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9. Kapitel

Madonnenbilder

Tja, eine solche Wohnung läßt man sich schon gefallen, nicht wahr, Zinnober?« redete Heini Hoyer seinen Hund an, der seine dunkel gestreifte, daneben auch noch gelb gefleckte Mißfarbe auf dem köstlichen Rubinrot des dicken Teppichs streckte. »Was so ein paar Hände voll Gold doch vermögen! Loben wir den großen Gönner Rolf Ebelingk, der es sich nicht hat nehmen lassen, die Hälfte des ausbedungenen Ehrensoldes für das neue Marienbild auf der Stelle zu zahlen! Arbeitsvolle Stunden stehen uns beiden freilich bevor, Zinnober, wenn wir die schöne Frau malen, und du wirst dich sehr anständig benehmen müssen. Immerhin, Kunst braucht Gunst und geht nach Brot. Wie angenehm, daß in diesem Falle sogar Wein dabei ist!« Damit griff er nach dem großen Tonkrug, der auf dem säulengetragenen Schranke stand, und ließ einen mächtigen Guß in die Kehle rinnen. »Hast du auch Durst, Kerl?« fragte er den Hund. Der aber lag bewegungslos auf seiner weichen Decke und warf dem Herrn, der schon so früh am Morgen mit dem roten Trunk begann, einen mißbilligenden Blick zu.

»Schließlich feiern wir heut einen besonderen Tag,« meinte der Maler, sich entschuldigend, und streichelte der Ungestalt Zinnober den Kopf. »Hast du schon einmal mit mir in einem Zimmer gesessen, das so prunkvoll ausgeschmückt war wie dieses? Hast du schon einmal morgenländische Wolle, die uns gehörte, unter dir gehabt? Sieh den Tisch an, den Schrank, die Sessel – wer hat sie bar gekauft, wenn nicht dein Herr und Meister? Habe Respekt vor ihm! Alles, was mir vor drei Jahren einmal gehört hat und was ich damals leider zum Juden tragen mußte, weil der opferfrohen Kunstfreunde in Bardowieck wenige waren, alles das habe ich zurückgeholt. Mit dem güldenen Gelde, das mir Rolf Ebelingk vorschoß. Und trotzdem sitzest du immer noch mürrisch vor mir, gönnst mir kein Lob und denkst nicht daran, wie gut es dir ergehen wird, wenn alle meine Pläne glücken.«

Jetzt hielt es Zinnober für angebracht, sich ein wenig näher an Heini heranzuschieben und leise zu knurren.

»Überlege dir auch einmal, Alter, daß wir für alle Zeit nicht auf der Landstraße liegen können, schließlich, du hast die Gicht in den Knochen und kriegst jetzt schon kein Kaninchen mehr ein – die Tage sind nahe, wo du lieber hinterm warmen Ofen liegst als bei starrendem Frost sieben Meilen täglich läufst, scheint es dir unter diesen Umständen nicht richtig, daß wir uns endlich einmal irgendwo heimisch machen? Das Wanderleben ist ein Wunder Gottes, gewiß, und ich meine, im Mai oder Juni werden wir beide immer wieder einmal davonlaufen – aber jetzt, wo der Winter heranzieht, Zinnober?«

Diese Darlegungen leuchteten dem Hunde vollkommen ein. Laut bellend und mit dem langen Schwanze wedelnd, sprang er an seinem Herrn empor.

»So viel Geld, um eine Frau, und sagen wir, sechs oder sieben Kinder zu ernähren, würd' ich wohl schon verdienen,« fuhr Heini gedankenvoll fort. »Dir soll's wahrhaftig nicht schlechter ergehen, als jetzt. Wir wollen dich mästen, Kerl, daß du mit jedem Dachs, der in den Winterbau fährt, getrost wetteifern kannst, stelle dir einmal vor, wenn du so mit einem halben Dutzend halbblonder, halbschwarzer Hoyerbengel herumspielen dürftest! Du würdest wieder jung unter den Jungen!«

Heini trat näher an die Lehmwand des Gemaches heran. »Mit der einen Stube, und zumal mit dieser Stube wird sich die schöne Hausfrau ja nicht lange begnügen,« meinte er. »wenn ich hier aber überall Bilder aus dem trojanischen Kriege hinmale oder Jesus mit Maria und Martha oder auch eine schöne Wikinger Schlacht, ich glaube, dann gefällt's ihr für die ersten sechs Wochen doch ganz gut.«

Zinnober hielt es für geraten, zu schweigen.

