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12. Kapitel

Der Riß im Eisen

Hochverrat war es, schändlicher Hochverrat, und ich wäre pflichtvergessen gewesen, hätte ich nicht zur selben Stunde eingegriffen,« verteidigte sich Rolf Ebelingk erregt gegen die Vorwürfe Steffen Bruggs. »Jan Dieter ist überführt, neuen Aufruhr erregt zu haben, während der Feind die Stadt bedroht; ich verlange, daß er zum Tode verdammt wird.«

»Immerhin, du hättest mich befragen sollen, ehe du in die Schenke zogst,« grollte Matthias Holk, »was kümmert uns ihr Biergewäsch! Solange die Gefahr uns umklammert hält, müssen wir vorsichtig und behutsam sein. Im Führer hast du sie alle beleidigt. Sie werden Rechenschaft fordern, und wenn dann der Feind herangekommen ist, stehen wir wieder im alten kläglichen Zwist.«

»Daß der Feind nicht kommt, dafür haben wir ja Harald zu ihm geschickt,« glaubte Claus Rodecke ablenken zu können.

»Harald bleibt länger, als ich annahm.« Steffen Brugg strich sich sorgenvoll über die Stirn. »Gewiß, er wird gute Nachricht bringen, aber er wird es auch übel vermerken, daß wir in seiner Abwesenheit Hand an einen der Seinigen gelegt haben.«

»Nur während Harald fern weilte, konnte der Zugriff glücken,« widersprach Tom Börner. »Und jetzt, ihr Herren, nach Dieters Festnahme, herrscht Ruhe in der Stadt. Darauf allein kann es doch gehen. Wohl wär's auch mir lieber gewesen, Rolf Ebelingk hätte sich mit dem regierenden Bürgermeister vorher ins Vernehmen gesetzt, aber der Erfolg spricht für ihn. Wir haben jetzt die Masse in der Hand. Sie wagt nicht, aufzubegehren, nun Jan im Turm liegt.«

»Meint ihr?« Steffen Brugg erhob sich. »Ich wasche meine Hände in Unschuld. Ich weiß, wie die Zünfte und die am Hafen über diesen schmählichen Vertrauensbruch, wie sie es nennen, denken. Macht euch auf Übles gefaßt, wenn Harald wiederkehrt. Noch duckt sich die Bestie, aber im Augenblick, wo ihr vergötterter Herr wieder bei ihr ist, wird sie vor Blutgier rasen.«

»Dem ist vorgebeugt,« warf Rolf Ebelingk gelassen hin. »Als Feldhauptmann in der Vertretung des Bürgermeisters habe ich Befehl erteilt, niemand mehr in die Stadt zu lassen, bevor nicht Meldung beim Rate erstattet worden ist. In unserer Hand liegt es jetzt, den Herzogsbastard für immer auszuschalten.«

Da aber begehrte selbst Tom Börner auf. »Bist du des Bösen?« entrüstete er sich, »Dem Manne, der uns aus Heinrichs Krallen retten soll, der den Herzog zum Frieden bewegen will, dem sperrst du die Tore? Bedenkst du denn nicht, welch unerhörte Beleidigung du ihm damit neuerdings antust? Ich bin mit dir durch dick und dünn gegangen, Rolf Ebelingk, aber hier scheiden sich unsere Wege.«

Auch Matthias Holk sah finster abweisend drein. »Diesen Befehl nimm zurück!« ordnete er an. »Leichtlich könnte damit die Wut des Volkes zum Gipfel getrieben werden.«

»Dann ist's den gebietenden Herren wohl auch nicht recht, daß ich mit meinem Golde und dem eines Freundes die dreihundert Waffenknechte herangeholt habe?« zürnte Rolf beleidigt.

