Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

17. Kapitel

Die Mörder

Harald hatte sich erhoben. »Es geht nicht um mein Wollen und Wünschen, ehrwürdiger Abt.« Sein Gesicht war finstere Ablehnung.

»Auch hierin bist du ein echter Held, wenn auch nicht der Sohn deines Vaters,« entgegnete Iso milde. »Herzog Heinrich hat in seinem ganzen Leben nichts getan, hinter dem er nicht mit gesammelter Kraft des Herzens, mit unbeugsamem, eigenem Willen stand. Du dagegen verzettelst dich an Dinge, die dir in tiefstes Seele gleichgültig, ja widerlich sind. Doch ich habe nicht das Recht, mich in deine Seelenwindungen einzudrängen, und ich leugne nicht, die übermenschliche Größe, mit der du allen Verleumdungen und Feinden, allen tückischen Gehässigkeiten zum Trotz die übernommene Pflicht weiter erfüllst, diese Entsagungskraft zwingt mir Bewunderung ab.«

»Wohl verstehe ich Euren Spott. Aber auch Ihr macht mich nicht irre. Ja, wäre ich meinem Gotte nicht Rechenschaft über mich schuldig, stünden nicht die Tage und Nächte vor mir, da ich um Erkenntnis rang und Erkenntnis gewann, dann möchten böse, unwürdige Gedanken wohl über mich Gewalt gewinnen. Doch höher als die Niedrigkeit des Menschen steht mir die Sonne, an die ich glaube. Und so werde ich auch die Prüfung, die mir jetzt auferlegt ist, überwinden. Daß ich meinen Zukunftsträumen abtrünnig werden könnte, weil Menschenerbärmlichkeit sie beschimpft und verhöhnt, habt Ihr das je im Ernst geglaubt?« Wieder wandte er sich zum Gehen.

»Verweile noch ein wenig,« bat Iso. »Niemand vermag zu weissagen, was uns die nächsten Tage bringen werden, niemand ist mehr sicher, den wiederzusehen, den er liebt und schätzt.«

Harald preßte ablehnend die Lippen zusammen.

»Freilich, du selber hast mich nie für deinen Freund gehalten. Und ich bin es doch gewesen, so wahr ich deiner unglücklichen Mutter Freund bis zur letzten Stunde gewesen bin. Du hast dich von mir gewandt, weil ich in früheren Jahren wahrhaftig gegen dich war, auch wenn es dir weh tat, weil ich dich zurückzureißen suchte vom Wege, der nicht, wie du meinst, in die Sterne führt, der vielmehr ins Grauen der Hölle niedersinkt. Ich war dir ein Abscheu und Widerwillen, da ich mich unterfing, deiner Träume Pracht zu stören. Und du hassest mich deswegen noch heute, mein Sohn. Noch heute, wo du nicht mehr träumst, wo dies Volk dir Tag für Tag zeigt, daß du mir unrecht getan hast. Harald, ich spann einst silberne Gedanken wie du. Auch ich glaubte, den Himmelflug wagen zu können, auch ich wollte allen, allen Glanz der Höhe zur Erde tragen und, des Heilands Worte in jugendlichem Feuer mißverstehend, jede Hütte mit diesem Glanze schmücken. Harald, ehe ich zu klarer, kühler Hinsicht kam, war ich älter geworden als du. Aber dann wandte ich mich von meinem Irrtum jähen Ruckes ab. Es war ein Irrtum, wie dein Wollen ein Irrtum ist. Mag sein, daß Zeiten kommen werden, die für deine Gedanken reif sind. Heute vergeudest du sie zwecklos und vergeudest dich damit. Du bist ein Königskind, Harald, und deine Heimat liegt nicht in der Niederung, sie liegt da, wo die Adlerhorste sind und wohin keines Knechtes Fuß gelangt, wie ein Stecken in der Hand von Bettlern willst du dich behutsam vorwärts tasten, du, der ein Pfeil ist und durch die Unendlichkeiten fliegen soll? Wie ein fahrend Dirnlein buhlst du um die Gunst der Masse, dieses rohen, frechen, wankelmütigen Haufens? Die Stimme der Zukunft, Harald, von der du mir sprichst, ertönt allein auf den Türmen; am Markte unten hörst du nur Pfennige klingeln, Sohn des großen Königs, was suchst du im Wirrwarr der gemeinen Menge? Harald, du bist doch nicht ihresgleichen, und nie werden sie dir vertrauen, nie in dir den echten Führer sehen. Denn an deinen Füßen klingen Rittersporen, und so leise du auch gehen magst – dein Sporn verrät dich.«

Harald hatte ihm schweigend zugehört. Was war es doch, das aus diesen Worten zu ihm drang und klang, das wie Wellenrauschen in der Nordsee, süß und majestätisch zugleich, sein Herz überflutete?

