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1. Kapitel

Seegespenst

Das Treffen war ebenso überraschend wie heiß und blutig gewesen. Aus der dicken Nebelwand, die überm Nordermeer lastete, als ob sie alle Sturmesschrecken der vergangenen Nacht verhüllen wollte, war plötzlich lautlos und gespenstisch die feindliche Kogge aufgetaucht. Fast hätten beide Schiffe einander gerammt. Hüben wie drüben standen die schattenhaft aus den Dunst auftauchenden Männer sekundenlang verblüfft, ehe sie zu den Waffen griffen. Dann aber hatte Harald blitzschnell seinen Entschluß gefaßt. Ein hochbordiges Kampfschiff, mit Wurfgeschützen gut ausgerüstet, ohne Wimpel und Erkennungszeichen! Seeräuber! Durch die gnadenreiche Fügung der heiligen Jungfrau ihm geradenwegs ins Netz gegangen! Seeräuber, die verrufenste Plage, die am wütendsten gehaßte Pest; Galgenvögel, die den nach England, Dänemark, Norweg segelnden Kauffahrern überall auflauerten, die Küstendörfer überfielen und verbrannten, von Jahr zu Jahr frecher wurden und selbst davor nicht mehr zurückscheuten, umwallte Städte anzugreifen. Seeräuber! Ihretwegen kreuzte Harald mit seinen Getreuen nun fast zwei Jahre lang auf der Flut, und manchen Mordgesellen hatte er an die Rahe knüpfen lassen. Hatte auch manchmal hart um den Sieg ringen, ja des öfteren zornknirschend von der übermächtigen Beute ablassen müssen ... Hell hallten seine Befehle über Deck. Die da drüben, das erkannte er auf den ersten Blick, waren keine Milchbärte und Zärtlinge, sondern aufs Äußerste gefaßt wie sie. Während des Butenspälers Bug von dem Fremden nicht mehr abließ und vom Oberdeck die Enterhaken niedersausten, schickten die Angegriffenen schon Pfeile aus den Armbrüsten her und brachten ihre auf dem Mitteldeck drohenden Bliden in Stellung. Aber Harald war schneller. Er als Erster auf dem Räuberschiff – wie durfte da einer seiner wackeren zurückbleiben! Rasendes Gemetzel hob an, verzweifeltes Ringen; Siegs- und Todesgeschrei quoll aus dem grauen Dampf. Niemand konnte mehr als zwei Schritte vor sich sehen, doch den Feind sah jeder vor sich, den Feind witterten und trafen sie. Auf den von übergeflutetem Wasser und Blut glatten Planken wütete die Dämonenschlacht. Dann brüllte lauter das »Her, Her!« der Bardowiecker, wurden die Gegenrufe schwächer. Nach einer halben Stunde war alles vorüber. Alle Widersacher erschlagen! Nur zwei hatten sich überwältigen und binden lassen, zwei, deren Leben jetzt allerdings keinen Pfifferling mehr wert war.

Während der Nebel allmählich lichter ward und dann und wann schon ein fahler Sonnenstrahl durchs Gewölk brach, glitt der Butenspäler, das eroberte Schiff im Gefolge, sacht seines Weges weiter. Harald hatte einen Teil der Mannschaft zu Aufräumungsarbeiten hinübergeschickt; der andere rastete singend und schwatzend, sich mit derben Seemannsspäßen vergnügend oder seine Wunden verbindend, vom Siege. »Wenn wir sie gehenkt haben, verschlemmen wir das letzte Faß Lübecker Bier!« johlte einer. »Und dann heute abend Schifferjahrmarkt in Helgoland!«

»Der Kaptein ist kein Spielverderber,« grunzte Schwarz-Märten. »Und der tolle Heini schon gar nicht.«