»Ich wüßte nicht, weshalb Jussanda mir einen Korb geben sollte,« grübelte Heini. »Das viele saufen könnte man sich am Ende ein paarmal im Monat abgewöhnen.« Zinnober besaß zuviel Lebenserfahrung, als daß er sich die Mühe gemacht hätte, seinem Herrn zu widersprechen. Er grinste nur, was aber ungefährlich und unter dem dichten Barte nicht zu sehen war.

»Du glaubst nun wahrscheinlich, daß sie es mit Harald hält, wie sie es bisher alle mit Harald gehalten haben,« zürnte Heini. »Indessen, mein Lieber, da kennst du Jussunda schlecht, wenn ich auch im Spaß immer so tue, als zöge sie den andern vor – diesmal wird er mich nicht aus dem Felde schlagen! Wie könnte er auch? Von der schönen Geschlechterin Maria kommt er nun und nimmer los. Die hält ihn fest an seidenem Seil, die läßt ihn vergessen, was für ein weißes Wundergesicht mit schwarzen Augen bei Wolf Vynke sitzt. Augen, Zinnober, nicht wahr, die beinahe größer als das ganze holde Gesichtchen sind! Also überleg' dir's, alter Bursche, wir werden seßhaft.«

Zinnober zog es vor, sich einstweilen lieber nichts zu überlegen und dafür wütend anzuschlagen. Dann hörte Heini die leisen Schritte Jan Dieters auf der Treppe. Rasch stellte er den Tonkrug auf den Schrank, riß einige Skizzenblätter an sich, die überall auf der Erde herumlagen, und tat, als mühe er sich über die Maßen an hartem Werk.

»Wo du in diesen großen Tagen nur die Ruhe hernimmst, deinen Künsten nachgehen zu können!« tadelte Jan nach den ersten Begrüßungsworten. »Mich treibt's ohn' Unterlaß hin und her, läßt mich nachts nicht mehr schlafen, gönnt mir tags keinen leisen Gedanken der Rast. Alles, Bruder Heini, alles können wir erreichen, wenn wir fest und treu bleiben, wenn wir endlich den Mut haben, zuzupacken und die Stadt für das Volk zu gewinnen.«

»Hätte ich nicht für die Bestie da zu sorgen« – Heini wies grämlich auf Zinnober –, »dann wollt ich dir's schon nachmachen, aber so ... man hat Pflichten gegen seine Mitmenschen.« Und eifrig neigte er sich auf das vor ihm liegende Blatt. Die Holzkohle flog über das körnige Pergament.

»Wie schön sie ist, wie zauberschön!« rief Jan bewundernd. »Du denkst wohl nur noch an das Mädchen vom Westergraben?«

»Wenn du mir die lebendige Jussunda läßt, sollst du die Zeichnung von ihr geschenkt bekommen,« schlug Heini vor. »Im übrigen, du hast recht, brauchte ich für weiter nichts zu sorgen, so malte ich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang bloß Bilder von ihr.«

»Das hast du früher mit anderen Mädchen genau so gehalten.«

»Diesmal wird's ernst, Bruder Jan. Ich habe mir das mit Zinnober überlegt, wir werden sie heiraten.«

Jan kniff die Augen zusammen. »Ein löbliches Unterfangen!«

»Ich sage es dir zuerst, Bruder Jan, damit du mir nicht in den Weg kommst.«

Der Blasse lachte gezwungen, wie in Selbstverspottung. »vor mir würdest du dich nicht zu fürchten brauchen. Aber da ist dein großer Freund und Herr, der Prinz. Gib dir keine Mühe, Meister Heini – was du neulich in ihrem Stübchen sagtest, war schon richtig, wenn du's auch ganz anders gemeint hast. Für uns beide, dich und mich, blüht all diese Herrlichkeit nicht, sagtest du's nicht selber: Wie die Männer, so die Weiber! wo er des Weges kommt, lassen sie uns andere unbeachtet stehen und werfen sich ihm um den Hals. Sollte Jussund eine Ausnahme von der Regel machen? Mit deinen paar Farben und deinen Klecksereien glaubst du ihr Herz erobern zu können? Ein Herz, das selbstverständlich dem Königskinde gehört, dem Königskinde, das sich herabläßt, auch dies Herz gelegentlich ein wenig zu streicheln?«

