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Regine an ihre Freundinnen II

Sainte-Maxime, am 10. April

Gestern habe ich an dem kleinen Bahnhof von Sainte-Maxime den Zug genommen und bin zum Frühstück zu meiner Freundin, Mme. Clère, gefahren, nach Saint-Raphael. Sie bewohnt, an der Straße nach Agay, hart am Meer, ein altes Haus, dem man seinen großväterlichen Reiz sorgsam bewahrt hat. So läßt man den wilden Wein die grauen Mauern benagen, und das niedrige Gittertürchen des Gartens kreischt ein wenig und weckt dabei eine kurzatmige Klingel.

Es läßt sich nichts Anziehenderes denken als dieses Stück Vergangenheit mitten in der Reihe von weißen, blauen oder ockerfarbenen Villen, alle schreiend neu und protzig, die das Gesamtbild von Saint-Raphael zum Fiebertraum eines Architekten stempeln.

Mme. Clère lebt da einen Teil des Jahres – und ich bedaure sie nicht! – und verläßt diese Ufer nur um anderer willen; die der Seine; unter ihren Fenstern dort, am Quai des Grands-Augustins, sieht sie den langsamen Strom vorüberziehen, inmitten einer Landschaft von üppigen Bäumen und altem Gemäuer, wie es sie nur einmal auf der Welt gibt, Ihr wißt es wohl.

Diese Frau versöhnt mich mit dem Alltag.

Wieviel Schwung! Sie erinnert mich an ein knisterndes Holzfeuer, mit wehenden Flammen.

Das Leben hat nicht gedrückt auf ihre kräftigen Schultern. Seine Spuren zeigen sich kaum auf dem entzückenden, unverkünstelten Gesicht, rund und mild wie ein reifer Apfel: ein liebenswürdiges Lächeln straft die leise Bosheit des Blicks Lügen.

Es gibt dahin drei Züge im Tag, glaube ich; der erste verläßt Sainte-Maxime Punkt fünf Uhr morgens. Mit dem nächsten traf ich erst um ein Uhr bei Mme. Clère ein. Sie erwartete mich zum Frühstück, aber ich war nicht ihr einziger Gast, was mich im ersten Augenblick etwas enttäuschte.

Eine lange, prunkvolle, einschüchternde Limousine stand vor dem verwitterten Gitter. Ihren Besitzer fand ich auf der andern Seite des Hauses, in einem Garten, von dem aus man das Meer leuchten sieht, tiefblau, über die hängende Blütenlast der Mimosen, über die mit Rosen durchsetzten Lorbeerbüsche weg, die noch dem bescheidensten Garten der Provence unerhörte Pracht verleihen.

Der Herr also erwartete mich da, in Gesellschaft von Mme. Clère. Ein verabredetes Zusammentreffen? Ich glaube, nicht ganz.

Klein, angegraut, mit leicht verfettetem, bis zur Nervosität beweglichem Gesicht und scharfblickenden, eindringlichen Augen, hat er nichts von einem Verführer. Ich habe ihn ohne weiteres unter die Männer ›eines gewissen Alters‹ eingereiht.

Recht liebenswürdig übrigens und nicht ohne einen gewissen friedfertigen Humor, mit einem leichten Einschuß von Melancholie.

Er war, glaube ich, betroffen von meiner Erscheinung. Wir Frauen fühlen das ja. Ich trug, wohlverstanden, das Kostüm aus ›rosenholzfarbenem Seidentrikot‹, dessentwegen ich Laure einen ganzen Nachmittag lang vor den Auslagen des Louvre gemartert habe; und den dazu passenden kleinen Filz, ›die süße und peinliche Zwangslage‹, erinnert Ihr euch?

Mme. Clère umkreist mich mit bewunderndem Murmeln:

»Willkommen, meine Schöne! ist sie nicht entzückend! Und seht mir nur dieses Kleid ... Und die Farbe, zu ihrem Haar und ihrem Teint – ist das nicht unübertrefflich?...«

Herr Deferny lächelte. Als ich meinen Hut abnahm, meinte er:

»Gott sei gelobt! Endlich einmal eine Frau, die sich nicht die Haare abgeschnitten hat!«

»Gott behüte«, rief Mme. Clère aus. »So bezauberndes Haar, mein Freund . ..«

»Madame,« fragte er mich darauf scherzend, »können Sie mir sagen, warum die Frauen darauf bestehen, sich die Haare schneiden zu lassen?«

»Ich verstehe es um so weniger,« gab ich lebhaft zurück, »als es den meisten Männern gar nicht gefällt.«

Diese zumindest unangebrachte Bemerkung – wird er nicht glauben, daß ich ein Gewerbe aus meinen Reizen mache? – hat ihn zum Lächeln gebracht.

Danach gingen wir auf die Terrasse, wo der Tisch gedeckt worden war.