Immer rascher verschwand das Grau. Schon lugten breite Fetzen des blauen Oktoberhimmels hindurch, Silberlicht fraß die wehenden Schwaden. Und leise plätschernd trieb die Kogge auf ruhiger Dünung daher. Das war, nach wilder Blutarbeit, doch ein lustigeres Fahren als in der Nacht, wo die Wolken bis auf den weißen Kamm der schwarzen wogen niedergehangen, die Wellenungeheuer, ein wandelndes Gebirg, immer wieder den Butenspäler überfallen, auf und nieder gefegt und in Donnerböen zu begraben getrachtet hatten ... Ohne den jungen Kapitän an Bord, dessen Strahlenaugen die erbarmungslose, tückische Finsternis herrisch durchdrangen und all die Ungetüme des Südweststurmes abzufangen schienen, wo würden sie heute vielleicht schon treiben, Mann und Boot? erinnerte sich Jürgen. »Ich mein', er hat den Mast gebannt, der schon über Bord krachen wollte!« »Fixer Bursch!« brummelte Oll Kai. »Bereu's nicht, mit ihm gegangen zu sein! Alle Heiligen sind in seinem Bund.«

»Und alle Teufel!« Jürgen bekreuzigte sich rasch. »Werd' mich doch freuen, diese Nacht wieder einmal in 'ner richtigen Bettstatt zu liegen!«

»Ach was, Bettstatt! Heute Nacht müssen die Kranen laufen und die Mädel singen, bis die verschlafenen Hähne davon wach werden!« schrie der magere Höpker, sprang auf und schoß vor Übermut Kobolz.

Im raumen Südost, der nun praller die Segel füllte, machte die Kogge weidlich gute Fahrt. Was focht es sie an, schleifendes Gewölk, Sturmraserei, Nebel oder sonndurchfunkeltes Wellengetändel im Schiebewind? Vorwärts, vorwärts! Grimmige, lustige Jagd!

Man sah es ihren Eichenbohlen an, daß sie durch harte Wetter und Gefahren gelaufen war; hier und da zeigte die Schanzverkleidung spuren sorgsam ausgebesserter Schäden, an denen nicht allein die Nordseestürme schuld gewesen sein konnten. Recht wie ein alter Landsknecht des Meeres, mit zerbeulter Rüstung, mit hundert Schrammen und Narben auf dem wetterharten Körper, zog der Butenspäler seine Bahn. Und wie arg mitgenommen er immer sein mochte: Wohin der Blick fiel, gleißte es doch von Sauberkeit. Man erkannte schon so: Hier hauste unter fester Führung braves, niederdeutsches Schiffsvolk.

»Recht hat der Jürgen, 's wird Zeit, daß wir wieder einmal festen Boden unter die Füße kriegen,« lachte der braune Gesell, der es sich neben dem Steuer bequem gemacht hatte und seinem träg im Sonnenschein blinzelnd, abgezehrten Hund das Ohrgehänge kraute und über den häßlichen dichten, das ganze Gesicht verdeckenden Bart strich. »Lauf Helgoland rasch an! Mich gelüstet es unbändig danach, den Mönch in diesem Wunderlicht zu malen.«

»Wahrscheinlich gelüstet es dich viel unbändiger danach, in der Schenke »Zum Mönchen« ein Dutzend Töpfe Dickbier zu trinken,« entgegnete heiteren Mundes der am Steuer, Harald, der Kapitän. Ein hochgewachsener, straffer Jüngling im Blondhaar, dessen Strähnen der Wind ihm über die breite Stirne warf; mit stolzen blauen Augensternen, die sich vor keiner Sonne und keinem Gewitterblitz senkten und verbargen. »Immerhin, ein paar Tage der Rast werden uns gut tun. Der Handel vorhin und das Gerauf mit den Dieben auf Sylt hat doch mehr Blut gekostet, als sich auf diesen Bohlen so rasch ergänzen läßt.« Mit halbem Lächeln blickte er dabei auf seinen linken Arm. »Der heiligen Jungfrau sei Lob und Dank, der Riß hindert mich wenigstens nicht beim Steuern.«

Mit gutgespielter Gleichgültigkeit schaute der Maler von seinem Hunde fort, zu ihm auf. »Schließlich bringt uns ja auch jeder Tag der Heimat näher, ganz gleich, wohin wir fahren,« meinte er dann beiläufig. »Ich habe es mir ausgerechnet, Harald, vier Tage weniger als drei Monate und fünf Jahre, dann bist du in Bardowieck wieder willkommen.«

