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6. Kapitel

Die Segel nach dem Wind

Wie immer hatte Matthias Holk die Ratssitzung mit eindringlichem Gebet begonnen und inbrünstig den Segen des Höchsten auf die Verhandlungen herabgefleht. Aber heute schien ihnen keine göttliche Gunst zu leuchten. Wohl war es in dem eichengetäfelten Prachtraume, der die ratswürdigen Geschlechtsherren vereinigte, gar freundlich hell, wohl spielte draußen über den Markt, seine stolzen Paläste und seinen mit Riesenkraft aufstrebenden Dom aller Glanz eines unverhofft schönen Oktobertages, und fast sommerlich mild koste die Luft. Aber auf den Herzen der Ratsmannen lastete es wie Winterkälte, und unfreudig blickten sie dunkler, dunkler Zukunft entgegen.

Der dünne, kleine Adam, des Rates Schreiber und Rechner, der bescheiden unten am Tische saß, hatte noch keinen fördersamen Beschluß der hohen Herren aufzuzeichnen.

»Wir zwingen das Gesindel nicht,« knirschte Tom Börner und zog die Pelzschaube fester um die Schultern. »Seitdem der Herzogssohn in der Stadt ist, kennt die Frechheit des niederen Mannes keine Grenzen mehr. Felsenfest vertrauen sie auf ihn und seinen Stern.« »Hat doch heute morgen ein dreister Bursch am Hafen es gewagt, mitten auf dem Weg mit seiner Last stehenzubleiben und mich zu zwingen, beiseite zu treten, statt sich, wie es gehörig ist, rechtzeitig zu entfernen,« grollte Claus Rodecke. »Und was mich am meisten erstaunt, das Hungergeschrei in den Gassen hat aufgehört. Niemand bettelt mehr um ein Stück Brot. Was war das in der letzten Woche für ein Gejammer und Gewimmer, wenn man in den Vierteln an den Toren erschien! Auf den Knien rutschten Weiber und Kinder vor unsereinem und waren gnadenfroh, wenn ich ihnen auch nur eine Schüssel Mehlsuppe für den Abend versprach. Heute fehlt's bei keinem. Und das schlägt uns die beste Waffe aus der Hand.«

»Wohl ist's verwunderlich, wo der hochwürdige Herr Abt die Kornmassen hernimmt,« meinte Steffen Brugg. »Hätte nimmer geglaubt, daß in den Klostergewölben und Klosterspeichern soviel des guten Korns liegt. Ein wahrhaft christlicher Priester, unser Abt!«

»Allzu christlich, sollt ich fast meinen, gegen die Niederen, unchristlich aber gegen uns!« berichtigte ihn hämisch Basedow.

»Völlig durchkreuzt er uns die Rechnung mit seiner mildtätigen Torheit,« tadelte Rodecke. »Jetzt glaubt das Volk, sich auf ihn stützen zu können, glaubt, daß er ihm beistehe und wird dadurch nur um so kecker und herausfordernder. Ihr solltet mit Hochehrwürden gedeihliche Rücksprache nehmen, Herr Bürgermeister,« wandte er sich an Matthias Holk. »Denn wer von draußen dem Handel zuschaut, der könnte meinen, Abt Iso falle uns, die so hart zu kämpfen haben, in den Rücken.«

Matthias Holt erhob sich vom schweren, überreich mit köstlichem Schnitzwerk geschmückten Bürgermeisterstuhl und trat ans Fenster.

»Seht da, ihr Herren, unser vielberühmter Marktplatz, der größte und herrlichste im Norden! Breit um ihn herum scharen sich die Häuser der Kleinen, die niederen Giebel, wie bei ihm Schutz suchend und wie in ihm den Herrscher anerkennend. Wo im Lande gibt es prangendere Paläste als die, so wir uns und unseren Kindern aufgetürmt haben? Alle Wunder, alle Reichtümer des Abend- und Morgenlandes schimmern darin. Aber gewaltiger, wuchtiger, königlicher steigt der weiße Dom über sie empor. Er, Bardowiecks Kennzeichen, Bardowiecks strahlendste Pracht, er bleibt mit seiner ewigen Wucht doch unser Herrscher. Gegen ihn sind wir schutz- und wehrlos, mit ihm vereint bezwingen wir die Welt.«

»Und weshalb erzählst du uns die Parabel, Vater?« fragte Rolf Ebelingk mit leichtem Spott in der Stimme.

