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4. Kapitel

Verlorene Jugend

Wohlig ließ sich Abt Iso vom Licht der Morgensonne, die freundlich durchs Bogenfenster schien, erwärmen, über seine mageren Hände, sein kluges Gelehrtengesicht floß die gelbe Flut, während Tysenhusen ihm gegenüber im Schatten saß. »Haralds Heimkehr wird uns allen verhängnisvoll werden,« befürchtete der Kaufherr. »Nach beiden Seiten hin hat er die Macht und gewinnt, wenn er klug ist, so gut das Volk wie die Geschlechter für sich. Freunde und Anhang findet er schließlich hüben und drüben, Blut ist dicker als Wasser und dafür, daß ihm der Pöbel treu bleibt, sorgen seine Kumpane.«

Der greise Abt antwortete nicht.

»Und deshalb, Hochehrwürden, scheint es mir, als ob unser Bemühen dahin zielen müßte, ihn so rasch als möglich wieder aus Bardowieck zu entfernen.«

»Du gehst mir zu stürmisch ins Zeug, Hans Jakob,« sagte Iso, lächelnd mit dem Finger drohend. »Fürs erste kann ich den Stürmer hier nicht entbehren. Ja, ich brauche ihn nötiger als irgendwen. Ohne Harald ist das Volk eine armselige Null und zerstiebt, selbst wenn es neuerdings die Fahne des Aufruhrs erhebt, beim ersten Anprall der Ratswaffenknechte. Geschähe das aber, dann wäre es bis zur Einigung der streitenden nicht mehr weit, die Zünfte würden sich notgedrungen unterwerfen und den Geschlechtern in jedem Punkte willfahren. Besonders in der Verteidigung der Stadtwälle gegen Herzog Heinrich.«

»Ihr wollt die Stadt nicht gegen ihn verteidigen?« fragte Tysenhusen und ließ seine Blicke durchs Gelaß irren.

»Das hängt vom Herzog ab. wie er sich zu den gemachten Ansprüchen der heiligen Kirche stellt. Endgültig, mein Sohn, dürfen wir uns also heute noch nicht entscheiden. Sicher ist, daß zunächst die Machtverteilung in der Stadt schwanken muß. Keiner Partei die Oberhand, keine ganz zu Boden gedrückt! Weder das Volk noch die Geschlechter. Rückt dann der Herzog heran, so steht es bei uns, die Kräfte dem Eroberer geballt entgegenzuwerfen oder wider einander auszuspielen.«

»Ihr spielt damit ein hohes Spiel, hochehrwürdiger Vater,« warnte Tysenhusen.

»Es ist ein sicheres Spiel, mein Sohn, wenn du deinen Eid hältst und mir bis zum Schluß treu zur Seite stehst.«

Tysenhusen hob die Hand wie zu neuem Schwur. »Im Leben und Tod Euer!«

Abt Iso sah gedankenvoll auf die Gasse, gedankenvoll zur Spitze des weißen Doms hinüber, die golden durch den hellen Oktobermorgen blitzte. »Ein Sinnbild unserer Zukunft, Hans Jakob,« meinte er dann. »Bardowieck kann nur glücklich sein, wenn in alle seine Viertel hinein, auf alle seine Dächer, die der Geschlechter wie die der Handwerker und der Leute am Hafen, tröstend und schützend das Kreuz leuchtet. Erst in den Händen der Kirche steht Bardowieck in Wahrheit auf Gipfelhöhe.«

»Und wenn es soweit ist, werdet ihr meiner nicht vergessen, Hochehrwürden?«

»Du hast mein Wort, du hast mein Priesterwort. Du sollst aber auch verbrieft und gesiegelt erhalten, was ich dir zugesagt habe. Ein Platz in der neuen Ratsherrnschaft, wenn Bardowieck der Kirche eigen wird; gleiches hohes Recht mit dem gesamten alten Stadtadel –«

»Und ein Platz vorn im Dom für mich und mein Weib,« fügte Tysenhusen hinzu.