Über Haralds noch eben frohes Antlitz rann ein Schatten, »wir werden zeitig genug davon sprechen können, Heini,« warf er abwehrend hin. »Zeitig genug werde ich mit Matthias Holk abzurechnen haben.«

»Und mit seiner schönen Tochter!« spottete Heini Hoyer gutmütig. »Wahrhaftig, du solltest dir endlich deinen Plan zurechtlegen! Zwei Sommer lang kreuzen wir nun auf diesem unwirtlichen Teich herum, immer in Sturmesnot – Trutz, blanker Hans! – immer im Kampf mit Seeteufeln, Räubern und widerhaarigem Inselgezücht. Gottes Zorn – ich meine, das bißchen Krawall, das wir damals in dem großen Krämernest gemacht haben, ist nun reichlich gesühnt. Wohl könnten sie jetzt die Wartezeit verkürzen. Sieben Jahre des Exils sind zu lang. Du hast den Pakt bisher wie ein echter Königssohn gehalten, das muß dir selbst Rolf Ebelingk zugestehen. Und ich denke, wenn wir erst wieder im krummen Saladin hocken, wirst du nicht mehr an Aufruhr denken und dich nicht mehr um den Pöbel kümmern, der dich so jämmerlich im Stich gelassen hat.«

»Mich läßt niemand im Stich, solange mich mein Glaube und meine Liebe nicht im Stich lassen,« gab Harald selbstsicher zurück.

»Ja, die Liebe!« wiederholte Heini, ihn absichtlich nicht verstehend und mit einem Lächeln in den tiefen Maleraugen. »Maria harrt deiner, Harald! Wird sie volle sieben Jahre harrend vertrauern wollen?«

Der am Steuer antwortete nicht. Sein Blick glitt verträumt in die blaudunstige Ferne.

»Eine allzu harte Strafe war's, die sie uns aufgehängt haben,« fuhr Heini Hoyer fort, »und eine gewagte Strafe, dir, dem Löwenjungen, die Stadt zu verbieten, die deinem Vater alles verdankt, die Stadt, die er dir als Erbe und Eigentum versprochen hat! Noch heute erbost es mich, wessen diese übermütigen Pfeffersäcke sich unterfingen.«

»Sei heilfroh, daß du bei der Gelegenheit dem Freiknecht entgangen bist,« gab Harald zurück. »Meiner Treu, der Rat hat so unrecht nicht gehandelt, wer wie ich freventlich Stadtrecht und Landsatzung brach, mußte billige Strafe für den Aufruhr in Ergebung hinnehmen, sie ist leichter ausgefallen, als es den meisten Ratsherren lieb war. Und dir, Heini, steht ja die Rückkehr frei. Du bist ja nur mitgelaufen, wie du immer mit mir läufst.«

Der Maler fuhr seinem Hund so derb übers Fell, daß er laut aufheulte, »Steht dir gut, die Büßermiene und die Versöhnungspredigt,« bemerkte er dann anerkennend. »Und wenn ich nicht wüßte, daß Matthias Holk mit dir einen Freundschaftsvertrag geschlossen hat, um dich in Güte aus der Stadt herauszubringen, und wenn ich nicht wüßte, daß dir zum Lohn für deinen Gehorsam die allerschönste Jungfrau im Norden zuteil werden soll, dann erkennt' ich jetzt den unbeugsamen Prinzen Harald nicht wieder.«

»Schwatz nur,« entgegnete der, sichtlich wieder aufgeheitert, »so oder so, wir haben es uns diese Monate in Wind und Wetter rechtschaffen schwer werden lassen. Ein Winterquartier in Bardowieck für dich und den Zinnober ist schon im voraus reich bezahlt. Bequem haben solltet ihrs in der Kaufherrenstadt, ging's nach mir.« Und während er mit der Rechten das Steuer weiter festhielt, streckte er dem Freunde die verwundete Linke entgegen.

