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15. Kapitel

Der Stärkere

Nimm deinen Gebetsteppich wieder mit nach Hause!« wehrte Jussunda freundlich ab. »Wie könnt' ich mich dir für solch ein Prachtgeschenk dankbar erweisen?«

Der Maler blickte betrübt bald das Mädchen, bald das wie Rubin funkelnde Gewebe an. »Von all der Herrlichkeit, mit der Rolf Ebelingks Goldstücke mein Stüblein geschmückt haben, ist nur dies jämmerliche Zeug übriggeblieben,« bekannte er. »Zu heiß war in den letzten Tagen die Liebe zu Bardowieck in mir, zu flammend die Begeisterung für den Kampf gegen Herzog Heinrich – ich mußte die Glut in Wein löschen. Und da ich nun nicht weiß, ob ich dich morgen noch wiedersehen werde – wer von uns weiß denn, was der Löwe plant –, so wäre es mir ein rechter Trost gewesen, den bunten Lappen zu deinen kleinen Füßen zu sehen. Es stirbt sich leichter auf dem Wall, Jussund, wenn man sein Testament gemacht und dem liebsten Menschen ein kleines Andenken aufgezwungen hat. Dann schwebt unsereiner als unsterblicher Geist nicht ganz verloren und verlassen durchs Weltall. Dann gehört mir wenigstens dann und wann ein flüchtiger Gedanke des holdseligsten Erdenkindes.«

»Du sollst nicht so sprechen, Heini, du hast noch viele, viele Jahre vor dir. Denn dein gewaltiges Werk ist noch nicht vollendet. Gott nimmt niemanden von der Erde, den er noch braucht.«

»Du verargst mir, Königin,« beharrte Heini auf seiner Bitte, »daß ich dir diese schlechte Gabe nicht schon brachte, als ich noch reich war. Ich lese es in deinem Herzen, du willst meiner Armut schonen, jener Armut, in die zu große Teuerung des Weins mich gestürzt hat. Aber just weil du mich so oft zu fleißiger Arbeit ermahnst und nicht gern siehst, daß ich des roten Trunkes nach Gebühr reichlich genieße, just deshalb flehe ich dich an, behalt' das erbärmliche Wollstück. Sonst müßte ich es noch heut zum Juden Hiob schleppen, und dann wären, weil ich es doch in Wein umzutauschen gedenke, die letzten Arbeitsstunden für mich verloren.«

»Heini,« sagte Jussunda vorwurfsvoll, »ich merke, du hast schon wieder in der Schenke gesessen.«

»Bei den Gebeinen aller durstigen Heiligen,« schwur Heini, »heute ist noch kein Tropfen über meine Zunge gekommen. Befiehl, und ich werde den eklen Saft nicht wieder mit diesen meinen Augen ... nun ja –«

»Da du grad' hier bist,« unterbrach ihn Jussunda mit ängstlich-scheuem Blick, »so möcht ich dich um einen großen Dienst bitten.«

»Tausend Dank, Herrin, tausend Dank, daß du Heinis gedacht hast, was seine schwache Kraft und sein armer Witz vermag, das ist dein, dein wie sein Herz. In alle Ewigkeit, Madonne!«

Da lächelte sie ihn holdselig an. »Ich hab's gewußt, du würdest mir helfen. Mit dem Vater mag ich davon nicht sprechen, und außer dir ist keiner in Bardowieck, dem ich vertraue.«

Ein stolzes Lächeln spielte um Heinis Mundwinkel. »Und deshalb,« bat Jussunda, ein wenig näher an ihn herantretend, »deshalb bitte ich dich herzlich, gib auf Harald acht. Mir bangt um ihn. So viele Böse verfolgen ihn mit ihrem Haß und Neid. Aber immer, wenn ich ihn warne, spottet er der Gefahr. Nun habe ich ihm freilich eine Feder von dem Fittich Gabriels, die der Vater aus Jerusalem mitgebracht hat, an den Hut geheftet und habe ihm von des Vaters heiligem Jordanwasser in den Wein geträufelt –«

»Oh,« schüttelte sich Heini, »das hättest du nicht tun sollen.«

»Und doch fürchte ich für ihn. Gib deshalb auf Harald acht, Heini! Du hast ihn von Herzen lieb, und so mußt du ihn schützen. Hilf mir, Heini, daß mein böser Traum nicht in Erfüllung geht.« sie wurde blaß bei der Erinnerung. »Heut nacht habe ich ihn tot gesehen, tot...« Jussunda zitterte. »Und die andere,« fügte sie leise hinzu, »die er so sehr geliebt hat, die war seine Mörderin.«

