht, seinen Launen.

Er ist fünfundfünfzig Jahre alt und liebt Sie: zwei Gründe für ihn, sich ungeschickt zu zeigen.

Nur in den Romanen sieht man reife Männer vor jungen Frauen die Rolle des Herkules zu Füßen der Omphale spielen.

Es ist falsch zu sagen, daß ihr Herz weniger hart, ihr Verständnis weiterreichend, ihr Feingefühl gesteigert ist. Falsch, falsch sage ich Ihnen. All das ist nur verknöchert vom Leben, ausgedörrt von der Erfahrung. Nichts ist unserem Gefühlsleben verschlossener als das Herz des Mannes – des Mannes von fünfzig Jahren so gut wie des Fünfundzwanzigjährigen. Alles andere ist Literatur.

Deferny ist nicht alt genug, um selbstlose Väterlichkeit vorgeben zu können. Er wird am unrechten Punkt eifersüchtig sein, zu Unrecht auch mißtrauisch.

Endlich wird es auch Tage geben, wo dies Herz, das Ihnen ganz gehört, sich unter dem Druck einer unfruchtbaren Eitelkeit Ihnen ganz verschließen und sich gegen Sie so gut wie gegen sich selbst wehren wird. Dieser Mann, der heute in tödlicher Spannung Ihre Entscheidung erwartet, wird seine Liebe, seine Schwäche unter Gleichgültigkeit oder Spott verbergen, und es wird den Anschein erwecken, als widerrufe er sein Wort.«

»Schöne Aussichten«, meint Regine verwirrt.

»Aber Sie werden nie zu vergessen haben, daß hinter allem eine unendliche, unwandelbare Zuneigung liegt, daß dieser Mann für Sie wahrhaft den Halt, den Gefährten, den sichern Hafen bedeuten wird. Und schließlich: wenn Sie ihn heiraten, machen Sie ihm niemals Kummer.«

»Sie sind wunderbar. So vernünftig und dabei so menschlich!«

Sie sieht verträumt auf den See hinaus, auf dem Sonnenflecken tanzen. Möwen treiben auf den Wellenkämmen wie Papierfetzen. Sie seufzt: »Wie schwer es ist zu leben, was tun, um glücklich zu sein?«


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