Heini sprang auf, um sie behutsam zu drücken, und der Hund Zinnober kreischte vor Vergnügen. »Mein Freund und Fürst,« sagte der Maler stolz, »ohne dich sieht uns Bardowieck nicht wieder. Ob wir beide, der Zinnober und ich, noch lange bei dir bleiben werden, das weiß ich nicht. Der Meer ist nichts für uns, der Bursch wird mir beim Labskau gar zu mager. Aber das weiß ich: Diese Monate auf dem Blanken Hans, in Einsamkeit und Gottesfurcht, die haben mir erst gezeigt, welch ein Freund du mir bist. Nicht in Bardowieck, erst hier auf der flutenden See habe ich dein liebes, großes Herz ganz erkannt. Aber hüte dein liebes Herz! Wehe dir, wenn dein unerschütterliches Vertrauen auf die Menschen einmal Schiffbruch leiden muß! Indessen, wie unsere Wege drum auch verlaufen – bis zum letzten Tage meines Wanderlebens werde ich von diesen Tagen mit dir zehren und leben.«

Der Kapitän schien nicht auf ihn zu hören. Die Augen mit der mühsam erhobenen Linken vor dem anflutenden Sonnenlicht und der Wasserspiegelung schützend, starrte er angestrengt in die Weite. Das Wetter war so sichtig geworden wie an einem Maimorgen, über Meilen schien der Blick fortdringen zu können. Plötzlich strafften sich Haralds Züge noch mehr. »Es kann kein Mittagsspuk sein,« rief er. »Was siehst du scharf Nord-Nord-West?«

Heini war aufgesprungen und suchte den Blicken Haralds zu folgen. Auch der kreuzlahme Zinnober, der jeden Sonnenstrahl behaglich auskostete, torkelte empor und tat, als wittere er Ungeheures.

»Meine Augen reichen nicht so weit wie die deinigen,« stellte Heini achselzuckend fest.

»Seltsam! seltsam!« Harald rang mit der Entfernung, ihr das Geheimnis zu entreißen. »Ich sehe schwarze Striche auf dem Wasser, zwanzig, dreißig, Vielleicht mehr. Heini, da hinten segelt eine gewaltige Flotte heran!«

»Seegespenst! Der Kampf hat auch dich erschüttert, du mutest dir zu viel zu. Leg dich ein paar Stunden aufs Ohr und laß einen anderen ans Steuer!«

»Seit zwei Jahren bin ich hier oben nicht so nötig gewesen wie in dieser Stunde,« erwiderte Harald, kein Auge von der befremdlichen Erscheinung lassend, die allen anderen, auch dem Mann im Ausguck entgangen war. »Timm und Kai, holt mir sofort die Gefangenen herauf!«

Die blutbefleckten Gebundenen wurden herbeigeschleppt. Trotzig und unerschüttert standen sie vor ihrem Richter.

»Macht euch zum Sterben bereit! Wenn ihr aber vorher euer Gewissen erleichtern und Buße tun wollt – ein Seemannsgebet soll euch gestattet sein.«

»Seit wann treiben Räuber solche Unbill mit ehrlichen Kriegsknechten?« tönte die Antwort zurück.

Harald lachte. »Reinecke Fuchs mag so dreist lügen, wie er will; diesmal entrinnt er dem Strick nicht. Daß wir keine Räuber sind, siehst du an der Flagge, wir stehen im Dienst des Rates von Bardowieck. Aber ihr, wo ist euer Fähnlein? Daß ihr den roten Lappen nicht am Heck führt, will wenig bedeuten.«

Die beiden Gefangenen tauschten einen Blick des Einverständnisses aus. Dann machte der ältere trotz seiner gebundenen Füße einen kurzen Schritt auf Harald zu. »Laß mich mit dir allein sprechen, Herr!« Auf einen Wink Haralds trat die versammelte Gemeinschaft zurück.