Verlegen und aufgestört wich Heini ihrem Blicke aus. »Du überschätzest mich, Mädchen,« sagte er dann. »Ich bin kein Gott, bin nur ein schwacher Mensch, und mein Blut ist so heiß wie deins und seines. Ihn schützen, der dich gewonnen hat? Ahnst du denn nicht, Mädchen, was mein eigenes rasendes Herz noch immer erhofft? Daß es nicht ruhen will, bis du mein und bis er...«

Aber sie brauchte ihm nur ins Gesicht zu blicken, und er verstummte beschämt und entwaffnet.

»Es wird wild hergehen in den nächsten Tagen,« brachte er nach einer Weile zögernd hervor. »Heinrichs Übermacht ist gewaltig. Keiner von uns kann für den anderen stehen.«

»Heinrichs Krieger fürchte ich nicht, so wenig er sie fürchtet. Im offenen Kampfe ringt ihn niemand nieder. Aber die feige Tücke, die im verborgenen schleicht, die ihn von hinten niederwerfen will, Heini, die erfüllt mich mit Entsetzen, schwöre mir, daß du ihn vor den Meuchelmördern im eigenen Lager schützen willst! Schwöre mir, nicht von ihm zu weichen, ihm zur Seite zu stehen bei Tag und Nacht.«

»Das kann ich nicht!« Trotzig wehrte er ab.

»Dann bist auch du im Bunde gegen ihn!« schrie Jussunda auf. »Ihr habt seinen Tod beschlossen! Du weißt davon. Aber töte ihn nur! Du mordest mich zugleich. Ja, mord' uns beide! Mich und den, der dein liebster Freund gewesen!« Erschauernd wischte sie eine Träne von den Wimpern fort, zog dann jäh ein Messer aus den Falten ihres Kleides. »Wenn Harald –«

Da aber hatte der Maler ihr Handgelenk schon umspannt und ihr den Dolch entwunden. Von Schrecken geschüttelt, barg er ihn in seinem Kittel. Fassungslos warf sich Jussunda jetzt dem Manne zu Füßen. »Niemand als du vermag ihn zu retten – du mußt es tun! Fordere von mir, was du willst. Meine ganze Habe, meinen Silberschmuck, alles, was mir gehört, will ich dir geben – nur schütze ihn, Heini!«

Ganz verwandelt hob er die Schluchzende vom Boden auf und sprach so sanft und väterlich mit ihr, als hätte er ein krankes Kind zu beruhigen, hielte nicht das Weib seiner Liebe in den Armen, wie er sie so in Jammer und Verzweiflung aufgelöst sah, in krampfhaftem Weinen, das den schlanken Leib erschütterte, überkam ihn Mitleid ohne Grenzen. Behutsam führte er sie an den Fenstersitz und ließ den Arm von ihren Schultern.

»Noch keine hat mir vertraut, Kind, und keine hätt's doch so nötig gehabt, mir zu mißtrauen, wie du. Darum will ich dir dein Vertrauen danken. Hör' mich ruhig an, Jussunda. Du befiehlst, daß ich über Harald wachen und sein Leben wie meines schützen soll – so will ich es denn tun. Aber eines heische ich dafür von dir: Laß von ihm ab! Noch ist es Zeit. Stürz dich nicht mit sehenden Augen ins Verderben! Reiß diese Liebe aus deinem Herzen! Ich bitte nicht für mich, ich werde dir nie wieder lästig fallen, aber dich und Harald scheiden Welten voneinander, und was du von ihm erhoffst, wird er dir niemals sein. Du bist noch so jung, Kind, kaum sechzehn Jahre, was weißt du von der Welt und was von der Liebe? Nein, widersprich mir nicht, du weißt nichts davon, was du heute Liebe nennst, das ist die erste Zuneigung deines jungen Herzens. Die große Liebe, die weilt noch draußen. Mach mir den Abschied nicht zu schwer, liebste Freundin, laß mich nicht in Angst und Sorge von dir ziehen! wenn ich später an hohen Feiertagen dein gedenke und in stillen Nächten zu dir aufschaue, wie Zinnober zum Mond aufschaut, dann möcht' ich dich glücklich über alle Maßen wissen. Glücklich mit einem, der dir spenden kann, was Harald nicht besitzt. Dein Pfad soll mit Rosen bekränzt sein; der Wilde aber, der dich jetzt umschmeichelt, der Sternenstürmer taugt nicht in deine stille Welt und stößt dich in Dorngebüsch.«