»Die Kraft der Stadt zu verstärken, bist du wohl befugt,« erwiderte Matthias Holk, »und wir alle danken dir's. Doch ehe du die Knechte in die Stadt ließest, mußtest du, wenn nicht den Rat, so doch mich befragen, wir hätten dann reichlichen Verdruß erspart. Vorm Wall in den Lagerhäusern waren die Knechte bis zur Entscheidungsstunde wohl und sicher untergebracht.«

»Aus diesen Lagerhäusern zog ich sie gestern abend, als mir Gewißheit von den bösen Plänen Jan Dieters wurde, in die Stadt hinein.« Rolf Ebelingk starrte verdrossen zu Boden. »Euch fehlt stets der Mut zur letzten Tat. Und so wird euch der Pöbel über den Kopf wachsen.«

»Sendet sofort einen Boten zum Tor St. Fabian, daß sie nicht etwa Harald hindern, wenn er Einlaß begehrt,« bat Steffen Brugg den Bürgermeister. »An uns ist es jetzt, den Unfrieden, so gut es noch geht, zu beseitigen. Hoffentlich bringt Harald gute Mär, damit wir des Kampfes gegen den Löwen enthoben sind. Zwänge uns der Herzog jetzt zu fechten, meiner Treu, ich fürchte, er hätte es dann leicht mit uns ausbündigen Narren, die sich selber zerfleischen.«

Matthias Holk trat zum Ratsschreiber Adam, der sich, seltsam verängstigt, noch kleiner als sonst machte, dann und wann über seine schweißtriefende Stirn fuhr und erbärmlich grauweiß im Gesicht aussah. Des Bieres ungewohnte Fülle war ihm über die Maßen schlecht bekommen, und dazu pochte in seinem Herzen die Furcht, daß er in der Trunkenheit gefährliches Amtsgeheimnis verraten hätte. »Troll dich auf der Stelle zum Fabiantor, Adam! Die kühle Luft wird dir wohl tun. Du siehst übel drein, wie einer, der sich schon zur Höllenfahrt rüstet.«

Da schmetterten Trompeten vom Markte her.

»Das ist Harald mit seiner schwarzen Schar, niemand sonst,« rief Steffen Brugg.

»So haben sie ihm gegen meinen Befehl das Tor geöffnet?« wetterte Rolf, »wer hat denn noch Befehl und Herrschaft in der Stadt? Kommandiert hier jeder, tut hier jeder armselige Torwächter wie es ihm gefällt? Dann sind wir wahrlich wert, mit Stumpf und Stiel zugrunde zu gehen.«

Es währte nicht lange, und Harald stand bei den Ratsherren.

»Wie kamt ihr nur durchs verschlossene Tor in die Stadt, Prinz?« fragte Steffen Brugg, Rolf Ebelingk mit seinem Lächeln messend. »Man wollte Euch doch noch ein paar Atemzüge in der Freiheit gönnen.«

Harald ließ den Blick spöttisch über die Versammlung schweifen. »Als mir die Torwache den Einzug sperrte, meinte ich, ihr hättet schon Kunde von meinem Mißerfolg. Und so trabten wir dann, der Nebel verbarg's all euern Wächtern, durch die Furt und über den Landwehrwall in Bardowieck ein.«

Aufmerksam, mit Mienen, die sich von Minute zu Minute tiefer verdüsterten, hörten die Ratsherren nun Haralds Bericht an.

»Es bleibt uns nichts übrig, als wie Männer unsere Pflicht zu tun,« entschied Matthias Holk, eine Frage Steffen Bruggs, ob nicht ein letzter Versuch zur Versöhnung gemacht werden sollte, unmutig abschneidend, »wir haben das Äußerste getan, um billigen Ausgleich herbeizuführen. Nun zwingt uns der Herzog den Degen in die Hand. Er wird auf Eisen stoßen.«

Auf die kurze und schroffe Abfertigung, die er erlitten hatte, konnte Steffen Brugg sich nicht versagen, achselzuckend zu entgegnen: »Das Eisen hat leider einen tiefen Riß, scheint mir, hochgebietender Herr Bürgermeister. Wir werden zunächst alle Kraft aufbieten müssen, um die Bevölkerung in Ruhe zu halten, viel kostbares Bürgerblut wird fließen, besorge ich, das wir auf den Wällen gegen Heinrich besser hätten nutzen können.«

»Was ist geschehen?« fragte Harald betroffen.