»Was ist's?«

»Wir sind keine Seeräuber, Herr, wir sind ehrliche Kriegsknechte, wie dir mein Kamerad gesagt hat. Daß wir ohne Flagge fahren, ist Befehl des Herzogs.«

»Des Herzogs?« Harald fuhr auf. »Wo kommt ihr her?«

»Wir kommen von vierzig Schiffen her, die uns folgen,« entgegnete der Gefangene, wir sind einer der Vorposten. Hinter uns zieht Herzog Heinrichs gewaltige Macht.« Er hatte die Worte so leise geflüstert, daß ihn niemand sonst verstehen konnte. Er senkte die Stimme jetzt noch mehr. »Ich glaube dich zu erkennen, Herr. Erzählte man doch schon lange drüben in England von deinen Fahrten auf der See. Weiß doch jeder bei uns, wer du bist, mein Prinz!«

»Wer hat dir gesagt –«

»Ein Jammer, daß wir so heiß aneinandergeraten sind! wo uns gemessener Befehl erteilt worden ist, dich mit den höchsten fürstlichen Ehren zu geleiten, wenn wir dich fänden. Aber du ließest uns ja nicht zur Besinnung kommen.«

Harald rief seine Leute heran. »Löst ihnen die Fesseln!« befahl er. »Wir hätten uns, meiner Treu, mit ihnen unterhalten sollen, ehe wir alle ihre Kameraden totschlugen. Doch des war der Nebel schuld, und daß ihr ohne Flagge fuhrt, und die Wetternacht, die uns noch in den Knochen steckte. Nichts für ungut! Und eure Brüder sind wie Männer gestorben.«

Ein Lächeln der Dankbarkeit erhellte die rauhen Gesichter der Gefangenen. Behaglich reckten und streckten sie die steifgewordenen Glieder.

»So steht dem Herzog auch ein Landheer bereit?« fragte Harald.

»Holsaten, Stormarn, Polaten in hellen Haufen.«

»Und wohin geht sein Zug?«

Sie grinsten verlegen. »Es ist sein Geheimnis, Herr.«

Harald stand versonnen.

»Ich denke, ihr bleibt jetzt bei mir,« meinte er dann.

»Solange du willst,« erwiderten sie fröhlich. »Nur sorge dafür, daß Herzog Heinrich uns die Schuld, mit seinem Sohn gekämpft zu haben und von ihm am Kragen gepackt worden zu sein, nicht allzu hoch ankreidet.«

»Aufentern! Beidrehen!« klang in ihre Rede hinein Haralds Kommando. Gleichzeitig riß er das Steuer herum.

Die Mannschaft stand wie vor den Kopf geschlagen, »Was ist geschehen? was soll's?« ging fassungsloses Gemurmel um.

»Er hat den Klabautermann gesehen!« flüsterte Jürgen, sich bekreuzigend. »Er hat den hellen Blick.«

»Aufentern! Wir drehen bei!« wiederholte Harald, und schon gehorchten die Matrosen seinem Befehl. Klatschend flatterten die Segel, das Fahrzeug, vom Druck der Wellen erfaßt, wendete und lief die Bahn zurück. Auf der eroberten Kogge folgte man rasch dem Beispiel des Führerschiffs.

»Lebe wohl, Helgoland!« murrte einer oder der andere, sie hatten es sich zu schön gedacht, einen Abend oder zwei bei Bier und Tanz in ungehemmter, wilder Lustigkeit zu vergeuden. Aber seit langem daran gewöhnt, jedem Wink des Kapitäns unbedingt zu gehorchen, fügten sie sich auch jetzt mit Eifer und Beflissenheit seinem Willen.

»Was planst du?« fragte erstaunt und betroffen wie die anderen, Heini.

»Ich muß die Stadt retten. Der Tod zieht wieder sie heran. Das Seegespenst warnt.«

Wieder wallten über die See, die bis jetzt smaragdschimmernd im Sonnenglanze dagelegen hatte, leichte Nebel. Das Tagesgestirn kroch hinter Gewölk zurück, Schleier verhüllten die eben noch so klare Fernsicht, von der Flotte des Herzogs war nichts mehr zu erspähen.

»Wo willst du hin?« fragte der Maler nach einer Weile.