»Es sei dir bewilligt.«

Tysenhusen atmete hoch auf. In sein gelbes Gesicht stieg fahle Röte, wie zum Gebet faltete er die Hände. »So hätte ich erreicht, was ich ein Leben lang in unablässiger Arbeit angestrebt habe. So stünde ich, vorm Ende meiner Tage, an dem hohen Ziel, dem ich von Kindesbeinen an nachstrebe. Niemals werde ich Euch vergessen, Hochehrwürdiger, daß Ihr mir dazu verholfen habt. Euer bin ich mit Leib und Seele, noch einmal gelobe ich es.«

»Ich danke dir, Hans Jakob. Doch nun laß uns rasch zum Entschluß kommen. Harald hat die Menge hinter sich. Nicht darf der Rat darauf rechnen, sie durch List oder Überredung zum Abfall zu bringen. Nicht darf er es wagen, ohne begründeten Anlaß mit Gewalt gegen sie anzusprengen. Dazu ist Haralds Macht zu stark. Um seine Getreuen von der Kogge scharen sich hunderte der Lastenträger am Hafen, scharen sich, wenigstens heute noch, die Gilden und Zünfte. Gewaltig wächst seine Stärke durch Wolf Vynke, der in ihm den erhabenen Löwen, seinen alten Kriegsherrn, selber erblickt. So dürfen wir nach dieser Richtung hin sicher sein. Nur eines könnte meinen Plan durchkreuzen, nur eines den Geschlechtern einen vorschnellen, uns gefährlichen Sieg geben, und das wäre der Hunger, das erbarmungswürdige Elend, das die Darbenden zur Verzweiflung treiben oder sie zwingen könnte, sich um gemeiner Sättigung willen dem Rate zu unterwerfen.«

»Ihr verteilt reichlich Korn und Mehl an die Armen, Hochehrwürdiger!«

»Ich darf es tun, ohne das Gebot der Unparteilichkeit und Gerechtigkeit zu verletzen. Brich dem Hungrigen dein Brot! spricht der Herr. Aber die Klostervorräte gehen zur Neige. So mußt du einspringen, Hans Jakob! Ich stehe dir für die Kosten.«

Der Kaufherr erschrak. »Nun und nimmer darf ich's wagen! Sie würden mich hassen bis in den Tod, würden mich verfolgen, mich anklagen und zur Rechenschaft ziehen. Schon bis jetzt haben sie mich eben nur geduldet, und von Jahr zu Jahr ist ihre Erbitterung gegen mich gestiegen, weil meine Geschäfte gesegneter sind als die ihrigen. Heischt von mir, was ihr wollt, hochehrwürdiger Abt, nur nicht dies!« »Bist du so feige, Hans Jakob?« fragte Iso und wiegte traurig das graue Haupt. »Es gibt keine andere Möglichkeit, zum Siege zu gelangen, als diese. Du mußt Opfer bringen, schwere Opfer, mein Sohn, und darfst um der Gerechtigkeit willen die schnöde Welt nicht fürchten. Deine Speicher sind bis zum Bersten gefüllt, von deinem Korn könnte sich ganz Bardowieck den Winter über und länger ernähren, mit deinem Korn jeder Belagerung trotzen.«

»Ich darf dem Rat nicht in den Arm fallen. Ist es wirklich seine böse Absicht, mit Hilfe der Teuerung das Volk zur Ergebung zu zwingen, so vernichtet mich seine Wut, wenn ich diesen Plan vereitle.«

»Fürchtest du die Menschen mehr als Gott? Wenig würde das den Frommen in dir ehren, und nicht allzusehr den Kaufmann,« tadelte Iso. »Nun gut, ich werde dafür sorgen, daß niemand von diesem Handel erfährt. Nur ein Wort brauche ich mit Harald zu wechseln, so stehen uns ungezählte geübte Schiffsträger zur Verfügung, die in aller Verschwiegenheit dein Korn hierher ins Kloster schaffen werden. Der verhüllenden Umwege gibt es genug. Und die Oktoberabende brechen früh herein.«

Tysenhusen zögerte noch. »Für die Zahlungen, hochehrwürdiger Herr, bürgt ihr mir, das sagtet ihr bereits. Aber für die große Gefahr, die ich laufe und die ich nur um Euretwegen auf mich nehme, welche Vergütung ist mir gewiß?«

