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Liebesfreuden

Regine schlug die Augen auf. Eine Träne, vom Augenlid gehalten, schimmerte im engen Netz der Wimpern. Ihre Schulter, nackt, mattweiß, drückte auf das Kissen wie eine tote, starre Last, wirkte nicht warm, nicht lebendig. So hingestreckt, verriet Regine namenlose Niedergeschlagenheit.

»Hast du geschlafen?«

An dem gezwungenen Lächeln der jungen Frau hätte Fred die Verstellung merken können, die Sehnsucht nach Schweigen und Reglosigkeit.

Auf einen Ellbogen gestützt, das Gesicht ihr zugewandt, fuhr er fort:

»Ich habe dich betrachtet. Du bist sehr schön.«

»Das nützt mir nicht sehr viel, mein armer Freund.«

»Und meine Liebe?«

Sie unterdrückte eine Gebärde, ein Wort der Ernüchterung und wich unmerklich zurück, als er sich näher beugte.

Traurigkeit verschleierte Freds Augen. Sein bitterer Mund hatte ein Zögern, ein Lächeln, formte dann die Worte:

»Wir sind glücklich, Liebste ...«

Sie sah ihn an, in verwundertem Schweigen.

Aufrichtig, verblendet, oder einfach verständnislos?

Litt er nicht an einer Willensschwäche, wie andere an Asthma oder Rheumatismus leiden? Hatte er jemals irgend etwas leidenschaftlich begehrt ? Wie hätte er sie selbst lieben sollen, sie in seinem Leben haben wollen ? Alles, was sie früher einmal an ihm geliebt hatte, seine Überlegenheit, seine geringschätzige Strenge, reizten sie jetzt. Wo war seine Milde, seine Nachsicht? Wenn jetzt Regine eine Ansicht äußerte, die er nicht teilte, dann murmelte er mit unerträglichem Feixen: »Sag' das nicht, meine Liebe, das sind Kleinbürgerideen.«

»Du bist mein Kind.«

Sie unterdrückte ein Achselzucken und haßte ihn für seinen Mangel an Zartgefühl.

Wollte er den Gedanken an Schutz, an Rückhalt wecken? Sie seufzte ungeduldig auf.

Gewiß, die Dinge lagen nicht einfach. Aber hatte er überhaupt einen Versuch gemacht, einen Rahmen für das zu schaffen, was er ihre Liebe nannte?

Hatte er es verstanden, den Zwang in seinem Leben zu verhüllen, Verzeihung dafür zu erwirken, ihn mit Geschick, Zärtlichkeit, Demut, Anerkennung zu verschaffen?

Er hatte nichts als dies gefunden: dieses Hotelzimmer, das ihnen beiden zum Ekel war. Und er fügte noch den ausgesprochenen Mangel an gutem Willen hinzu, eine Besserung zu versuchen.

So rollten in Regines Kopf, klar und unerbittlich, die einzelnen Punkte der Anklage ab. Sie wandte den Blick von Fred, der an ihrer Seite ausgestreckt lag, voll der weichen Eleganz, die einmal so verführerisch geschienen hatte.

Würde er nun eine der Gebärden finden, die die harte Verstrickung der Verbitterung lösen ?

Hätte er sie nun selbstherrlich in die Arme genommen, hätte er sie, nicht einmal zart, an sich gedrückt und ihr gesagt: »Schweig', wehr dich nicht«, so wäre sie ohne Zweifel an der lieben Schulter in Tränen ausgebrochen. Um sich Herz und Seele zu erleichtern, genügt es einer Frau, sich ganz klein zu fühlen in starken Armen, schwach und wehrlos.

Unter Freds Schweigen verbarg sich vielleicht Leid oder Reue; aber Regine fühlte sich dadurch unbewußt gereizt:

»Auf, wir müssen gehen!«

Er hielt sie mit dem Arm zurück und sah nach der Uhr auf dem Nachttisch.

»Hast du Eile?«

»Ich niemals«, sagte sie, von dem Wunsch besessen, ihm eine Lehre zu geben. »Ich sage es deinetwegen, da du doch immer Angst hast, zu spät zu kommen.«

»Heute abend nicht. Meine Frau ist bei ihrer Schwester, in Lyon, seit achtundvierzig Stunden. Ich esse allein zu Nacht.«

»Oh«, sagte sie verblüfft.