»Du hast deines Vaters Antlitz gesehen, Harald. Was ihr miteinander sprachet, ich weiß es nicht aus deinem Munde, und kein Zeuge hat euch belauscht – dennoch ist mir jedes Wort gegenwärtig. Herzog Heinrich lebt, so tief ihn Gott gedemütigt hat, doch immer noch in königlichen Plänen. Herzog Heinrich kennt die Unwürdigkeit der Knechte, an der auch Jahrhunderte nichts ändern werden. Das Reich, das er erstrebt, ist nur mit adligen Eisenmännern zu erobern und zu erhalten. Für den Pöbel hat es allein in der Tiefe Raum, So gesinnt, wird der Herzog diese Stadt berennen. Und du, der Sohn, wagst es, dich dem Vater entgegenzuwerfen? Du, den er liebt, suchst ihm den ersten Siegespreis zu verweigern?«

»Ich stehe auf meiner Pflicht. Ich stehe zu denen –«

»Die zu dir stehen, willst du sagen? Zu denen, meinst du, die dich heute lieber als morgen aus der Welt scheiden sähen, die mehr vor dir zittern als vor Herzog Heinrich, weil sie in dir die fürchterlichere Gefahr spüren? Wache doch auf, Harald! Gebrauche deine Augen, deine Sinne, schüttle die Traumbilder ab! Dein eigenes Blut, jede Fiber deines Leibes, jede Regung deines Herzens und Hirns spricht gegen dich. Und trotzdem hältst du an deiner eingebildeten, dir längst widerwärtigen Pflicht fest, von der Verrat und Niedertracht dich entbunden haben.«

Doch Harald wollte ihm nicht recht geben. »Niemand und nichts vermag mich von meinem Gelübde zu entbinden. Ist mir der Sieg versagt, so will ich als ein ehrlicher Mensch fallen.«

»Als ein Enttäuschter und Betrogener, der nur noch aus Hochmut kämpft! Als ein übermütig-unmutiger Zerbrecher heiliger Tafeln, der freventlich die Hand gegen Gott und den Vater hebt. Vergiß das vierte Gebot nicht, Harald! Vergiß seiner nicht, wenn du dich, so laut dein Gewissen auch warnt, mit dem Rauschgift deiner Phantasie betäubst. Und glaubtest du wenigstens noch an dieses Rauschgift! Lüge ist eine Todsünde, doch die schlimmste ist, sich selbst zu belügen.«

Harald stand in der Tür. »Ich danke Euch, Hochehrwürdiger. Ihr habt mir das Herz wahrlich nicht leichter gemacht. Aber für mich geht kein Weg mehr zurück. Gott befohlen!« ...

Mit leisem Flügelschlage schwebte die Nacht, der schwarze Totenvogel, über der Stadt. Schweigend und traurig hüllte dichtes Dunkel die Gasse ein. Nur manchmal sah man durch die Ferne Lichterschein zucken, spukhaft und dunstig wie Irrwische: Wachen, die darauf zu achten hatten, daß jedes Haus sich im Verteidigungszustande befand. Um die schmalen Straßenzeilen quirlte dichter immer der Nebel, und feiner Regen prickelte wie mit Nadelstichen.

Rasch strebte Harald durch die Gassen seinem Obdach zu. Manchmal meinte er ein leises Schlürfen hinter sich zu hören, gleich als ob jemand ihm nachschleiche. Aber durch die schweren Schatten vermochte der Blick nicht zu dringen. Unwillkürlich gedachte Harald der alten Erzählung von der Moorfrau, die in solchen Nächten aus der Heide herangekrochen kam und, während der Regen triefte und die Nebel wallten, dreimal an die Tür jedes Hauses klopfte, in dem der Tod Einzug halten wollte. War es die Moorfrau, die ihn verfolgte, war es ein Mörder? Harald horchte von neuem ... und wieder tappte, bluterstarrend-gespenstisch, der unheimliche Schritt durch Nacht und Nebel.