»Sobald ich Herr in Bardowieck bin, übertrage ich dir den gesamten Salzhandel,« versprach Iso. »Genügt dir das?« Tysenhusen sprang auf. Tief beugte er sich über des Abtes Hand und küßte sie. »Überreich begnadet Ihr mich,« rief er aus. »Nie hätte ich so hohen Lohn erhofft. Nun zählt auf mich unbedingt, was Not und Gefahr! Ich tue, was ihr wollt!«

Auch Iso hatte sich erhoben. »Geh jetzt, mein Sohn, bereite alles vor, daß Haralds Leute schon heute abend die Säcke in Empfang nehmen können,« ordnete er an. »Im übrigen schaffe noch so viel Korn und Nahrungsmittel nach Bardowieck hinein, wie dir möglich ist. Nachricht von der See besagt, daß König Heinrichs Schiffe gelandet sind und sein Heer sich binnen kurzem auf den Marsch begeben wird. Deshalb, mein Sohn, mit Fleiß und Gott ans Werk! Eben sehe ich Maria über den Hof kommen, sie hat mich um eine Unterredung gebeten, vielleicht ist auch ihr Herz voll und schwer vom Leids dieser Zeit.«

Der Kaufherr verließ unter tiefen Verbeugungen das Zimmer. Draußen auf dem Gang traf er mit der holdseligen Frau zusammen und verneigte sich vor ihr noch unterwürfiger als vor dem Abt.

»Sei mir gegrüßt, liebe Tochter,« empfing Iso die in Glanz und Reichtum Strahlende, »sei gelobt, daß du in diesen Tagen höchsten Erdenglücks nicht den Diener Gottes vergissest, sondern auch ihm ein Viertelstündchen von den herrlichen Stunden deines Tages schenkst.«

Marias Augenbrauen zogen sich zusammen, »Warum spottest du mein, Vater?« wehrte sie. »Siehst du nicht, daß diese Tage höchsten Erdenglücks Tage der Verzweiflung und des Jammers für mich sind? Habe ich dir nicht gestern gebeichtet, wie es in meinem Herzen wühlt und tobt? Wenn ich mich vor allen anderen zu bezwingen, wenn ich zu lügen und zu heucheln weiß, vor dir, der mich immer gütig geführt und geleitet hat, vor dir mag ich nicht lügen.«

»Meine Tochter,« sagte Iso leise, »lerne beizeiten, dein Herz in Zucht zu nehmen! Lerne beizeiten, niemandem Einblick in dein wollen und Träumen zu gewähren, außer dem Diener der heiligen Kirche, der dich mit Gott versöhnt.« Er ließ sich wieder auf dem Sessel in der Fensternische nieder und streckte Maria beide Hände entgegen. »Komm, setz dich zu mir, Tochter, wie du es all diese Jahre hindurch immer so gern getan hast und laß uns beten, daß Gott dich wie bisher so auch weiter mit Glück begnade.«

»Seit Harald wiedergekommen ist, bin ich unglücklich, unglücklich bis ins Tiefste. Ich habe ihn verraten, habe heilige Schwüre gebrochen.«

»Schwüre, die er dir von den Lippen küßte, mein Kind. Weißt du, was ein alter römischer Dichter singt? Jupiter lacht herab auf der Liebenden Meineid.«

»Nicht so!« unterbrach sie ihn. »Seitdem er wieder in der Stadt ist, weiß ich, daß ich von ihm nicht mehr loskomme. Ich habe mich getäuscht, habe mich täuschen lassen, mein Vater. Ich hätte Eurem vereinigten Drängen widerstehen sollen, was kümmert es mich, daß Matthias Holt Schiffe auf der See verloren hat, daß sein Reichtum ins Wanken geraten ist und Rolf Ebelingk ihn rettete? Wohl, ich habe dies Leben voll Üppigkeit gern gelebt, aber glaube mir, an seinem Herzen nähme ich fürlieb mit der ärmsten Köhlerhütte im Heidewald, schliefe gern auf Kiefernstreu um seinetwillen.«

Iso zog die Schluchzende an sich heran und legte zärtlich die Hand auf die im Sonnenglanz funkelnde, rote Pracht ihres Haares. »Du hast dich für deinen Vater geopfert, Maria. Du hast eins große Tat getan, um deretwillen dich Gott reich mit Himmelswonne belohnen wird.«

