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10. Kapitel

Vater und Sohn

Werden wir bis ans Ende der Welt reiten?« ärgerte sich Schwarz-Märten, als der zweite Abend auf die Erde niederzusinken begann. »Oder haben wir den Weg verloren?«

Jürgen tätschelte seinen Gaul. »Daß wir auf dem rechten Wege sind, dafür zeugen uns die flüchtigen Bauern genügsam, die sich vor ihrem Herrn und Herzog davon machen,« meinte er und wies mit dem Daumen hinter sich. Im Nebelgewölk verschwand eine lange, rossenbespannte Wagenkarawane, die das Hab und Gut von schweifendem Kriegsvolk aufgescheuchter Landsassen davontrug. »Der Kapitän führt uns nicht irre. Der weiß hier so gut Bescheid wie auf der Elbe und dem Blanken Hans.«

»Schwarz-Märten macht der Ritt Beschwer,« erklärte Höpker. »Mit seinem Bäuchlein und seinen fetten Schenkeln, da sitzt sich's auf dem Butenspäler bequemer als auf der Schindmähre.«

»Allen Heiligen Dank, daß ich nicht so ein trockener Windhund bin wie du,« gab Schwarz-Märten bissig zurück. »Aber das will ich schon eingestehen: lieber zur See ersaufen, als in diesem feuchten Sande langsam verdursten.« Sie trotteten auf federndem Pfad an einem gedehnten Tümpel hin, den niedriges Buschwerk umkränzte; nur eine gewaltige alte Weide hob auf stämmigem Rumpf den dicken Kopf, ihre langen, nun entlaubten Zweige weit von sich streckend. »Ein gutes Zeichen, daß wir bald den Herzog zu Gesicht bekommen!« prophezeite Höpker, der solcher Dinge wohl kundig war. »Seht, wie sich alles Ufergebüsch vor ihr neigt und das dunkle Wasser ehrfürchtig still liegt!«

»Kein Blatt mehr auf den kahlen Ästen, 's ist Winter geworden für deinen Weidenherzog!« spottete Schwarz-Märten.

»Hab' nur Geduld, im Frühling schießt er gewaltig aus! Und mir dünkt, sein Frühling steht nahe bevor, sein Frühling, der diesem Lande und unserer lieben Stadt viele Ruten bringen wird.«

Aus der endlosen Ebene, deren regennasse Erika grau und hoffnungslos das finstere Gewölk widerzuspiegeln schien, hob sich die undeutliche Straße zu eichengekrönter Höhe empor. Plötzlich griffen die ermüdeten Gäule mutiger aus. Fröhliches Wiehern erscholl, »sie haben Witterung!« schmunzelte Jörg. »Paßt auf, der Herzog ist nicht mehr weit!«

»Hoffentlich hat er dem verlorenen Sohne Harald bereits ein Kalb schlachten lassen!« spekulierte Schwarz-Märten. »In Eggersdorf bei den Ratsbauern war's meinem Magen gar zu dürftig, er schreit nach einem herzoglichen Braten!«

Wie sie, Harald an der Spitze, den Hügel erklommen hatten, sahen sie vor sich Wachtfeuer durch die abendlichen Dämpfe leuchten. Und hinter den gewaltigen Eichen sprangen Pikenträger hervor. Einer fiel dem Führer in die Zügel; Harald schob ihn, sich in den Steigbügeln hebend, herrisch zurück.

»Bist du des Herzogs? So geleite mich zu ihm.« Und er nannte seinen Namen.

Der Knecht stieß den Schaft der Waffe grüßend auf die Erde. »Ihr naht mit Macht, Herr!«

»Nicht mit größerer, Freund, als nötig ist, um eine Räuberbande von Kaufmannsgut fernzuhalten und einen Grobian gute Sitten zu lehren.«

»Ihr kommt von Bardowieck, man sieht's den wohlgenährten Gäulen und Mannen an.«

»O weh,« mischte sich Höpker vorlaut ein. »Da bist du schwach auf den Augen, oder treibst losen Spott mit mir.«