»Heim.«

»Zu den Krämern? Und fliehst vor deinem Vater? Bietest deinem Vater Fehde, fällst ihm in den Arm, den Krämern zuliebe?« Heini stand verdutzt.

»Mein Vater? Der Vater des Bastards! Was ist mir mein Vater? Ich weiß nur, daß meine unglückliche Mutter gestorben ist, als sie mich gebar, gestorben durch seine Schuld; ich weiß nur, daß mich Bardowieck großgezogen hat, und daß ich die freie Stadt liebe, trotz allem, und nie ihrer Freiheit Mörder sein werde. Ich hab's mir gelobt, und ich werde meinen Schwur halten, wie Matthias Holt sein Versprechen halten wird, Treue um Treue!«

Heini schüttelte den Kopf. »Es wird ein Kampf auf Leben und Tod. Endlich naht der Rachetag für den gewaltigen Löwen, sein erster Sprung gilt, das ist gewiß, der Stadt, die ihn beschimpfte und verhöhnte, als er im Elend war, die ihm, als er vor ihren Toren um Unterstützung gegen Friedrich Rotbart und den Fürstenbund flehte, einen räudigen Hund schicken ließ. Jetzt ist sein Weg frei. Jetzt hüte dich, ewiges Bardowieck! Und nun willst du, Herzog Heinrichs Sohn, der Stadt zu Hilfe eilen, willst sie warnen? Ergreifst ihre Partei, gegen den Vater? Wo es um deine eigene Krone geht?«

»Die Krone von Bardowieck! Hältst du mich wirklich für so klein, daß ich mich eines Krönchens wegen beflecke und mir selber abtrünnig werde? Auch kämpfe ich nicht gegen Heinrich. Doch ebensowenig will ich zum Verräter an denen werden, die mir dies Schiff anvertraut haben, wie ich es von ihnen empfing, so liefere ich es ihnen ab. Es sei denn, daß Sturm oder Feinde es vorher vernichteten. Aber Sturm und Feind haben keine Gewalt über mich, und so empfängt der Rat sein Eigentum wieder, empfängt es« – Harald deutete auf die gekaperte Kogge – »mit Zins zurück.«

»Wo gedenkst du an Land zu gehen?«

Harald hob das Haupt: »Im Hafen von Bardowieck.«

»In Bardowieck? Noch ist die Zeit deiner Verbannung nicht abgelaufen. Noch darfst du die Stadt nicht betreten. Noch lange nicht. Erst wenn sieben Jahre herum sind, ist es dir erlaubt, wieder durchs Tor bei St. Fabian einzuziehen.«

»Über der wichtigen Kunde, die ich ihnen zu bringen habe, werden die Ratsherren meine Eigenmächtigkeit vergessen.«

»Täusche dich nicht so abgrundtief in ihnen!« warnte Heini Hoyer. »Sie haben dir nicht verziehen, was du ihnen angetan hast, sie werden es dir niemals verzeihen. Nur so lange du nicht in der Stadt weilst, sind sie ihrer Herrschaft sicher. Denn so lange wagen die Gilden nicht, sich zu rühren, denkt keiner an Widerspruch oder gar Empörung. Schreitest du aber erst wieder durch die Gassen, du, des Herzogs Kind, du, der Herr der Zukunft – meinst du, daß dann die Leute am Hafen, die Handwerker in ihren Werkstuben, alle Armut in den erbärmlichen Lehmhütten schafsgeduldig weiter zusehen wird, wie die Geschlechter es sich in prunkenden Häusern wohl sein lassen? Harald, du kennst die Holk und Ebelingk schlecht, wenn du meinst, sie sähen je in dir etwas anderes als den verwogenen Führer des Aufstandes, den vergötterten Liebling aller Rechtlosen und Hungrigen in Bardowieck. Mit List haben sie dich, als unser Anschlag mißlungen war, aus der Stadt zu entfernen verstanden. Lieber noch hätten sie dich dem Henker überliefert, nur fürchteten sie damals Herzog Heinrichs Rache. Du tatest ihnen den Gefallen, nahmst das Verbannungsurteil an, wurdest für sie der Hüter der Nordsee. Nun, ich kenne ja den Preis. Aber laß dich nicht um den Preis prellen!«