»Doch gelüstet mich zuvor nach irdischer,« entgegnete Maria. »Ich bin jung, mein Vater, jung und voll Sehnsucht. Mir schaudert vor dem Gedanken, jahrelang erdulden zu müssen, was ich gestern und heut erduldet habe. Mir graut vor Rolf Ebelingk. Lieber den Tod, Vater, als solches Leben voll Furchtbarkeit.«

»Hüte dich vor Trotz, mein Kind, hüte dich vor der schlimmsten Sünde!«

»Sünde?« fragte sie. »Mein Vater, ist denn alles Sünde, was Menschensatzung Sünde nennt? Kann nicht Gott, der über dir und uns allen steht, freisprechen, wo du und alle verdammen? Gibt es nicht zweierlei Gesetzestafeln? Eine, die in rächendem Haß höllische Strafe denen androht, die in Haß sündigten, und eine andere, die liebevolle Verzeihung gewährt denen, die in Liebe sündigten?«

Gedankenverloren starrte der Abt vor sich hin.

»Mein Kind, was dir durchs Hirn wogt, sind Einflüsterungen der Hölle. Hüte dich, hüte dich vor dem Versucher! In Haß begehst du jede Sünde. Auch die, vor allem die, der du nachzugeben gewillt bist aus Liebe zu deinem Freunde. Denn du sündigst dann in Haß gegen den, dem ich dich am Altar Gottes vertraut habe.«

»So gibt es nur eine Rettung für mich, Vater! Sorge, daß er aus Bardowieck reitet! Noch heute! Ich darf ihn nicht wiedersehen, ich bin verloren, wenn ich ihn sehe. Ich bin verloren. Und alle Schuld kommt auf euer Haupt, die ihr mich in Wahnsinn und Schuld gestürzt habt.«

Iso hob die Hand ans Ohr und lauschte. »Ich höre Schritte,« flüsterte er dann, »Schritte eines, den ich hierher gerufen habe. Er kommt den Ilmenau-Gang hinauf. Ich wollte nicht, daß Unberufene ihn sähen.«

Maria verstand ihn auf der Stelle. »Harald? Ihr habt Harald hierher gerufen?«

»Ja, meine Tochter, sobald du dich bei mir anmeldetest, hielt ich es für recht, euch beiden Gelegenheit zu einer Aussprache zu bieten. Ihr müßt miteinander ins reine kommen. Ihr dürft nicht Todfeinde sein. Ihr habt euch allzu viel Liebes gesagt früher.«

»Das hättet Ihr nicht tun dürfen, mein Vater,« begehrte Maria auf. »Er wird glauben, ich hätte ihn hierher gelockt. Er wird mich verachten. Laßt mich gehen!«

Iso drückte die Erregte sanft in den Sessel zurück.

»Es ist zu spät. Reiß dich zusammen! Weißt du, ob er jemals wieder deinen Weg kreuzen wird? Willst du, daß er niedrig von dir denkt, weil er nicht weiß, weshalb du Rolf Ebelingks Gattin geworden bist?«

Zwischen Schreck und süßem Schauder schwieg Maria still und unterwarf sich. Und schon stand Harald in der Tür. Er stutzte beim Anblick der verlorenen Liebsten, seine Mienen verfinsterten sich, und es schien, als wollte er unverzüglich das Gemach verlassen. Dann aber besann er sich, strich mit starker Bewegung das Haar aus der freien, mächtigen Stirn und begrüßte nach adliger Art die schöne Frau, dann den Abt.

»Ihr habt mich gerufen, hochehrwürdiger Herr –«

»Ja. Denn zwischen uns ist vielerlei Wichtiges zu erörtern, Harald. Vor allem aber eins: Daß du Maria hier siehst, ist mein Werk, sie ahnte nicht, daß du kommen würdest.«

»So erlaubt mir, hochehrwürdiger Herr, Euch heut nachmittag zu besuchen.«

»Bleibe, mein Sohn! Es ist vielleicht mehr als mein Werk, es ist wohl Gottes Wille, der euch zusammengeführt hat. Nun, da seine Fügung es verlangt, laßt uns die Stunde nutzen! Nicht in Zorn und Haß dürft ihr nebeneinander durch diese Stadt gehen. Der Unerschaffene selbst verpflichtet mich, der eure Kinderjahre bewacht und behütet hat, dazu, auch jetzt noch die Hand über euch zu halten.«