»Solcher Kerle wie wir gibt es zwanzigtausend in Bardowieck, unzählbar viele, wie Nebukadnezars Heer!« grinste Jörg. »Bandelt nicht mit uns an!«

»So führt mich zum Herzog,« schnitt Harald die Neckereien ab. »Ich bringe ihm wichtige Botschaft.« Schon hatte sich, von allen Seiten herbeieilend, zahlreiches reisiges Volk um sie versammelt. Ein Geharnischter sprengte daher, ließ sich von den Knechten berichten, sorgte mit kurzem Befehl dafür, daß Haralds Gefolgschaft gut untergebracht wurde, und geleitete ihn ins Lager hinein. »Euch die Augen zu verbinden, tut nicht not,« sagte er voll Höflichkeit. »Seid uns als Freund willkommen!«

Nicht lange, so wartete Harald im herzoglichen Zelte des Vaters. Des Vaters, den er heut zum erstenmal in seinem Leben sehen würde! Des Gewaltigen, von dem sie überall im Reiche sangen und sagten, der groß und trotzig gewesen war wie keiner, dem Kaiser die Heeresfolge nach Welschland verweigert und des Kaisers schimpfliche Niederlage verschuldet hatte! Der mächtigste Fürst im Norden, der sich ein neues Reich gründen, stolz in Unabhängigkeit thronen wollte und nun herabgestoßen war vom Hochsitz, in den Spott und Schimpf der Verbannung! Die übermütigen Kaufherren, unter denen Harald aufgewachsen war, hatten immer nur Hohn für die unersättliche Ländergier des gekrönten Feindes gehabt, dem die weiten Gebiete zwischen Weser und Elbe, dem auch Bayerns Reichtum nicht genügte, nein, der verwegen hinausgriff in unbekannte Fernen, die askanische Mark von Norden her umklammern, die Wendenfürsten in Mecklenburg und Pommern, selbst die sagenumwobene, gespenstische Bernsteinküste seinem Herrscherwillen unterwerfen wollte! Wenn sie ihn im Hause der Holk schmähten, mit uneingestandener, heimlicher Furcht, die Goldschürfer den Welteroberer, dann hatte der Knabe mit schauerndem Entzücken gelauscht und aus ihren Scheltreden immer nur den Ruhm des Ragenden herausgehört. Die Stunde herbeigesehnt, wo er es dem Vater gleich tun könnte, ein rechter Sohn des Löwen ... Die Jahre waren verrollt, gleichmäßig rann der Sand aus der Uhr, und andere, göttlichere Träume füllten heute Haralds Herz. Für sie den Vater zu gewinnen, welche Aufgabe! An seiner Hand, gestützt auf seine Reisigen, zu verwirklichen, was er dem Heiland gelobt hatte, welch eine Tat! Aller Cäsaren Ruhm würde, aller Sternenglanz der Geschichte vor ihr verblassen!

Der Teppich überm Zelteingang flog zurück, der Herzog war gekommen. Nur undeutlich ließ das trübe Licht einer Kerze die ehernen Züge erkennen, die breite Stirn, die Adlernase, das wuchtende Kinn. Schon lag Eis des Alters im Haare, aber die blauen Augen sandten noch immer den Königsblick, der sich vor Friedrich Rotbart nicht gesenkt, der Judith Holks Mädchenherz im Sturm genommen hatte.

»Deine Mutter! Du ähnelst ihr,« sagte der Herzog versonnen.

»Sie meinen in Bardowieck, noch mehr ähnele ich Euch, mein Vater!« erwiderte Harald.

»Kennen die Krämer mich so gut, und dich?«

»Ich bringe Botschaft von ihnen –«

Heinrich hob die Hand. »So bist du ihnen eng befreundet.«

»Sie waren die einzigen, mein Vater, die sich um meine Kindheit sorgten.«

»Und zeigten nicht übel Lust, dein Lichtlein auszublasen.«

»Weil ich ihnen als Feind entgegentrat.«

»Ein eng befreundeter Feind, also.«

»Dem Feinde Feind, mein Vater, des Freundes Freund.«

»Hast brav disputieren gelernt beim alten Iso. Bist aber auch der gewesen, der mir meine Kogge kaperte auf der Nordsee.«

»Sie griff mich an. Da vernichtete ich sie.«

»Und alle meine Leute getötet?«

»Zwei ließen sich greifen. Ohne ihre Schuld.«

»Hast du sie mir wieder gebracht?«

»Sie sind Kriegsgefangene in Bardowieck.«

Da wies der Herzog auf zwei Sessel am Waffentisch und ließ sich nieder. »Setze dich zu mir. Ich erkenne mein Blut.«

»Vermelden läßt Euch Rat und Bürgerschaft von Bardowieck,« hob Harald an.