»Weil wir nur durch den hochehrwürdigen Abt aus dem kommenden schweren Kampf unverletzt und als Sieger hervorgehen werden.«

»Besser scheint es mir, wir versuchten uns in Güte mit den Zünften und Gilden zu einigen,« schlug Stephan Brugg vor. Er sagte es bescheiden und leise, denn er wußte wohl, welch gereizten Widerspruch der Wunsch entfesseln würde.

»Tausendmal lieber Waffenknecht als Pöbeldiener!« schrie ihm Tom Börner entgegen.

»Die Frage ist nur, ob der Pfaff uns jetzt schon zu Knechten wünscht,« schob Kai Estorff behutsam ein. »Wir sind ihm noch nicht weich genug gesotten, scheint mir. Hörte ich doch neulich dies und jenes munkeln von geheimen Anträgen, die er dir gestellt hat, Matthias Holk, daß er, just er, den Schutz der Stadt übernehmen wolle, wenn es zum Äußersten kommt, daß Bardowieck, kaum vom Herzog befreit, im Schatten des krummen Stabes leben solle.«

»Tändelkram,« lehnte Matthias Holk ab. »Den heiligen Herrn fliegen in seiner Klostereinsamkeit mitunter absonderliche, abenteuerliche Einfälle an. Mußt sie nicht ernst nehmen, Kai. Ich zum mindesten nehme sie nicht ernst.«

»Aber nicht umsonst läßt sich Iso die Kornverteilung ein so gewaltiges Stück Geld kosten,« beharrte Estorff. »wir kennen ihn doch. Alle preisen und bewundern seine Frömmigkeit, preisen und bewundern jedoch noch mehr seinen klugen, das Kirchengut dauernd mehrenden Sinn. Achtet auf das, was vorgeht, ihr Herren, daß uns nicht unversehens eine Schlinge über den Kopf geworfen werde.«

»Wen haben wir zu fürchten?« hielt ihm, sich aufreckend, Rolf Ebelingk entgegen, »selbst wenn Iso Pfaffenränke spinnen würde – eine Bewegung unserer Hand, und sein Netz läge zerrissen. Allein vermag er nichts. Der Bischof ist weit und ein ängstlicher Greis, der ihm nicht beispringt, sich aber mit dem Gassengesindel gegen uns zu verbünden, dafür ist Iso zu stolz, so laßt uns abwarten, wohin er mit seiner närrischen Wohltätigkeit gelangt. Gewiß, wir stehen heut nicht mehr in so günstigem Kampf wie vorgestern. Zeit sie sich den gierigen Magen wieder füllen können, blicken sie neuerdings dreist und aufrührerisch. Dennoch ist die Macht unser, dennoch brauchen wir nur zuzugreifen, nur die unverschämtesten Schreier ins Brunnenverließ zu werfen oder auspeitschen zu lassen. Freilich, solange ihr, gegen Gesetz und Rechtspruch, Harald in der Stadt duldet, solange kommt das Pack nicht zur Ruhe. Tut eure Pflicht, ihr Herren, verweist ihn augenblicks aus dem Stadtbann, und ich bürge euch dafür, Bardowieck stellt sich dem Löwen geeint gegenüber.«

Stephan Brugg wagte abermals zu widersprechen. »Ohne Blutvergießen werden wir Haralds nicht ledig. Seht die Leibwache an, die hinter ihm steht, seine schwarze Schar, die sich für ihn in Stücke hauen läßt; seht die Gesichter am Hafen, seht den unverhohlenen Grimm in allen Zunfthäusern! Uns bleibt, das ist mein fester Glaube, nur übrig, daß wir mit den Handwerkern und den eingesessenen Schiffern zu gutem, freundschaftlichem Schluß gelangen, daß wir freiwillig und freundlich die Rechte anerkennen, die ihnen Herzog Heinrich aus eigenem eingeräumt hat.«

»Ihnen die verlangten Sitze im Rat gewähren?« höhnte Börner.