Maria wagte kaum die Augen zu erheben. Gesenkten Hauptes, ein Bild rührender, demütiger Schönheit, saß sie da. Nur manchmal streifte ihr Blick flüchtig das luziferstolze Antlitz des Heimgekehrten, der als halber Knabe davongezogen war und nun mannesstark, sehnig wie Syrerstahl, ein trotziger Sieger, vor ihr stand, selbstvergessen haschte sie nach einem Strahl seiner Königsaugen.

»Mag noch so Bitteres, Finsteres zwischen euch getreten sein, völlig entfremden werdet ihr euch einander nie,« hob Iso wieder an. »Zu viele traute Erinnerungen verknüpfen euch, meine Kinder, zu viele Wundertage der Jugend, zu viel gemeinsames Unglück. Ihr werdet über diese Zeit des Grams hinwegkommen, euch vom folternden Elend des Herzens befreien und dann wieder wie früher von Judith Holk sprechen, Haralds unglücklicher, schöner Mutter, und von deiner eigenen armen Mutter, Maria. Solche Bindungen zerstört auch die Hölle nicht.«

»Die Hölle,« wiederholte Maria leise.

Da trat leise Bruder Eusebius ein und meldete dem Abt, daß wichtige Läuferbotschaft vom Bischof in Braunschweig für ihn eingetroffen wäre.

»So wartet auf mich, meine Kinder. Gleich bin ich wieder bei euch.«

Schweigend standen sich die beiden gegenüber. Harald noch immer an der Tür, Maria im Prunksessel des Abtes, vom Sonnengetändel wie von lieblichem Glorienschein umspielt.

»Harald!« sagte sie leise nach langer, tödlich langer Pause.

Er antwortete nicht.

»Willst du mir nicht die Hand geben?« fragte sie.

Er starrte über sie fort.

Da erhob sie sich jäh und trat dicht an ihn heran, »Willst du mich verurteilen, eh du mich gehört hast? Bin ich dir nicht ein armes Wort des Grußes mehr wert?«

»Laß das, Frau Maria. Rolf Ebelingk wird dich vermissen. Und du bist schöner als vordem. Es geziemt sich nicht für eine so schöne Frau, daß sie mit dem Fremden allein in fremdem Zimmer stehe.«

Da schlug sie die Hände weinend vors Gesicht.

»Schilt mich,« schluchzte sie, »schlag mich, aber verhöhne mich nicht! Das habe ich nicht um dich verdient. Du weißt nicht, wie ich Tag und Nacht vor Gott auf den Knien gelegen, um dich geweint, nach dir gerufen habe, während du fern warst, vergebens gerufen habe, bis ich verhaßtem Zwang weichen mußte.«

»Nach mir gerufen, während ich fern war. Ja ... Ich war fern, das wußtest du, und du wußtest, daß deine Rufe nichts an deinem Entschluß ändern konnten. Verhaßtem Zwang bist du gewichen und wichest gern. Sei gnädig, Maria, zerstöre dein reines Bild nicht völlig! Du hast nie lügen können, warum lügst du jetzt?«

Wie ein Kronreif umflocht dunkles Rot ihre Schläfen. »Ich will mich nicht vor dir rechtfertigen. Nur eins will ich: daß du mich nicht verachtest. Vier Schiffe des Vaters waren in der Ostsee gescheitert, fast sein ganzes Hab und Gut, denn er hatte alles auf einen großen Schlag gesetzt nach den schweren Verlusten, die ihm im Kölner Handel erwachsen waren. Nun stand die Schande grinsend vor unserem Hause. Als keine Rettung mehr möglich schien, kam Rolf Ebelingk und forderte meine Hand. Vor mir auf den Knien lag der Vater, der sonst so stolze, unbeugsame Mann. Und da fiel ich als Opfer. Du warst ja fern, Harald, und sie sagten, daß du noch fünf Jahre, länger als fünf Jahre fernbleiben würdest.«

Er stöhnte tief auf.