»Vergeuden wir keine Zeit damit! Doch seit wann geht der Rat mit den Bürgern?«

»Seit er die Rechte anerkannt hat, die Ihr den Zünften und Gilden verlieht, und seitdem sie einig sind in Bardowieck.«

»Ducken sie sich, die sich so maßlos erdreisteten? So schätzt' ich die Krämerherzen immer ein ... Doch von deinen Fahrten in die Nordsee will ich mit dir sprechen. Du hast nach mir geschlagen, doch du hast geschlagen. Wohlan! Du wirst weitere Schläge führen können. Meine Lande gehören mir wieder, ehe der Mond wechselt. Friedrich Rotbart ist unten in Asia, ein kaiserlicher Abenteurer, wie er in Italien war, und wird nicht zurückkehren. Nicht zurückkehren, bis ich mein Werk vollendet habe. Deutsches Reich liegt nimmermehr im Süden. Längs des Nordermeeres, längs der Ostsee breitet sich das neue Reich, das unüberwindbare. Ich und mein Geschlecht werden seine Krone tragen, die die des Kaisers sieghaft überstrahlen soll. Und dich, dich erwähl' ich zum Admiral meiner Meere. Du hast gezeigt, wie du mit Dänen und Preußen und Wenden daherfahren wirst.« Ein fast frohes Lächeln umspielte seinen Mund.

»So geht Euer Heeresweg den Städten vorbei?«

»Ich renne sie nieder. Lüneburg, Lübeck. Ich brenne sie nieder. Bardowieck.«

»Bardowieck habt Ihr mir zu eigen gegeben.«

»Wacker! Du hast rechnen gelernt, bei den guten Rechnern. Das neue Bardowieck, das ich aufbauen lassen werde, sei dein. Das alte lege ich vorher in Schutt und Asche. Unweigerlich. Gottes Verachtung dem Fürsten, der sich ungestraft beschmutzen läßt von seinen Knechten!«

»Ich habe Euer Wort, Vater. Bardowieck ist mein.« Haralds Stimme klang hell.

»Erst wenn ich das Geschenk, das dir zugedacht ist, fest in dieser Hand halte und den Schimpf gerächt habe.«

Beider Augen brannten ineinander, und sie maßen sich, wie sich Krieger vorm Kampfe messen.

Seltsam, daß gerade jetzt, als der Herzog rauhen Tones Rache heischte, vor Haralds Gesicht ein Schatten aufstieg, der Schatten des verzweifelten jungen Weibes, das Heinrich in Schande und Tod gejagt hatte, seltsam, daß Harald gerade jetzt ihrer gedenken mußte, die er nie gekannt, von der er nie geträumt hatte, deren Bild ihm nie aufgestiegen war neben dem glänzenden des Vaters. Judith Holt, arme, mißhandelte, da ist noch ein anderer Schimpf zu rächen, hart und erbarmungslos, ein so viel furchtbarerer Schimpf als der, von dem dieser beleidigte Eroberer spricht ...

Doch Harald wehrte das Gespenst ab.