»Gestern abend hat man Jan Dieter aus der Mitte seiner Freunde fortschleifen und in den Turm werfen lassen,« berichtete Steffen Brugg nicht ohne Genugtuung.

»Wer erdreistete sich dessen?« Haralds Augen brannten. »Habt ihr mir nicht in die Hand gelobt, ihr Herren, Ruhe und Frieden zu halten, bis ich wiederkehre, nichts gegen die Bürgerschaft zu unternehmen, niemanden zu kränken, es sei, wer es sei? Laßt ihr nicht von der Wortbrüchigkeit, meint ihr, noch lange ungestraft mit mir spielen zu dürfen?«

Murren ward laut, es verstummte, als Harald sich jach umwandte.

Matthias Holk glaubte vermitteln zu müssen, »wieder hat Jan Dieter gewagt, das Volk zur Empörung, zu nächtlichem Angriff gegen den Rat aufzustacheln.«

»Ich werde dem nachforschen, zu gelegenerer Stunde,« erwiderte Harald. »Aber den Vertragsbruch, den ihr begangen habt, schafft das nicht aus der Welt. Ihr habt euch feierlich des Rechtes begeben, irgendeinen von den Meinen anzutasten, geschweige denn nun gar einen der Führer. Mir steht es zu, Jan Dieters Vergehen zu untersuchen und zu strafen, nicht euch, seid ihr denn blind und völlig von allen Heiligen verlassen? Heinrich liegt vielleicht morgen schon vor der Stadt, und Tausende sind hier, die in ihm noch ihren Herzog ehren, tausend andere, die nicht gegen ihn kämpfen, wenn der alte Ratsübermut weiter toben darf. Zum letzten Male warne ich euch! Im entscheidenden Kampfe gegen Heinrichs reisige Übermacht steht ihr allein, so ihr nicht das Herz aller Bürger gewinnt.«

»Und du selbst, Harald, auf welcher Seite stehst du?« fragte Tom Börner tückisch.

»Mein Wort bindet mich an euch, und ich pflege mein Wort zu halten, Tom Börner. Hier bin ich nicht mehr Heinrichs Sohn, hier bin ich ein Getreuer Bardowiecks wie ihr. Und Schmach jedem, der mir's verweigert oder mich des Meineids verdächtigt. Auf der Stelle soll ihm mein Stahl Antwort stehen.«

»Wir kennen dich, Harald,« sagte Matthias Holk bewegt, ohne es doch zu wagen, dem Jüngling die Hand entgegenzustrecken, wie es ihn im Herzen drängen wollte. »Beschluß, ihr Herren: Jan Dieter ist sofort freizulassen. Oder ist einer von euch anderer Meinung?«

»Ich erhebe Einspruch!« rief Rolf Ebelingk. »Ihr zwingt mich noch zum Äußersten!«

»Mit allen gegen eine Stimme beschlossen!« Matthias Holk setzte sich an Adams Platz und schrieb mühsam, Buchstabe für Buchstabe, den Befehl, der Jan die Freiheit wiedergab. »Und du, Steffen Brugg, begib dich auf der stelle zum Turm und löse ihn!« ...