Wie Harald von der kotigen Gasse in den Hof abbog, der vor seinem Heim lag, stutzte er plötzlich. In der dicken, nassen Finsternis meinte er, eng an die Mauer gedrückte, dunkle Gestalten zu erspähen. Im selben Augenblick stürzten aus der Finsternis auch schon drei, vier Gesellen hervor, Schwerter glosten matt durch die Nacht. Aber schon war Haralds Klinge aus der Scheide. Im Nu war er nach vorn gesprungen und parierte gewaltig den Hieb des nächsten Buben. Eine Klinge klirrte in Stücke, ein Schrei, ein wilder Fluch erscholl. Mit den Strauchdieben, die er vor sich hatte, wäre der überlegene Fechter fertig geworden, doch jetzt wurde es auch hinter ihm lebendig. Eine ganze Bande, schien es, hatte ihm hier aufgelauert. Mit dem Rücken an die Mauer gelehnt, wehrte Harald die Banditen ab, aber die tiefe Dunkelheit machte es ihm unmöglich, mit ernsthaftem Ausfall das Gesindel zu verjagen. Er konnte ihre Angriffe nur zurückweisen, und der Zeitpunkt war vielleicht nahe, wo er der Übermacht erlag.

Nun jedoch machte markerschütterndes Geheul die Gasse dröhnen; es war, als rase eine Herde jammervoll ausgehungerter Wölfe heran. So tobte in Bardowieck allein Zinnober. Er kam herbeigepirscht, so rasch ihn seine müden, lahmen Beine trugen, und ehe der Nächste es sich versah, hatte er dem entsetzt Aufbrüllenden die Zähne in die Schenkel geschlagen. Hinter dem Hunde her stürmte, atemlos, mit entblößter Klinge, Heini Hoyer. Wie ein Verzweifelter schlug er drein. Seine dröhnenden Hilferufe mischten sich gewaltig mit dem Heulen und Krächzen Zinnobers. Das Gesindel mußte sein Spiel verloren geben, denn schon hörte man eine Haustür knarren, Fensterläden wurden geöffnet, rauhe Stimmen klangen durch die Nacht. Gespenstisch wie sie gekommen waren, entwischten die Meuchler im Nebeldunst, ihre Verwundeten mit sich fortschleppend.

»Ahnte mir doch dergleichen!« rief Heini keuchend. »Daß du zu Iso gingst, hat mir von vornherein nicht gefallen.«

»So spionierst du mich aus?« lachte Harald grimmig.

»Ich bleibe in deiner Nähe, so weit ich's eben vermag. Ein Gelübde, weißt du.«

»Kommst du noch mit mir? Das Abenteuer verdient einen Trunk,« lud Harald ein.

Heini lehnte ab. »Besser, jeder von uns für sich auf dem Posten! Auch du wirst gut daran tun, dich zu deinen Leuten zu begeben. Ich hab's so im Gefühl, der Herzog trifft noch heute nacht vor der Stadt ein.«

»Meine Leute stehen auf der Wacht. Wir halten die Schanzen vorm Westergraben. Da kommt uns niemand durch. Um acht Uhr versprach ich, bei ihnen zu sein.«

Sie schüttelten sich die Hände. »Mög's ein gutes Omen sein, was uns da eben begegnet ist!« meinte Heini. »Zwei ehrliche Kerle werden immer noch des schleichenden Packs Herr. Übrigens, oder ich müßte mich sehr getäuscht haben, Jan Dieter war unter der Bande.«

Harald fühlte, wie es ihn kalt überrieselte, wie seine Hand zitterte. »So weit ist es gekommen? Jan Dieter? Einer von den unseren? Und das der Lohn, den sie zahlen? Wofür kämpfe ich denn? Oh, bis zum Halse würgt mich der Ekel!« Müde wandte er sich seinem Hause zu.