Regine stellte sich ihr eigenes Abendessen vor. Heute würde sie den kleinen Rundkäse und den Rollmops nicht auf einem Tellerchen mit Spitzenmuster und mit Silberlöffel angerichtet finden, denn Maguy war ausgegangen. Reine und sie selbst würden ihre Mahlzeit zwischen die zwei Hälften einer Semmel hinbreiten. Sie wagte noch eine Probe, die letzte:

»Nun gut!« – und das Herz schlug ihr so stark, daß ihr beinahe das Wort auf den Lippen erstarb – »du bist allein, ich bin allein. Speisen wir zusammen.«

Eine Welle von Unruhe überlief Freds unentschlossenes Gesicht.

»Es ist unmöglich«, sagte er ohne Härte, in bittendem Ton.

Regines bebende Spannung verschärfte sich. Ihre Pupillen weiteten sich; sie beharrte:

»Ich verlange ja nicht, daß du mich in ein großes Restaurant führst. Aber in diesem Viertel hier werden wir doch wohl eine kleine Kneipe finden.«

»Nein, du weißt gut...«

Er schien Martern zu leiden.

»Um zusammen zu sein ...«

Sie hatte gar keine Lust, mit ihm zusammen zu bleiben; doch spielte sie nicht ihre letzte Karte aus?

»Nein. Morgen wüßte es ganz Paris.«

»Ich glaube, daß du vor dir selbst die Wichtigkeit deiner Handlungen übertreibst«, sagte Regine mit erstickter Stimme.

»Ich kenne sehr viele Leute«, erklärte er ernsthaft.

Dann, als er sah, wie sie sich straffte, eiskalt wurde:

»Sei gut«, bat er und streckte die Hand nach ihr aus. »Du weißt doch, daß ich meine Frau nicht kränken will.«

Sie entzog sich ihm hart:

»Das verlange ich nicht von dir. Aber bist du nicht frei?«

»Es ist meine Frau.«

»So wird es also immer, immer so sein?«

Zweifellos empfand Frédéric in diesem Augenblick zuinnerst Pein und Angst. Regine glaubte den Widerschein davon in dem unklaren Spiegel der grauen Augen zu sehen. Doch eine böse Laune legte Frédéric die Worte auf die Zunge, die er nie hätte sagen dürfen. Sein Ton wurde spitz und spöttisch:

»Du wirst dich daran gewöhnen müssen ...«

»Und gerade dazu habe ich nicht die geringste Lust«, brach sie los.

Sie richtete sich wütend auf und fügte, als er sie zurückzuhalten suchte, hinzu:

»Laß mich.«

Sie mußte, um auf den Teppich zu gelangen, über Fréderic wegsteigen; mit einem ungekannten Gefühl der Scham nahm sie ihre Wäsche von dem Lehnstuhl, wo sie sie abgelegt hatte, und verschwand hinter dem Vorhang um den Waschtisch.

Ihre Hände zitterten. Sie bekleidete ungeschickt ihre Schultern, ihre Hüften und streifte nervös die hellen Seidenstrümpfe über ihre langen Amazonenbeine.

Als sie aus ihrem lächerlichen Schlupfwinkel heraustrat, war Fred eben stumm dabei, sich anzukleiden; er zog die Hose an und knöpfte die Träger fest.

»Widerwärtig!« dachte sie.

Er richtete auf sie einen Blick voller Fragen, sie aber zeigte ihm nur ein Gesicht, das von Stolz und Zorn gefärbt war.

Er ging hinter ihr die Treppen hinunter, im peinlichen Gefühl einer Niederlage.

»Ich bringe dich nach Hause«, meinte er mit einer Bewegung nach einem Taxi hin.

»Nein, nein.«

Sie war am Ende ihrer Widerstandskraft. Er sah sie auf die Treppe der Untergrundbahn zulaufen.

Mit dem großen bunten Schal um den Hals und dem wiegenden Gang erinnerte sie an eine der kühnen Amazonen aus einem kalifornischen Film.

Er begriff, daß er sie verloren hatte, und dachte daran, sie auf dem Bahnsteig einzuholen.

»Ich kann aber doch nicht hinter ihr herlaufen,« sagte er sich entsetzt, »man könnte uns begegnen. Was tun ? ... Ich werde ihr schreiben.«


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