»Ja. Die ihnen Herzog Heinrich zugesichert hat.«

Gelächter scholl auf, einzelne wütende Zurufe wurden laut. Matthias Holk winkte lässig mit der Hand ab.

»Herzog Heinrich – ein verschollener Name!« grollte Basedows Weinbaß.

»Steffen Brugg weiß, daß er schier allein steht, wozu wiederholt er denn dann immerdar, was keiner von uns je genehmigen wird, keiner, auch wenn der Henker mit des Richtbeils Schneide nach seinem Nacken zielte?« fragte Claus Rodecke.

»Da der Feind sich mit Macht rüstet,« hob Matthias Holk plötzlich ganz geschäftsmäßig an, »müssen wir wohl auf der Hut sein. Freilich glaube ich nicht, daß er den Weg auf Bardowieck nehmen wird. Er kennt uns und unsere Macht zu gut. Wahrscheinlich wird er zuerst versuchen, Lübeck zu überrennen und dann Lüneburg zu nehmen. Deshalb habe ich beiden Städten Briefe gesandt. So der Herr uns gnädig ist, wird ein starkes Bündnis zustande kommen. Hinter uns steht dann der Bund der Fürsten, die Heinrichs Feinde sind und bleiben werden bis an ihrer Tage Ende. So oder so haben wir noch mehrere Wochen Zeit, wir brauchen, geht's wirklich hart auf hart, hinter unseren Wällen nur auszuharren, bis das Ersatzheer heranrückt. Und überdies, wird Heinrich stark genug sein, um sich von seinen Koggen zu entfernen? Niemand im Lande hängt ihm mehr an. Geeinigt stehen alle seine früheren Vasallen gegen den Zwingherrn. Deshalb –«

Da pochte es dreimal an die Tür, des zum Zeichen, daß wichtige Botschaft nahe und darum der hohe Rat um die Erlaubnis gebeten werde, den Überbringer zu empfangen. Solche Störung war streng untersagt, wenn der Rat sie nicht selber genehmigte. Matthias Holk gab dem jüngsten Ratsherrn einen Wink. Durch die starrenden Spieße der Wächter draußen kam der Bote geschritten. Erhitzten Gesichts, mit verwirrtem Haar, staubbedeckt von hastigem Ritte.

»Nun, Jäcklein?« Matthias Holt preßte in leichter Unruhe die Handflächen aufeinander.

Der Sendreiter trat nahe an den Tisch heran.

»Gestrenger Herr!« stieß er hervor, »verübelt mir nicht mein schmutziges Gewand und nicht den Schweiß des Weges, schier zuschanden geritten habe ich den Braunen. Gottlob hielt er sich wacker.«

»Was ist's?«

Tom Börner zitterte, er wußte nicht weshalb, selbst Claus Rodeckes unerschütterliche Selbstsicherheit kam ins Wanken, wie furchtbar drohendes Unheil lag es um den Reiter. »Herzog Heinrich rückt in Eilmärschen auf Bardowieck los,« berichtete er, sich scheu umblickend, im Flüsterton. »Alle seine Lehnsmänner an der Küste sind ihm zugefallen, sein Heer schwillt von Stunde zu Stunde gewaltiger an. Hamburg, Plön, Itzehoe gehören ihm bereits.

Matthias Holk verriet mit keiner Miene, was in ihm vorging. »So sind wir die ersten, die ihm mutig widerstehen werden,« sagte er ruhig. »Freilich, für das Bündnis mit Lübeck und Lüneburg wird es zu spät sein. Allein müssen wir den Anprall aushalten. Wochen können vergehen, ehe die Fürsten und Adolf von Schauenburg herankommen. Wessen bedünkt euch, ihr Herren?«

»Wir halten die Stadt gegen Tod und Teufel,« vermaß sich Rolf Ebelingk. »Setzen wir sie sofort in Belagerungszustand! Jede Hand muß helfen, jede Faust bewaffnet werden.«

»Glaubst du?« zweifelte da Claus Rodecke. »Den aufrührerischen Pöbel bewaffnen, damit sich seine Wut ungehindert gegen uns richten kann?«