»Nie sekundenlang hab' ich in diesen Jahren dein vergessen, Maria, nie sekundenlang ein anderes Mädchenbild als deines gesehen. Ob wir im Gewittersturm dahinfuhren oder zwischen Amethystinseln sommerlicher Meeresstille, immer warst du es, die mir den Weg wies. Du saßest dabei, wenn wir Pläne schmiedeten, um die Seeräuber abzufangen, du standest neben mir in jedem Gefechte ... Das ist nun alles vorbei. Das alles ist nun so unsäglich beschmutzt.« Er verstummte und wandte sich rasch ab.

»Harald!« sie suchte nach seiner Hand. Rauh zog er sie zurück, als schände ihn die Berührung.

»Ich hatte mir dies Wiedersehen anders geträumt,« sagte er, ihre Blicke vermeidend, »aber mein Schicksal führt mich wohl den rechten Weg. An deiner Seite hätte ich der großen Pflichten gegen mein Volk vergessen, an deiner Seite wäre ich geworden wie die anderen, glücklich in überirdischem Glück, immer zu deinen Füßen und blind für die hohen Sterne. Nun, Dank dir, daß du mich auf die Bahn zurückgezwungen hast! Verwundet liege ich vor dir, ja, höre es nur und sei stolz darüber, auf den Tod verwundet. Geh anmutig lächelnd vorbei, Holdselige! Aber vergiß nicht und sage es den deinen, daß mir im Arm noch die alte Kraft lebt und daß ich, so tief du mich getroffen hast, gesunden werde zu neuem Strauß. Und dann wahrt euch wohl, wahrt such alle vor Harald! Da unten in den Gassen stehen jetzt die, mit denen ich mein Zukunftswerk vollenden werde. Eine reinere Flamme als die Gier nach Fürstenmacht, eine reinere Flamme als die Liebe zu dir ist aus meiner Seele aufgeschlagen. Weiß wohl, daß diese Zeit mir kein Glück mehr bringen wird, aber dafür hoffe ich, soll die Zukunft mein gedenken. O, die Zukunft, Maria! Heißer und feierlicher liebe ich sie denn dich! Nun wird all mein Sorgen sein, daß sie dereinst meinen Namen segnen, den Namen des Befreiers aus Armut und Elend, den Namen dessen, der euren Stolz, ihr Starken und Mächtigen, in Stücke schlug, damit die Armut leben könne.«

Die heißen Hände im Schoß gefaltet, regungslos lauschte sie seinen wildbegeisterten Worten, lauschte dem Klang dieser metallenen Stimme. Was er ihr mit entflammter Leidenschaft zurief, das bewegte ihre Seele nicht. Ihre Seele sah wieder die in Glut und Duft gehüllten Sommerabende auf der Heide, die von tausend Edelsteinen funkelnde Ilmenau. Sie wähnte sich wieder auf seinen starken Armen, mit denen er die Freundin über den Heidebach trug; sie blickte wieder auf ihn, der sie im Fischerkahn auf dem Flusse ruderte, während buntes Wassergeriesel um sie her aufspritzte. O, wie sie ihn liebte! Sie hatte nicht widerstehen können, damals. Jauchzend war sie vom Sitze aufgefahren und hatte sich, während das Schifflein bedrohlich ins Schwanken geriet, ihm an den Hals geworfen ...

»Was wir uns zu sagen gehabt haben, Frau Maria, ist wohl gesagt,« schloß er plötzlich, »wir werden hinfort kein Wort mehr aneinander zu vergeuden haben. Und so wünsche ich dir, daß du alle Seligkeit der Erde, die ich dir schenken wollte, im Arme des anderen findest. So wünsche ich dir –«

»Harald!« schrie sie auf, »nicht das! Ich ertrag' es nicht! Lieber mache deine Drohung wahr, sprich kein Wort mehr mit mir, als daß du solche Worte zu mir sprichst.«

Er wandte sich zum Ausgange.

»Und das ist das Ende?« fragte sie. »Du verweigerst mir die Hand, die du der morgenländischen Dirne an meinem Hochzeitstage vor allen Augen Bardowiecks gegönnt hast?«

»Wer gab dir das Recht, davon mit mir zu reden?«

»Ich merke wohl, Harald, du hassest mich.«

»Ich hasse dich nicht. Ich kenne dich nicht mehr.«


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