»Oh, ich weiß wohl,« sprang da Jussunda auf, »alle seid ihr im Bunde wider ihn und mich! Was mir Maria Holk lügnerisch im Dome gesagt hat, das wiederholst du jetzt und weckst von neuem die Zweifel, die ich kaum verscheucht habe. Aber ich glaube keinem von euch, ich glaube niemandem als ihm allein.«

»Warum senkst du die Augen, wenn du mit mir sprichst?« fragte er. »Belügst dich selbst und schämst dich dessen vor dir selber? Sieh ihm nur recht ins Gesicht, und du erkennst, was er sinnt.« Heini war grausam, um Jussunda zu retten.

»Mag sein,« gab sie zu, entschlossen, den Dämon niederzuringen, der immer wieder ihre Gedanken vergiftete, »Mag sein, daß er Maria Holk einst geliebt hat, vielleicht inniger als mich – doch nun ist sie für ihn tot. Wie darfst du Harald einer Unwahrheit für fähig halten, eines betrügerischen Doppelspiels? Sein finsteres Gesicht, seine Schweigsamkeit, sie rühren von den schweren Sorgen her, die ihn umdrohen, von dem Gram über Lüge und Undank, von der Zerrissenheit seines Herzens, das gegen den eigenen Vater kämpfen soll, für Verworfene und tückische Bösewichte. Aber laß nur erst den Sieg seine Stirn krönen, laß die Gespenster alle verscheucht sein und dann... Ich bin seiner so gewiß, Heini, ich bin so fröhlich, bin so glücklich ...« Und wie sie das sagte, brach unaufhaltsam ein Tränenstrom aus ihren Augen.

»Seltsames Glück, Jussunda, das man beweinen muß.«

Sie raffte sich zusammen. »Sag', was du willst! Maria ist eines andern Weib geworden –«

»Aber ihr Herz ist Haralds geblieben. Und just weil sie eines andern Weib geworden ist, wird er sehnsüchtiger als vorher ihrer begehren.«

Das war ein schlimmes Wort. Jussunda weinte nicht mehr. Krampfhaft bemühte sie sich, jede Miene ihres Gesichts im Zaum zu halten. »Geh jetzt, Heini, ich muß mit mir allein sein. Denk aber treu dessen, was du mir versprochen hast!«

Gehorsam verließ der Maler das Gemach.

»Ja,« sagte er auf der Gasse zu Zinnober, »ob ich nun dort im Graben verfaule oder auch, meint's Gott anders mit mir, auf offener Landstraße sterbe – um mich weint keiner. Keiner wird ein Kreuzlein für mich übrig haben oder ein kleines Gebet. Auch die da oben nicht, Zinnober. Das einzige ist noch, daß du dich dann bei ihr einschmeichelst. Vielleicht gibt sie dir das Gnadenbrot. Du bist ja nicht mehr jung genug, um neues Lasterleben zu beginnen.«

Zinnober wußte vor Verachtung und Wut keinen Laut hervorzubringen. Er hinkte hinter Heini her, der ihn solcher treulosen, selbstsüchtigen Schändlichkeit für fähig hielt, und begnügte sich damit, anklagend seinen Schweif in die Luft zu strecken.

Durch den regenfeuchten Morast der Gasse am Westergraben gelangten sie zum Wall und näher an den Hafen. Wirres Gedröhn wie von erregten Männerstimmen klang Heini ins Ohr; von Sekunde zu Sekunde verstärkte sich das Gebraus. In das immer deutlicher werdende Geheul und Johlen klang Waffengeklirr. Rasendes Wutgeschrei wie von Kämpfern, die aneinander geraten waren, übergellte den Höllenlärm, wie Heini den Hafen erreicht hatte, sah er die mit Knütteln und Stangen, auch mit alten rostigen Speeren bewaffneten Schiffsarbeiter rasend erregt einer Schar von den fremden Waffenknechten des Rates gegenüberstehen. »Ins Wasser mit den Schönbärten!« schrie das leidenschafterhitzte, wütende Volk. »Hinaus aus der Stadt mit ihnen!« und »Hinaus aus der Stadt mit allen Verrätern!« schrillten andere Stimmen dazwischen.