Haralds erster Gang war zu Heinz Hoyer. Der Maler hatte just Zinnober auf den Schoß genommen und betrachtete ihn mißbilligend. »Fällt es dir nicht auch auf, Harald,« fragte er, statt sich nach den Ereignissen und den Abenteuern des Freundes auf seinem Ritt zu Herzog Heinrich zu erkundigen, »fällt es dir nicht auch auf, daß der Kerl ganz plötzlich maßlos dick wird? Als wir in Bardowieck eintrafen, sah er so dünn und mager aus, und die Rippen standen ihm aus dem Fell hervor, als hätte er ein Tönnlein verschluckt. Jetzt schwillt er riesenmäßig an. Das faule Leben bekommt ihm nicht. Mir auch nicht. Ich habe mich also entschlossen, Harald, solange es noch möglich ist, und ehe Herzog Heinrich die Stadt umschlossen hält, aus Bardowieck zu scheiden.«

Harald mochte weder auf seine trüben Scherze noch auf seine Abschiedsgedanken eingehen, während sie zur Gasse herunterstiegen, schilderte er, was ihm begegnet war, machte auch kein Hehl aus der tiefen, tiefen Enttäuschung, die er bei der ersten Begegnung mit dem Vater erlitten hatte. »Es wird so düster um mich her, Heini, wie auf dem Heideritt ist mir – das Moor federt unter mir.« Doch nur mit halbem Ohr, schien es, hörte der Maler zu. Um so aufmerksamer betrachtete er die daherrumpelnden, mit Spießen, Piken, Morgensternen gefüllten Wagen, die aus den Zeughäusern zum Wall knarrten, und mit hoher Teilnahme hing sein Blick an den Kirchtürmen, wo man bereits Holzhaufen aufschichtete, um, wenn die Stunde schlug, alsbald Feuerzeichen weit ins Land hinein geben zu können zur Warnung für die befreundeten Städte und Dorfgemeinden.

»Hast dich bös festgefahren, Bruderherz,« sagte er lässig nach einer Weile. »Mit deinem Vater, scheint mir, ist nicht zu spaßen. Die guten Leute in Bardowieck werden ebenfalls ihr Recht von dir verlangen, wie in aller Welt willst du dich da hindurchwinden?«

Vorm Gildenhause stand händereibend das Schuster-Peterlein und eilte, als es die beiden kommen sah, behend auf sie zu. »Böse Kunde, Prinz Harald!« begann er tänzelnd, »wer hätt's geglaubt, daß Euer stolzer Vater auch Euch gegenüber den alten Welfenhochmut hervorkehren würde? Aber beim hohen Dom von Paul und Peter, er hat uns Bardowiecker unterschätzt. Ihm Zins zahlen? Ihm tausend und aber tausend Waffenknechte stellen? Siebzig Koggen ausrüsten, damit er die See beherrsche und unserer Schifffahrt die Bahn vorschreibe? Lieber mit Weib und Kind verderben!« Des Schusters helle Stimme zitterte vor mannhafter Erregung.

Harald wollte rasch vorüber.

»Bitternis aber für Euch, Prinz, daß Ihr nun doch das Schwert gegen den eigenen Vater ziehen müßt,« fuhr Peter hinterhältig fort, sich ihm in den Weg stellend. »Kann mir wohl denken, diese Tage kosten Euch Herzweh ohnegleichen. Aber wir haben Euren Schwur, wir vertrauen Euch und sind gewiß, daß Ihr willig Euer Letztes für die Freiheit hergeben werdet. So habe ich vorhin auch dem dreisten Lümmel, dem Ische, geantwortet, als er behauptete, am Ende hättet Ihr gar Euren Vater aufgestachelt, daß er sich unversöhnlich und hart zeige.«

Harald stutzte. »Ich meinen Vater aufgestachelt? weshalb meinst du das?«

»Nicht ich,« beeilte sich Peter klarzustellen, »sondern der Ische. Ich habe ihm derb aufs ungewaschene Maul geschlagen. Er ist ein Dümmling. Kennt Euer großes und edles Herz nicht und meint, daß Ihr noch immer nach der Herrschaft über Bardowieck strebt. Trotzdem Ihr uns doch mit heiligem Eid geschworen habt, allen Ansprüchen zu entsagen.«

Mit schroffem Ruck wandte sich Harald von ihm ab. Schweigend ging er dann neben dem Maler her, schweigend und mißmutig folgte ihnen Zinnober, den bei dem ewigen Regenwetter wieder die Gicht zu plagen begann.