»Zu solchem Zank ist jetzt nicht mehr die Zeit,« tadelte Stephan Brugg. »Ihr Herren! Es bleibt nur der Weg, den zu gehen ich euch vorhin empfohlen habe, wir müssen Frieden haben mit dem Volk. Wehe, wenn der Herzog uns uneinig, in selbstzerfleischendem Haß, antrifft! Bardowiecks Wälle sind, ihr habt recht, unbezwingbar, solange auf ihnen die geeinte Bürgerschaft steht. Gegen zwei Feinde aber, gegen den übermächtigen Löwen und die verzweifelten Bestien in der Stadt, können wir nicht ankämpfen. Ihr Herren, gedenkt eurer beschworenen Pflicht, rettet Bardowieck! Und dazu gibt es nur eine Möglichkeit.«

»Eher stecke ich mein eigenes Haus in Brand,« schrie Rolf Ebelingk. Matthias Holk berührte leise seinen Arm.

»Unerwartete Gefahr heischt unerwartete Abhilfe,« lenkte er ein. »Wir dürfen in dieser Stunde nicht unseres gerechten Grimms gedenken, müssen unser Herz bändigen und in uns erwürgen, was nicht einzig und allein an das Wohl der teuren Stadt denkt. Stephan Brugg hat recht: Gelingt es uns, die gesamte Bürgerschaft, alle Schwerter dem Herzog entgegenzuwerfen, dann, aber auch nur dann werden wir seinem Angriff begegnen können. Noch ist es Zeit zur Versöhnung, trotz allem. Noch können wir der Gefahr, die uns droht, die Giftzähne ausreißen. Noch dürfen wir über die Rachsucht des beleidigten Löwen lachen. Aber freilich, Rat und Bürgerschaft müssen entschlossen sein, gemeinsam das Äußerste zu vollbringen.«

»Das klingt anders als vor wenigen Tagen beim Hochzeitsmahl,« spottete Rolf.

Matthias Holk strich sich gelassen über den Bart.

»Wir sitzen hier nicht beim Hochzeitsmahl, mein Sohn. Nicht ist es mehr am Platze, jetzt Trutzlieder zu singen. Jetzt hat uns die Not mit würgendem Griff gefaßt. Jetzt müssen wir klug sein wie die Schlangen.«

»Und deine Willensmeinung im einzelnen, Matthias?« fragte Tom Börner befangen, schon ganz bereit, nachzugeben.

»Die Zünfte und Gilden verlangen von uns Anerkennung der Rechte, die ihnen Heinrich verliehen hat. Zwei Ratsherrnplätze heischen sie. Fügen wir uns! Denn wenn wir's ihnen verweigern, so schmieden wir sie fester noch an den Herzog, dessen Sohn sie abgöttisch verehren, und entbehren ihrer Arme auf dem Wall, wenn uns nicht noch schlimmeres geschieht.«

»Schmach ohnegleichen! Niemals gebe ich meine Einwilligung!« weigerte sich Rolf erbittert. »So wahren wir das Erbe der Väter? Sitzen Stuhl an Stuhl mit den schmutzigen Gassenschreiern! Das ist nun der Ausklang unserer stolzen Reden!«

»Wir reden nicht mehr, wir handeln. Wir fügen uns der eisernen Notwendigkeit. Nachher, meine Freunde, wenn das Gewitter vorübergebraust und unseres Willens Freiheit zurückgekehrt ist, nachher wird sich wieder manches sagen lassen.«

»Gezwungener Eid tut Gott leid,« grinste Rodecke. »Und du, Steffen Brugg, bist der rechte Mann, mit den Führern des Volkes zu unterhandeln. Begib dich im Laufe des Nachmittags zu ihnen, daß es nicht scheine, als hätten wir's gar zu dringend, als stehe der Schreck mit zu rauhem Würgegriff hinter uns. Und dies die Bedingung, von der wir nicht abgehen werden, komme, was da wolle: den Befehl über Bardowiecks gesamte Streitkraft hält der Rat in fester Hand.«

Sowie die Herren beschlossen hatten, verzeichnete es Adam, des Rates Schreiber und Rechner, in sauberer Niederschrift, und mit keilförmigen Buchstaben unterzeichnete Matthias Holk das Pergament.


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