Handgemenge entspann sich. Schon tropfte von den Hellebarden der Waffenknechte Blut zur Erde, schon hatten einige der herkulischen Hafenmänner ihre Keulen auf die Häupter der Gegner niedersausen lassen. Doch nun, im letzten Augenblick, ehe das Irrsinnstoben allgemein wurde, sprengte der eilends herbeigerufene Führer, Harald, ins Getümmel. Seine Stimme versuchte die Wut des Orkans zu übertönen, vom Verbrechen des Bruderkampfes abzumahnen. Schon schien es, daß er, wie so oft, mit dem Zauber seiner Rede die Wilden bannen und besiegen würde, schon lösten sich die ineinander verkrampften, wichen auch die zornmütigsten Streithähne zurück. Da aber stürzte sich mit geballten Fäusten Jan ins Gebrause.

»Hört nicht auf den, der uns alle verrät, euch, Knechte des Rats, uns Bürger und euch vom Hafen! Glaubt seinem schändlichen Lügenwort nicht, seinen Bitten und Beschwörungen! Jauchzt ihm doch das Herz in der Brust, wenn er sieht, wie verruchte Söldner unsere Besten niederstechen. Um so leichter hat's ja nachher der Vater des Bastards mit unserer armen Stadt! Traut ihm nicht! Hört nicht auf ihn! Jagt ihn zum Herzog!« wie Jan das schrie, taumelte er und stürzte. Aber sein aufpeitschendes, kränkendes Wort entfesselte aufs neue die Kampfwut der Waffenknechte, die nun zu neuem Ansturm vorgingen. Ihr unerwarteter Anprall brachte die Widersacher zuerst ins Schwanken, dann aber faßten sie sich, und nun nahm die wüste Schlägerei fast das Aussehen einer Schlacht an.

Da... sanftes, liebliches Geläut wie von Silberklingeln, lobpreisender Psalmensang und süßer Duft von Weihrauch – von fern nahte eine Prozession, verlorene Sonnenstrahlen, die aus Qualm und Dampf des Regentages hervorbrachen, machten die Monstranz wie ein Lichtwunder aufflammen. Näher rückte der fromme Zug. Rauchfässer schwingende Mönche, Fackelträger dann, Trompeten und Pfeifer, Kinder im Festgewande, mit erlesenen Prunkgewändern geschmückt Domherren, aus deren Mitte das diamantbesäte Altarkreuz hoch emporragte. Mit verzückten Mienen trug der Obere ein prächtiges Purpurkissen. Darauf ruhte in goldenem Gehäuse ein Stück des Schwammes, den die römischen Knechte auf Golgatha mit Essig gefüllt hatten, um so den dürstenden Heiland zu tränken. Mit einem Schlage verstummte das Getös. Alles drängte beiseite, um der Prozession Platz zu schaffen, und als Iso sie halten ließ, fiel jeder auf die Knie. Ernst und doch sanft sprach Abt Iso zu den Erhitzten. Erinnerte sie an ihre Bürgerpflicht, an die beschworene Eintracht, um, zum Schluß die Stimme machtvoll erhebend, mit Kirchenbußen und ewigen Strafen zu drohen. Alle Schwerter krochen von selbst in die Scheide, wo noch Hellebarden strack und drohend aufragten, da senkten sie sich – zitternd schmiegte sich die Bestie zu den Füßen des Meisters.

Stolzes Leuchten verklärte Isos mönchische Züge, als er nun den Segen Gottes über Volk und Stadt herabflehte. Jede Lippe murmelte ein Gebet, und von den Weibern im Hintergrunde drängte sich, wer konnte, heran, um in Demut den Saum seines Gewandes zu küssen.

Lange blieb dann Isos Blick auf Harald haften. Ein seltsames Lächeln grüßte den Jüngling, ein Lächeln, aus dem es wie Hohn und Mitleid sprühte. Harald hatte den Priester verstanden. Dunkle Röte flog über seine Stirn, und diese hochmütige Stirn senkte sich in Scham darüber, daß der Mönch ihn auch hier, vor seinen eigenen Getreuen, überwunden und sich stärker gezeigt hatte als er, das aufrührerische, haßverblendete Volk zu bändigen.


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