»Deine Getreuen schöpfen allmählich Argwohn,« spottete Heini. »Der Königssohn als Prinz-Befreier, die Löwenbrut friedvoll im selben Stall mit Schafen und Kälbern vereint – ja, es gehört schon viel Menschenliebe und viel Weltfremdheit dazu, um auf die Dauer daran zu glauben. Die Menschenliebe und die Weltfremdheit sind allerdings nur bei dir.«

Harald starrte wortlos vor sich hin.

»Vielleicht dämmert's dir nun allmählich doch, in welche Enge du dich schwärmerisch und verträumt begeben hast,« meinte Heini. »Du, der Kumpan und Vorkämpfer der Schuster und Gassenjungen, von denen jeder das Recht hat, dich zu begeifern und mißtrauisch deine Pfade zu überwachen! Sind das die Triumphe, die unserer Phantasie nächtens aufstiegen, als du alle Sterne erobern wolltest? Sind das die unermeßlich weiten Reiche, die du an dich reißen wolltest? Ermanne dich doch, Harald! Hier, in dieser stickigen Luft gehst du kläglich zugrunde!«

»Nichts liegt mir mehr an einer Krone oder einem Krönchen. Nach anderen Ehren schwindelt mein Ehrgeiz. Von Reichsgründern und Tyrannen wimmelt es in den Büchern der Geschichte; ich will der erste sein, der ein großes Volk zur Freiheit führt, so will ich meinen Namen in den Granit der Jahrhunderte eingraben.« Es klang nicht mehr echt, was er sagte. Harald fühlte es selber und brach ab.

»Du bist also wirklich entschlossen, das Schwert gegen deinen Vater zu ziehen? Schulter an Schulter mit den Geschlechtern willst du ihn bekämpfen? Mit Matthias Holk, der dich jämmerlich betrogen und hintergangen, mit Rolf Ebelingk, der dir die Liebste gestohlen hat? Warum nimmst du dir nicht wenigstens Maria zurück, die dir Matthias Holk, als wir damals Bardowieck verließen, zum Weibe versprochen hat? Was ist aus dir geworden, Harald? Jeder Krämer darf dich übers Ohr hauen. Aber ich weiß wohl, weshalb du Maria aufgibst – die Kraft und die Kühnheit, einen Schlag zu führen, sind dir verloren gegangen im zornigen Gegrübel, in den schmerzhaften Enttäuschungen dieser Tage.«

»Du irrst. Nicht deshalb ... sondern weil mir ein anderes Glück aufgeblüht ist und weil ich mich der anderen, der Reinen, verlobt habe.«

Heini fühlte, wie er bleich wurde. »Jussunda?« fragte er, und ein qualvolles Weh, wie er es noch nie empfunden hatte, zuckte ihm durchs Herz. »Du und Jussunda? Weißt du denn nicht, Harald, daß Maria noch immer mit ganzer Seele an dir hängt, wie du an Maria? Leugnest du das? Nur ihretwegen, nur um sie zu kränken, bietest du den Geschlechtern Trotz, mischest dich in diesen Froschmäusekrieg ein; nur ihretwegen, um sie zu kränken und sie zu vergessen, hast du Jussundas Herz genommen.«

Harald hörte nur auf ein einziges Wort hin. »Maria liebt mich noch? Wer sagt dir...«

»Welcher Dritte braucht's zu sagen, wenn ihr mit jedem Blicke euer Geheimnis verratet? ... Laß dich warnen, Harald! Versündige dich nicht an Wolf Vynkes weißem Kind! Stoße sie nicht in die wilde Sommerglut einer Leidenschaft hinein, in der sie verbrennen muß! Gehörte ihr dein Herz, so würd' ich schweigen, aber du kannst dem frommen Mädchen nichts mehr geben. Unlösbar verbunden bist du der anderen, Jussunda wird dir nichts als ein Spielzeug sein, das du in den Winkel schleuderst, wenn du seiner müde bist ... Doch noch einmal, ich warne dich, Harald. Hüte dich! Jussunda würde sterben, wenn du sie verließest.«

»Was für Gespenster du am hellen lichten Tag aufsteigen läßt!« wehrte Harald ab.