»Wenn ich dir Bardowieck gäbe, wolltest du mich rächen?«

»Ich habe nichts zu rächen in Bardowieck. Auch dürfte ich es nicht. Denn ich habe der Stadt geschworen, daß sie frei sein soll, wenn du sie in meine Hände gegeben hast.«

Aufreckte sich Heinrich. »Frei? Narrenreden! Gehorsam unterworfen, fest eingefügt in die große Kette, ein dienendes Glied, wie jedes Dorf, jeder Vasallensitz, so sei jede Stadt meines Reiches! Nur so hält die Mauer. Des spielerischen Übermutes der Schwachen, der jeden Staat zerstört, hab' ich zuviel, hab' ich nun genug gesehen.«

»Ihr selber gabt Freibriefe den Zünften und Gilden!«

»Um so gewisser die Herrschaft in der Hand zu halten, wenn sie einander befehden, der Stadtadel und die Geringen! Ihren armseligen Kleinkram, der mir nur lasten würde, mögen sie nach Ermessen schlichten, im Handel und Wandel, im Alltagsgezänk innerhalb ihrer Mauern frei sein – doch alle wirkliche Macht allein in meiner Faust, und durch mich in der meiner Gaugrafen.«

»Ich bitte Euch für Bardowieck!«

»Du bittest töricht, Knabe! Aus dem eisernen Gefüge, das ich schmieden werde, läßt sich kein Splint herausziehen. Und abermalen, du bittest töricht, Knabe! Wer wie ein König empfindet, der wirft seine Rechte nicht an den Marktpöbel fort, tändelt nicht mit Unwirklichkeiten, sondern faßt das Schwert und nagelt fest, was es gefaßt hat.«

Vielleicht sprach der Löwe wahr ... Aber Harald glaubte, leichenfahles Licht im Zelt zu sehen und feuchte Kälte zu spüren, wie sie von einer Toten nassem Gewand niedersickert ... vom Gewand seiner Mutter, die sie aus der Ilmenau gezogen.

»Richt mit solchen Träumen spiele, Sohn!« fuhr der Herzog eindringlich fort. »Die Stadt muß unter meinen Fuß. Doch gut ... Deinetwegen will ich ihrer schonen. Unterwirft sie sich löblich auf Gnade und Ungnade, zahlt Zins und stellt mir zweitausend Waffenknechte, auch siebenzig Koggen für die See, so will ich ihr ein milder Richter sein. Um deinetwillen! ... Du bist ein hübscher Bursch geworden, Harald, ein mutiger Bursch, wenn auch noch gar zu verträumt, bist mir lieber als meines Weibes Söhne! Reiß ich dich von den Pfaffen und den Krämern los, die dich zu sich herniedergezogen haben, dann wirst du mein Getreuester sein!« Und wie kosend legte er seine Hand auf des Jünglings Scheitel, in wunderlicher Verlegenheit schier, die den Gewaltigen sonst nie ankam, »so hab' ich dich manchmal gesehen, wenn sie von dir erzählten, Harald, und habe dann bedauert, dich nicht ans Herz nehmen zu können, wie du doch deiner Mutter ähnlich bist, Harald!«

Und er zog ihn an sich und küßte ihn, scheu, fast unwillig und doch voll Zärtlichkeit, wie der Vater den Lieblingssohn küßt. Herzog Heinrich hatte solange keine Liebe mehr gekostet ... Aber Harald bebte vor Scham und Ekel und Grauen unter diesen Küssen und schloß die Augen, um das wilde Antlitz des Mannes nicht zu schauen, der über Leichen ging, auch über Frauenleichen und die Leiche der Freiheit.

Ein Mörderantlitz, wie von rotem Blut schien es im Zelte zu dampfen.

*

Nächsten Tages, da Harald mit seiner schwarzen Schar heimwärts ritt, kamen sie wieder an der alten Weide vorbei. »Gestern schien sie mir königlicher,« meinte Jürgen. »Heut im helleren Licht sieht man, wie verkrüppelt sie ist.«

»Wird allzu lange im Exil gewesen sein,« brummte Schwarz-Märten. »Gleich dem Herzog. In der Verbannung stirbt Majestät und Königsgröße.«

»Einstmals, ehe der Heiland auf Erden wandelte, war die Weide stolz und stark, ließ sich von keiner Eiche beschämen,« erzählte Höpker. »Dann aber hat sich Judas Ischarioth an ihr erhängt. Und seitdem ist sie unansehnlich geworden, wird von den anderen Bäumen gemieden, steht einsam an Sümpfen und wird vor der Zeit jämmerlich hohl.«


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