Verdrossen blickte Heini zu Boden. »Du verstehst es, einem die Freude an der Arbeit zu verderben,« brummte er. »Aber was hilft es, gearbeitet muß trotzdem werden. Und du siehst, Jan, die Last erdrückt mich schier, wohin du blickst, Aufträge, nichts als Aufträge, weiß kaum, wann ich das neue große Bild von Frau Maria beginnen soll, das Rolf Ebelingk mir schon zur Hälfte bezahlt hat. Und die in Bamberg haben mir sagen lassen, daß Isaaks Opferung nunmehr überfällig sei; ich müßt mich noch in diesem Monat an die Arbeit machen, oder sie kämen mit bewaffneter Macht.«

»Du meinst, daß ich gehen soll?« fragte Jan.

»Wenn du so gut sein willst, ja.«

»Du sprichst von lastender Arbeit und unbändigem Fleiß – reitest du denn nicht heute mit Harald ins Lager des Herzogs?«

Heini strich sich das Kinn. »Eigentlich war's meine Absicht. Und er rechnet wohl auf mich. Muß auch ein prächtiges wesen sein, für Maleraugen gut zu schauen, das Heerlager des Löwen! Indessen, ich hab's anders bedacht. Erst die Kunst, dann die Lust. Mag er diesmal ohne mich auf Streife ziehen.«

»Eure Freundschaft hält nicht mehr so ganz eisenfest,« mutmaßte Jan und blickte spöttisch.

»Zinnober ist gebrechlich, das kommt hinzu; er verträgt lange Wanderfahrt im Regen nicht mehr,« erklärte Heini. »Hauptsächlich wegen Zinnober verzicht' ich auf den Ritt.«

»Und hauptsächlich wegen des Mädchens am Westergraben, vielleicht gelingt es dir, sie an den Altar zu lenken, so lange Harald nicht in der Stadt ist.«

»Ein guter Einfall!« gab Heini nachdenklich zu.

»Was mich anbelangt, ich seh' ihn auch von Herzen gern ziehen. Obgleich es mir graut vor dem Verrat, den der Bastard mit seinem gekrönten Vater spinnen wird. Doch wenn er fern weilt, ist leichter ein großer Schlag getan. Die Männer folgen mir, solange er sie nicht betört, vor seinen Augen und seinen Worten freilich stehen sie bezaubert und glauben nur an ihn. Immer dieselbe Hexenmeisterei Heini. So versuch' ich die Stunde zu nutzen und Bardowieck zu befreien, während er im Lager des Löwen Königsträume träumt.«

»Wie unklug, so mit mir zu reden! Wenn ich ihm nun dein böses Sinnen verriete?«

Jan wehrte überlegen ab. »Du verrätst mich nicht. Ich seh' dir ins Herz.«

»Was scheren mich auch deine finsteren Pläne?«

»Und ich rechne heut nacht auf dich! Wir treffen uns beim Kaspar im Saladin.«

»Niemand kann mich hindern, einiges Doppelbier beim Krummen zu trinken,« warf Heini gleichmütig hin. »Und nun, Jan, leb wohl bis zum Abend! Ich muß noch viel Schweiß vergießen, um den richtigen Durst zu haben.«

Als Jan gegangen war, griff Heini von neuem nach dem verlockenden Tonkruge, besann sich indes und fing an, mit fleißiger Hand eine Vision zu bannen, die ihm urplötzlich durch die Seele gegangen war. Wildes Wettergewölk umwallte die heilige Jungfrau, die von hohem Bergesgipfel versonnen in die Weite schaute. Reben ihr aber stand Satan und bot ihr mit beiden Händen allen Reichtum, alle Macht der Welt dar, von Demanten glitzernde Kronen und prunkende Goldschätze. Still lächelnd indes wies sie ihn zurück, wer den Gottessohn gebären soll, was sind dem Erdenkronen? ... Die heilige Jungfrau trug Jussundens weiche Züge, und wie bei Jussunda lastete ihr das dichte schwarze Haar in zwei langen Zöpfen nieder.