Ein frischer Wind hatte sich aufgemacht und die Nebel ostwärts gejagt. Etwas wie Wolkenlicht glomm am Himmel. In sich selbst versunken, lehnte Harald am Fenster, seine Blicke suchten in der Nacht nach dem Kreuz des Domturms, das sonst herüberwinkte. Aber kein Schimmer, kein Schatten der goldenen Herrlichkeit machte sich bemerkbar. Alles Glänzen war längst erloschen, nur die Finsternis geblieben.

Du wirst die Stadt erretten, dachte Harald. Du bringst ihr, was sie ersehnt, und morgen früh wird ein Lorbeerreis deine Stirn schmücken, eine Krone sie umleuchten. Aber morgen früh ist dein Gesicht bleich, dein Auge gebrochen, rieselt dein Herzblut ins welke Gras, sie krönen den Toten ... wehe dir, wenn du nicht stirbst! Dann kriechen die Mörder aus ihren Schlupfwinkeln hervor, dann darfst du keinen Schritt in dieser Stadt mehr wagen, mußt Gift in jedem Becher fürchten. Stirb, Retter, oder sie meucheln dich! Sie meucheln dich sogar schon, ehe die Rettung vollbracht ist. So hassen sie dich, die du liebtest, um deretwillen du deines Vaters Fluch tragen wirst und deinem Erbe entsagt hast!

Ich stehe am Ziel. Der Sieg ist mein. Aber alles, was mich zum Siege gestählt hat, Mitleid und Liebe, Begeisterung und der Glaube an die helle Zukunft – alles ist mir verloren. Nichts als Verachtung ist geblieben und grenzenlose Enttäuschung. Betrogener Narr und Träumer! Ich habe wohl zuviel mit dem Pöbel gesprochen, statt in meiner Einsamkeit zu bleiben. Ich habe mich gemein gemacht, deshalb bewerfen mich die Gemeinen mit Schmutz und lauern mir mordlustig in den Winkeln auf.

Seine Augen brannten, wie diese Gedanken ihm, schwälenden Feuerbränden gleich, durch die stolze Seele zogen. Seine Augen brannten und starrten feindselig auf die Stadt zu seinen Füßen, auf die Stadt, um die sich die Schatten jetzt wie ein schwarzes Totentuch wanden.

Niemand ist hier, der mich liebt, niemand, der an mich glaubt. Eine Welt feindseliger Mißgunst. Und ich ziehe das Schwert gegen den einzigen auf Erden, der mich liebt und zu mir hält, kämpfe gegen ihn für meine Mörder, für die Nichtswürdigen, die das Gesindel in der Nacht wider mich ausschicken. Wahrlich, so kröne ich glorreich mein tolles Treiben. Und dabei habt ihr beide recht, du, Herzog Heinrich, du, Abt Iso. Ich belüge mich selbst, wenn ich an Kinderträumen festhalte. Aber ich bin kein schwärmender Knabe mehr, der Edengärten für buschklepperische Sklaven schaffen will, ein Gewaltiger des Herrn zu sein treibt es mich ...

Er fuhr aus phantastischem Sinnen auf. Denn ein langhallender Trompetenklang durchdröhnte machtvoll die Nachtstille, gleichzeitig rollte wilder Trommelwirbel auf. In den Gassen wurde es lebendig, Stimmengewirr allenthalben – aber gewaltig brauste darüber rasendes Schlachtgeschrei hin, das vom Strand der Ilmenau her tönte. Wie Blitzschlag zuckte es durch Haralds Adern. »Du bist es, Vater, du! Wär' ich bei dir!«

Allsogleich flackerten von St. Paul und Peter Leuchtfeuer in die Nacht hinein, die Glocken begannen zu stürmen. »Der Herzog vor Bardowieck!« tobte es durch die Gassen. Nun rief die verhaßte Pflicht – doch Harald wollte ihr gehorchen. Sie sollten kein Recht haben, ihn Verräter zu schelten. Widerwillig schlüpfte er in den Lederkoller, griff nach Schild und Schwert und wandte sich zögernd zur Tür.

Da taumelte er fast vor seligem Schreck. Ein halb erstickter Schrei drang aus seinem Herzen auf. Maria Holk stand vor ihm.


 << zurück weiter >>