»Du willst mich zum Handelsmann machen. Darum verleumdest du sie.«

»Du schätzest Handelsleute nach dir ein. Missest alle Menschen mit deinem Maß. Und wirst jammervoll betrogen werden.«

Wie leichte Röte schien es in Haralds braune Stirn zu steigen. »Und wir fahren doch nach Bardowieck! entschied er. »Die Stadt schwebt in dringender, fürchterlicher Gefahr. Jene Schiffe, die hinter uns her sind, stellen sicherlich noch bei weitem nicht Herzog Heinrichs gesamte Macht dar. Er hat zu furchtbaren Schlägen gerüstet, er wird, nun Friedrich Rotbart im heiligen Lande weilt, sein verlorenes Reich wieder erobern wollen und die Eisenfaust auf alle niedersausen lassen, die seiner im Unglück gespottet haben. Darin gebe ich dir vollauf recht. Aber ist just darum nicht jede Stunde kostbar? Willst du, daß man dich und mich als Judasse anspeit? Dich und mich, die diese Wacht auf dem Meer freiwillig übernommen haben, wenn sie auch an harte Bedingungen geknüpft worden ist? Wir wollen die Stirn hoch tragen dürfen in Bardowieck.«

»Und dann ausgelacht werden.«

»Du verachtest die Menschen und traust nur deinem Hund. Darum erniedrigst du sie unter den Hund.«

Heini pfiff ein Lied vor sich hin.

»Maria muß in diesen beiden Jahren ein Wunder ohnegleichen geworden sein,« meinte er dann plötzlich, »Wie blühte und leuchtete sie, als Matthias Holk uns aus der Stadt aufs Meer wies! Ach, Harald, im Opalgefunkel am Horizont, auf den weißen Höhen der grünschwarzen Sturmwasser, im stillen Blau der Watten – wie haben wir drei, Zinnober, du und ich, da an Maria gedacht! Immer nur ihr märchenschönes Bild gesehen!«

»Schweig doch!« verwies ihn Harald verlegen.

»Freilich dachtest du anders als wir an sie, sahst ein anderes Bild. Was mich anbetrifft, so züngelt mein Ehrgeiz nur nach dem Ziel, meine Dom-Madonna noch einmal zu malen, jetzt als Madonna auf Goldgrund. Hoffentlich gibt ihr Vater das Gold dazu her. Es wird mein bestes Gemälde werden, Bruder Harald; durch die Unendlichkeiten wird es meinen Namen flammen machen, das schwöre ich dir. Aber nicht wahr, mit solchen Künstlerträumen hast du dich nicht abgegeben? Du willst nicht nur das schöne Bild, du sehnst dich nach dem schönen Weibe ... Doch im Ernst gesprochen, glaubst du nicht, daß es besser ist, wir landen oben an der Elbmündung und schicken von dort einen Boten mit der wichtigen Kunde nach Bardowieck? Wenn sie uns in ihren Mauern haben wollen, bedarf es ja dann nur eines Wortes. Ziehen wir dagegen ohne des Rates Erlaubnis in die Stadt, dann bist du ihrem Gesetz verfallen. Um mich und die anderen, das weiß St. Dionys, ist es nicht schade; wenn Krämertücke und Krämerrachsucht jedoch dich zu Boden streckten, mein Prinz, gerade jetzt, wo dein Stern hell aufgeht – es wär' ein Jammer wie keiner in der Welt. Laß uns abwarten, Harald, was die Tage bringen, fasse nicht heut schon einen unwiderruflichen Entschluß! Entscheide dich nicht heute schon zwischen deinem Vater und Maria Holk.«

Harald blickte an ihm vorbei, als höre er ihn nicht, »wir fahren die Elbe hinauf, wir fahren die Ilmenau hinauf, wir fahren nach Bardowieck!« jauchzte er dann dem Südost entgegen. »Ich lasse dich, Nordsee, so wild du drob auch zürnen magst! Trutz, blanker Hans! Ich will in die Heimat!«


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