»Deferny«, sagte Mme. Clère, »ist ein treuer Kamerad. Er schlägt sein Winterquartier in Beauvallon auf, ganz nahe bei Ihnen, mein liebes Kind, und trotz meinen weißen Haaren und meinen Runzeln spart er nicht mit Besuchen bei mir. Deferny,« fügte sie mit einem blitzenden Lächeln voll freundschaftlichen Spottes hinzu, »erinnern Sie sich noch der Zeit, wo Sie mir den Hof machten?«

»Immer vergeblich, teure Freundin«, bemerkte der Herr mit der Limousine und bediente sich mit gefüllten Oliven.

»Werfen Sie mir das nicht vor, denn eben darum sind wir gute Freunde geblieben. Hätte ich Sie erhört, so wären wir uns heute, ganz ohne Frage, nicht nur gleichgültig, nicht nur fremd, sondern wahrscheinlich feind.«

»Wie falsch!«

»Durchaus nicht, mein Lieber, diese Geschichten gehen immer, immer schlecht aus.«

Ich bewunderte die kühle Sachlichkeit, mit der diese Frau von der Liebe sprach, ich bewunderte sie und erging mich zugleich in verzwickten Rechenkünsten, um das Alter des Herrn festzustellen, als Mme. Clère zweifellos meine Gedanken erriet:

»Übrigens waren Sie ein paar Jährchen jünger als ich. Was wäre das später für eine Quelle von Mißverständnissen geworden!«

»Schönen Dank für die ›paar Jährchen‹«, sagte Herr Deferny, mit einem zugleich dankbaren und etwas spöttischen Lächeln.

Ein leiser Wind wiegte die Baumwipfel und die Blätter vor dem strahlenden Hintergrund des Meeres.

Einen Augenblick, Ihr Lieben, stellte ich mir Euch vor, beim Verlassen der Patisserie, über den kotigen Boulevard Saint-Germain stapfend; und wenn mir dabei auch Gewissensbisse kamen, so fühlte ich mich im Augenblick doch noch wohler.

»Ich denke,« sagte ich laut, »daß in diesem Augenblick in Paris Frauen auf nassem Pflaster trippeln, beim Warten auf einen Autobus, der dann unweigerlich das Schild ›Besetzt!‹ zeigt.«

»Ich bin für gewöhnlich eine dieser Frauen«, fügte ich ironisch hinzu, in dem Bestreben nach Aufrichtigkeit, woran wir uns untereinander gewöhnt haben.

»So, Madame,« sagte Deferny, »Sie arbeiten also ... für gewöhnlich? Es hätte nicht den Anschein«, fügte er sofort hinzu.

»Du lieber Gott – das ist kein Kompliment, fürchte ich ...«

»O doch, Madame. Es ist mir gleichgültig, ob eine Frau arbeitet, aber ich liebe es nicht, wenn man es ihr ansieht.«

Ich plusterte mich, sehr beglückt, im Prunk meines ›Rosenholzfarbenen‹ auf. Er schwieg und meinte dann plötzlich nachdenklich:

»Eine hübsche Frau sollte nicht gezwungen sein zu arbeiten. Darin liegt ein Unrecht.«

Ich schob das mit einer kleinen Handbewegung von mir. Ich hatte neunhundert Kilometer zwischen mich und die Korrekturbogen, die zu überarbeitenden Übersetzungen, gebracht.

»Regine ist sehr tapfer«, warf Mme. Clère ein.

Wie sehr sie sich täuscht, die liebe, große Freundin!

Sie fuhr fort:

»In Paris muß eine Frau den Kopf fest auf den Schultern haben ... um ihn nicht zu verlieren. Aber die Kleine hier gehört zu denen.«

»Nun, Madame,« fragte Deferny gutmütig weiter, ohne auf Mme. Clères Worte einzugehen, »Ihre Arbeit erlaubt Ihnen also die Côte d'Azur?«

»O weh! Die Arbeit hat nichts damit zu tun, wohl aber die Perlen.«

Ich erzählte ihm die Geschichte meiner Halskette: er fand sie sehr lustig.

Er sah mich merkwürdig an, und ich las ein Gewühl von Gedanken aus seinem Blick.

Kaum waren wir mit dem Frühstück fertig, da sprach ich von der Heimfahrt. Gott, ja! Drei Züge im Tag ... Wenn ich diesen einen versäumte, blieb mir nur noch der letzte um acht Uhr abends.

»Kümmern Sie sich doch nicht um den Zug«, sagte Deferny. »Ich bringe Sie nach dem Abendessen nach Hause, denn unsere Freundin wird uns gewiß solange behalten wollen: ich kenne den Brauch des Hauses.« Ein Nachmittag, Tee, Abendessen. Endlich, im Augenblick der Abfahrt, sagte Deferny zu Mme. Clère:

»Liebe Freundin, ich erwarte Sie übermorgen zum Tee, bei mir. Der Wagen kommt Sie abholen.«

Der Chauffeur fuhr um halb zehn los.


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