Dieser Satan ist zu abschreckend und häßlich, fuhr es durch Heinis sinn, wie leicht, solch einem üblen Teufel zu widerstehen! Satan muß sein wie Harald, stolz und herrlich, gefallener Engel, starker Gebieter über alle schwachen Menschenseelen, wie Harald muß Satan auf meinem Bilde aussehen. Nur wenn die heilige Jungfrau diesen bezwingenden Verführer zurückweist, nur dann hat sie in Wahrheit über alle Teufelei gesiegt. Zufrieden mit dem ersten Entwurf, wieder ganz in seine hohe Kunst versenkt, vergaß er alles anderen Leides und zögerte nun nicht mehr, den Tonkrug wieder herunterzuholen. »Es ist ein gewaltiger Einfall, Zinnober,« sagte er, »größer als das Bild im Dom. Wir haben eins Belohnung verdient.« Damit trank er von dem schweren Wein, versäumte auch nicht, dem Hunde seinen Teil darzubieten. Zinnober indes war heut ernst veranlagt und wandte sich schnüffelnd von dem duftenden Tranke ab. Nicht lange, so bettete sich Heini zu ihm auf den Prunkteppich, und obgleich der Hund anfänglich noch wütend über die Zeitvergeudung war und unaufhörlich versuchte, mit der Pfote den rasch Entschlummerten wachzuhalten, so fügte er sich schließlich doch ins Unvermeidliche, drückte die Schnauze dicht an die Brust des Malers und schwebte bald wie er im Traumreich der Kunst und der Trauben, zu denen sich im Falle Zinnobers überirdisch duftende Würste gesellten.

Stunden waren vorbeigeeilt, als Heini von lautem Lärm auf der Gasse erwachte. Gähnend trat er ans Fenster und sah unten in stolzem Zuge Harald mit seinen Getreuen vorüberreiten. Die zwanzig Wackeren, die ihm auf dem Butenspäler zwei Jahre zur Seite gestanden hatten und auch jetzt nie von ihm weichen wollten, begleiteten den Herzogssohn auf dem Heideritt zu seinem Vater. Aus allen Häusern winkte das Volk den scheidenden Grüße zu, erhoffte sich doch jeder von ihrem Zuge reichen Segen für die Stadt, flammte doch in jedem Herzen Zuneigung für den jungstolzen Führer des Trupps. Es war Heini, als blicke Harald im vorbeiziehen zu seinem Dachfenster hinauf, aber der Maler regte sich nicht hinter der Friesdecke, die die schmale Luke verhängte.

Durch das Tor hinaus trabte, vom Jubelgeschrei der Menge begleitet, der reisige Zug. Wie er nach dem Hafen abbog, um dann an der Ilmenau entlang seinen Weg zu suchen, gingen plötzlich an allen Masten der stolzen Segler bunte Wimpel hoch und flatterten fröhlich im aufgekommenen Winde. Rechts und links vom Wege stand das Schiffsvolk, standen die Träger gereiht, und als Harald erschien, flogen die Ledermützen von den Köpfen. Rasendes, wütendes Jubelgeschrei erbrauste; die rauhen Männer drängten sich an den vergötterten heran, hundert Hände streckten sich ihm entgegen. Lange noch, lange schwollen die Heilrufe den sich entfernenden Reitern hinterher.

Wie in lauter Sonne sprengte Harald durch das regenfeuchte Grau der Heide. Oh, mit welch tiefer Freude und Genugtuung erfüllten ihn nicht die überschwenglichen Beweise der Liebe, die ihm sein Volk eben dargebracht hatte! Und neuerdings gelobte er sich, nicht zu rasten und zu ruhen, bis er am Ziel stand, das sie ersehnten, bis ein freies Bardowieck durchs weite Land leuchtete und allen, die nach dem Lichte rangen, ein glänzendes, glückliches Vorbild war.

Wo die Ilmenau mit weicher Krümmung in den Buchenwald eintritt, weckte sich näherndes Hufgetrappel ihn aus der Verzückung. Dem Nebeldunst entrang sich unerwartet, hoch zu Rosse, Maria Holks königliche Gestalt, wenige Schritte hinter ihr der Stallmeister des Hauses Ebelingk. Nur schmal verlief der Weg am Rand des Flusses. Ganz nahe ritten Maria und Harald aneinander vorbei, aber sein Blick ging achtlos über sie hinweg. Nicht in gemachter Gleichgültigkeit, nicht in Feindschaft – nein, achtlos, als bedeute ihm Maria Holt so wenig wie der Nebelstreif, der sich über die Ilmenau hinzog.

Wie er aber mit seiner schwarzen Schar durch die dunstumwobene Heide hinzog, gaukelte immer das Bild der schönen Frau neben ihm her, so deutlich, als ritte sie in Wirklichkeit, nur durch aufsteigendes Gewölk getrennt, ihm zur Seite.


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