»Ich muß zum Saladin, und dahin wirst du mich nicht begleiten wollen,« verabschiedete sich Heini. »Glaube nicht, daß ich mich in dein und Jussundas Glück drängen will. Es ist ihre Seligkeit, und darum stehe ich mit dem Hut in der Hand, doch auch mit blankem Degen beiseite. Hüte mir das Kind, Harald, denn jede Träne, die sie um deinetwegen weinen müßte, wäre Blut! Frage mich nicht, wessen. Und nun Gott befohlen!« Mit starken Schritten kreuzte er die Gasse und war bald im Gewinkel verschwunden. Nur Zinnobers zorniges Kläffen klang noch lange zurück.

In sich versunken, schritt Harald weiter. Er kannte die jäh aufschießende Launenhaftigkeit des Malers zur Genüge und nahm sie auch diesmal nicht allzu ernst. Aber etwas in seiner Stimme, die nicht mehr verdeckte, fast haßerfüllte Drohung hatte ihn aufgeschreckt. Also auch dieser! ... So hing niemand mehr an ihm? Doch, doch ... Die gewaltsam wachgerufene Erinnerung an Maria, die Selbstverständlichkeit, mit der Heini ihn noch immer an das schöne Weib ketten wollte, machte sein Blut gären. Unwillkürlich zog es ihn nach dem Hause Rolf Ebelingks, darin sie nun fraulich wohnte. Er achtete der Männer nicht, die an ihm vorbeistrichen und ihn verehrungsvoll, mit herzlicher Liebe in den Blicken grüßten; er sah nicht auf, als Abt Iso des Weges kam und ließ auch ihn ungegrüßt vorüberziehen.

Mit seinem Lächeln blickte der Priester sich nach dem Träumer um. Er hatte ungern, mit leisem Furchtgefühl, von seiner Rückkehr aus dem Lager des Herzogs gehört, so angenehm ihm die übrigen Meldungen auch ins Ohr geklungen hatten. Der Löwe im Sprunge auf Bardowieck – wie sollte ihm die Stadt widerstehen, selbst wenn sie in aller Eile Hunderte von Soldknechten herangezogen hatte? Des Abtes Netz war gesponnen, war überaus sorgsam ausgehängt, und die summenden Fliegen konnten ihm nicht mehr entgehen, mußten sich hilflos in ihm verstricken. Trefflicher Tysenhusen, dachte Iso, wie gut ist's ihm gelungen, die Parteien gegeneinander aufzustacheln! Wie wunderbar traf sich's, daß sie gestern den Jan in den Turm warfen! Nun er auf Haralds Betreiben wieder frei ist, wird er mit Berserkerwut keine Rücksicht mehr üben, seine Rache am Rate nehmen. Aber Harald ... Das Lächeln verschwand von Isos dünnen Lippen. Harald war die Hornisse, die mit wilder Kraft das feine Netz zerreißen konnte. Harald vom Kampfe fernzuhalten, war jetzt dringendste, aber auch schwierigste Aufgabe. Stand er, in allen Führerkünsten erfahren, von der Masse vergöttert, an der Spitze des kriegslustigen Volkes, blieb er weiter den Geschlechtern treu zur Seite, so konnte die Stadt sich möglicherweise sehr lange gegen Heinrich halten. Und wenn sie dann doch endlich fiel, würde der Löwe sich dann nicht seinem Kinde zuliebe anders entscheiden, als der Abt und die heilige Kirche es wünschten? Sprang nicht gerade dann Gefahr auf, daß er Harald trotz allem zum Vogt der Stadt ernennen, dem Jüngling zum zweitenmal und endgültig schenken würde, was er ihm erst nach seinem Tode zugedacht hatte?


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